Posttraumatische Amnesie
Ob es den Begriff ,,posttraumatische Amnesie" an sich wirklich gibt, weiß ich nicht. Was ich aber weiß, ist, dass ich durch meinen Traumata 1. Riesige Erinnerungslücken in meinem Lebenslauf und 2. Bis heute Probleme mit meinem (hauptsächlich) Langzeitgedächtnis habe.
Doch gehen wir genauer auf die beiden Punkten ein, denn ich möchte dir gerne einen Einblick in meinen Alltag mit solchen ,,Phänomenen" geben.
Es ist nichts Ungewöhnliches für Menschen mit einer/mehreren Trauma/ta an Amnesien zu leiden. Bei manchen Menschen ist es so stark, dass sie sich wirklich an den entsprechenden Jahren nicht mal ansatzweise erinnern können. Null. Gar nicht.
Bei den anderen hingegen kann es zu ,,halben" Amnesien kommen, sodass sie sich vielleicht an kleine Fetzen erinnern können. Bilder, Geräusche, Gefühle oder auch die körperliche Wahrnehmung bleiben in Erinnerung, aber das ganze Geschehen ist nicht mehr aufzurufen.
Ich kann mich nur an kleine Fetzen meiner Traumata erinnern. Manche Erinnerungen sind mental stärker eingeprägt als die anderen. Aber oftmals habe ich es bei Flashbacks, dass ich mich daran glasklar erinnern kann, wie ich mich in dem Moment gefühlt habe. Sei es körperlich oder psychisch. Ich spüre Sachen wie z.B. meine kalten Finger oder das Rauschen in meinem Schädel wieder. Psychisch kann ich sogar die Gefühle ganz genau benennen, die ich in entsprechenden Situationen gespürt habe.
Aber die Erinnerung bzw. Das Geschehen an sich, kann ich nicht wiedergeben. Sei es wörtlich oder gedanklich für mich. Ich erinnere mich an vieles, was passiert ist, einfach nicht mehr. Bei jedem Menschen mit Traumata ist es natürlich unterschiedlich. Ich persönlich kann mein 10.-13. Lebensjahr nicht mehr erinnern. Wie ich aussah, was für Gedanken und Gefühlen, Meinungen und Werte ich hatte, wie ich lebte, womit ich meine Zeit verbracht hatte, wer ich bin.
Selbst während ich das Ganze hier gerade schreibe, ist es immernoch nach all den Jahren für mich schwer zu glauben, dass mir das wirklich geschehen ist. Das Vergessen, diese ,,Amnesien", wie ich das gerne nenne.
Jetzt bin ich 19 Jahre alt, würde mich selbst als ziemlich fortgeschritten in meinem Therapieprozess bezeichnen und weiß, wie ich damit umgehen kann. Dennoch ist es bis heute ein unangenehmes Gefühl zu wissen, dass ich theoretisch drei Jahre meines Lebens ,,nicht bewusst gelebt habe". Natürlich habe ich das 10.-13. Lebensjahr gelebt, aber wenn man mich jetzt fragen würde, wie es sich anfühlt, würde ich sagen:,,Es ist, als hätte ich diese Jahre einfach übersprungen. Ich war neun Jahre alt und dann plötzlich schon 14 Jahre alt. Alles, was dazwischen war, existiert nicht."
Der Gedächtnisverlust ist ein weiterer Schutzmechanismus unserer Psyche, um uns selbst vor dem zu bewahren, was wir im bewussten Zustand nicht mehr aushalten können würden. Eigentlich sehr faszinierend und gleichzeitig eigenartig, was unser Gehirn alles so kontrollieren kann.
Ich bin einerseits dankbar dafür, dass ich sehr vieles nicht mehr erinnern kann. So soll es sein. Dennoch besitze ich den Nachteil, dass eben 90%, also beinahe schon alles, weg ist. Sprich, nicht nur die traumatischen Ereignisse, sondern auch schöne und spannende Erinnerungen von damals. Nach dem Prinzip: Alles oder Nichts.
Es gibt einem das Gefühl, einen gewissen Teil von sich selbst verloren zu haben.
Ich kann mich auch gut erinnern, wie sehr ich im ersten Teil dieses Buches bzw. Als ich jünger war, unter diesem Bewusstsein ziemlich gelitten und darüber geschrieben habe.
Wenn meine Mutter oder wer auch immer mir Bilder aus dieser Zeitspanne zeigt, ist es beinahe schon angsteinflössend mich selbst auf diesen Bildern zu sehen. Ich erinnere mich an mein Aussehen oder Persönlichkeit nur sehr schwach.
Richtig komisch wurde es, als ich mit meinen Freunden über alte Schulzeiten gesprochen habe, wir über einen Jungen von damals sprachen und ich plötzlich raushaute:,,Warte mal, er ging in unsere Klasse? Woher kennt ihr ihn?" Nach einer kurzen Aufklärung erinnerte ich mich natürlich wieder an ihn, da ich noch jahrelang weiterhin mit ihm in denselben Jahrgang ging, aber allein diese Erfahrung war einzigartig.
Dieser Moment der Panik, Hilflosigkeit und Scham, als ich dachte, ich hätte das nun wirklich vergessen. Ich konnte für fünf Minuten nämlich gar keine bewusste Erinnerung hervorrufen, nichts. Nicht mal ein Fetzen. Dabei kannten wir uns alle schon seit Jahren.
Wie du siehst, habe ich also selbst heute mit so kleinen Aussetzern zu kämpfen. Ob diese wirklich noch mit meiner PTBS zusammenhängen oder einfach an mir als Person liegen, kann man nun diskutieren. Ich jedenfalls kenne mich als eine Person, die sehr schnell und sehr lange bestimmte Sachen erinnern kann, demzufolge ich z.B. sehr sprachbegabt bin.
Ich schiebe ungern alles auf meine PTBS, zumal ich mich mit dieser Erkrankung natürlich nicht identifizieren möchte. Ich bin Ich, aber es ist einfach spannend mit dir darüber zu reflektieren, was sein könnte und was nicht. :)
Dementsprechend möchte ich nicht bei dir den Anschein erwecken, alles krampfhaft auf meine Erlebnisse, Erkrankung etc. Schieben zu wollen, sondern dieses Kapitel als reines Gedankensammeln und kleine Funken an Fachwissen für dich zu sehen.
Spannend sich selbst zu fragen, wäre auch, ob die bewusst fehlenden Traumata nun wirklich komplett ausgelöscht sind aus dem Gedächtnis oder ob das Gehirn uns einfach nur austrickst. Eine absolute, faktische Antwort habe ich gerade nicht parat, aber laut der Literatur, die ich über die Jahre hin und wieder gelesen habe, ist es so, dass keine Erinnerungen komplett verschwinden.
Sie sind im Unterbewusstsein gespeichert, ein Teil unseres Gedächtnisses bzw. Unserer Seele, welches für uns im Alltag gar nicht zugänglich ist. Es ist wie, als würde das Gehirn uns die Box mit diesen Erinnerungen einfach verstecken und nicht zeigen wollen. Dies kann mehrere Gründe haben, wie z.B. bei Traumata, um uns zu schützen oder auch einfach nur aus dem Grund, damit wir von all den Reizen, die mit unseren Erinnerungen verbunden sind, nicht hyperventilieren.
Stell dir mal vor, du könntest dich an ALLES von Tag 1 deiner Geburt aus bewusst erinnern. Dein Gehirn würde dir platzen, du könntest die ganzen Erinnerungen gar nicht im Wachzustand mit dir im Alltag rumtragen. Deswegen gibt es diese Abstellkammer aka unser Unterbewusstsein, welches uns damit einen riesigen Gefallen tut.
Übrigens kann das auch ein Grund sein, weshalb wir oftmals so verzerrt oder komische Sachen träumen. Dies sind alles Konstellationen aus Teilen von unserem Unterbewusstsein, die sich nicht immer in klaren Worten, Bildern und Erinnerungen zeigen, aber durch verwirrende Szenarien, die unsere Seele uns im Schlaf zusammenstellt.
Deswegen ist die Traumdeutung auch so ein spannendes Thema! ;)
Aber dazu kommen wir gerne ein anderes Mal... Hinterlasse mir gerne auch deine Gedanken.
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