Blutrache

„Legolas!" schrie mein Freund Luthil, ehe er sich vor mich warf. Für einen Moment konnte ich sein schmerzverzerrtes Gesicht sehen, ehe er zu Boden fiel. Ich ging in die Knie. Meinem Freund steckte ein Orkpfeil im Rücken, der ihn tödlich verletzte. Ich konnte es nicht fassen. Luthil lag wegen mir im Sterben. Er rettete mein Leben und fing mit seinem Körper den Giftpfeil ab, der für mich bestimmt war. Sein Oberkörper lag halb in meinen Armen. Ich legte meine Hand auf seine Brust. „Luthil, du darfst nicht sterben!" sagte ich immer wieder. Blut quoll aus seinem Mund als er seine letzten Worte an mich richtete. „ Ich kann doch nicht zulassen, dass mein Prinz endlich die große Liebe findet und dann stirbt! Versprich mir glücklich zu bleiben mein Freund!" Er lachte noch, so gut es ging, charmant dabei. „Ich verspreche es! Dein Tod wird nicht umsonst sein mein Freund!" Mit einem letzten lächeln nickte er, ehe der Lebenshauch ihn verließ. Entmutig sackte ich zusammen. So manche Krieger habe ich fallen sehen. Doch Luthil und ich hatten die Ausbildung und so gut wie jede Schlacht zusammen gemeistert. Nun war er tot, weil er mein Leben rettete. Wie könnte ich sowas selbstloses je wieder gut machen? Mein Versprechen zu halten würde ein Leichtes sein, dennoch sollte sein Tod nicht umsonst sein. Meine Trauer und Verzweiflung wandelte sich in blanken Zorn. Mit neuem Elan erschlug ich mit jedem Hieb mindestens einen Ork. Manche meiner Männer machten einen großen Bogen um mich, um mir nicht in die Quere zu kommen. Viel zu viele meiner Männer lagen tot um uns, was nach Blutrache verlangte.

„Mein Herr!" sprach mich ein Elb an, als ich gerade mein Schwert aus einen der Kreaturen zog. Wir hatten die Oberhand gewonnen, doch es gab noch Messerarbeit zu tun. „Was ist?" fragte ich vielleicht etwas zu gereizt. „Ihr müsst zu Euer Verlobten! Es bleibt nicht mehr viel Zeit bis zum neugeborenen Mond!" Ich fasste mir an die Stirn und überlegte, wie lange wir bereits hier waren. Er hatte recht, die Zeit drängte. Was sollte ich nur machen? Ich war der Prinz und Heerführer mit einer enormen Verantwortungen meinen Männern gegenüber! Dennoch wartete meine geliebte Verlobte auf mich. Ihr und Luthil habe ich ein Versprechen gegeben und ich will verdammt sein, wenn ich es nicht halte! „Gut, wir werden bis morgen Kämpfen, dann überlasse ich Euch die Führung. Ihr werdet euch um den Rest kümmern! Traut ihr euch das zu?" Mit geschwollener Brust antwortete der junge Krieger namens Ridlah! „Jawohl mein Herr! Es wäre mir eine Ehre euch zu vertreten! Mein Prinz ... wir haben keine Pferde mehr! Viele sind tot, verletzt oder so erschöpft, dass sie keinen mehr tragen können ..."

Zornig trat ich gegen einen toten Ork. „Hört mich an mein Prinz! Ich habe einen kräftigen Warg gefangen! Ihr seid ein guter Reiter und werdet ihn sicher gebändigt bekommen. Mit dem Tier könntet ihr es rechtzeitig schaffen. Diese Biester sind schnell und ausdauernd. Außerdem habe ich ihn mit seinen ursprünglichen Reiter gefüttert. Er ist also bei Kräften." Ungläubig sah ich ihn an. „Ihr seid entweder wahnsinnig oder brillant Ridlah. So sehr es mir auch widerstrebt, so ein Tier zu reiten, habe ich wohl keine andere Wahl. Bringt mich zu ihm!"

Der Krieger deutete mit dem Kopf eine Verneigung an, drehte sich auf dem Absatz um und ging vorweg. Bevor ich den Warg sah, roch und hörte ich ihn. Es waren keine anmutigen Tiere wie die Pferde im allgemeinen. Ridlah griff sich ein abgetrenntes Gliedmaß von einem Ork und hielt dem Warg das unter die Nase. Gierig riss ihm das Tier das vermeintliche Fleisch aus der Hand. „Braver Bursche." kommentierte Ridlah und strich dem Warg über den Kopf. Ich hatte schon etwas Respekt vor den messerscharfen Zähnen. Eigentlich sah ich so ein Geschöpf am liebsten tot. Wenn nicht sogar genau dieses Ding für den Tot etlicher Pferde verantwortlich war. „Fütter ihn nicht fett! Er muss mich noch schnell und ohne Pause zum Schloss tragen können." sagte ich mit reichlich Missachtung in der Stimme sarkastisch zum einfallsreichen Krieger. „Tretet näher!" forderte dieser mich auf. Es stellte sich raus, dass es ein Rüde war, der über meine Anwesenheit auch nicht sonderlich erfreut war. Ich stellte mich mit dem Schwert in der Hand direkt vor dem riesigen Warg. Er sog scharf die Luft ein. Ich hatte keine Angst, das war mein Vorteil. Denn sie rochen Angst und lebten regelrecht davon. Nachdem er mich witterte, zog er die Lefzen hoch und knurrte mich an. Unbeeindruckt blieb ich einfach stehen. Der Warg riss sein Maul auf und scharrte mit der Pfote. Auch das ließ mich kalt. Scheinbar hatte ich als Reiter bestanden, denn das Vieh senkte seinen Kopf. Ehrfürchtig sprach Ridlah: „Er hat Euch sehr schnell akzeptiert mein Herr. Versucht ihn zu reiten, damit er sich an euch gewöhnt." Mit einer hochgezogenen Augenbrauen sah ich ihn an. Ermutigend nickte er mir zu. „Ich habe keine Zeit einen munteren Ausritt mit einem Warg zu machen Ridlah!" sagte ich etwas bissig. „Mein Herr, um das Tier zu dominieren, müsst ihr euch wenigstens einmal rauf setzen" sagte er schon fast flehend. Eh ich noch mehr Zeit verlor, schwang ich mich einfach auf das Vieh und nahm die Zügel auf. Ridlah löste den Strick vom Baum. Gezielt lenkte ich den Warg in die Schlacht. Das Tier ließ es zu und so rannte es seine eigenen Besitzer um. Mit meinen letzten Kräften erschlug ich alles was mir in den Weg stellte. Bis Sonnenaufgang hatten wir nahezu alle besiegt aber immer noch mit reichlich Verlusten. Ridlah, den ich noch nie so richtig wahrgenommen hatte, stellte sich als fähiger Krieger und Gefolgsmann heraus. Er hatte einen klugen Kopf und gute Strategien im Hinterkopf. Zurecht ernannte ich ihm zum Hauptmann und vertraute ihm die Führung der Krieger an. Sie mussten das Dorf durchkämmen und eventuelle Verstecke aufdecken. Sobald alles überstanden war, mussten sie auch noch zu Fuß über einen mehrtägigen Marsch in das Schloss zurückkehren.

Von jedem Einzelnen verabschiedete ich mich, ehe mich das Vieh mich nach Hause tragen sollte. Ridlah taufte ihn auf den Namen Sinan. Ihn faszinierte das Geschöpf und beinahe wehmütig verabschiedete er sich von ihm. In großen Sätzen hechtete der Warg kraftvoll von dannen. Es war denkbar ungemütlich ihn zu reiten. Doch es half alles nichts, ich musste so schnell wie möglich zu meiner Verlobten. Die Zeit war eindeutig gegen mich. Doch erstaunlicherweise hielt der Warg gut durch und verlangsamte sein Tempo nicht. Lediglich zum trinken machte er einen Stop und setzte dann unmittelbar seinen Weg fort. Meine Innenschenkel brannten und auch mein Gemächt litt unter dem unbequemen Ritt. Doch ich dankte der Valar und dem Vieh namens Sinan, dass ich kurz nach Sonnenaufgang das Schloss erreichte. Am heutigen Abend beim neugeborenen Vollmond wird es endlich so weit sein. Endlich würden Lenya und ich uns vereinigen. Doch erst mal will ich sie unbedingt in meine Arme schließen. Immerhin werde ich nach dieser Nacht wieder für eine gewisse Zeit auf meine Verlobte verzichten müssen.

In der Ferne erblickte ich einen mir bekannten Elben. Das war nicht schwer, denn er war der einzige Elb mit Ebenholzschwarzen Haar und einer Silbersträhne, wegen der er so manche male aufgezogen wurde. Er hatte sich bei einem Reitunfall verletzt und konnte deswegen nicht in die Schlacht ziehen.

Mein Herz blieb einen Moment stehen, als ich Niroht an einem romantischen Flusslauf nicht unweit des Schlosses eine Frau küssen sah, deren Haar aussah wie Lenya's. „Niroht- was macht Ihr da?" fragte ich mit harscher, kraftvoller Stimme. Ich verbarg so gut es ging meine Angst! War Lenya des Wartens überdrüssig? Hatte sie sich in einen anderen Elb verliebt? Erschrocken wand er sich um und offenbarte das Gesicht der hübschen Frau. Erleichterung machte sich in mir breit und ließ mich fast vom Warg fallen. Es war Lyrann – die Frau um die er schon länger warb. „Prinz Legolas, endlich seit ihr zurück! Verzeiht ich habe euch in den frühen Morgenstunden nicht erwartet. Warum reitet ihr auf einem Warg?" Bei der letzten Frage verzog er das Gesicht. Nun kam Lyrann auf mich zu. „Prinz Legolas es freut mich sehr, Euch wohl auf zu sehen. Lenya war kaum zu beruhigen in den letzten Tagen. Soll ich sie wecken?" Ich schüttelte den Kopf. „Nein ich will sie selbst wecken! Habt Dank für Eure Fürsorge. Stallmeisterin, ich weiß nicht wohin mit diesem Getier! Töten kann ich es nicht und in die Wildnis entlassen auch nicht, denn es wäre vermutlich sein Tod. Ridlah hängt irgendwie an diesem Ding. Steigt mit auf und reitet mit mir zum Schloss, dann hat es Respekt vor euch und ihr könnt es besser handhaben." Es war mehr ein Befehl als eine Frage. Niroht musste meinen Befehl ebenfalls wohl oder übel genommen hinnehmen. Zähneknirschend half er seiner Liebsten auf den Warg. „Tut mir leid mein Freund – es geht nicht anders. Aber wenn es Euch beruhigt, die nächsten Tage werde ich in einem Tiefschlaf liegen und Euch nicht mit Befehlen oder Training in die Quere kommen." sagte ich lachend. Der Elb rollte mit den Augen, weil er sich über sich selbst ärgerte. Er wollte niemanden Schwäche zeigen und dennoch schaffte es eine Frau ihn in der Hinsicht zu ändern. Ich kenne dieses Gefühl nur zu gut.

Im Stall angekommen glitt Lyrann elegant vom Warg und übernahm die Zügel. Sinan zeigte sich ihr gegenüber fromm. Auch ich stieg ab, bemüht meine Schmerzen zu unterdrücken. Sofort wurde der Warg in einen abgelegenen und hochgeschlossenen Stall gebracht. Ridlah wird sich freuen, ihn hier wieder vor zu finden. Ich freute mich, meine schlafende Schönheit wecken zu können.

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