9. Kapitel

Als ich wieder zu mir kam, tobte um mich herum ein wilder Kampf und jemand zog mich auf die Beine, es war Felix - oder Mikey? "Alles in Ordnung?", fragte er mich, woraufhin ich nickte, und dann vor Schreck beinahe wieder umgekippt wäre: Um mich herum drei riesige schwarze Wölfe mit zurückgezogenen Lefzen und blutverschmierten Klauen. Im äußeren Kreis ein Dutzend gut aussehender junger Leute mit spitzen Eckzähnen und spinnenartigen Gliedern. "Keine Angst, das sind nur Vampire", knurrte der Werwolf der mir am nächsten stand, seiner Stimme nach war es Nuke.
Ich hatte keine Zeit ihn irgendetwas zu fragen, denn schon sprang er vor, schleuderte einen der Vampire zu Boden und zerfetzte ihm den Brustkorb, ehe er mit Felix - oder Mikey? - auf ein Mädchen stürzte, welches auf Mikeys - oder Felix'- Rücken gesprungen war.

Ich hörte einen feinen Luftzug und duckte mich instinktiv, als schwarze lange Fingernägel über mich hinwegzischten. Innerhalb einer Sekunde hatte sich mein Körper verwandelt und weil ich keine Ahnung vom Kämpfen hatte, mein anderes Ich aber ganz eindeutig einen tiefen Drang verspürte die Vampire zu zerreißen, ließ ich ihm den Vortritt und zog mich zurück.

Meine Krallen durchtrennten Sehnen und Muskeln und ich vergrub meine Reißzähne immer wieder in Oberarmen und Waden. Die Vampire schrien zwar vor Schmerzen, aber auch wir mussten einiges aushalten. Einer meiner Gefährten blutete aus einer grausamen Wunde am Rücken und irgendwer hatte mich an der Stirn erwischt, jedenfalls lief mir ständig Blut ins Auge.

Nach einer Weile flohen die Vampire und Nuke stimmte ein Heulen an, in das ich automatisch einfiel, ebenso wie der Rest unseres kleinen Rudels, wir hatten gewonnen.

Und das obwohl wir in der Minderheit gewesen waren...? Ich versuchte mir den Kopf nicht weiter darüber zu zerbrechen und verwandelte mich zurück. Das Verwandeln war merkwürdigerweise sehr einfach, ich musste eigentlich nur daran denken und schon wurde es Wirklichkeit.

Erschöpft hockten wir uns alle in unseren Menschengestalten auf den Bordstein. "Puh, wo kamen die denn her?", fragte Felix - oder Mikey? - an uns alle gewandt. Er massierte sich das Bein und hatte sein Gesicht zu einer Fratze verzogen. "Ich weiß nicht, es ist eigentlich selten, dass Vampire hier in der Gegend in einer so großen Gruppe auftauchen", Nuke spuckte Blut auf die Straße, "bääh." Fasziniert blickte ich auf meinen Unterarm, auf dem sich der ellenlange Schnitt langsam wieder schloss. So ein Werwolfkörper hatte schon einige Vorzüge. "Alles in Ordnung Misu? Ich bin übrigens Mikey." Ich blickte den Jungen an. Seine Augen waren graugolden und er war etwas sehniger als Nuke. "Ja danke, alles in Ordnung. Danke dass ihr mich gerettet habt", sagte ich kleinlaut. Zu meiner Überraschung schlug mir Mikey freundschaftlich auf die Schulter: "Ist doch kein Problem. Du bist schließlich unser Maknae und wir müssen auf dich aufpassen." Er lachte. "Maknae? Seit wann reden wir hier koreanisch?", Felix kicherte ebenfalls, der vierte im Bunde hatte hellblaue Augen und niedliche Grübchen wenn er lachte: "Nuke meinte du bist vernarrt in koreanische Musik." Auch Nuke grinste: "Wie alt bist du denn Misu? Ich wette du bist die Jüngste. "Ich bin 15. Noch. Morgen nicht mehr." Alle drei verstummten, Mikey fand seine Sprache als erster wieder: "Morgen? Das ist ja voll krass! Da müssen wir feiern!" "Ach schon gut...", ich fühlte wie ich rot wurde. Die Jungs hier behandelten mich als würden wir uns schon seit immer kennen. Es war ein eigenartiges Gefühl. Aber auch ein schönes.

Wir vernahmen alle auf einmal deutlich lauter werdende Stimmen und da kamen auch schon die ersten Schüler auf uns zu. Waren wir etwa so lange hier gewesen, dass die nächste Schulstunde auch schon zu Ende war? Ich guckte auf meine Uhr: Tatsächlich, wenn ich Pech hatte kämen hier gleich Marita und die anderen vorbei.

"Du musst heim, nicht wahr?", als hätte Nuke meine Gedanken gelesen stand er auf, "Wir begleiten dich noch ein Stück, wenn du es in Ordnung findest."
'Klar', wollte ich gerade sagen, als auch tatsächlich Ji und Marita die Straße entlang kamen. Warum mussten sie gerade heute diesen Weg nehmen?

Die Straße war voller Krallenspuren und getrocknetem Blut, aber irgendwie schien das keiner zu merken. Ji rannte auf mich zu, mit ihren kurzen Beinen sah das mal wieder sehr lustig aus: "Hi Misu! Hast du auf uns gewartet oder was?", da bemerkte sie die drei Jungs die neben mir standen und sie angrinsten. "Ja, ähm... ich habe hier ein paar coole Typen getroffen und hab mich wohl verquatscht", stotterte ich. Nicht gerade einfallsreich, aber Ji sagte eh nichts mehr. Marita ging an uns vorbei und irgendetwas an ihrer Ausstrahlung störte mich gerade.
Aber Ji brachte mich schnell wieder auf andere Gedanken: "Ah, okay wie du meinst. Wir gehen schon mal vor...?" Das war ja wohl eine Aufforderung mitzukommen, kurz drehte ich mich zu Nuke und den anderen um, die mir noch winkten, und dann wortlos in einer Nebenstraße verschwanden.

"Ich komme ja schon", schnell lief ich hinter Ji und Marita her. "Wer waren denn die Jungs?", Ji würde mich wohl nicht so schnell davonkommen lassen. "Ich habe sie eben getroffen... weißt du noch im Bus? Am Montag?" Ji dachte kurz nach, dann hellte sich ihre Miene auf: "Ah! Irgendwie sahen sie gerade noch ungepflegter aus. Ich würde mich nicht mit denen abgeben. Ganz ehrlich." "Sie sind echt in Ordnung Ji. Sonst würde ich ja kaum mit ihnen rumhängen." "Ja... okay. Wie heißen sie denn?" "Nuke, Felix und Mikey. Sie sind echt in Ordnung.", ich stolperte über einen Stein, der auf dem Boden lag: "Tanzeinlage!"

(Mit diesem Spruch schafft man es tatsächlich sich aus vielen peinlichen oder einfach nur dummen Situationen rauszureden; das war ein Lifehack xD)

"Was hältst du davon Marita?", fragte Ji. "Ich finde Misu sollte nicht einfach mit so komischen Typen reden. Die sehen ja nicht mal so aus als ob sie auf eine Schule gehen würden. Es kann ziemlich gefährlich sein als Mädchen einfach so mit Älteren mitzugehen."
Beschämt senkte ich den Kopf. Sie hatten ja Recht. Aber wenn ich jetzt sagte sie seien Werwölfe und ich eines ihrer Rudelmitglieder würden sie entweder wegrennen oder lachen. Und beides wollte ich nicht. Also hielt ich meinen Mund.

"Ach komm schon Misu, Kopf hoch. Du hast ja noch uns", Ji stupste mich an und ich musste grinsen.

Jetzt hatte ich also zwei Leben. Das eine war als ganz normaler Mensch, mit ganz normalen Freunden, und das andere war ein Monster das Menschen tötete und gegen Vampire kämpfte. Beide hatten so ihre schönen und schlechten Seiten.

Im Bus redeten wir wieder über normale Sachen und ich schaffte es tatsächlich den Kampf und vor allem den Wolf in mir zur Seite zu legen und mit Marita und Ji so zu reden wie immer.
Als der Bus anhielt und ich ausstieg, fiel mir sofort das alte Gemäuer hinter der Thuja-Hecke wieder ein. Dort wohnten meine drei neuen Freunde also. Sehr gemütlich war es ja nicht, aber vermutlich war es schöner wenn man nichts anderes gewohnt war. Nuke und die anderen beiden waren ja mehr oder weniger auf der Straße aufgewachsen.

Kurz überlegte ich, ob ich bei ihnen vorbeischauen sollte, aber sie waren sicherlich noch nicht zu Hause und ich wollte nicht einbrechen.

Ich schlug meinen Heimweg ein und genoss den Geruch des Winters. Es lag ganz eindeutig Schnee in der Luft. Morgen würde es schneien. Morgen. An meinem Geburtstag. Genau eine Woche vor Weihnachten.
Einfach aus Spaß an meinen Fähigkeiten fing ich an zu rennen, flitzte über den Boden wie ein Pfeil, ich merkte gar nicht, dass ich irgendwann dazu übergegangen war auf allen vieren zu rennen.

Daheim angekommen machte ich meine Hausaufgaben und freute mich mal wieder riesig, dass meine Eltern erst so spät von der Arbeit heimkamen. Nur meine Schwester war schon da. Ich hörte sie auf dem Keyboard in ihrem Zimmer spielen.

Als mein Vater kam aßen wir etwas und ich bemerkte dass ich Fortschritte machte: Gemüse und Gebäck ebenso wie Süßigkeiten und Obst konnte ich nun wieder essen. Es war echt eine Erleichterung, weil ich weiß nicht ob ich mein Leben lang ohne Schokolade überlebt hätte.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top