30. Der neue Stall

Früh am nächsten Morgen wachte ich auf. Die anderen Pferde waren aber auch schon wach und unterhielten sich leise. Als ich aufstand, spürte ich ihre neugierigen Blicke auf mir. ,,Guten Morgen!", wieherte mir Escada zu und ich erwiderte den Gruss. ,,Ich denke es ist das Beste, wenn sich jeder einmal kurz vorstellt", schlug Escada vor. Ihre weisse Mähne war ein wenig zerzaust und Stroh hatte darin Platz gefunden. ,,Mich kennst du ja eigentlich schon, ich bin Escada und eine Haflingerstute. Ich bin das erste Pferd von Anita, der Freundin von Robin", erklärte sie stolz. Escada nickte dem Pferd ihr gegenüber zu, ein weisser Wallach mit vielen dunkelbraunen Flecken und Punkten. ,,Ich heisse Benny. Mich haben Robin und Anita vor langer Zeit erinnert, da war ich noch fast ein Fohlen! Sie haben mich eingeritten und nun bin ich hier. Escada kam kurz nach mir auf den Hof. Da Robin oft mich geritten hat, wollten sie noch ein Pferd für Anita und dass war dann Escada." Der Knabstrupper schaute mich aufmunternd an. Er wirkte sehr offen und freundlich. Wahrscheinlich wäre er ein netter Freund. Mein Bauch schmerzte plötzlich wieder und ich keuchte auf. ,,Ist etwas?", fragte Benny, Sorge lag in seiner Stimme. ,,Nein nein", sagte ich schnell. ,,Ich bin einfach noch erschöpft von der langen Fahrt gestern", fügte ich hinzu. ,,Oh, dann hoffe ich dass du gleich wieder fit wirst", meinte er noch. ,,Du bist an der Reihe, Bijou", sagte Escada. Der braune Wallach, von mir aus links in der Box neben Benny schaute auf. Mit leiser Stimme sagte er: ,,Ich heisse Bijou." Er wirkte sehr scheu und senkte seinen Kopf sofort wieder, nachdem er mir für einen winzig kleinen Augenblick in die Augen gesehen hatte. ,,Na komm, da gibt es noch mehr über dich zu erzählen", sagte Benny, ein wenig aufdringlich. Der fuchsfarbene Kopf von Bijou tauchte wider auf. Auf seiner Stirn zog sich eine lange dünne Blesse bis zu seinen Nüstern. ,,Ich bin ein Hannoveraner. Springe gerne." Bijous Kopf verschwand mit diesen Worten wieder. ,,Toll, ich springe auch gerne", stammelte ich. Gerne hätte ich mit dem Wallach mehr Kontakt aufgenommen, doch scheinbar war er gerade lieber alleine. Aber nicht aus unfreundlichen Absichten, er war wohl oder übel einfach sehr scheu. ,,Camilla, du bist dran!", rief Escada. Ein hellgrauer Kopf streckte sich gegenüber von Bijou nach vorne. ,,Ich bin Camilla, werde von Robin Dressur geritten." Die Stimme, beinahe klang sie mürrisch, stammte von einer wunderschönen grauen Stute mit schwarzer Mähne. Ihre Kopfform war aussergewöhnlich, sie erinnerte mich an Mandy. Sofort kam mir wieder ihr Wiehern in den Sinn. Was war da los gewesen als ich gegangen war? Was war passiert? Heimweh drängte sich in mir auf, ich vermisste meine alten Freunde. Würde ich sie je wieder sehen? Ich wusste es nicht. Dumbledore wirst du nie wieder sehen. Die anderen vielleicht schon, aber ihn ganz sicher nicht. Ich versuchte die traurigen Gedanken loszuwerden und konzentrierte mich auf Camilla. ,,Du erinnerst mich an eine alte Freundin. Bist du ein Araber?", fragte ich. ,,So ist es." Camilla antwortete tonlos und zog sich dann wieder zurück. Nicht so wie Bijou aus Scheue, sondern weil sie momentan einfach keine Lust hatte, sich mit mir zu unterhalten. ,,Zu uns gehören auch noch Vanny und Vickky, beides noch sehr junge und freche Shettys, die sind aber momentan auf einer Weide draussen", ergänzte Escada noch. Damit war wohl die Vorstellung der Pferde zu Ende und es wurde wieder Still.

Einige Zeit später kam mein neuer Besitzer, Robert, in den Stall und brachte eine Schubkarre mit, die mit einer grossen Ladung Heu gefüllt war. Er füllte alle Heunetze in den Boxen auf und wünschte uns einen guten Morgen. Wir Pferde kauten genüsslich auf dem trockenen Heu herum und genossen es, wenn Robert und kurz streichelte. Nach einer kurzen Weile holte Robert ein schwarzes Halfter, das er mir anlegte und führte mich nach draussen vor den Stall. Ich merkte wie gut es mir getan hatte, dass ich mal wider in einem schönen, sauberen Stall geschlafen hatte und meine Ruhe in der Box gehabt hatte. Dass ich von nun an wohl alleine in einer Box meine Tage und Nächte verbringen würde war für mich zugleich ein Segen wie ein Fluch. Lange Zeit hatte ich jetzt mit vier anderen Pferde in einem engen, alten Raum zusammengelebt, mir mit ihnen das Futter sowie den Auslauf geteilt. So wie es jetzt war, hatte ich eine grosse, geräumige und saubere Box mit eigenem Wasser und Futter für mich, sowie einen kleinen Paddock der an meine Box grenzte, wie damals bei Black. Eine Weide hatte es wahrscheinlich auch noch, da waren nun die zwei Shettys. Es war praktisch, wenn man alles für sich alleine hatte, doch ich wusste, wie sehr ich die Nähe anderer Pferde vermissen würde, spätestens wenn der Winter wieder kam und es kälter wurde. Ich wurde draussen angebunden und die Sonne schien mir auf mein Fell. Es war kaum noch weiss, Max war damals als ich mit den anderen auf der Wiese bei ihm gelebt hatte, kaum dazu gekommen, uns zu putzen. Robert trat also nun mit einem Wasserschlauch auf mich zu und begann, mir den gröbsten Dreck abzuwaschen. Mein Fell nahm wieder seine helle, fast schneeweisse Farbe an und nach kurzem zögern holte Robert eine Schere hervor und schnitt mir mit wenigen Schnitten den Schweif und die Mähne zurecht. In diesem Moment kam Anita aus dem Haus, und als sie uns sah kam sie direkt auf uns zu. Ihre dunkelbraunen Haare wehten mit dem sanften Wind und einige Strähnen umspielten ihr Gesicht. ,,Schneid bloss nicht zu viel ab, sonst bekommst du es mit mir zu tun!", rief sie, halb im Ernst und halb im Spass. Robert lachte und drehte sich zu ihr um. ,,Eigentlich habe ich vorgehabt, der kleinen einen Kurzhaarschnitt zu verpassen, und dir danach auch noch", erklärte er. ,,Oh nein, das wirst du nicht tun", sagte Anita und versuchte Robert die Schere aus der Hand zu nehmen. Robert war aber darauf vorbereitet und hob nur seine Hand ein wenig an, so dass Anita mit ihrer Grösse nicht mehr dazu kam. Sie versuchte es mit Sprüngen, doch dann packte Robert sie plötzlich und öffnete die Schere, bedrohlich nahe bei ihren Haaren. ,,Oder sollte ich gleich hier Coiffeur spielen?", fragte er grinsend und liess die Schere zweimal in der Luft auf und zu schnappen. Anita versuchte sich lachend aus seinem Griff zu befreien und der Schere zu entkommen. ,,Nein, ich möchte nicht zum Coiffeur Robert", flehte sie im Spiel und schaffte es schliesslich, sich aus Roberts Griff zu entwenden. Ich begann auch Spass an der Situation zu kriegen und als Robert vor mir stand und wieder mit der Schere in der erhobenen Hand auf Anita zuging, gab ich der Hand mit der Schere von Robert einen kräftigen Stoss mit meiner Nase und seine Hand liess das Metalding fallen. Während sich Anita kurz freute, wollte der Blonde schon wieder die Schere vom Boden aufheben, doch ein zweiter Stoss mit meiner Nase brach ihn zu Fall. Anita sicherte sich nun sofort die Schere und fing schallend an zu lachen. ,,Rubin hat mir geholfen, wir Damen müssen halt zusammenhalten!", rief sie aus und kam lachend auf mich zu. Ich schnaubte bestätigend, was nun auch Robert zum Lachen brachte. ,,Na gut, diesmal habt ihr gewonnen", erklärte er und liess sich von Anita helfen, wider aufzustehen. 

Als die beiden sich etwas von dem Lachanfall erholt hatten, entschied Robert, dass man doch einmal ausprobieren könnte, mich zu reiten. ,,Machen wir", bestätigte Anita. ,,Einfach das erste Mal auf dem Reitplatz. Robert holte einen Sattel, legte ihn mir probeweise auf den Rücken und meinte dann zu Anita: ,,Vorerst kann man diesen hier nehmen, doch auf Dauer wird sie einen eigenen benötigen." Anita blickte auf ihre Armbanduhr und sagte dann erschrocken: ,,Oh nein, ich muss in fünf Minuten gehen, ich habe völlig die Zeit vergessen!" Flüchtig verabschiedete sie sich und verschwand im Haus, um dann kurze Zeit später mit anderer Kleidung und einer grossen Tasche den Hof zu verlassen. Max holte noch ein Zaumzeug und versuchte es, mir an meinen Kopf anzupassen und begann schliesslich, mich zu satteln. Er hob erneut den Sattel auf meinen Rücken und zog schliesslich den Sattelgurt an. ,,Gegessen hast du jedenfalls in der letzten Zeit genug, fast zu viel würde ich sagen", meinte Robert nachdenklich. Ich hörte kaum auf ihn, da mir das anziehen plötzlich Schmerzen bereitete. Lag wahrscheinlich am neuen, ungewohnten Sattelgurt. ,,Aber das kriegen wir mit viel Bewegung und einer kleinen Diät wieder hin", sagte Robert und zäumte mich gutgelaunt auf. Er holte noch einen Reithelm und führte mich schliesslich zum Reitplatz. Einige Hindernisse standen auf dem Sand, doch heute fehlte das bekannte Jucken in meinen Beinen, das Verlangen mich mit viel Kraft über die Hindernisse fliegen zu lassen. Erklären konnte ich es nur damit, dass ich meine alten Freunde furchtbar vermisste. Doch Robert hatte heute auch nicht vor, über die Hindernisse zu springen, er räumte sie vor dem Aufsteigen zur Seite, dass wir viel Platz hatten. Er stieg dann auf und ich merkte sofort, wie leicht er im Vergleich zu Max war. Er war zwar schwerer als Lea, doch mit ihm könnte ich mühelos über Hindernisse springen, solange er mich nicht so bremste wie Lea. Wir ritten einige Runden im Schritt, wechselten die Richtung, ritten Kreise und Schlangenlinien, bis sich Robert mehr an mich und ich mich an ihn gewöhnt hatte. Es verlief alles super bis Robert zum Trab ansetzte. Durch den engen Sattelgurt fing mein Bauch an zu schmerzen und ich verfiel in einen unschönen Trab. Trotz Roberts Hilfen bewegten sich meine Beine nicht in einer fliessenden und regelmässigen Bewegung, da ich mit aller Kraft versuchte, die Schmerzen zu unterdrücken. Bald merkte mein Reiter, dass etwas nicht stimmte und gab mir das Zeichen zum Schritt zu wechseln. Dankbar bremste ich und versuchte wieder normal zu atmen. Dann aber nahm Robert die Zügel wider auf und trieb mich zum Trab. Als er dann von mir verlangte, zu Galoppieren, folgte ich zuerst dem Befehl, um aber dann aufgrund der Schmerzen wieder zu bremsen. Robert trieb mich nicht weiter ab, sondern stieg sofort von mir herunter und führte mich eine Runde im Schritt. Er achtete auf meine Beine, ob ich dort irgendwo Schmerzen hatte und tastete sie schliesslich noch ab. Dann führte er mich ein wenig schneller und joggte neben mir her, so dass ich trabte. Er sah mir an, dass ich Schmerzen hatte, wusste aber nicht wo. Also führte er mich weg vom Reitplatz, band mich wieder an und sattelte mich ab. Es war sofort ein angenehmeres Gefühl als er mir den Sattelgurt löste. Da ich mich nicht gross bewegt hatte, stellte er mich zurück in meine Box und verschwand schliesslich mit den Worten: ,,Ein verletztes oder Krankes Pferd mir zu verkaufen ohne etwas zu sagen, danke dafür Max." Er wirkte überhaupt nicht mehr fröhlich. 

Die anderen Pferde schauten mich neugierig an, nach diesen Worten. ,,Was war denn das? Bist du denn krank oder verletzt, wie Robert es gesagt hat? Oder warum warst du nur so kurz weg?", fragte Benny. Ich schilderte ihnen kurz wie es sich beim Reiten abgespielt hatte, dass die Schmerzen irgendwo beim Bauch waren. ,,Hast du etwas falsches gegessen?", fragte Escada. Ich verneinte, jedenfalls wusste ich von nichts. ,,Vielleicht hast du auch einfach zu viel gegessen", meinte Camilla und deutete auf meinen Bauch. Genau auf das hatte doch heute auch schon Robert angespielt. ,,Meint ihr, ich sei zu dick?" Etwas beleidigend fand ich das schon, denn nach meiner Mutter waren Lipizzaner elegante und meist schlanke Pferde. Escada, Benny und Camilla fanden das ganze sehr witzig, nur Bijou hielt sich zurück. ,,Das kommt bei jedem Pferd mindestens einmal vor, dass es jedenfalls genug auf den Rippen hat, doch Robert schaut gerne auf die Figur seiner Pferde. Im Nu ist das bei ihm vorbei und du wirst wieder rank und schlank sein." Ich schaute Escada nach ihren Worten skeptisch an. Nachdenklich drehte ich meinen Kopf zu meinem Bauch, tatsächlich stand er etwas mehr hervor als auch schon. ,,Ich rate dir viel Bewegung und nimm nicht immer jedes Leckerli an", meinte Escada noch. Sie hatte wahrscheinlich recht. 

Einige Zeit später kam Robert in den Stall und nahm alle anderen Pferde ausser mich mit nach draussen. Mich liess er drinnen, er vermutete sicher dass ich wirklich verletzt oder so etwas war. Mir fiel auf, dass ich noch niemandem von dem ganzen Unglück in meinem alten Stall erzählt hatte. Die Pferde hier waren zwar alle nett, doch ich fühlte mich überhaupt nicht wie zuhause. Ich vermisste Dumbledore, Charlie, Mandy und auch Pluto auf einmal schrecklich. Warum musste immer alles so geschehen, dass ich meine Freunde verlor?

------

Bild:

Escada, Benny, Bijou, Camilla, Vanny und Vicky. Wen mögt ihr am meisten? :)

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top