3. Liam
Am nächsten Morgen wachte ich früh auf und blinzelte verwirrt. Alles roch anders und statt dass Juwel oder jemand anderes vor mir lag, sah ich nur Holz. Ich stand schnell auf und merkte, dass ich ja jetzt neulich in einer Box schlief. Ich schaute mich um und entdeckte Juwel in der Box neben mir, die auch gerade aufstand. Auch sie schaute zuerst verwirrt ihre Umgebung an, schien sich aber dann zu erinnern. ,,Morgen!", wieherte ich ihr zu und sie drehte sich zu mir um. ,,Morgen", brummte sie und schüttelte ihre weisse Mähne. Kurze Zeit später kam Marc herein und streichelte unsere Nüstern. ,,Na? Gut geschlafen in eurer neuen Box?", fragte er uns und füllte unsere Heunetze auf. Ich hörte ein lautes Pfeifen und schaute neugierig über meine Boxenwand zum Eingang des Stalles. Danny kam um die Ecke geschlendert, bewaffnet mit einer Schubkarre mit einer Mistgabel darin. Vor diesem grünen Ding hatte ich immer noch gewaltigen Respekt und hoffte, dass es nicht näher kam. Jedoch ging mein Wunsch nicht in Erfüllung und Danny steuerte geradewegs auf meine Box zu. Als er die Tür öffnete, machte ich vorsichtshalber einen Sprung zur Seite und legte meine Ohren an. ,,Ganz ruhig Süsse", meinte Danny und streichelte mich sanft. Ganz vorsichtig beschnupperte ich das grüne Wesen und liess es schliesslich zu, dass Danny es in meine Box führte. Marc legte mir unterdessen ein Halfter an und führte mich aus der Box heraus. Mit einem Seitenblick auf die Schubkarre folgte ich Marc zögernd und er band mich vor der Box an. Er striegelte mich gründlich und Danny schaufelte Pferdeäpfel und nasses Stroh auf seine Mistgabel und legte sie in die Schubkarre. Ich genoss die Bürstenstriche von Marc und schliss meine Augen. ,,Wann genau kommt dein neuer Helfer?", fragte Danny jetzt und Marc blickte kurz auf seine Uhr. ,,Um 08:30, also in einer Viertelstunde etwa", antwortete Marc. ,,Wie heisst er nochmals?", fragte Danny. ,,Liam. Er ist noch jung, 17 Jahre alt. Hat gerade die Schule beendet und sucht jetzt einen Job mit Pferden", erklärte Marc. ,,Dann hat er sich an die richtigen Stelle gewandt", sagte Danny schmunzelnd und fuhr mit seiner Arbeit fort. Einen Moment später hörte ich Schritte von der Stallgasse. Ein junger breitschultriger Mann kam auf uns zu und streckte Marc seine Hand hin. ,,Guten Tag! Ich bin Liam, der neue Stallbursche", sagte er und schaute sich kurz um. Als er mich erblickte lächelte er und wandte sich dann aber wieder Marc zu. ,,Hallo Liam, du kannst mir gerne Marc sagen. Das hier ist Danny", erklärte Marc und deutete auf Danny. ,,Hallo", meinte Liam und streckte auch ihm die Hand hin. ,,Ich zeige dir schnell den Hof und alle Pferde", sagte Marc zu Danny. ,,Das hier ist Rubin. Sie wurde gerade vier Jahre alt und gestern haben wir das Einreiten angefangen", sagte Marc und zeigte auf mich. Liam hielt mir seine Hand hin und ich schnupperte gründlich daran. Er roch nicht nach Stall, so wie ich mir es bei Marc und Danny und bei den anderen Stallburschen gewohnt war, sondern hatte einen seltsamen neuen Geschmack. Liam tätschelte leicht meinen Hals mit seiner Hand und ich musterte ihn kurz. Er hatte etwa schulterlange Haare, die er irgendwie nach hinten zusammengebunden hatte, so wie es Marc manchmal auch mit den Pferden machte, wenn sie an ein Turnier gingen.
Bald liess sich Liam von mir ab und Marc stellte ihm Juwel vor. Danach noch die anderen Pferde aus unserem Stall und schliesslich verliessen sie den Stall. ,,Eigentlich noch ganz nett, oder?", meinte ich zu Juwel. ,,Mmh. Mir ist der irgendwie nicht geheuer", entgegnete sie und schaute mich an. ,,Warum denkst du? Er war doch ganz normal", sagte ich. ,,Aber er roch komisch, und seine Verhaltensart", erklärte Juwel spitz und schlug mit ihrem Schweif. ,,Klar dass er anders riecht, er ist ja heute zum ersten Mal hier", sagte ich und schaute Juwel an. ,,Und warum sah er mich an, als wäre ich ein Monster?", fragte Juwel. Ihr Blick war jetzt herausfordernd und ich fragte mich, warum es so weit gekommen war. ,,Mich hat Liam ganz normal angeschaut", erwiderte ich und ich nervte mich langsam ab Juwel. Warum dieses ganze unnötige Getue? ,,Mir egal", antwortete Juwel. ,,Du kannst ihn finden wie du willst, mir ist und bleibt er ein Unheimlicher." Damit drehte sich Juwel um und ass aus ihrer Heuraufe. Ich konnte nich näher zu ihr gehen, weil ich ja immer noch angebunden war und hielt mein Maul. Sollte sie doch schmollen.
Danny war unterdessen fertig mit Ausmisten und kam mit dem gleichen seltsamen Ding von Gestern, das sie 'Sattel' nannten, zurück. Mit einem leichten Schwung war der Sattel auf meinem Rücken gelandet und ich versteifte mich sofort. Dieses Ding war mir immer noch nicht geheuer. ,,So, heute gehen wir nochmals auf den Reitplatz", meinte Danny und band mich los. Mit diesem Ding auf dem Rücken war das Laufen total anders geworden und ich musste mich konzentrieren, dass ich nicht stolperte. Ich wusste nicht mehr, wie ich gestern Marcs Gewicht auf meinem Rücken ausgehalten hatte und gab mein Bestes. Auf dem Reitplatz lagen verschiedene Stangen am Boden. Zum Teil waren sie in einem Regelmässigen Abstand hintereinender oder waren ganz leicht erhöht, dass sie bis zu meinen Fesseln reichten. Zuerst führte mich Danny einige Runden, damit ich mich besser an den Sattel gewöhnen konnte. Als ich eis einigermassen wieder drauf hatte, erhöhte Danny das Tempo, so dass ich traben musste. Danach verlangsamte er wieder und ich liess den Kopf hängen. Jetzt steuerte Danny auf die hintereinander liegenden Stangen zu und führte mich darüber. An zwei Stangen schlug ich mein Huf an, doch bei den nächsten Durchläufen ging es immer wie besser. Schliesslich versuchte Danny es auch im Trab, doch jetzt war ich noch viel ungeschickter. Bei anderen Pferden hatte das total einfach ausgesehen. Da ich nicht schwach dastehen wollte, nahm ich alle meine Konzentration und schaffte den nächsten Durchlauf im Trab ausgezeichnet. Danny lobte mich und klopfte meinen Hals. ,,Gut gemacht Rubin, super." Noch einmal führte er mich im Trab über die Stangen und es war wieder fehlerfrei. Ich erschrak kurz, als es von dem Zaun des Reitplatzes applaudierte. Marc und Liam standen dort und Danny wischte sich kurz den Schweiss von der Stirn. ,,Das hat sie sehr gut gemacht", lobte Marc mich, ,,bald machen wir dasselbe mit einem Reiter im Sattel", sagte Marc. Zu Liam gewandt fügte er hinzu: ,,Genau solche aufgaben wirst du auch machen. Pferde einreiten, pflegen und ausbilden." Was Liam darauf sagte, verstand ich nicht. War ja auch egal. ,,So für heute ist genug", sagte Danny zu mir und führte mich weg von dem Reitplatz. Er nahm mir den Sattel ab, wischte den Schweiss von mir weg und putze mich noch kurz. Danach führte er mich in meinen Stall und ging weg. Ich knabberte an ein paar Heuhalmen herum und trank ausgiebig aus meiner Tränke. Juwel sagte nach wie vor kein Wort zu mir, obwohl wir doch gar keinen richtigen Streit hatten. Ich entspannte mich ein bisschen und döste vor mich hin.
Lautes Hufgeklapper liess mich aufschrecken und ich riss meinen Kopf nach oben. Vorsichtig schaute ich über meine Boxentür in die Stallgasse hinaus und was ich sah, liess mich erschaudern. Ein junges Pferd, wohl etwa so alt wie ich wurde von einem nass geschwitzten Mann in Richtung hinterer Stall geführt. Dabei wehrte es sich mit Lebenskräften und riss dem Mann fast den Führstrick aus der Hand. Der Mann fluchte etwas was ich nicht verstand. Hinter dem Mann und dem wilden Pferd folgte mit grossem Sicherheitsabstand Marc, der nachdenklich reinschaute. ,,Dieses elende Drecksvieh", schimpfte der Mann los. Er hatte fast keine Haare mehr auf dem Kopf und war eher rundlich gebaut. Er hatte grosse Mühe mit dem Pferd zurecht zu kommen. ,,Nichts bringt es. Es ist einfach nur nutzlos!", rief der Mann aus. ,,Beruhigen sie sich bitte Mr. Gant, ich..." ,,Was soll ich mich beruhigen? Dieses Vieh soll mal zur Ruhe kommen!", rief der Mann und schnitt so Marc's Satz ab. Ich bemerkte erst jetzt, dass die Box neben mir offen stand und der Mann, der wohl Mr. Gant hiess, darauf zusteuerte. Als er mit dem Pferd drinnen war, rastete es komplett aus und versuchte sogar zu steigen. Es schlug mit den Hufen aus, ohne Absicht Mr. Gant zu treffen. ,,Kommen sie da raus!", rief Marc schockiert und riss Mr. Gant am Arm zu sich. Er schlug die Boxentür zu, verriegelte sie und versicherte sich dass sie wirklich zu war. ,,Können sie mir nochmals sagen, was sie mit Caramel vorhaben?", fragte Marc und zeigte auf das wilde Pferd. Es war ein schöner Palomino, der eigentlich total nicht hierher passte weil es in unserem Stall nur Schimmel gab. Das Pferd, das Caramel hiess hatte seine Augen weit aufgerissen und suchte die Box nach einem Fluchtweg ab. ,,Caramel ist jetzt dreieinhalb und wird seit zwei Wochen eingeritten, jedoch ohne Erfolg", erklärte Mr. Gant und versuchte seine Wut zu unterdrücken. ,,Jeden der ihr zu nahe kommt beisst sie und sie schlägt aus wenn man versucht sie anzubinden", sagte Mr. Gant. ,,Haben sie die Stute selbst aufgezogen oder gekauft?", fragte Marc ruhig. ,,Die habe ich vom Pferdemarkt. Für ein Schnäppchen gekauft, wegen ihrer Farbe. Aber kaum war sie auf dem Hof, ist sie ausgerastet und total durchgedreht. Diese Idioten haben ihr wohl Beruhigungsmittel gegeben", antwortete Mr. Gant. Daraufhin schwieg Marc. ,,Wenn Sie es schaffen, diese verrückte Stute in einer Woche zu bändigen, dann hat sie wieder eine Chance. Und sonst sehe ich keinen anderen Ausweg für sie als der Schlachter. Dann ist ein Problem aus der Welt geschaffen und es gibt sogar Geld dafür", erklärte Mr. Gant kalt. ,,Sie wollen die schöne Stute ernsthaft schlachten?", fragte Marc fassungslos. ,,Ja, und sie wäre schon längst verarbeitet, wenn nicht einer meiner Angestellten mich überredet hätte, sie euch zu geben." ,,Aber nur eine Woche... Geben sie mir doch wenigstens zwei!" ,,Nichts da. Eine Woche, und wenn die Stute brav ist kommt sie mit oder sie landet bei der nächsten Metzgerei." Mit diesen Worten verliess Mr. Gant den Stall und fuhr mit seinem Auto davon.
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