29. Die Tage danach

Es war leer. Nicht nur unter uns, noch vier Pferden, war es leer. Wir merkten, dass jemand fehlte, es war als ob ein grosser, wichtiger Teil einfach so weg war, und das war er auch. Dumbledores Tod betraf uns alle hart, wohl aber am meisten Charlie. Charlie redete kaum ein Wort mehr, er hatte keinen Appetit mehr, wurde magerer und stand nur noch da und blickte mit leeren, traurigen Augen an einen unbestimmten Punkt in der Ferne. Mandy und ich machten uns grosse Sorgen um ihn, da er ständig abnahm und man bald seine Rippen zählen konnte. Da vom Stall so ziemlich nichts mehr übrig war, wurden wir notdürftig auf einer Wiese in einiger Entfernung vom Stall untergebracht und Max hatte mit Hilfe von anderen Männern uns einen kleinen, schiefen Unterstand gebaut, der aussah als würde er gleich wieder zusammenbrechen. Das Haus von Max und Rita hatte auch einiges abbekommen das repariert werden musste, doch dem Stall, besser gesagt dem was noch davon übrig geblieben war, war nicht mehr zu helfen. Zum Glück wurde es bald Sommer und die Nächte waren nicht so kalt wie im Winter. Trotzdem zog der Wind einem um die Ohren und liess einen frösteln. Mandy machte sich auch grosse Sorgen um Pluto, der ja sowieso noch krank war. Dieser Unterstand half ihm auch nicht zur Besserung. Der Kleine hatte auch viel Rauch eingeatmet beim Brand und erschwerte ihm das Atmen zusätzlich. Ihm ging es noch schlechter, er mochte nicht mehr essen, umherrennen schon gar nicht. Die einzige Bewegung am Tag war für ihn einige Mal versuchen aufzustehen und einige staksige Schritte zu machen. Mehr schaffte er nicht. So hatten wir zwei kranke Pferde in einem schlecht geschützten Unterstand, der eine zu krank um normal gehen zu können und der andere krank, voller Kummer um einen verstorbenen Freund. Doch nicht nur Charlie trauerte unter Dumbledores Tod, auch ich litt unter dem Verlust des alten Wallachs. Es war, als hätte mir jemand ein Teil von mir selbst weggerissen, sosehr hatte ich an ihm gehangen. Und nun war er weg.

Auch Max war der Verlust anzumerken. Er sprach mit Rita oft darüber, dass sie wegen den Feuerschäden jetzt kaum mehr Geld hatten. Sie hatten wohl viel Geld dafür gebraucht um das Haus zu reparieren, aber einen neuen Stall konnten sie sich wohl nicht mehr leisten. Es war eine sehr triste Stimmung hier, kaum jemand sprach über eine fröhliche, geschweige denn lustige Angelegenheit. Wir hatten einfach zu viel trauriges erlebt, ein Pferd war gestorben, in den Flammen umgekommen und das andere, Pluto, war noch kränker geworden durch den Rauch. Dumbledore hatte es aber unter wirklich grausamen Umständen erwischt, diesen Tod hätte ich keinem Pferd gewünscht. Ausserdem war er auf die exakt selbe Art wie seine Mutter umgekommen. Er, Dumbledore, der es am wenigsten verdient hätte. Er, der immer für mich und die anderen da gewesen war. Er hatte immer geholfen wenn er konnte, er hatte immer versucht, Frieden in den Stall zu bringen und das Beste aus allem zu machen. Er hatte einem Mut gegeben und einem aufgeheitert wenn es nötig war. Und er hatte sein Leben für ein anderes Pferd geopfert. Was für ein Pferd. Dazu kamen mir immer wider seine letzten Worte an mich in den Sinn. Gib auf dein junges »ich« acht. Was hatte er damit gemeint? Einfach, dass ich auf mich aufpassen sollte, weil ich noch so jung war? Wahrscheinlich schon, aber warum hatte er denn nicht einfach "Gib auf dich acht" gesagt? Dumbledore war halt ein Pferd gewesen, dass oft und gerne in Rätseln gesprochen hatte und sich nie direkt ausgedrückt hatte. Daher war es naheliegend, dass ihm diese Worte einfach rausgerutscht waren, als er mir seinen letzten Rat gegeben hatte. Und ich sollte ihn wohl zu Herzen nehmen, also nahm ich mir vor ihn zu beachten. Keine Unüberlegte Aktionen und mich nicht mit allem und jedem einzulassen. Freundlich sein, positiv bleiben. Das war wohl Dumbledores Botschaft an mich. Würde mehr oder weniger zu schaffen sein.

Und eines Tages schliesslich ging alles ziemlich schnell, viel zu schnell. Zwei Transporter fanden ihren Weg zu uns auf den Hof, zwei Männer stiegen aus und Max begrüsste sie. Er liess sie stehen und kam auf unsere Wiese zu, in der Hand ein Halfter. Wahrscheinlich gehe ich zu Lea trainieren oder an ein Turnier, dachte ich. Warum es aber dafür zwei Autos mit Transporter brauchte, wusste ich nicht. Mit einem niedergeschlagenen Ausdruck im Gesicht halfterte mich Max auf und führte mich an Mandy, dem liegenden Pluto und Charlie, der keinen Wank tat, vorbei und verliess mit mir die Wiese. Der eine Mann beäugte mich kurz und sprach dann: ,,Gut, wir haben ja schon alles abgeklärt und so. Hilfst du mir beim Verladen?" Brachte mich heute der fremde Mann zu Lea oder dem Turnier? War Max' Auto oder Transporter kaputt? Wahrscheinlich. ,,Einen Moment noch", antwortete Max, ,,ich muss noch schnell etwas mit Mr. Woods abklären." Er deutete mit dem Kopf auf den anderen Mann. Der Mann war gross, schlank und hatte dichtes schwarzes Haar. Ausserdem er irgendwie seltsam. Ich hatte den Geruch schon einmal gerochen, das wusste ich. Aber wo? So viele Unklarheiten heute. Max wechselte mit Mr. Woods einige unverständliche Worte und schaute immer wider zur Weide hinauf. Die zwei Männer schienen sich einig und Max kam wieder auf mich zu. ,,Sie hat noch nie Probleme beim Verladen gemacht, sie ist allgemein gut erzogen. Ich frage mich immer wieder, bei wem die Stute schon überall im Stall stand." ,,Du hast einmal etwas von Mr. Black erzählt", sagte der fremde Mann neben mir. ,,Ja, sie war für kurze Zeit bei ihm. Zum Glück konnte sie nach einer Verletzung weg von seinem Hof, er hätte sie nur weiter misshandelt. Du machst das zum Glück ja nicht. Ich bin über jeden Pferdebesitzer froh, der seine Tiere mit Respekt behandelt", sagte Max mit einer Spur Traurigkeit in seiner Stimme. Der andere Mann nickte. Ich schaute ihn mir genauer an: Mittelgross, kurzes blondes Haar und eine ruhige Ausstrahlung. Er war ein Mensch, bei dem man kaum seine Emotionen erraten konnte; er wirkte zwar offen und freundlich, doch den Rest verbarg er. ,,Na gut, dann... Gute Reise und viel Erfolg", meinte Max knapp und streichelte mir sanft, sehr sanft, über meinen Hals. Er zwang sich, seine Hand wegzunehmen und trat einen Schritt zurück. Ich war ja nur bei Lea oder an einem Turnier. Da musste er sich doch nicht gleich so verabschieden, dachte ich. Der andere Mann mit den schwarzen Haaren, Mr Woods, ging auf die Weide zu, ein Koffer in der Hand und kam nahe an uns vorbei. Wieder roch ich seinen seltsamen Geruch.

Als ich von dem blonden Mann die Rampe zum Transporter hinaufgeführt wurde, erinnerte mich der Duft an etwas helles. Weisse Wände. Sauberes Stroh. Und ein etwas strengerer Geruch im Hintergrund, beinahe metallisch. Der Mann band mich an und verliess den Transporter. Die Geruchsspur vom anderen Mann war mir mit einem Windstoss in den dunkeln Raum des Transporters gefolgt. Mr. Smith. Der Geruch hatte auch einen Geschmack nach Mr Smith! Wie konnte das sein? Nun kam mir der andere Geruch in den Sinn. Die Pferdeklinik. Mr. Woods hatte nach einer Mischung aus Mr. Smith und der Pferdeklinik gerochen, wie konnte das sein? Was hatte er auf Max' Hof zu suchen? Zu viele Gedanken schwirrten mir durch den Kopf. Warum hatte nicht einfach Lea mich vom Hof abgeholt für das Training oder das Turnier? Warum hatte Max so sentimental getan? Warum kamen zwei wildfremde Männer auf unseren Hof? Warum roch der eine nach Pferdeklinik und Mr. Smith? Warum war es Max wichtig, dass der Blonde seine Tiere gut behandelte? Ich konnte meine Gedanken nicht mehr einordnen. Was war geschehen?

Just in diesem Moment hörte ich, wie Mandy laut wieherte. Es war ein klägliches, wütendes Wiehern. Einmal hatte sie so gewiehert, das wusste ich noch. Damals hatte Rita versucht, Pluto zu pflegen und Max hatte die weisse Stute an einem Halfter weggezogen, dass sie nicht im Weg stand. Nun ertönte das exakt selbe Wiehern wie damals. Was machten sie mit Pluto, dass Mandy so wieherte? Wieder etwas, dessen Bedeutung ich nicht verstand. Der Motor des Autos startete und der Transporter setzte sich in Bewegung. Kurze Zeit später hatten wir das Gelände von Max hinter uns gelassen.

Die Autofahrt dauerte länger als die, die zu Lea führte. Aber gingen wir wirklich an ein Turnier? Ohne jegliches Training bei Lea? Mit diesem fremden Mann? Noch einige Zeit später erreichten wir einen kleinen Hof, den ich durch das kleine Fenster vom Transporter erkennen konnte. Grosser als bei Max, aber lange nicht so gross wie die Black-Ranch oder die Stallungen von Marc. Ich sah ein kleines Stallgebäude, das auf der Seite Paddocks hatte, wie bei der Black-Ranch. Nebendran stand ein kleines Haus und ich entdeckte ein Reitplatz und eine grosse Weide. Das ganze war von Feldern und kleinen Wäldern umgeben. Die Sonne schien heute nicht, es herrschte eine gerade angenehme Temperatur und vom Himmel hingen hellgraue Wolken herab, mit einigen, kleinen, blauen Lücken. Der Transporter hielt mit einem Ruck an und ich hörte die Schritte des Blonden. ,,Robert, da bist du ja wieder!", ertönte eine weibliche Stimme vom Haus her. ,,Ja, Anita." Der blonde Mann, Robert, hatte geantwortet und öffnete nun den Anhänger. Vorsichtig führte er mich hinaus und blieb dann mit mir stehen. Die Fahrt hatte mir nicht so gut getan, wahrscheinlich weil sie so lang gewesen war. Oder warum sonst tat mir plötzlich alles ziemlich weh, vor allem mein Brust- und Bauchbereich? Meine Gedanken wurden durch die Stimme der Frau, Anita, unterbrochen. ,,Ein neues Pferd? Woher hast du denn jetzt das her?" Kaum war ich mal bei jemandem, sicher weil ich hier die Nacht verbrachte weil das Turnier zu weit weg war, glaubte man, ich sei ein neues Pferd. ,,Das ist Rubin, ich habe sie von Max gekauft. Sein Stall hat vor einiger Zeit wegen einem Gewitter Feuer gefangen und ist komplett abgebrannt. Sein Haus hat ebenfalls darunter gelitten, ein Pferd ist in den Flammen umgekommen. Nun hat er zu wenig Geld um alles zu reparieren und muss Pferde verkaufen. Rubin gehört also ab heute uns." Ich war sprachlos, konnte meine Gedanken nicht ordnen. Wie bitte? Verkauft? Weg? Nicht mehr bei Max? Wie hatte er es übers Herz gebracht, mich zu verkaufen? ,,Und die anderen Pferde? Du hast von mehreren gesprochen, hast du die auch gekauft?", fragte Anita. Sie beäugte mich und ich sie im Gegenzug auch. Sie hatte dunkelbraunes, langes lockiges Haar und trug hellbraune Reithosen unter ihren braunen Reitstiefeln. ,,Nein, da weiss ich nicht was Max mit ihnen macht. Er war aber sehr froh, dass ich ihm diese Stute abgekauft habe, denn ich habe gehört dass er noch andere Angebote bekommen hat, von Menschen die seiner Meinung nach nicht würdig sind ein Pferd zu halten." Ich versuchte immer noch das Ereignis, dass ich verkauft wurde, zu fassen. Einfach so. Ohne mich vorzuwarnen.

Robert und Anita beendeten ihr Gespräch und der Mann führte mich in den Stall. Drinnen war es ziemlich hell, viele Fenster waren an der Decke und an den Wänden angebracht um das Innere mit natürlichem Licht zu erhellen. Es war alles sehr sauber und sehr geräumig, die Boxen, ich zählte im gesamten zehn von denen etwa die Hälfte besetzt war, waren gross und boten viel Platz und hatten einen Ausgang zu den einzelnen Paddocks, die ich vorhin gesehen hatte. Robin führte mich in eine Box, die ziemlich in der Mitte des Stalles stand. Neben mir sah ich eine hellbraune Stute mit einer schneeweissen, langen Mähne. Ihr Schweif hatte dieselbe Farbe. Sie war etwas kleiner und auch stämmiger gebaut als ich und schaute mich mit neugierigen Augen an. ,,Seht mal, da kommt eine Neue!", rief die hellbraune Stute und in den anderen Boxen erhoben sich vier weitere Pferdeköpfe. Müde von der Fahrt wäre ich am liebsten sofort ins einladende Stroh gesunken und hätte geschlafen. Doch wahrscheinlich verlangten die Pferde hier eine Erklärung. ,,Hallo", begrüsste ich sie. ,,Ich bin Rubin." ,,Du siehst müde aus, schlafe doch besser eine kleine Runde und ruhe dich aus, wir haben genug Zeit uns kennenzulernen. Robert wird dich sicher morgen auch noch ausruhen und Energie sammeln lassen, du siehst sehr erschöpft aus. Ich bin übrigens Escada", erklärte die Stute neben mir. Als ich sie durch die Gitterstäbe, die unsere Boxen trennten, genauer ansah, sah ich, dass sie mich ebenso anschaute. Sie hatte kluge Augen und wandte ihren Blick nicht ab. ,,Na gut, dann ruhe ich mich mal aus", sagte ich leise und legte mich ins weiche Stroh.

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Kam es für euch überraschend, der Stallwechsel? Wenigstens ein bisschen? ^^

Ich brauche jetzt eure Hilfe, denn Rubin wird noch vielen Pferden in ihrem Leben begegnen, da bräuchte ich einige Namensvorschläge. Am besten direkt hier in die Kommentare :)

Und: ich bin auf #2 in Abenteuer mit diesem Buch, ernsthaft? :o

Danke. Wirklich danke für alles. <3

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