23. Winter

Bild oben: Charlie und Dumbledore, oder jedenfalls so ähnliche Pferde :)
-------------------

Nach dem katastrophalen Turnier wurde es immer wie kälter, bald fiel auch Schnee. Die weisse Masse bedeckte Hausdächer, die Wiesen um unseren Stall herum, jeden Zaun und die Tannen, die ruhig dastanden. Das kalte Weiss verlieh unserer Umgebung eine idyllische Stimmung. Obwohl die Nächte bitterkalt waren und wir trotz den Decken, die uns Max immer auflegte, froren wir ein wenig. Denn der Stall hatte teilweise in den Wänden Risse oder sogar kleine Löcher, bei denen dauernd die eisige Luft hineinströmte. Der Stall hatte es dringend nötig, mal renoviert zu werden.
Pluto hingegen freute sich aber umso mehr über den Schnee. Mit seinen dünnen langen Beinen rannte er durch das weisse Pulver und wieherte Freudig, wenn er stolperte und umfiel, dass ihn der Schnee verschluckte. Immer wenn er aufstand, war er dann komplett weiss und glich seiner hellen Mutter umso mehr. Mandy hatte immer irgendwelche Sorgen um ihren Sohn, der stundenlang in der Kälte tobte. Entweder war sie fest davon überzeugt, dass Pluto am nächsten Tag todkrank war, oder dass er sich bei seinem wagemutigen Galopp ein Bein brach. Dumbledore beruhigte sie danach wie immer und erklärte ihr, dass jedes Fohlen so war und das Pluto nicht so schnell etwas passieren konnte.
Charlie beschwerte sich andauernde über die Kälte. Anscheinend schmerzten ihm seine Gelenke und er war immer schlecht gelaunt. Doch auch ihn konnte Dumbledore vom Besseren überzeugen und der alte, braune Hengst begann schliesslich, den Winter trotz seiner Kälte auf eine Art zu mögen.

Und ich? Fast dauernd trainierte ich auf dem Hof von Lea für irgendwelche Turniere und bestritt sie danach auch. Es war sehr anstrengend und ich beneidete meistens meine Stallmitbewohner, die in der frühen Morgenstunde im warmen Stall bleiben durften, während ich die Arbeit verrichten durfte.
Dadurch mochte ich das Springreiten nicht mehr so wie am Anfang, besonders wenn Lea mit mir trainierte. Sie war hart und streng, trieb mich Runde für Runde über den Sandboden und liess mich bis ans Ende meiner Kräfte weitergaloppieren. Ich hatte das ungute Gefühl, dass Max nichts davon wusste, wie sie mich trainierte. Er würde mich nie so hart rannehmen, wie die ehrgeizige Lea es tat. Er schaute zwar immer skeptisch, wenn ich völlig erschöpft von ihr nach Hause kam, unternahm aber dann doch nichts.

Bei den Turnieren lief es zwar nicht unbedingt besser. Oft erreichte ich jetzt nicht einmal mehr das Stechen. Wenn ich es dann doch schaffte, wurde Lea wieder extrem nervös und ich vermasselte jeden zweiten Sprung. Selten gab es aber auch gute Turniere, bei denen ich besser abschnitt und einmal erreichte ich sogar wieder den zweiten Platz.
Einige Male hatte ich mitbekommen, wie ein Mann mich von Max abkaufen wollte. Er sagte dauernd, dass ich ein 'Spitzenpferd' wäre und Lea schuld an unseren miserablen Turnieren war. Ich stimmte ihm manchmal im Punkt mit Lea sogar zu. Ich hätte ohne sie viel mehr Spass und würde das Springen geniessen und bessere Plätze erreichen. Doch Max wollte offenbar nicht die schlechten Leistungen seiner Nichte zugeben und versuchte alle zu überzeugen, dass Lea noch nicht so lange im Turniersport war und noch lernte.

Nach einem langen Turniertag führte mich Max wieder zurück in den Stall. Der Schnee knarrte bei jeden Schritt von mir und die eisige Luft blies mir um die Ohren. Die ganze Landschaft um uns herum war erstarrt und lag ruhig da. Die Abenddämmerung war schon hineingebrochen und dicke graue Wolken verdeckten den Himmel. Max legte mir noch eine dunkelbraune Decke um, bevor er mich in den Stall führte, damit ich nicht fror. Er öffnete die Stalltür, nahm mir mein Halfter ab und begab mich in den wollig warmen Stall. Dumbledore und Mandy schauten mir kauend entgegen, beide standen vor einem grossen Heuhaufen. Hinter ihnen verborgen entdeckte ich die dunkle Gestalt Charlies. ,,N'Abend", murmelte ich den drei zu und gesellte mich zu ihnen an den Heuhaufen. ,,Wie war es denn?", fragte Dumbledore mit freundlicher Stimme. Offenbar hatte er schon gemerkt, dass ich nicht so gut gelaunt war wegen dem Turnier. ,,Naja, ging so", versuchte ich der Frage auszuweichen. ,,Bist du ins Stechen gekommen? Wenn ja, wie schnell warst du? Waren es schwierige Hindernisse? Hatte es viele andere Pferde?" Dumbledore wollte offenbar alles wissen. ,,Nee, das Stechen konnten wir nach dem zweiten Hindernis vergessen. Lea hat mich zu fest gebremst und so hatte ich viel zu wenig Anlauf und Schwung. Versuche mal aus dem Stehen über ein Hindernis zu springen, das dir bis zur Brust reicht und du einen Reiter auf dir hast, der ständig hin und her schwankt. Gar nicht so einfach. Gewonnen hat ausserdem wieder Silver. Die, die auch schon die letzten Male immer gewonnen hat." Den Namen Silver spuckte ich in einem verächtlichen Ton aus. Silver war eine zugegeben sehr hübsche schneeweisse Lipizzanerstute mit einer langen weissen Haarpracht, die ihr beim galoppieren hinterher wehte. Sie sprang für einen Lipizzaner exzellent und hatte schon sehr oft die Turniere in meiner Kategorie gewonnen. Jedoch war sie ziemlich zickig und arrogant, was ich herausgefunden hatte, als ich einmal mit ihr gesprochen hatte. Alle anderen bewunderten sie sehr und schwärmten hinter ihrem Rücken, manchmal auch direkt vor ihr, über sie. Silver nahm diese Komplimente immer mit einem gestellt verlegenen Nicken an. Eine andere Stute, die ich schon einige Male an den Turnieren gesehen unf so kennengelernt hatte, sie hiess Sue, hatte mir gesagt, dass ich doch nur eifersüchtig war. Ich hatte das sofort abgestritten, aber Sue hatte mir nicht geglaubt.

Jetzt war ich also im Stall, schaute mit grimmiger Miene aus dem Fenster und dachte über Silver und Sue nach. Sue war wohl genau so blind wie alle anderen und wollte Silvers Arroganz nicht sehen. Selber schuld, dachte ich bitter. Dumbledore hatte meine schlechte Laune bemerkt, doch er sprach mich nicht darauf an. Er warf mir nur ab und zu einen sorgenvollen Blick vom Heuhafen aus zu, den ich aber ignorierte. Gerade gestern hatte ich ein Turnier gehabt und Silver hatte mich richtig aufgeregt. Ich mochte sie nicht und sie mochte mich nicht. Immer wenn wir aneinander vorbeigingen liess sie eine Beleidigung oder einen blöden Spruch fallen.

Meine Gedanken wurden von Pluto unterbrochen, der von draussen zurück in den Stall kam. Er torkelte zwei drei Schritte zu Mandy, anschliessend musste er husten und sein Körper wurde durchgeschüttelt. ,,Pluto!", wieherte Mandy sorgenvoll. ,,Es wird immer wie schlimmer!"  ,,Beruhige dich Mandy. In einigen Tagen ist dieser Husten schon wieder vorbei", versuchte Dumbledore die aufgebrachte Stute zu besänftigen. ,,Aber das dauert jetzt schon etwa drei Tage so! Pluto ist krank!" Ich horchte auf. Drei Tage? Ich hatte sein Husten erst jetzt bemerkt. War ich in letzter Zeit wegen meinem Zorn auf Silver so abwesend gewesen? Ich betrachtete das kleine Fohlen. Mit gesenktem Kopf stand er da, sein Körper zitterte und er sah dünner denn je aus. Warum hatte ich nicht bemerkt, dass es ihm so schlecht ging? Als hätte ich laut gedacht, wandte mir Pluto seinen Kopf zu und schaute mir in die Augen. Sie blickten mich trüb und kraftlos an.
,,Max wird schon bald was dagegen unternehmen", meinte Charlie. ,,Bist du dir da so sicher? Hätte er nicht schon längst etwas gegen diesen Husten tun sollen?", fragte Mandy kritisch. Charlie schwieg. Einen Augenblick später öffnete sich die Stalltür und Max kam herein, gefolgt von seiner Frau Rita. Unter seinem rechten Arm hatte er eine Decke. Langsam ging er auf Pluto zu und kniete sich vor ihm hin. Dieser hustete nur. ,,Da hat ihn wohl etwas böses erwischt", meinte Rita. Max nickte und legte die Decke über Plutos schlotternden Körper. Er befestigte sie unter seinem Bauch und vor seiner Brust. ,,Mehr kann ich nicht tun", sagte Max niedergeschlagen. ,,Warum?", wieherte Mandy, doch Max verstand sie natürlich nicht. ,,Können wir nicht irgendetwas tun..?" ,,Nein", war Max' direkte Antwort auf Ritas Frage. Die beiden verliessen den Stall, schweigend, wie sie hineingekommen waren. Mandy gesellte sich sofort an Plutos Seite und beschnupperte sein braunes Fell. ,,Du solltest ihm nicht zu nahe kommen", meinte Charlie langsam. ,,Er ist mein Sohn", herrschte Mandy ihn an und legte ihre Ohren an. Sie stellte sich schützend zwischen den dunkelbraunen Wallach und ihr Fohlen. ,,Das habe ich auch gar nicht in Frage gestellt. Du solltest nur aufpassen, dass du dich nicht bei ihm ansteckst", meinte Charlie. ,,Ist mir egal wenn ich krank werde. Das wird mich nicht davon abhalten, bei Pluto zu sein." - ,,Mandy, bitte überlege doch logisch. Pluto hilft es nichts, wenn du auch krank wirst!" - ,,Ihm hilft es auch nicht, wenn niemand bei ihm ist und sich um ihm kümmert. Max scheint es ja nicht zu kümmern, dass mein Sohn seit drei Tagen nicht mehr richtig frisst und immer wieder hustet!" Mandy war ganz aufgebracht, in ihrer Sorge um ihr Fohlen. ,,Mandy, Max such sicher nach einer Lösung für Pluto. Er gibt sein bestes", warf Dumbledore dazwischen. ,,Ach ja? Er gibt ihm eine alte kaputte Decke, damit er wieder gesund wird? Ist das sein bestes?", rief Mandy. Ihre Stimme hörte sich verzweifelt an. ,,Max gibt sein bestes." Dumbledore versuchte seinen Satz glaubwürdig zu sagen. ,,Dann soll er es beweisen und Pluto gesund machen. Und zeigen, dass er ihm genau so wichtig ist, wie andere Pferde hier." Mandy schenkte mir einen bösen Seitenblick. Ich wusste, dass Mandy das nicht ernst meinte und nur aus Sorge und Verzweiflung so direkt handelte. ,,Versuche jetzt bitte nicht jemandem hier die Schuld für Plutos Krankheit zu geben", warnte Dumbledore die aufgebrachte Stute. Mandy schien ihm gar nicht zu beachten. ,,Und was wäre, wenn das ach so wichtige Turnierpferdchen mal verletzt wäre? Hmm? Dann würde Max doch sofort losspringen und alles für sein Turnierpferdchen tun. Alles."
Jetzt schaute ich die weisse Stute trotzdem geschockt an. Das ging mir aber jetzt definitiv zu weit. Auch Dumbledore und Charlie schauten Mandy verdutzt an. War sie eifersüchtig auf mich?

Doch Mandy faste sich schnell wieder. ,,Ach Rubin, es tut mir so leid! Das hätte ich alles nicht sagen dürfen! Ich habe nur so Angst um Pluto, dass ihm irgendetwas passiert und dass seine Krankheit sich verschlimmert... Und Max tut einfach nichts! Du kannst natürlich gar nichts dafür, ich nehme alles zurück!" Die Stute brach in sich zusammen. Sie senkte ihren Kopf und stand einen kurzen Moment einfach nur so da. Vorsichtig blickte sie schliesslich zu mir hoch und fragte leise: ,,Es tut mir leid Rubin." Ich schwieg. Dumbledore stiess mich mit seiner Nase an und schliesslich antwortete ich mit leiser Stimme: ,,Ist schon gut. Du machst gerade Schlimmes durch."

Dumbledore nickte mir kurz zu und bedeutete mir, ihm zu folgen. Er liess Mandy mit Pluto bei Charlie und ging in die gegenüberliegende Ecke des Stalles. ,,Ich hoffe, du nimmst es Mandy nicht übel", begann er, ,,sie macht wirklich gerade eine schwere Zeit durch." ,,Ich verstehe", antwortete ich. ,,Sie ist sehr besorgt um Pluto. Er ist ihr erstes Fohlen und sie ist sehr vorsichtig mit ihm. Aber der eigentliche Grund warum ich mit dir sprechen möchte. Es geht darum, das Max Pluto nicht helfen kann. Mandy hat ja behauptet, er möchte es nicht, aber das stimmt nicht. Er kann es nicht." ,,Warum nicht?", wollte ich wissen. ,,Max und seine Frau haben zu wenig Geld für einen Tierarzt. Es ist teuer, wenn man heutzutage ein Pferd halten will, teurer wenn es gleich fünf sind und eines davon ein krankes Fohlen." ,,Aber so teuer kann das alles doch nicht sein, wir essen doch nur ein bisschen Heu und ab und zu noch Hafer. Und Platz brauchen wir auch nicht viel..." ,,Doch, Rubin. Wieviel Heu verdrücken wir pro Tag? Wir stehen auf Stroh, das auch von irgendwo kommt und oft ausgewechselt werden muss. Der Stall sollte auch schon lange geflickt werden, das Haus ist nicht mehr das neuste und es gibt noch viel mehr Faktoren, die die ganze Sache beeinflussen." Ich machte eine Pause, bevor ich weitersprach. ,,Weiss Mandy dies alles?" ,,Nein, also ich hätte ihr nichts davon erzählt. Sie vermutet es aber sicher, dass es nicht mehr so gut um Max steht. Mandy lebte einst in einem sehr wohlhabenden Stall. Sie hat viel davon erzählt und daher hatte ich entnommen dass ihre Besitzer nie Probleme mit dem Geld hatten." ,,Und warum erzählst du mir das ganze?", fragte ich neugierig. ,,Ich weiss es selber nicht genau. Ich habe einfach gedacht, dass du es wissen solltest." Ich nickte dankbar. ,,Aber eine Frage habe ich noch", hob ich an. ,,Bist du unglücklich, dass du in bei einem Besitzer wie Max mit zu wenig Geld lebst?"
Dumbledore antwortete nicht sofort. ,,Da ist etwas, war du wissen musst, Rubin. Pferde in meinem Alter und mit meiner Leistung können such glücklich schätzen, dass sie in der heutigen Zeit überhaupt noch in einem Stall Unterkunft finden. Und dass sie noch leben."
Ich erfuhr erst viel später, was Dumbledore damit gemeint hatte.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top