10. Rettung?

,,Ich möchte sie kaufen! Sie ist noch zu jung für dieses Schicksal!", rief Harry. ,,Nichts da", hörte man die Stimme von Mr. Smith. ,,Wieviel wollen sie für die Stute?", sagte Harry nochmals flehend. ,,Geh jetzt, ich muss los", knurrte Smith. ,,Bitte", bettelte Harry, ,,Sie können die Stute nicht einfach mitnehmen und... Caramel hat noch ihr ganzes Leben vor sich! Lassen sie mich doch Caramel kaufen!" ,,Nein, nein, nein, einfach nein", sagte Smith. ,,Was kann ich ihnen für sie geben? Ich zahle alles!", flehte Harry. ,,Geh mit aus dem Weg Bursche, sonst knallt's!" ,,Sie verstehen das nicht, ich gebe ihnen alles für die Stute, sagen sie mir doch einfach den Preis!" ,,Nein, einfach nicht! Ich muss jetzt gehen, ich habe keine Zeit für solche unnötigen Gespräche", knurrte Mr. Smith. ,,Aber... Bitte...", versuchte es Harry nochmals. ,,Junger Mann, geh jetzt sofort", hörte ich Smith.
Ich hörte wie Harry kurz aufkeuchte, da ihn Smith wohl aus dem Weg geschubst hatte. ,,Warten sie doch", rief Harry. Doch der Motor startete und der Truck fuhr mit quietschenden Reifen vom Hof. Die unheimliche Stille kehrte wieder ein und alle Geräusche verstummten.

,,Caramel!" Lucy's herzzerreissendes Wiehern brach die Stimme. Ich zuckte zusammen und ein Schauern lief mir über den Rücken. Dieses Wiehern hatte unheimlich ähnlich wie das von Ganadors Mutter getönt, als er von ihr getrennt worden war. ,,Sie ist weg, einfach weg, für immer weg..!" Lucy lief aufgebracht in ihrer Box hin und her. ,,Lucy...", wollte Alvaro sie unterbrechen. ,,Diese scheiss Menschen! Warum tun sie uns das an?!", sagte sie niedergeschlagen. ,,Beruhige dich Lucy, bitte", meinte Alvaro. ,,Bist du denn nicht traurig? Nicht wütend dass die Menschen sie uns genommen haben?", brauste Lucy auf. ,,Doch, sicher, versteh das jetzt einfach nicht falsch. Aber es bringt nichts, wenn wir uns jetzt aufregen. Wir können nichts tun. Sie- sie ist weg", sagte Alvaro leise. ,,Du hast recht", stimmte ich ihr zu. Lucy schien nicht so beeindruckt zu sein, sie schwieg aber. ,,Sie war ein tolles Pferd", sagte ich jetzt. ,,Sie hat es immer gut gemeint und hat mir Kraft gegeben", fuhr ich fort. Alvaro sagte: ,,Ich habe Caramel zwar nur kurz gekannt, aber sie war eine wundervolle Freundin." ,,Es war der Anfang einer tollen Freundschaft von uns, aber jetzt... Sie soll in Frieden ruhen", endete Lucy.
Mir fehlten die Worte. Ich war so traurig, so entsetzt und wütend zugleich. Ausserdem hatte Caramel einen Teil meines Herzens mitgerissen. Warum musste sie ein solches Ende finden?

Laute Schritte unterbrachen meine Gedanken und ich hob meinen Kopf. Angespannt erblickte ich Harry, der in den Stall gelaufen kam. ,,Das darf nicht sein, ich werde sie zurückholen. Egal wie." Mit diesen Worten lief Harry zum Ende des Stalles und öffnete dort einen kleinen Schrank. Als er wohl nicht das fand, was er wollte, schlug er die Tür mit einem lauten Knall zu.

,,Harry!" Mr. Black kam mit grossen Schritten hereingeeilt. ,,Was machst du da? Du solltest beim Springen bei Tom und Clara helfen!", sagte Black. ,,Ich kann gerade nicht", erklärte Harry kurz. ,,Geht's noch? Du arbeitest hier, du hast zu tun was man dir sagt!", befahl Black. ,,Es ist wichtig!", drängte Harry und schaute sich hastig um. ,,Harry, du gehst jetzt zu Tom und hilfst ihm", mahnte Black. ,,Ich nehme mir eine Woche Ferien, oder Unbezahlt, was auch immer, aber ich muss weg", sagte Harry. ,,Das geht nicht", meinte Black schulterzuckend, ,,das müssten wir eine Woche vorher besprechen und abmachen." ,,Dann ist es halt ein Notfall", erklärte Harry. ,,Und was für einer? Du kannst nicht einfach so für eine Woche von meinem Hof verschwinden!" ,,Ein Pferd! Es ist in Lebensgefahr", erklärte Harry und fuchtelte mit seinen Händen. ,,Ein Pferd! Das ist doch kein Grund für ein Notfall", lachte Black. ,,Ist es wohl", sagte Harry und verschränkte seine Armen. ,,Da kann ich dir leider nicht freigeben", sagte Black und wollte sich abwenden. ,,Dann... Was wäre dann einen guten Grund für sie, dass sie jemandem freigeben würden?", fragte Harry. ,,Hmm... Lass mich überlegen", sagte Black langsam. ,,Bitte, beeilen sie sich!", rief Harry. ,,Also, zum Beispiel wenn die Frau krank wäre, oder sie gerade ein Kind bekommt oder jemand gestorben ist den sie gut kennen", sagte Black. ,,Also gut, meine Frau ist todkrank, gebärt in den nächsten fünf Minuten ihr Baby und... Ähm, mein Urgrossvater ist gestorben!", beeilte sich Harry zu sagen und blickte sich wieder hektisch um. ,,Können sie das nachweisen, Harry?", fragte Black mit hochgezogener Augenbraue. Auch er hatte mittlerweile seine Armen verschränkt. ,,Jaja, und jetzt lassen sie mich bitte gehen!", flehte Harry. ,,Sind sie sich da sicher, Harry?", fragte Mr. Black. ,,Ja!" ,,Gut, dann verlange ich von ihnen in einer Woche einen Arztbericht von dem Gesundheitszustand ihrer Frau, ein gemeinsames Familienfoto mit dem neuen Baby und den Bericht von ihrem Urgrossvater", meinte Black mit einem falschen Lächeln.  ,,Aber Sir... Ich habe doch nichtmal eine Frau und mein Urgrossvater ist seit einigen Jahren gestorben!", sagte Harry entsetzt. ,,Na, dann heisst es wohl keine Rettung für unsere arme kleine Caramel!" Black sprach sie letzten drei Wörter überdramatisch aus und lachte anschliessend spöttisch. Harry räusperte sich jetzt entschlossen.  ,,Also gut, sie erhalten alles was sie vorhin gesagt haben und ich kriege eine Woche frei." ,,Okay, wie sie meinen. Harry rannte aus dem Stall. Ich hörte einen Motor starten und anschliessend kehrte stille ein. Black stolzierte mit grossen Schritten aus dem Stall und murmelte noch etwas unverständliches.

Der Abend kam und alle weiteren Pferde wurden in den Stall gebracht. Nirgendwo wurde ein einziges Wort über Tarik, Caramel oder Smith verloren. Es war, als wären die zwei Pferde noch nie auf diesem Hof gewesen. Zwei Tage auf der Black-Ranch und es war schon unendlich viel passiert. Wie gerne wäre ich jetzt neben Juwel auf der Fohlenweide gelegen und hätte mich sorgenfrei über den nächsten Tag gefreut. Aber es hatte sich in so kurzer Zeit fast alles geändert und mein Leben wurde von Stunde zu Stunde schlimmer. Das merkte ich vor allem am nächsten Morgen. Früh schon wurden wir in der Reithalle hart getrieben, unsere Reiter kannten keine Gnade. Unbarmherzig schlugen sie auf mich, Lucy und Alvaro ein wenn wir einen Fehler machten. Wir irrten nass geschwitzt den Befehlen von unseren Reitern hinterher und versuchten alles auf die Reihe zu bekommen. Ich wusste nicht einmal mehr, wie ich es geschafft hatte, aber auf einmal stieg Luca wütend von meinem Rücken und holte vom dem Rand der Halle zwei Zügel. Ich ahnte böses. Luca klickte die Zügel an meiner Trense ein und zog danach mit aller Kraft meine Nüstern auf meine Brust. Als ich meinen Hals soweit wie möglich gebogen hatte, liess er los und ich wollte ihn endlich wieder strecken. Doch da kam die böse Überraschung. Luca hatte die Hilfszügel fest an meinem Sattel befestigt und ich konnte meinen Hals kaum noch nach vorne bewegen. Schon war Luca wieder auf meinem
Rücken und Trieb mich mit seinen Absätzen an. Wegen den Hilfszügeln hatte ich jetzt nur noch eine geringe Sicht nach vorne. Mein Hals schmerzte extrem und Luca trieb mich immer wie fester an. Ich lief etliche Runden in der Halle und musste vom Schritt in den Galopp wechseln und umgekehrt. Nach einer gefühlten Ewigkeit bremste Luca mich ab und riss grob an den Zügeln. Auch Alvaro und Lucy waren angehalten worden. Wir wurden von unseren Reitern wieder in den Stall zurück in unsere Box geführt. Dort sattelte Luca mich endlich ab. Endlich wurde ich von den schrecklichen Hilfszügeln befreit. Dankbar streckte ich meinen Hals weite aus und schüttelte einige Male meinen Kopf. Es war qualvoll gewesen, mit diesen Zügeln Runden zu galoppieren. Der Sattel wurde mir abgenommen. Erst jetzt bemerkte ich, dass mein Fell klatschnass geschwitzt war. Luca zog mir ein Halfter über und führte mich vor den Stall nach draussen. Dort spritzte er mich mit kaltem Wasser aus einem Schlauch ab. Das tat gut, nach all der Hitze beim Reiten. Anschliessend rieb er mich mit einem Tuch etwas trocken und anschliessend durfte ich mit Alvaro und Lucy auf einen Paddock. Niemandem war es zum Rumtoben zumute. Erstens war unsere gesamte Energie aufgebraucht und zweitens war Caramel nicht hier. Sie fehlte einfach. Ohne sie war die Stimmung trüb und nichts machte Spass.

So vergingen die nächsten sieben Tage und als ich wieder nach einem harten Training mit Alvaro und Lucy auf dem Paddock stand, fuhr ein kleines Rotes Auto auf den Hof. Als jemand ausstieg, erkannte ich Harry. Jedoch sah er nicht besonders glücklich aus. Mit langsamen Schritten schlurfte er in Richtung Haus von Black. Er sah niedergeschlagen aus, als hätte er ein wichtiges Turnier verloren. Plötzlich öffnete sich die Haustür und Black kam heraus. ,,Na, hast du die arme kleine Caramel befreien können?", fragte Black spöttisch. Harry antwortete nicht einmal mehr. Nach seinem Gesichtsausdruck und seiner Haltung war ja wohl alles klar. Er sah aus wie ein Verlierer und Black hatte wohl das gleiche bemerkt. ,,Die ganze Sache war umsonst, am besten wärst du lieber richtig in die Ferien gefahren statt so einem sinnlosen Pferd nachzueilen... Na es ist ja dein Pech. Jetzt bin ich mal gespannt auf die Sachen die du mitgebracht hast, Harry!" Blacks Stimme verstummte und die zwei verschwanden im Haus.

,,Heisst das, dass Caramel n-nicht zurückkommt?", fragte Lucy verängstigt. ,,Ich weiss es nicht, aber so wie Harry ausgeschaut hat..." Lucy unterbrach mich. ,,Warum hat er sie nicht verkauft? Dieser dumme Mr. Smith! Ich hasse ihn!" ,,Lucy, ich denke alle hassen den", meinte Alvaro mit gedämpfter Stimme. Zu mir gewandt sagte sie: ,,Denkst du, dass noch irgendeine Chance besteht?" ,,Ich weiss es einfach nicht, aber vielleicht... Nein. Caramel ist wohl schon... Tot", sagte ich leise. Ich konnte es fast nicht aussprechen. Bedrückt nickte Alvaro. ,,Ich hoffe wir können irgendetwas für Lucy tun", sagte sie.
Lucy stand am Zaun und starrte in die Ferne. ,,Denkst du sie kommt jemals darüber hinweg?", fragte ich Alvaro. ,,Vielleicht. Aber das wird dauern." ,,Ja, ich glaube, die zwei haben sich wirklich gefunden. Aber leider hat ihre Freundschaft zu kurz gedauert. " Ich schwieg. Die kühle Abendluft brauste um unsere Ohren und ich bemerkte, dass auch der Herbst langsam kam. Obwohl es am Tag sehr heiss war, wurden die Abende kühler und die Nächte kälter. Aber es war sehr angenehm, es gab nicht mehr so viele Stechmücken und nervige Fliegen.

Am nächsten Morgen regnete es in Strömen, man hörte wie die schweren Tropfen auf das Stalldach fielen. An diesem Tag hatten wir Glück und niemand kam mit Sattel und Zaumzeug beladen in den Stall um auf uns zu reiten. Stattdessen durften wir auf die grosse Weide, auf der sich schon Bernstein, Snow, Calypso und Fire. ,,Tag", murmelte ich zur Begrüssung. Snow kam sofort auf uns zu und schlug aufgeregt mit ihrem Schweif hin und her, obwohl nirgends eine Fliege oder sonst ein störendes Insekt war. ,,Guten Tag, ihr alle!", wieherte sie überschwänglich. ,,Was ist denn mit dir los? Du siehst aus, als ob man dir eröffnet hätte dass dich nie wieder jemand reitet!", sagte Alvaro. ,,Findest du es so schlimm, geritten zu werden?", entgegnete sie, ohne auf die Frage von Alvaro einzugehen. ,,Ehrlich gesagt schon, also wem gefällt es schon wenn man mit Sporen und Peitsche angetrieben wird", meinte Alvaro. ,,Echt? Ist es so schlimm bei euch? Bei mir wird zum Glück nur manchmal die Peitsche benutzt", sagte Snow. ,,Du redest, als hätten die Menschen dir noch nie etwas angetan", sagte ich vorwurfsvoll. ,,Du weisst was ich meine", fügte ich nich leise hinzu und dachte an Tarik. Die weisse Stute senkte kurz ihren Kopf, danach blickte die wieder auf und sagte bestimmt: ,,Kommt, wir gehen zu den Bäumen, dort sind wir wenigstens ein bisschen vor dem Regen geschützt, sonst sind wir am Ende völlig durchnässt." Schweigend folgten Alvaro, Lucy und ich zu der Baumgruppe unter der schon die anderen drei Pferde standen. Dort angekommen sagte Snow: ,,Ich gehe zum 20. Grand Prix!" Wir schauten Snow alle verständnislos an. ,,Was genau?", fragte Lucy. ,,Der Grand Prix ist ein riesiges Turnier mit Springpferden aus der ganzen Welt! Und dazu noch der zwanzigste, das wir ein riesengrosser Event!", antwortete Snow. ,,Und... Was ist daran so der hammer?", fragte ich. Noch immer schauten wir Snow kritisch an. ,,Versteht ihr nicht?", fragte sie. ,,Nein", antwortete Alvaro knapp. ,,Das ist die Chance! Dort kann ich mein Können unter Beweis stellen und alle können es sehen!", tief Snow aus. ,,Welche Chance?", fragte ich. ,,Na dann komme ich vielleicht endlich von hier weg! Wenn jemand sieht, wie gut ich springe, kauft er mich und ihr wisst ja wie scharf Black auf Geld ist!", meinte Snow laut. ,,Du willst von hier weg?", fragte Lucy leise. ,,Wer will das nicht", konterte Snow. ,,Aha, okay", sagte Alvaro. Wir drei schwiegen. ,,Freut ihr euch nicht für mich?", stammelte Snow und blickte mit grossen Augen in die Runde. ,,Doch, klar. Aber ja...", sagte ich. ,,Ich verstehe", meinte Snow nur. Sie nickte tapfer und sagte dann: ,,Morgen fahren wir los, ich würde mich freuen wenn ihr mir Glück wünschen könntet." ,,Machen wir", sagte Alvaro und nickte Snow zu. Diese neigte ihren Kopf vor uns und entfernte sich wieder.

Ich freute mich eigentlich für sie, aber wir alle waren eifersüchtig und hätten gerne die Chance von hier wegzukommen. Aber es war nun einmal so und wir mussten damit Leben, ein für alle mal.

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Dieses Kapitel ist jetzt nicht so spannend und ist halt eine ganze Zeitspanne, aber das nächste wird wieder besser :)
Thx for all<3

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