Des Hexers haariges Herz

Das erste was Tamara am Morgen nach dem Ball tat war, eine schlecht gelaunte Lavender zu fragen ob sie sich ihre Ausgabe des Märchens von Beedle dem Barden ausleihen durfte.
An Anfang bestritt Lavender überhaupt so ein 'Kleinkinder Buch' zu besitzen, aber nach einigem betteln zog sie es verstohlen unter ihrem Kissen hervor. "Aber bitte sag niemanden das ich so ein Buch dabeihabe!" "Keine Sorge, über meine Lippen kommt kein Wort!"

Da sie heute zwei Freistunden hintereinander hatten setzte sich Tamara in einen der Sessel in einer Ecke im Gemeinschaftsraum und begann zu lesen:

Es war einmal ein schöner, reicher und begabter junger Hexer, der beobachtete, dass seine Freunde sich töricht verhielten, sobald sie sich verliebten, dass sie umherhüpften und sich herausputzten, dass sie ihren Appetit und ihre Würde verloren.
Der junge Hexer beschloss, niemals einer solchen Schwäche zum Opfer zu fallen, und mit Hilfe der dunklen Künste sorgte er dafür, dass er dagegen gefeit war.

Die Familie des Hexers wusste nichts von seinem Geheimnis und lachte, als sie ihn so zurückhaltend und kühl sah.
"Das wird sich noch alles ändern", prophezeiten sie, „wenn ein junges Mädchen ihm den Kopf verdreht!"
Aber niemand rührte am Kopf des jungen Hexers.
Zwar gab es viele Frauen, die sein stolzes Gebaren reizten und ihm höchst raffinierter List zu gefallen suchten, doch keiner gelang es, sein Herz zu bewegen. Der Hexer schwelgte in seinem Gleichmut und in der Klugheit, mit der er ihn geschaffen hatte.

Die erste jugendliche Frische schwand, und die Altersgenossen des Hexers begannen zu heiraten und dann Kinder zur Welt zu bringen.
"Ihr Herzen müssen leere Hülsen sein", spottete er insgeheim, während er die Possen der jungen Eltern um sich herum beobachtete, „die Forderungen dieser wimmernden Kinder haben sie ausdörren lassen! "

Und noch einmal beglückwünschte er sich zu der Weisheit seiner frühen Entscheidung.
Zur rechten Zeit starben die greisen Eltern des Hexers.
Ihr Sohn trauerte nicht um sie, im Gegenteil, er schätzte sich glücklich ob ihres Todes. Nun herrschte er allein über ihr Schloss.

Nachdem er seinen größten Schatz in das tiefste Verlies gebracht hatte, widmete er sich einem Leben voller Bequemlichkeit und Überfluss, mit vielen Dienstboten, die nur sein Wohlergehen im Sinn hatten.

Der Hexer war sich sicher, dass er den grenzenlosen Neid aller erwecken müsse, die seiner großartigen und ungestörten Einsamkeit gewahr wurden. Bitter war daher sein Zorn und sein Verdruss, als er eines Tages zufällig hörte, wie zwei seiner Lakaien sich über ihren Herren unterhielten.

Der erste Diener bekundete Mitleid mit dem Hexer, der trotz all seines Reichtums und seiner Macht von niemandem geliebt wurde.
Doch sein Gefährte lachte höhnisch und fragte, weshalb ein Mann, der so viel Gold und ein prachtvolles Schloss sein Eigen nenne, unfähig gewesen sei, eine Frau für sich zu gewinnen.
Die Worte der Diener trafen den lauschenden Hexer fürchterlich in seinem Stolz.

Er beschloss auf der Stelle, eine Frau zu heiraten, und zwar eine Frau, die allen anderen überlegen sein würde. Sie würde von verblüffender Schönheit sein, Neid und Begehren eines jeden Mannes entfachen, der sie erblickte, sie würde von magischer Abstammung sein, so dass ihre Nachkommen hervorragende magische Talente erben würden, und sie würde mindestens so reich sein wie er selbst, damit sein behagliches Leben trotz der Erweiterung seines Haushalts gesichert wäre.

Es hätte den Hexer 50 Jahre kosten können, eine solche Frau zu finden, doch zufällig kam an eben dem Tag, da er beschlossen hatte, sie aufzuspüren eine junge Frau, die genau seinen Wünschen entsprach, in die Gegend, um ihre Verwandten zu besuchen.

An dieser Stelle schüttelte Tamara den Kopf. Männer hatten wirklich hohe Ansprüche an Frauen und sie wunderte sich, dass es überhaupt so eine Frau gab. Wenn ja, dann hätte der Typ sie sicher nicht verdient, so oberflächlich wie er war, vielleicht war sie ja so dumm wie Brot. Und was für ein Zufall das grade jetzt so eine Frau auftaucht, sie schüttelte erneut den Kopf.

Sie war eine Hexe von erstaunlichen Geschick und besaß viel Gold. Ihre Schönheit war so groß, dass sie das Herz jedes Mannes rührte, dessen Blick auf sie fiel, jedes Mannes, das heißt mit einer Ausnahme.
Das Herz des Hexers empfand überhaupt nichts.
Dennoch war sie die Trophäe, die er suchte, und er begann, ihr den Hof zu machen. Alle, die das veränderte Benehmen des Hexers bemerkten, waren erstaunt und sagten dem Mädchen, dass es dort gesiegt habe, wo hundert andere gescheitert waren.

Die junge Frau selbst war hingerissen und abgestoßen zugleich von dem Werben des Hexers.
Sie spürte die Kälte, die hinter seinen warmen Schmeicheleien lag, und sie hatte noch nie einen so merkwürdigen und unnahbaren Mann getroffen.

Ihre Verwandten hielten sie beiden jedoch für ein vollkommenes Paar, und in ihrem Eifer, sie zu unterstützen, nahmen sie die Einladung des Hexers zu einem großen Fest zur Ehren der Jungfrau an.

Die Tafel war vollbeladen mit Silber und Gold und trug die edelsten Weine und üppigsten Speisen. Spielleute klimperten auf den seidenen Saiten ihrer Lauten und besangen eine Liebe, die ihr Herr nie empfunden hatte.

Die junge Frau saß auf einem Thron neben dem Hexer, der mit leiser Stimme sprach und zärtliche Worte verwendete, die er den Dichtern gestohlen hatte, nicht ahnend, was sie in Wahrheit bedeuteten.

Die junge Frau lauschte verwirrt und antwortete schließlich: "Ihr sprecht gut, Hexer, und ich wäre über euer Werben hocherfreut, wenn ich nur glauben könnte, dass ihr ein Herz habt!"
Der Hexer lächelte und sagte, dass sie in dieser Hinsicht keine Furcht hegen müsse. Er bat sie, ihm zu folgen, und führte sie fort von dem Fest und hinunter zu den abgeschlossenen Verliesen, wo er seinen größten Schatz aufbewahrte.

Hier, in einem verzauberten Kristallkasten, befand sich das pochende Herz des Hexers.
Seit langem schon vor Augen, Ohren und Fingern abgetrennt, war es nie der Schönheit zum Opfer gefallen oder einer wohlklingenden Stimme oder der Empfindung seidenweicher Haut.

Die Jungfrau war entsetzt über seinen Anblick, denn das Herz war vertrocknet und mit langen schwarzen Haaren bedeckt.
"Oh, was habt ihr getan?", klagte sie." Steckt es dorthin zurück, wo es hingehört, ich flehe Euch an!"

Der Hexer sah, dass dies unumgänglich war, wenn er ihr gefallen wollte, und er zog seinen Zauberstab, öffnete den Kristallkasten, schnitt sich die eigene Brust auf und setzte das haarige Herz wieder in die leere Höhlung, die es einst bewohnt hatte.

"Nun seit ihr geheilt und werdet wahre Liebe erfahren!," rief die Jungfrau und umarmte ihn.
Die Berührung ihrer weichen weißen Arme, der Klang ihres Atems in seinem Ohr, der Duft ihres schweren goldenen Haares: All dies durchbohrte das neuerwachte Herz wie Speere.

Doch es war im Laufe seiner langen Verbannung sonderbar geworden, blind und grausam in der Dunkelheit, zu der es verdammt worden war, und seine Gelüste waren nun übermächtig und verderbt.

Die Festgäste hatten die Abwesenheit ihres Gastgebers und der jungen Frau bemerkt. Anfangs kümmerte es sie nicht, doch als die Stunden vergingen, wurde ihnen bang, und schließlich begannen sie das Schloss zu durchsuchen. Am Ende fanden sie das Verlies und dort erwartete sie ein äußerst schrecklicher Anblick.

Die Jungfrau lag tot am Boden, und neben ihr kauerte der wahnsinnige Hexer, in einer blutigen Hand ein großes, glattes, glänzendes scharlachrotes Herz, das er streichelte, und schwor, sein eigenes dafür einzutauschen. In der anderen Hand hielt er seinen Zauberstab und versucht, das ausgedörrte haarige Herz aus seiner eigenen Brust hervorzulocken. Doch das haarige Herz war stärker als er und weigerte sich, die Gewalt über seine Sinne aufzugeben oder in den Sarg zurückzukehren, wo es so lange gefangen gewesen war.

Vor den entsetzten Augen seiner Gäste warf der Hexer seinen Zauberstab beiseite und packte einen silbernen Dolch.
Mit dem Schwur, sich niemals von seinem Herzen beherrschen zu lassen, schnitt er es wieder aus seiner Brust heraus.

Einen Augenblick lang saß der Hexer triumphierend auf den Knien, ein Herz fest in jeder Hand, dann fiel er über den Leichnam des Mädchens und starb.

Tamara gefiel das Märchen nicht, sie mochte generell keine Geschichten, in denen am Ende alle starben, lieber mochte sie so richtig schöne Happy Ends, auch wenn das kitschig klang.
Aber irgendwie konnte sie den Hexer ja verstehen...

"Und? Gefällt dir die Geschichte?" Tamara verdrehte die Augen, war ja klar das George wiederauftauchen würde, sobald sie zu Ende gelesen hatte. "Nein, aber ich kann den Kerl verstehen!"
"Du kannst verstehen wieso er dem Mädchen das Herz gestohlen hat?", fragte er mit hoch gezogener Augenbraue und über seine Zweideutigkeit lächelnd. "Nein, ich meine wieso er sich das Herz herausgeschnitten hat, ganz am Anfang. Nichts zu fühlen ist doch ganz verlockend, wenn das was man fühlt scheiße ist!"

Es klingelte und Tamara musste sich beeilen um nicht zu spät zu Verwandlung zu kommen.

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