Wo ich sein will

Die  Augen geschlossen und die Beine übereinander gelegt, sitzt Rey nur  wenige Meter von der Widerstandsbasis entfernt. Ihr Atem geht bemüht  ruhig und gleichmäßig, ihr Fokus liegt auf ihrem Inneren, das bei weitem  nicht so ausgeglichen ist, wie es nach außen wirkt. Ein heftiger Sturm,  tosend und laut, erfüllt jeden Winkel ihres Körpers und ihre Gedanken  rasen. Immer wieder blitzen Bilder, Erinnerungen, auf, die so präsent  sind, dass sie sie förmlich hören kann. ,,Du bist eine Palpatine." Sie  ballt die Hände zu Fäusten, blinzelt, um das Bild zu vertreiben, ruft  damit jedoch nur weitere hervor. Kalt und leer starren ihre Augen in den  Himmel von Exegol, Schrammen zieren ihren toten Körper, dann wechselt  die Erinnerung und Rey sieht sich in Bens Armen. Wie er ihr sein Leben  überträgt, sie der Galaxis zurückgibt, sie so zufrieden lächelnd  ansieht. ,,Ben", dringt ihre Stimme an ihr Ohr, als wäre sie wieder  dort, als würde sie als Zuschauerin alles erneut erleben, alles wieder  mitansehen müssen, auch den Kuss, ihren ersten, den sie mit Ben teilte  und der... nichts in ihr auslöste, als wäre das nicht, was sie will,  wonach sie sucht. Kaum sichtbar schüttelt Rey den Kopf, vertreibt die  Gedanken so. Sie atmet tief durch und ruft nach der Macht, nach den  Jedi, die vor ihr da waren und ihr auf Exegol so viel Kraft gegeben  haben durch ihre bloßen Worte und ihre spürbare Anwesenheit. ,,Seid mit  mir", flüstert sie beinahe flehend, verzweifelt. ,,Bitte..." Doch es  bleibt still, keine Stimme dringt zu ihr durch, nichtmal der Wind weht  durch die Dschungelbäume als Zeichen für die Anwesenheit der  Machtgeister und auch die wohlige Wärme, die Rey sonst erfüllt, wenn die  Macht besonders präsent ist, wie Blut durch ihre Adern fließt, bleibt  aus. Eine unangenehme Kälte macht sich in ihr breit und sie öffnet die  Augen, den Tränen nahe. Sie fühlt sich so allein gelassen von der Macht,  ihren Freunden, allen, als wäre sie nicht länger wichtig, nur ein Weg  gewesen, den Krieg zu gewinnen.

Langsam  rappelt sie sich auf und stolpert einige Schritte zurück, als Poe auf  einmal vor ihr steht. Ihr Herz schlägt hart gegen ihren Brustkorb und  sie fährt sich unruhig mit der Hand durchs Haar. ,,Ich habe dich gar  nicht bemerkt", sagt sie leise, aber verbittert. Sie hätte seine Präsenz  wahrnehmen müssen, schon bevor er überhaupt so nah an sie herankommen  konnte. ,,Entschuldigung. Aber hast du mich nicht gespürt?", fragt Poe  vorsichtig. Rey schüttelt lediglich den Kopf und sieht Poe an. ,,Warum  bist du hier? Ist irgendetwas passiert?" Allein bei dem Gedanken, dass  etwas nicht stimmen könnte, verkrampft sie sich. Noch mehr Schmerz,  weitere Sorgen, erträgt sie nicht. Nicht jetzt. ,,Nein, es ist alles  gut." Für eine Weile mustert Poe Rey unschlüssig, fährt dann jedoch  fort: ,,Finn hat mir erzählt, dass er machtsensitiv ist und da habe ich  mich gefragt, wann du den Jediorden wieder aufbauen möchtest. Die  Galaxis braucht die Hoffnung, die nur die Jedi vermitteln können, und  Finn würde ein wenig Training sicher nicht schaden. Dann könnte er dir  auch helfen und ihr könntet gemeinsam..." Rey sackt wie auf Kommando in  sich zusammen, beinahe brechend unter der Verantwortung, die auf ihren  Schultern lastet. ,,Poe... Ich kann das nicht." Verwirrt runzelt der Pilot  die Stirn. ,,Wenn es nur darum geht, dass du es dir nicht zutraust,  Finn zu trainieren und die Jedi zu ihrer alten Stärke zurückzuführen,  dann kann ich nur sagen, dass du es schaffen wirst. Du bist stark, du  hast den Imperator besiegt. Dann schaffst du auch das."Bei der Erwähnung  des Imperators zuckt Rey erschrocken zurück, ihre Hände ballen sich wie  von selbst so fest zu Fäusten, dass die Fingerknöchel weiß  hervortreten. ,,Ich kann es nicht, verstehst du?" Poe schüttelt  verständnislos den Kopf. ,,Nicht wirklich. Alle hier verlassen sich auf  dich, die Galaxis verlässt sich auf dich. Du musst den Jediorden wieder  aufbauen." In Rey verändert sich etwas, unbändige Wut, verstärkt durch  ihre Verwirrung, ihren Schmerz, drängt an die Oberfläche und bricht mit  einem Mal aus ihr heraus wie die Lava aus einem Vulkan. ,,Ich kann es  nicht, Poe! Ich... Immer habe ich nur an euch gedacht, seit über einem  Jahr! Mir geht es nicht gut und keiner denkt daran, was das Ganze mit  mir macht. Manchmal fühle ich mich, als wäre ich für euch nur das  Werkzeug gewesen, mit dem ihr den Krieg gewinnen könnt!", schreit sie  aufgebracht und läuft los, wobei sie mit Finn zusammenstößt, der sie aus  Reflex an den Armen packt. ,,Hey... Rey, alles gut? Ich wollte mit dir  reden. Ich habe gespürt, dass du tot warst." Seine Stimme wird leiser,  sanfter, doch sowohl Rey, als auch Poe hören es. ,,Warte, du warst  tot?", fragt Poe ungläubig. Rey presst die Lippen fest aufeinander,  versucht, die Tränen zurückzuhalten, scheitert jedoch und befreit sich  aus Finns Griff. Sie ist jetzt nicht bereit, mit den beiden darüber zu  reden, sie würden es nicht verstehen. Alles in ihr schreit ihr zu, dass  sie laufen muss. Sie spannt sich an und flieht vor den fragenden Blicken  ihrer Freunde, die sie noch verfolgen, als sie längst außer Sichtweite  und in ihrem Quartier in der Widerstandsbasis ist. Eine angenehme Stille  empfängt sie und Rey lässt sich erschöpft auf ihr Nachtlager sinken,  die Beine angezogen und den Kopf auf ihren Knien ruhend, während heiße  Tränen über ihre Wangen rinnen. Sie fühlt sich so allein, so  missverstanden.

Verloren  in ihren Gedanken und die Hand um den Anhänger ihrer Kette gekrallt,  läuft Rose durch die Gänge der Widerstandsbasis. Ihre schwarzen Haare  hängen ihr in unordentlichen Strähnen ins Gesicht, spiegeln beinahe ihr  unaufgeräumtes, zerwühltes Inneres wider, das einzig und allein auf die  Sorge, wie es nun weitergehen soll, fixiert ist. So kurz nach dem Krieg  gibt es keine Regierung und die Galaxis ist verzweifelt, setzt ihre  Hoffnungen in den Widerstand, der selbst vor den Ruinen einer Republik  steht und nicht die Leute und Kapazitäten besitzt, um diese wieder  aufzubauen. Rose seufzt leise auf, während sie ihre Kette nur fester  umklammert. Was würde Paige tun? Was würde sie Rose... Ein leises  Schluchzen ertönt und unterbricht Roses Gedankengang. Für eine Weile  bleibt die Schwarzhaarige stehen und versucht, herauszufinden, woher das  lauter werdende Geräusch kommt, dann rennt sie los, dem Weinen  hinterher, so lange, bis sie vor Reys nur wenige Meter entfernten  Quartier ankommt. Sie zögert kurz, tritt dann jedoch ein, ihren Blick  auf Rey gerichtet, die eng zusammengekauert auf ihrer Koje sitzt.  ,,Rey?", fragt Rose vorsichtig und tritt ein paar Schritte nach vorne.  Rey zuckt zusammen und hebt langsam den Kopf, ehe sie sich eilig über  die Augen wischt. ,,Ja?" ,,Geht es dir gut?", erkundigt sich Rose und  setzt sich mit ein bisschen Abstand neben Rey. ,,Ich habe dein Weinen  gehört." Rey stockt, weiß nicht genau, was sie sagen soll, und ballt die  Hände so fest zu Fäusten, dass sich ihre Fingernägel in ihre Haut  bohren. ,,Ich... Hast du kurz Zeit?" Beinahe flehend spricht sie diese  Worte- ihre Stimme so leise, dass sie fast in der Stille untergeht- und  sieht Rose eindringlich an. Diese nickt leicht. ,,Natürlich habe ich  Zeit. Worum geht es denn?", fragt sie sanft und setzt sich neben Rey,  die ihren Blick sofort auf Rose lenkt und kaum merklich schluckt.  ,,Rose, ich... Ich fühle mich so nutzlos, irgendwie so, als wäre ich nur  ein Werkzeug gewesen, um den Krieg zu gewinnen. Scheinbar bin ich jetzt  nichts mehr wert. Poe drängt mich, den Jediorden wiederaufzubauen und  Finn auszubilden, aber ich kann nicht. Zu viel beschäftigt mich. Ich  habe die Kraft nicht und die Macht hat mich seit den Geschehnissen auf  Exegol vollkommen verlassen", sprudeln die Worte nun nahezu aus Rey  heraus. ,,Als hätte mein kurzzeitiger Tod sie mir genommen, als wäre ich  keine Jedi mehr." Als sie Roses verständnislosen Blick sieht, seufzt  Rey leise auf. ,,Ich... Ich habe Palpatine besiegt, aber das hat mich mein  Leben gekostet. Wäre Ben nicht da gewesen, wäre ich jetzt nicht hier.  Er hat mir sein Leben gegeben..." Rose nickt kurz, bleibt aber still, um  Rey alle Zeit zu geben und sie nicht zu verunsichern. ,,Von ihm weiß ich  auch, dass ich Palpatines Enkeltochter bin, die Nachfahrin des  Imperators, eines Sith." Sie spuckt die Worte aus, als wären sie etwas  Schlimmes und sie könnte bloß für die Erwähnung bestraft werden. ,,Leia  wusste es, alle wussten es, alle außer mir. Ich... Ich hatte keine  Ahnung." Deutlich sichtbarer Schmerz legt sich auf ihre Züge und eine  Träne rinnt über ihre Wange, bei deren Anblick es Rose fast das Herz  bricht. ,,Rey... Deine Herkunft und dein Familienname definieren nicht,  wer du bist. Das tut allein dein Charakter, das tust allein du. Du bist  eine gute Person mit einem reinem Herzen, egal, wer dein Großvater ist.  Du bist eine Jedi", sagt die schwarzhaarige Wartungstechnikerin mit  fester Stimme und lächelt Rey an, in deren Augen kurz Hoffnung  aufflackert, die jedoch größtenteils noch von zerreißender Verzweiflung  verdeckt wird.

,,Ich  weiß einfach nicht, wie ich damit umgehen soll... Und das ist nicht das  Einzige, was mich nicht mehr loslässt." Ihre Stimme ist nun kaum mehr zu  hören. Abwartend sieht Rose Rey an, will sie unter keinen Umständen zu  etwas drängen. ,,Lass dir Zeit, wir haben sehr viel davon." Rey atmet  tief durch. ,,Nachdem Ben mich gerettet hat, habe ich ihn geküsst. Ich  weiß nichtmal, warum. Ich war nur so unfassbar dankbar und irgendwie  froh, dass er mich gerettet hat, aber ich habe nichts gefühlt, als sich  unsere Lippen berührt haben. Es war, als wäre das nicht das, was ich  wirklich will. Ich war vorher nie wirklich verliebt, jedoch dachte ich,  da müsste etwas sein." Hilfesuchend sieht sie Rose an und ihre  Unterlippe beginnt leicht zu beben. Rose, die bis gerade noch auf der  Innenseite ihrer Wange gekaut und Reys Ausführungen gelauscht hatte,  setzt sich nun aufrecht hin. ,,Vielleicht bist du nicht an Männern  interessiert", sagt sie vorsichtig und stockt kurz, fährt jedoch bei  Reys verwirrtem Blick fort. ,,Du könntest auch, na ja, Frauen gut  finden. Was vollkommen normal ist." Rey stöhnt auf und schlägt ihre  Hände vors Gesicht, ehe sie ihren Kopf gegen die Wand in ihrem Rücken  sinken lässt. ,,Das gibt's?" Sachte nickt Rose. ,,Ja. Denk am besten  erstmal genau darüber nach und versuche, dich selbst zu finden. Schlaf  doch eine Nacht drüber und gönn dir ein wenig Ruhe." Sie steht langsam  auf und berührt Rey kurz am Arm, wodurch eine angenehme Wärme ihre Adern  durchflutet und sich ein Lächeln auf ihre Lippen legt. Wegen der  Berührung zieht Rey kaum merklich die Luft ein und sieht auf, ehe sie  nach Roses Hand greift. ,,Kannst du bitte bleiben? Ich will jetzt nicht  alleine sein", fleht sie und schaut Rose genau in die Augen, in denen so  viele Emotionen gleichzeitig liegen. Verwirrung, Verlegenheit und  etwas, was Rey nicht so recht zuordnen kann. Für eine Weile sehen sie  sich nur an, dann nickt Rose und setzt sich wieder neben Rey, die ihren  Kopf sofort auf der Schulter der Älteren ablegt und die Augen schließt,  auf einmal ergriffen von einer gewaltigen Woge Entspannung. Sie umfasst  Roses Hand noch fester und gähnt schließlich. ,,Ich bin so müde, Rose."  ,,Ich weiß. Schlaf ein wenig." Lächelnd sieht Rose auf Rey hinab, die  nach nur wenigen Sekunden einschläft und gleichmäßig atmet, als wäre das  hier das, wo sie sein will. In der Widerstandsbasis, in Roses Armen.  Glücklich lächelt Rose und streicht Rey in einem stetigen Rhythmus durch  ihr braunes Haar, überwältigt von der zunehmenden Wärme in ihrem  Körper. Genau hier will sie sein.

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