Senja

Eine Klinge zischte über ihren Kopf hinweg. Noch in der Hocke fällte Senja ihren Gegner mit einem raschen Hieb gegen seine Schienbeine. Mit einem Grunzen fiel er vornüber und verstumme, als sie ihm das spitze Ende ihres Stabes in den Nacken stieß. Ohne Zeit für Erholung stellte sie sich dem nächsten schwer gerüsteten Gegner. Dank ihrer längeren Reichweite gelang es ihr, den Mann auf Abstand zu halten, doch ihre Hiebe zeigten kaum Wirkung. Auf einem Abschnitt von zwanzig Fuß der schmalen Strasse erging es ihren Kameraden ähnlich. Mit Messern und Dolchen versuchten sie sich gegen die gerüsteten Soldaten zu behaupten. Der geplante Überraschungsangriff hatte sich innert Sekunden in eine kleine Schlacht verwandelt und ihre Seite war deutlich unterlegen. Es hätte ein einfacher Kutschenraub werden sollen, wie schon unzählige davor. Doch anstelle des Goldes war eine Horde schwer bewaffneter Soldaten aus der Kutsche gesprungen und über die Räuber hergefallen. 

Vier ihrer zehn Mann starken Truppe waren bereits gefallen und die restlichen wehrten sich verzweifelt gegen die wachsende Übermacht. Reiner, ihr Anführer rief ihnen Mut zu und spornte sie zum Rückzug an, während er selbst an vorderster Front kämpfte. Bis auf Senja war er der einzige, der bereits einen Gegner besiegt hatte. Ein weiterer Gegner sprang sie von der Seite an und drängte sie einige Schritte zurück. Weiter weg von ihren Kameraden. Brüllend fiel ihm Reiner in den Rücken, doch all seine Anstrengungen halfen nichts. Zwei weitere Soldaten sprangen zwischen sie schnitten Senja den Weg ab. Verzweifelt versuchte sie an den eisernen Riesen vorbeizukommen, doch sie zwangen sie unaufhaltsam zurück. In ihrem Rücken spürte sie, wie sich zwei weitere Gegner näherten. Es gab kein entkommen. 

Rasch wich sie vor den wirbelnden Klingen zurück, immer weiter auf die Gegner in ihrem Rücken zu. Als sie glaubte nahe genug zu sein, vollführte sie einen tollkühnen Hieb rückwärts. Ihre Instinkte enttäuschten sie nicht und sie spürte den Stab auf Widerstand stoßen. Blitzschnell drehte sie sich um und rannte an dem knienden Soldaten vorbei, der sich wimmernd seinen Schritt hielt. Mit drei schnellen Schritten hatte Senja den Waldrand erreicht und sah noch einmal auf das Gemetzel zurück. Erleichtert sah sie, wie es dem Rest des Trupps gelungen war sich aus der tödlichen Zange zu befreien. Mikkal hinkte, Sven blutete aus einer Wunde am Kopf und Reiner aus einem Schnitt im Unterarm, doch es hatte keine weiteren Verluste gegeben. Sie wollte ihnen noch etwas zurufen, doch ihre langjährigen Kameraden wandten sich von ihr ab. Mit einem letzten trauernden Blick verschwand schließlich auf Reiner im Wald und ließ sie alleine zurück. Sofort setzten die Soldaten zur Verfolgung an. Ein eisiger Dolch bohrte sich in Senjas Herz. Sie hatten sie aufgegeben. Das Überleben der Truppe ging vor und so hatten sie Senja dem Tod überlassen. Doch noch bevor die Erkenntnis vollkommen in ihr Bewusstsein sinken konnte, musste sie selbst um ihr Leben rennen.

Ihre Verfolger waren hartnäckig. Bereits eine Stunde trieben sie Senja vor sich her, stets in Sichtweite und versuchten sie mit Pfeilen zu durchlöchern. Verzweifelt schlug sie Haken, sprang über Baumstämme und Abhänge hinab, doch alles ohne Erfolg. Längst hatten sie das ihr bekannte Gebiet verlassen und sie ließ sich bloß noch von ihren Instinkten leiten. Nach einem weiteren Haken, wichen die Bäume plötzlich einer kleinen Lichtung. Ein lautes Rauschen begrüsste sie unter freiem Himmel und nur wenige Schritte vor ihr rauschte ein Fluss über eine Klippe hinab, um weit unten in einem kleinen See zu landen. Einige Felsen ragten aus dem Strom und am anderen Ufer lockte sie wieder die Sicherheit der Bäume. Ohne zu zögern beschleunigte sie nochmals mit allerletzter Kraft und stieß sich am Flussufer ab. Das Wasser rauschte unter ihr vorbei, während sie durch die Luft segelte, ihren Stab fest umklammert. Das andere Ufer näherte sich schnell, sie würde es schaffen. Doch kurz bevor sie die andere Seite erreichte, explodierte ihre rechte Schulter in Schmerz. Der Aufprall eines Pfeiles warf sie nach vorn, ihr Kopf schlug gegen das Bord und ihre Füsse wurden von dem Fluss ergriffen und mitgerissen. Kurz verschwand sie unter der Wasseroberfläche, bevor sie der Wasserfall wieder ausstieß. Wasser spuckend stürzte sie in die Tiefe.

Doch ihr Sturz war kürzer als erwartet. Nach wenigen Metern prallte sie hart auf einn vorstehenden Felsen. Schmerzhaft entleerten sich ihre Lungen und ihre Rippen knackten bedrohlich. Ihr Stab glitt aus ihren Fingern und trudelte in die Tiefe. Dennoch gelang es ihr, sich an dem glatten, nassen Stein festzuklammern. Schwer atmend und blutend wartete Senja, bis die Pfeile ihrer Verfolger auf sie hinabregneten. Lieber würde sie durch ihre Hand ihr Ende finden, statt zu ertrinken. Sie hasste das Wasser, nun mehr den je. Die Sonne schien auf sie hinab während sie auf das unausweichliche wartete und wärmte ihre Haut. Das Wasser rauschte donnernd an ihr vorbei und ein winziger Regenbogen erschien. Sie hörte Rufe über dem Rand der Klippe erklingen, die dann verstummen. Vorsichtig hob sie den Kopf, konnte aber nichts erkennen außer Wasser und nasser Fels und vermutete, dass es ihren Widersachern genauso erging. Ein Fünkchen Hoffnung flammte in ihrer Brust auf. Und linderte etwas ihre Schmerzen. Direkt vor ihr befand sich eine kleine Höhle in der Wand und versprach Unterschlupf vor dem verhassten Nass. Hoffnungsvoll kroch sie darauf zu, schonte dabei ihre Rechte Seite, in der noch immer der Pfeil steckte. Die Knie an den Körper gepresst zwängte sie sich hinein und erlaubte sich erstmals, sich etwas zu entspannen. 

Sie wartete, bis sich ihre Atmung wieder beruhigte und die Schmerzen in ihrem Körper etwas nachließen. Dann tastete sie vorsichtig nach dem Pfeil in ihrem Rücken. Ein Stück des Schaftes war durch den Sturz abgebrochen und die scharfen Enden des Holzes schnitten in ihre Handfläche. Fluchend zuckte sie zusammen und betrachtete ihre Handfläche. Zwei lange Kratzer leuchteten hellrot auf und Blut floss ihr das Handgelenk hinab. Mehr mit den Zähnen als mit der Hand riss sie den rechten Ärmel ihres Wamses ab. Zum Glück war sie nie eine sonderlich begabte Näherin gewesen. Ein Streifen des Stoffes band sie sich notdürftig um ihre verwundete Linke, den Rest stopfte sie sich als Knebel in den Mund. Erneut tastete sie nach dem Schaft des Pfeiles und als sich ihre Hand darum schloss, zuckte eine weitere Welle des Schmerzes durch ihren Körper. Stöhnend zwang sie sich, das Holz festzuhalten. Als der Schmerz abflaute, begann sie zu ziehen. Ihre gedämpften Schreie wurden von dem Felsen zurückgeworfen, als sie den Pfeil aus der Wunde zog. Mit einem grässlichen, reißenden Geräusch verließ die Spitze ihr Fleisch und sofort floss ihr das Blut warm den Rücken hinab. Schmerzen, wie Feuer strahlten von ihrer Schulter in den ganzen Körper. Ihre Sicht verengte sich und wurde schummrig. Mit letzter Kraft gelang es ihr noch einen Verband um die Wunde zu legen. Dann sackte sie zusammen und die Finsternis gewann die Oberhand.


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