Gefährliche Tagträume

"Ist es nicht wunderschön?", schreie ich über meine Schulter um den starken Wind zu übertönen. Andres Antwort ist nicht mehr als ein Murmeln, obwohl er ebenso schreit. Ich drehe mich um und stemme meine Füsse in den Boden, um nicht vornüber zu fallen. "Was?" Andre versucht gar nicht erst, mir zu antworten. Genervt deutet er auf unser Auto am Fusse des Hügels, dann tippt er sich mit dem Finger an die Brust. Ich nicke und deute meinerseits auf den Boden zu meinen Füssen. Schulter zuckend macht sich mein Kamerad auf den Weg. Glücklich drehe ich mich um und betrachte erneut die Landschaft vor mir.

Unser Fahrzeug steht am Fusse eines großen Hügels, beinahe ein Berg mit flachen Hängen. Einige hundert Meter vor mir, verschluckt dichter, weißer Nebel die Spitze des Berges. Undurchdringlich wie eine Wand verweigert er jegliche Blicke. Der starke Wind und die finsteren Wolken, die sich über den Himmel auf mich zu schleichen, deuten ein aufkommendes Gewitter an. Fest stelle ich meine Füsse in den grünen, moosigen Untergrund und genieße, wie der Wind an meinen Kleidern zerrt und durch meine Haare fährt. Es ist kalt und die ersten Regentropfen fallen bereits vom Himmel, nichts davon ist schön. Doch die ganze Szenerie besitzt eine wilde, unbändige Energie, der ich mich einfach nicht entziehen kann. Es sind die unkontrollierten Kräfte der Natur, die hier zusammentreffen und einen einzigartigen Moment erschaffen.

Aus einem Gefühl heraus schreie ich gegen den Wind an, mit all meiner Kraft. Es scheint mir etwa gleichbedeutend, wie wenn eine Ameise den Fuß anschreit, der sie zertritt. Doch es ist ein gutes, befreiendes Gefühl. Was ich allerdings nicht erwartete, war dass Jemand antwortet. Aus der dichten Nebelwand trägt der Wind plötzlich Rufe zu mir. Laute, wütende Schreie aus zahllosen Kehlen branden über mich hinweg, wie eine Welle aus Wut. Überrascht trete ich einen Schritt zurück. Die Luft wird dünn und nimmt mir den Atem. Verwirrt blicke ich zurück, wo Andre mit dem Auto warten sollte. Doch da ist nichts, kein Auto, keine Strasse, bloß unberührte Natur soweit das Auge reicht. Der Wind heult mir noch immer in den Ohren, dennoch vernehme ich das Donnern in meinem Rücken. Nein ich spüre es mehr, als dass ich es höre. Ein Rumoren lässt den Boden unter meinen Füssen erzittern, wie ein kleines Erdbeben. Kieselsteine springen auf und ab, als freuten sie sich auf das was kommt. 

Verängstigt drehe ich mich wieder zu der weißen Nebelwand um. Die schwarzen Wolken haben ihren Platz am Himmel eingenommen und ergießen sich über meinem Kopf. Ein Blitz erhellt für eine Sekunde den Himmel und ich glaube schemenhafte Gestalten in dem Nebel auszumachen. Es bleibt mir keine Zeit mich zu wundern, denn im nächsten Moment brechen die Reiter auch schon aus dem dichten Weiß hervor. Wild brüllend und ihre Waffen schwingend halten sie direkt auf mich zu. Wieder mache ich einen Schritt zurück, bereit wegzurennen, als mein Fuß gegen etwas stößt. Verwirrt starre ich auf das Schwert, dass zu meinen Füssen im Boden steckt. Blitze spiegeln sich in dem Metall und lassen die Klinge aufblitzen, als ob es nach mir rufen würde. Instinktiv schließe ich meine gepanzerte Faust um den Knauf. Gepanzerte Faust? Überrascht sehe ich an mir herab. Ein Kettenhemd schützt meinen Oberkörper, metallene Armschienen schützen meine Hände und meine Füsse stecken in robusten Stiefeln. An meinem Rechten Arm spüre ich das seltsam vertraute Gewicht eines Schildes. 

Ein erneuter Kriegsschrei lässt mich wieder zu den heranschnellenden Reitern blicken. Gleich sind sie in Reichweite. Mein Schwertarm schnellt in die Höhe und ich höre, wie sich hunderte Bogensehnen spannen. Über die Armee, die sich hinter mir versammelt hat, wundere ich mich nicht mehr. Angespannt warte ich und beobachte wie die Barbaren immer näher kommen. Vor Wut und Blutdurst schäumend, schreien sie mir Verwünschungen zu. Noch zehn Pferdelängen. Fünf Pferdelängen. Entschlossen lasse ich meinen Arm sinken und sende den befiederten Tod auf seinen Weg. Wind und Regen dämpfen die Wirkung doch etliche Pfeile fanden ihr Ziel. Zahlreiche Reiter der Frontlinie fallen von ihren Pferden und werden von ihren Kameraden rücksichtslos überrannt. Es verlangsamt sie kaum merklich. Es war eine Tat, die meinen Männern Mut machen sollte. 

"Schilde!", schreie ich über das Donnern der Natur und unserer Feinde hinweg. In der gesamten ersten Reihe werden die Schilde erhoben. Lange Nägel stehen aus dem Holz hervor, auch aus dem meinen. Die Männer rücken zusammen und bilden eine hölzerne Wand, an der bereits zahllose Armeen zerbrochen waren. Ich tue es meinen Männern gleich und ducke mich hinter meinen Schild. In meinem Rücken spüre ich, wie mich zwei Kameraden stützen. 
"Macht diese Wilden zunichte!"
Die Männer antworten mit einem ohrenbetäubenden "Uh! Uh! Uh!" Unterstütz von den hinteren Reihen, die mit ihren Waffen auf die Schilde trommeln, erzeugen wir einen Donner, der selbst das Gewitter übertönt. 

In der nächsten Sekunde erreichten uns die Barbaren. Mit lautem Getöse krachen ihre Pferde gegen unsere Schilde und unsere Nägel bohren sich tief in ihr Fleisch. Pferde überschlagen sich, Soldaten von beiden Seiten werden durch die Luft geschleudert, Blut spritzt und vermischt sich mit dem Regen. Die Sonne verdunkelt sich, als sich das Pferd vor mir überschlägt und über den Schildrand stürzt. Reflexartig springe ich zur Seite und sehe noch den überraschten Gesichtsausdruck seines Reiters, bevor er im Meer von Klingen verschwindet, das dahinter auf ihn wartet. Die nächsten Minuten oder mochten es auch Stunden sein verbringe ich wie ferngesteuert. Unermüdlich zerschneide ich Muskeln und Knochen, wehre Klingen ab, tue alles um die feindlichen Nummern zu verringern. Der Boden zu meinen Füssen saugt das Blut meiner Feinde dankbar auf und schreit nach mehr. Meine Füsse versinken in dunkelrotem Schlamm. 

Als nächstest steht ein Hüne vor mir, ein Riese. Mindestens zwei Kopf grösser und mit stählernen Muskeln schwingt er einen großen zweihändigen Kriegshammer. Scheinbar hat er sein Pferd zurückgelassen, um die gesamte Reichweite seiner Waffe nutzen zu können. Vielleicht ist es auch unter seinem Gewicht zusammengebrochen. Als er mich erblickt holt er wütend mit seiner mörderischen Waffe aus, um mich darunter zu zermalmen. Ich mache mich bereit vorzuspringen, um ihm den Vorteil der Reichweite zu nehmen und den Kampf schnell zu beenden.
Doch ich komme nie dazu.

Plötzlich packt mich eine Hand an der Schulter und reißt mich herum. Andre steht vor mir, in seiner normalen, modernen Kleidung und schreit mir etwas über den stärker werdenden Sturm zu. Wieder spüre ich den Wind in meiner durchnässten Regenjacke. Die Schlacht ist verschwunden, der Boden wieder sein übliches Dunkelgrün und auch unser Auto ist zurückgekehrt. Wieder schreit mir Andre etwas zu. 
"Wir müssen hier verschwinden oder es bläst uns noch davon!"
Nach einer letzten Sekunde bin ich wieder vollständig in die Realität zurückgekehrt.

Rasch folge ich ihm den Hang hinunter.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top