I
„Mrs. Everett?", Bianca drehte sich ein letztes Mal um, sodass ihre Absatzschuhe leicht quietschten und ihr blonder Dutt so stark wackelte, dass ich befürchtete, er würde einstürzen.
Ich zwang mich dennoch dazu, lieber nicht zu lachen, obwohl die Assistentin des Galerieleiters in den Jahren, in denen ich sie nun schon kannte, doch noch nie nur ein Anzeichen von noch so kleinen Fehlern gezeigt hatte. Eigentlich hätte ich ja darüber gelacht- wenigstens ein Lächeln gezeigt, wegen dieser simplen Geste, die bewies, dass Bianca menschlich war- in meiner Situation allerdings hätte ich gerade lieber geweint.
Abgewiesen. Mein Herzstück. Von diesem Mistkerl Scott.
Jedoch schüttelte ich die Gedanken schnell weg und zwang mich zu einem neutralen Lächeln zusammen.
„Ja?", hakte ich nach, während Bianca sich hektisch einige Haarsträhnen zurechtrückte. Vorhersehbar, ihr unendlicher Perfektionismus. Grinsend wartete ich auf eine Antwort.
Sie seufzte letztendlich, hatte wohl Probleme, Worte zu finden. „Es tut mir wirklich leid, das mit Mr. Scott. Aber ich kann auch nichts machen. Ich bin nur seine Sekretärin."
Schulterzuckend sah sie mir bemitleidend in die Augen. Obwohl ihr Mitgefühl die Situation nicht wirklich verbesserte- nein, jetzt fühlte ich mich insgeheim noch schlechter, lächelte ich höflich. Menschen, die einen, ohne es zu wissen, schlecht fühlen ließen, sollte man, egal, wie sehr es innerlich schmerzte, lieber denken lassen, alles wäre okay.
Wenn sie schon unbewusst Schmerz zufügten, würden sie erst recht nicht verstehen, wieso.
Ich legte den Kopf schief. „Hören Sie, macht doch nichts. Alles ist gut."
Um die Aussage zu unterstreichen, nickte ich penetrant, was dann irgendwann zu gefaket rüberkam, weshalb ich auch stoppte, als mein Kopf sich innerlich überschlug. Danach setzte ich mein Bestes alles-ist-gut-Lächeln auf, das Bianca dann doch überzeugen schien.
„Bis irgendwann, Mrs. Everett!", sie erwiderte mein Lachen mit einem geübten, professionellen Pokerface und drehte sich dann schließlich am Absatz herum, wobei ihre stylisch schwarzen High Heels kurz zum Abschied nochmal quietschten, was die Illusion von Biancas Perfektionismus ruinierte.
Schließlich, als die Sekretärin um die Ecke gebogen war, seufzte ich ein letztes Mal und drehte mich auch um- allerdings ohne Quietschen.
Langsam schlenderte ich den Gang entlang. Eigentlich hätte man von einer Kunstgalerie bessere Deko erwarten können, doch der Flur, in dem sich auch, ganz hinten links, das Büro von Mr. Scott, dem fürchterlichen Besitzer von „The Scott and Irwings Art Galery" befand, war einfach grau. Nicht dieses befriedigend kalte Grau, wie man es von stylischen Einrichtungsstücken eines gewissen schwedischen Möbelhauses kannte.
Diese Farbe hier verursachte allein beim bloßen Hinsehen eine eher ungewollte Ratten-Assoziation in meinem Kopf. Manch einer würde den Unterschied nicht bemerken, doch als Künstlerin sprach meine Farbwahrnehmung Bände, nein, ganze Spin-Offs.
Wenn wir schon bei Ratten waren: Mr. Scott? Der war die größte Ratte von allen.
Schnaubend bog ich um eine Ecke und erblickte schon den Ausgang aus diesem grauen Fiebertraum. Dem Besitzer ging es nicht darum, Kunst von auch kleineren Künstlern wie mir wertzuschätzen, nein, es ging ihm schließlich um Gewinn.
Denn ganz ehrlich, der Mann erkannte ein Kunstwerk nicht, wenn es neongelb war, vor seinem eingebildeten Gesicht stand und Pfeile darauf hinwiesen- kurzum, er war die inkompetenteste Person, die man sich für die Leitung einer Arbeit, die sich mit Künstlern und ihren Werken beschäftigte, vorstellen konnte, aber wie so oft wurden die Leute, die Kompetenz hatten, gar nicht erst für solche Berufe in Erwägung gezogen, da wir in einer Gesellschaft lebten, in der Wissen meist nach dem Geldbeutel folgte.
Eigentlich traurig, da ich mindestens fünf Personen nennen konnte, die die Arbeit besser gemacht hätten.
Innerlich verfluchte ich ihn mit den schlimmsten Schimpfwörtern, die mir einfielen, während ich den Block von Gebäude hinter mir ließ. Fehlte nur noch wütendes Stampfen, auf das ich gerade wirklich Lust gehabt hätte. Ich wusste, dass ich mich wie ein kleines Kind benahm, jedoch war mir das gerade sowas von egal. Im Herzen war ich eh immer jung geblieben.
Außerdem war es auf eine merkwürdige Art befriedigend, die Ratte, wie ich Mr. Scott heimlich nannte, zu beschimpfen. Ich lief die Straße entlang, innerlich immer noch am Beschimpfen der Ratte, bis ich bei meinem Auto angekommen war, welches ich eine Stunde zuvor am Parkplatz in der Nähe der Galerie geparkt hatte. Beruhigt sah ich herunter, von hier oben, auf der leichten Anhöhe, auf der sich der Parkplatz auch befand, schienen meine Probleme ganz klein. Rattenklein.
Irgendwann, als mir die Rattenvergleiche ausgingen, oder mein Magen mich daran erinnerte, dass ich mein Frühstück ausfallen lassen musste, nur um jetzt, gegen Mittag, hungrig und wütend Mr. Scott beschimpfen zu können, ließ ich die Sache einfach sein.
Ich war erwachsen, ich hatte keine Probleme.
Blöd, dass ich meinem Mantra nicht mal selbst glaubte.
Seufzend stieg ich ins Auto, stellte meinen Rückspiegel so ein, dass sich meine noch verbliebende Motivation beim Anblick meiner Augenringe, einem Produkt der tagelangen Arbeit an meiner Statue, verzog.
Müde lächelte ich, was nicht viel brachte- ich sah immer noch mental kaputt aus.
Klar, ich war es auch, aber genauso wie Bianca in ihrer perfekten-Angestellten-Illusion lebte, durfte ich doch auch meine es-geht-mir-bestens-Illusion aufrecht erhalten- viel war ja nicht verlangt. Generell existierte jeder Mensch in seiner eigenen Lüge, einem Netz aus Nervosität und einfacher Angst, getarnt unter einer großen Schicht der eigenen Persönlichkeit.
Während ich den Motor startete dachte ich darüber nach, dass das alles nichts gebracht hatte. Augenringe... wofür? Für mein abgelehntes Werk. Die Mühe... wofür? Dafür, vor der Ratte bloßgestellt zu werden? Meine Illusion... wofür? Dafür, dass mich meine Vergangenheit abermals einholte?
Ich konnte langsam nicht mehr. Aber ich musste. Für ihn.
Deshalb vertrieb ich die Gedanken aus meinem Kopf, weil die eh zu nichts führten- außer zu schlimmeren Gedanken.
Zudem zahlten die keine Miete, weshalb ich sie doppelt so wenig in meinem Kopf mochte.
Doch sie würden zurückkommen. Niemand konnte verleugnen, wer er war.
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