I

Sie ging schneller. Was, zum Teufel, war das?! Oder besser gesagt, wer?! Wer verfolgte sie nun schon seit - ja, seit wann eigentlich? Zuerst hatte sie es ja noch nicht einmal bemerkt. Sie hatte einfach nur die frische Luft einatmen wollen, war die wenigen Meter vom geliehenen Wohnmobil in den Wald gegangen und wollte den letzten freien Tag genießen, bevor ihr Freund hier aufkreuzen würde. Was aber nicht hieß, dass sie ihn nicht mochte, ganz im Gegenteil! Sie war mehr als verliebt in ihn, dennoch genoss sie auch diese Einsamkeit, einfach mal alleine einen Spaziergang durch den Wald zu machen, um den Kopf frei zu kriegen und das Jetzt zu genießen. Obwohl, mit Einsamkeit war es jetzt ja wohl vorbei. Nach und nach hatte sich in die von der Sommerhitze beinahe ausgetrockene Waldluft ein fremder Geruch gemischt. Ganz vorsichtig, als wolle er niemanden erschrecken. Doch irgendwann hatte er auch seinen Weg in ihre Nase gefunden, er war ihr merkwürdig bekannt, aber dennoch fremd vorgekommen. Doch auch diese seltsame Vertrautheit nahm ihr nicht die Angst, dass hinter ihrem Rücken vielleicht etwas Gefährliches lauern könnte. Warum nur genau an diesem idyllischen Fleckchen Erde?

Sie wagte es nicht, sich umzudrehen. Wahrscheinlich war diese Person gar nicht so gefährlich, wie es den Anschein hatte, trotzdem lief ihr bei jedem der schweren Schritte, die dumpf in den weichen Waldboden einsanken, ein Schauer den Rücken hinunter. Wieder fragte sie sich: Wer konnte das sein? Sie ging weiter, eine lange Zeit, ohne nachzudenken. Einfach weitergehen, nur nicht stehenbleiben. Weitergehen, weitergehen, weitergehen, nicht nachdenken, weitergehen. Doch irgendwann musste sie sich eingestehen, dass sie sich verlaufen hatte. Sie kannte die Gegend doch nicht so gut wie gedacht und wollte hier ja eigentlich nur Urlaub machen. Das Einzige, was sie erinnern konnte, war, dass hier irgendwo ein See sein musste. Irgendein Baggersee oder etwas in der Art. So genau wusste sie es nicht. Aber das half ihr im Moment wohl auch nicht weiter. Wenn sie sich doch wenigstens die Lage von ein paar Straßen eingeprägt hätte! Sie schalt sich selbst für ihre Oberflächlichkeit.

Unter ihren Füßen knackten ein paar trockene Zweige. Bei jedem Schritt raschelte vertrocknetes Laub oder angetrocknetes Moos auf dem Waldboden. Ab und zu zwitscherte hier und da ein Vogel, doch bei der Hitze ließen es die meisten lieber bleiben. Die heiße Spätjulisonne schien von oben durch die Baumwipfel herab und ließ den Wald in einem warmen goldgelben Licht mit einem Hauch von grün erstrahlen. Es war beinahe zu wunderschön, um wahr zu sein. Normalerweise wäre sie jetzt stehengeblieben und hätte diesen Anblick geradezu in sich aufgesaugt, um ihn in ihrem inneren Fotoalbum für immer aufzubewahren. Doch jetzt... Wenn sie doch nur einen Blick auf ihren Verfolger erhaschen könnte! Sie überlegte, wie sie dies unauffällig tun könnte. Dann wüsste sie vielleicht, ob es sich hier nur um einen bösen Scherz handelte. Aber andererseits könnte damit alles nur noch schlimmer werden.

Während sie noch über die Folgen eines kurzen Blickes zurück nachdachte, spürte sie etwas an ihrem Rücken, an der Wirbelsäule, knapp unter den Schulterblättern. Etwas Kleines, von dem sie nicht genau wusste, was es war. Irritiert versuchte sie, ohne sich umzudrehen, den Gegenstand mit bloßen Händen zu ertasten, doch eine raue Stimme kam ihr zuvor: "Mach einfach das, was ich dir sage." Vor Schreck zuckte sie zusammen und zog rasch ihre Hände zurück. Diese Stimme klang unheimlich und war ihr definitiv unbekannt. Doch das beunruhigte sie nur noch mehr. Wer hatte es auf sie abgesehen, und warum? Was hatte sie denn getan? Sie war doch ganz und gar unbekannt und hatte auch noch nie irgendetwas besonders Schlimmes... Sie überlegte, für was sie das hier verdient haben könnte, wofür sie - ja, wofür sie vielleicht den Tod verdient hätte. Doch sie kam zu keinem Ergebnis. Allerdings konnte sie langsam erahnen, was der Gegenstand war, der sich in ihren Rücken bohrte.

Der unbekannte Verfolger schien sie dadurch zu steuern, und sie hatte panische Angst, etwas falsch zu machen, ja, auch nur einen Schritt in die verkehrte Richtung zu setzen. Wohin würde er sie bringen? Was würde er dann mit ihr machen? Schweißperlen standen ihr auf der Stirn, rannen ihre Wangen hinunter und tröpfelten auf den von der Sommerhitze ausgetrockneten Waldboden. Mithilfe des Gegenstandes, der sich an ihren Rücken schmiegte, wurde ihr verdeutlicht, dass sie jetzt rechts abbiegen sollte. Sie gehorchte, schob ein paar Zweige zur Seite, die ihr zuvor die Sicht versperrt hatten, und stapfte vorsichtig zwischen ein paar Büschen und noch nicht so hoch emporgeschossenen Bäumchen hindurch. Kurz darauf betraten sie eine Lichtung inmitten des Waldes. Für einen kurzen Augenblick ließ der Druck, mit dem der Gegenstand an ihren Rücken gepresst wurde, nach. Erleichtert atmete sie kurz auf, doch sie hatte sich zu früh gefreut: Grob legte sich eine warme, verschwitzte Hand auf ihren Mund, sie zuckte zusammen. Ihre Augen weiteten sich, vor Angst war sie wie gelähmt. Was passierte jetzt?

In diesem Moment spürte sie ein Stechen im linken Bein. Was war das? Verzweifelt versuchte sie, einen Blick darauf zu werfen, doch sie wurde festgehalten, sodass sie sich nicht bewegen konnte. Auf einmal begann ihr Kopf, zu pochen. Ihr wurde heiß, viel zu heiß für dieses Wetter. Vor ihren Augen verschwamm der Wald zu einer gelb-grün-braunen Masse, die ihr unkontrollierbar und irgendwie bedrohlich vorkam. Dann spürte sie ihre Arme nicht mehr, ihre Beine sackten ihr weg. Der Boden raste immer schneller auf sie zu. Sie spürte, wie ein Schmerz in ihre Arme fuhr, anscheinend war sie hingefallen, doch sie nahm das alles nicht mehr so wirklich wahr. Schließlich wurde ihr schwarz vor Augen und sie verlor das Bewusstsein.

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