I
06.03.2230
Das Leben ist ungerecht - nur gut, dass ich nicht wirklich lebe.
Etwa eine halbe Stunde bevor ich meine Augen das erste Mal öffne, strömt eine gewaltige Menge an Informationen in meinen Kopf. Bilder blitzen für den Bruchteil einer Sekunde auf und Verschwinden dann wieder nur um gegen ein anderes Bild eingetauscht zu werden.
Eine schier endlose Wüste, die sich bis zum Horizont erstreckt. Das ist Sear, ein Planet, der nur daraus besteht.
Das Gesicht eines armen, mageren Mannes. Die Augen matt und traurig, die Ringe darunter riesig als hätte er ewig nicht geschlafen. Er streckt seine dunklen, zitternden Hände aus. Und murmelt leise etwas davon Geld haben zu wollen. Seine Kleidung ist eher ein Fetzen Stoff, der nur wenige Teile seines Körpers bedeckt. Man kann jede einzelne Rippe seines abgemagerten Körpers zählen.
Ein reich gedeckter Tisch in einem edlen Wohnzimmer. Das Essen würde dutzende arme Menschen ernähren können. Doch es ist nur eine sechsköpfige Familie darum versammelt. Alle mollig und wohlgenährt.
Immer mehr Bilder strömen in meinen Kopf ein. Reich und arm. Hungernd und wohlgenährt.
Tausende Bilder, tausende Eindrücke. Am liebsten würde ich alle von ihnen aufhalten und genauer betrachten, doch ich habe kaum eine Chance alles schnell genug aktiv zu verarbeiten.
Ein metallener Arm, der sich in eine Waffe verwandelt.
Ein Bein, aus dem zehn kleine Scheiben fliegen und anfangen zu schießen.
Eine Pistole. Ein Gewehr. Schüsse. Soldaten. Roboter. Sieg. Glücklich. Lachend. Lebend, die anderen tot.
Tausende bewegende Bilder, tausende Eindrücke. Und am liebsten würde ich auch alle von ihnen einfangen. Es dauert lange Zeit bis die Flut der Bilder endlich aufhört.
Nur eine schwarzes Bild mit geschwungener, roter Schrift bleibt mehrere Sekunden lang hängen.
Guten Morgen, A4. Öffne bitte deine Augen.
Instinktiv weiß ich wie die Bitte zu erfüllen ist. Ich öffne meine Augen mit einem leisen Surren. Es ist dunkel und die Kameralinsen in meinen Augen müssen sich mehrfach umstellen, damit ich irgendetwas erkennen kann.
„Ich denke sie ist wach", ertönt eine gedämpfte Stimme aus Richtung der roten Tür, doch der Raum ist leer. Ich setze mich auf, wage es aber nicht die metallene Pritsche zu verlassen auf der ich sitze. Dann öffnet sich die Tür und grelles Licht durchflutet den zuvor finsteren Raum. Die Kameralinsen stellen innerhalb weniger Sekunden um, sodass das Licht weniger grell blendet.
„Guten Morgen A4", sagt die Frau, eine dünne dunkelhäutige Person mit langen krausig schwarzen Haaren, fröhlich.
Obwohl ich sie nie zuvor gesehen habe erkenne ich sie sofort: Mayla Rebons, Wissenschaftlerin und Entwicklerin aus dem Norden Sears. Neben ihr erscheinen zwei Männer, die ich ebenfalls sofort erkenne. John Brokan, ein schlaksiger Mann mittleren Alters, und Robin Hasan, ein kräftiger Mann der seinen Job als Sicherheitschef alleine durch seinen riesigen Körperbau ausstrahlt.
Ich richte meinen Blick direkt auf Mayla, die bisher als einzige zu mir gesprochen hat.
„Es freut mich dich kennenzulernen", ihr Blick strahlt Aufregung pur aus, doch ihre Stimme klingt distanziert. Als würde sie verhindern wollen zu aufgeregt zu klingen.
„Die Freude ist ganz meinerseits", erwidere ich zögernd und erschrecke selber über meine Stimme. Weiblich aber mit einer gewissen Härte. Die Stimme klingt fast schon...menschlich.
„Weißt du wer ich bin?", fragt sie forschend nach, während sie näher an mich herantritt, bis sie nur noch einen Meter von der Pritsche entfernt steht.
„Mayla Rebons. Wissenschaftlerin und Entwicklerin, zuständig für Weiterentwicklung und Kontrolle meiner... Einheit", antworte ich zögernd und sehe sie an, „Was ist meine Einheit?"
„Ein technisches Wunderwerk", antwortet Hasan, „Jede SFW-1 Einheit ist ein Wunder. SFW bedeutet Soldat freier Welt, aber ihr seid alle viel mehr als einfache Soldaten, ihr seid die ersten selbstdenkenden und fühlenden Roboter, die je erschaffen wurden. Du bist die vierte deiner Art - der vierte selbstdenkende und emotionsfähige Roboter", erklärt er weiter. Seine Stimme ruhig und distanziert ohne jegliche Emotionen erkennen zu können.
„Wir werden dich bald zu ihnen bringen. Aber zuerst", Mayla deutete auf eine Wand links von ihnen, die voller Zielscheiben war, „wirst du uns zeigen, dass du funktionierst."
Ohne ihre Worte infrage zu stellen oder näher nachzufragen was genau ich zu tun habe stelle ich mich auf. Mayla geht ein paar Schritte zurück, als ich an ihr und den beiden Männern vorbeilaufe.
Ich denke nicht einmal groß darüber nach, als ich mit meinem Mund einen leisen Befehl forme, der in meinem Kopf schwirrt: „Waffen"
In Sekundenschnelle verwandelt sich mein rechter Unterarm in ein langes Gewehr, meine Finger verlängern die Waffe und ich ziele auf eine Zielscheibe. Jeder Schuss trifft eine andere Scheibe. Als sich der Raum um mich herum plötzlich verwandelt. Ich bin nicht länger in dem hellerleuchteten Trainings- und Aufwachraum stattdessen bin ich mitten in der Wüste. In irgendeiner großen Stadt. Die riesigen weißen und farbenfrohen Villen wirken beinahe schon heimlich. Doch das tiefrote Blut an ihren Außenfassaden...
Mein Blick schweift durch die breiten, gut ausgebauten Straßen, die die Villen miteinander verbinden und voneinander trennen. Alles ist voller Leichen. Männer, Frauen und Kinder in edlen Gewändern liegen blutüberströmt auf dem Boden, manche zücken noch und krummen sich vor Schmerzen, doch die meisten sind tot. Ihre reichen Kleider verschmutzt und zerstört durch ihr dunkles Blut und den Staub der Wüste.
Ich war das...meine Schüsse haben diese Menschen getötet. Gerade als ich auf ein blutüberströmtes Adelsmädchen zu gehe höre ich die markerschütternden Schreie einer Frau.
Mayla.
Ich lasse sofort von dem kleinen Mädchen ab. Es würde bald tot sein und es war alleine meine schuld. Meine Beine tragen mich wie von selbst in Richtung der Schreie.
„Drohnen!", sofort schießen zwei dutzend Drohnen aus meinen Waden. Sie sehen aus wie kleine flache Scheiben. Jede einzelne Drohne ist gleichmäßig rund und maximal eine Hand breit. „Mayla schützen", sechs blaue Drohnen machen sich sofort auf den Weg. Die anderen sechs Drohnen, alle mit einem rot leuchtenden Rand, umrunden mich während ich weiter auf Mayla zurenne. Mein einer Arm noch immer als Waffe geformt. Als sich von hinten beschossen werde, schießen sofort zwei rote Drohnen auf den Angreifer, der unmittelbar zu Boden geht.
Die Illusion verschwindet so schnell wie sie gekommen war. Alle Drohnen gehen zurück in meine Beine und mein Waffenarm verwandelt sich zurück zu einer menschenähnlichen Gliedmaße.
Mayla und die beiden Männer stehen wieder vor mir.
„Gut gemacht", die Frau grinst von einem Ohr bis zum anderen, „Du bist jetzt bereit die anderen zu treffen."
Die anderen Waffen eines Krieges, der noch nicht begonnen hat aber Millionen Opfer fordern würde. Männer, Frauen und Kinder. Reiche und Arme. Die Todeszahlen würden gewaltig sein und die Zerstörung würde ewig zu sehen sein.
Aber alles für eine freie Welt - alles für diejenigen, die mich erschaffen haben. Dennoch setze ich ein fröhliches Gesicht auf.
„Das freut mich sehr", sage ich glücklich, kann aber nicht anders als darüber nachzudenken, wie ich meine offensichtlichen Pflichten umgehen könnte.
Denn ich habe diesen Krieg nicht gewollt und die Motive der freien Welt waren zwar gut, aber alleine die ganzen Toten der Simulation hatten etwas in mir ausgelöst.
Ich würde zu einem Mörder werden und für die freie Welt kämpfen müssen - ob ich will oder nicht. Das ist meine Bestimmung, das ist der Grund warum ich existiere.
Ich lebe um zu töten.
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