III
III) In Gedanken, in Gefahr
»...unwise love is the truest love. Anyone can love a thing because that's as easy as putting a penny in your pocket. But to love something despite. To know the flaws and love them too. That is rare and pure and perfect.«
― Patrick Rothfuss
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Dieses Mal fand Dorchadas kein Vergnügen beim Durchstreifen der langen, verzweigten Höhlen. Wehmut und Sorge machten ihm das Herz schwer. Er würde scheitern. Wie sollte es ihm jemals gelingen, die Geheimnisse der Lichtelfen ans Tageslicht zu zerren? Er würde schon verdammt viel Glück brauchen. Aber vielleicht wollte ihn sein Vater auch testen? Je länger er darüber nachdachte, desto wahrscheinlicher erschien ihm dieser Gedanke. König Tenebris hatte nichts zu verlieren. Die Lichtelfen wussten von den Spionen, die der König regelmäßig in ihr Reich entsandte. Dorchadas wäre nicht der erste von ihnen, den sie fangen und hinrichten würden. Und dass die Dunkelelfen nach der Prophezeiung suchten, war ebenfalls kein Geheimnis. Wollte ihn sein Vater vielleicht sogar loswerden? Hatte ihn einer der Späher womöglich mit Cahaya gesehen? Sein Herz krampfte sich zusammen. Aber er war so vorsichtig gewesen!
Mit aller Gewalt verscheuchte Dorchadas diese Gedanken aus seinem Kopf. Dort vorne führte der Gang steil nach unten, an dessen Ende er vor Wochen auf die kleine unterirdische Grotte gestoßen war. Er ließ den Stollen, der in die Tiefe führte, links liegen und lenkte seine Schritte weiter in Richtung des Lichterwaldes. Hoffentlich war Cahaya in Sicherheit. Er fürchtete, dass sie zurückkommen und dort unten auf ihn warten würde. So wie sie es jeden Tag in den letzten Wochen getan hatte. Aber sein Abschied war endgültig gewesen. Und es war besser so. Für sie beide. Er konnte nicht zurückkommen. Cahaya würde dies verstehen. Sie musste einfach. Er seufzte und verbot sich auch diese Gedanken.
Bald schon überquerte er die Grenze des Reiches. Die letzten Wachposten lagen weit hinter ihm. Hier war Niemandsland und vor ihm erstreckte sich das Gebiet der Lichtelfen. Dort würde er sich weiter an die Oberfläche vorarbeiten müssen, wenn er eine Chance haben wollte, etwas herauszufinden.
Bald begleiteten das Rauschen und Tosen eines unterirdischen Flusses seine lautlosen Schritte. Erleichtert atmete Dorchadas aus. Er war auf dem richtigen Weg.
Vor der nächsten Biegung hielt der junge Dunkelelf an und spähte um die Ecke. Das Wasser ergoss sich mehrere Meter in einem Wasserfall und mündete sprudelnd in einen wilden Bach, der sich seinen Weg durch den Felsen gegraben hatte. Der Lärm war beinahe ohrenbetäubend. Er hatte den goldenen Fluss oder einen seiner Ausläufer gefunden, der ihn zum goldenen See und damit zur Hauptstadt der Lichtelfen führen würde. Und er war alleine. Vermutlich war er noch zu weit entfernt, um auf Feinde zu stoßen, aber er konnte nicht vorsichtig genug sein.
Dorchadas ließ seinen Blick über das tosende und wogende Wasser gleiten. Er fühlte sich seltsam beobachtet. Er musste sich geradezu zwingen, einen Schritt aus seiner Deckung heraus zu machen. Angespannt hielt er inne, aber nichts geschah. Seine Nerven spielten ihm einen Streich. Seine Brüder und sein Vater hatten recht, er war unwürdig und schwach für einen Prinzen der Dunkelelfen. Trotzdem gab es kein Zurück. Er musste seinen Auftrag erfüllen, sich beweisen oder scheitern. Aber noch nicht hier und jetzt. Dorchadas zog seinen Dolch hervor und hielt den Griff fest umklammert, während er einen Weg durch das unterirdische Labyrinth suchte, immer in Hörweite des Flusses.
Das beklemmende Gefühl, nicht alleine zu sein, beschlich ihn immer stärker, je weiter er sich ins Reich der Lichtelfen vorwagte. Er bewegte sich lautlos. Aber auch so hätte das Plätschern und Rauschen des Wassers jedes andere Geräusch übertönt. Selbst wenn er lauschte, konnte er nichts Verdächtiges ausmachen. Was ihm Schutz bot, vermochte auch seine Feinde zu verbergen. Jeden Augenblick erwartete er ein Messer in seinem Rücken. Er kam nur noch langsam voran, weil er sich alle paar Sekunden umdrehte, die Winkel und Ecken absuchte, anhielt, spähte und horchte. Aber kein Pfeil bohrte sich in sein Herz und keine Klinge in seine Haut.
Bald war er darüber fast schon enttäuscht, spielte seine Angst herunter und zwang sich zu schnelleren Schritten. Er musste den See vor Einbruch der Nacht erreichen. Nur im Schutz der Dunkelheit konnte er in die Stadt schleichen und sich ein Versteck suchen. Er dachte an die höhnischen Worte seiner Brüder, wenn sie ihn sehen könnten, wie er angsterfüllt wie ein Kind umherirrte und sich vor Schatten und nicht vorhandenen Feinden fürchtete. Die Vorstellung trieb ihn weiter. Er war ein Dunkelelf. Er würde sich mutig jedem stellen, der es wagte, ihn aufzuhalten. So hatte ein Dunkelelf zu denken und nicht anders.
Das Tosen des Wassers schwoll erneut an. Dorchadas lauschte. Ein anderes Geräusch mischte sich dazu. Ein Rauschen und Prasseln. Er beschleunigte seine Schritte. Dort vorne konnte er den schwachen Schein von Tageslicht ausmachen. Er näherte sich der Oberfläche. Seine Augen waren für die Dunkelheit gemacht, aber noch war ihm das Licht nicht unangenehm. Es wurde allmählich heller, so dass er sich langsam daran gewöhnen konnte. Sein Zeitgefühl sagte ihm, dass es noch früh am Nachmittag war. Genug Zeit, um den See und die Stadt zu erreichen. Vor ihm öffnete sich die Felswand und gab den Blick auf eine weite Waldlandschaft frei. Der Fluss stürzte über die Kante senkrecht in die Tiefe und ergoss sich zu einem breiten Flussbett, das sich wie ein graublaues Band durch den grünen Laubwald zog.
Dorchadas legte die Hand über die Augen und blinzelte. Er stand auf einem Felsplateau. Unter ihm ging es mehrere hundert Meter hinab. Er seufzte bei dem Gedanken hinunterklettern zu müssen. Nicht weil er Höhenangst hatte, sondern weil er den Zeitverlust fürchtete. Viel lieber würde er sich einen Weg durch den Berg suchen, der ihn hinab führte, aber das konnte ihn Stunden und etliche Umwege kosten, für die er noch weniger Zeit hatte.
Entschlossen ließ er seinen Blick über den kargen Felsen wandern und suchte nach Vorsprüngen und Kanten, an denen er Halt finden konnte. Sobald er die beste Route gewählt hatte, machte er sich an den Abstieg.
Stück für Stück kletterte er hinunter, ohne sich eine Pause zu gönnen. Seine Finger bluteten bald, aber er ignorierte das stechende Gefühl. Kaum hatten seine Füße Halt gefunden, folgten seine Hände. Er verdrängte den Schmerz seiner müden Muskeln und tastete sich weiter. Auf halber Höhe gönnte er sich doch eine kurze Verschnaufpause. Wie verlockend es wäre, sich in Sekundenschnelle hinunterzustürzen, wie die Fluten des Wassers. Aber es war zu hoch. Er würde beim Aufprall zerschellen wie eine Muschel auf Stein.
Es half nichts. Er musste weiter. Ein letztes Mal wischte er die blutverschmierten, schmerzenden Finger an seiner Kleidung ab, lockerte seine tauben Beine. Nur noch ein kleines Stückchen und er hätte es geschafft, noch ehe die Sonne hinter den Bergen versank. Das Glück war auf seiner Seite und die Felswand lag im Schatten. Wenigstens die Helligkeit bereitete ihm keine Probleme.
Die zweite Hälfte war ungleich schwieriger als die erste. Er hatte keine Kraft mehr. Mehr als einmal vertraute er auf sein Glück und ließ sich fallen, ohne den Halt seiner Griffe und Tritte ausreichend geprüft zu haben. Er wurde nachlässig und die Erschöpfung tat ihr übriges. Es kam wie es kommen musste. Ein Felsstück löste sich unter seinem Fuß, polterte zu Boden und er rutschte ab, stieß unsanft mit Oberkörper und Knien gegen die Felswand, verlor das Gleichgewicht und fiel. Verzweifelt griffen seine Hände nach Halt, fanden aber keinen. Er schlug hart mit dem Rücken auf einem Felsvorsprung auf und blieb stöhnend liegen.
Eine ganze Weile verharrte er so mit geschlossenen Augen. Sein Herz klopfte und das Blut pumpte Wellen von Schmerz durch seinen Körper. Das war sein Ende. Er konnte sich nicht mehr bewegen. Hier würde er sterben. Er akzeptierte diesen Gedanken. Es war leicht. Warum hatte er sich solche Sorgen gemacht?
Er hörte ein Geräusch, zwang sich, die Augen zu öffnen. Über ihm am Himmel kreiste ein Vogel. Kein Aasfresser, aber die würden bald kommen und sich über seine Leiche hermachen. Es war ihm gleichgültig. Er war bereit zu sterben. Das helle Licht des Abendhimmels blendete seine Augen. Er drehte den Kopf und ignorierte die Wucht des Schwindels, die ihn traf.
Unter ihm hatte sich das Bachbett zu einem ruhigen, kleinen See gestaut. Er war weit zur Seite abgekommen. Das Rauschen des Wasserfalls war nur noch als Hintergrundmusik zu vernehmen. Andere Geräusche drängten sich in den Vordergrund. Wie einladend war die spiegelglatte Oberfläche des Wassers. Cahaya würde es darin gefallen. Vielleicht war es besser, dort unten zu sterben, wo er sich ihr nahe fühlen konnte, als hier oben.
Ohne groß darüber nachzudenken, wälzte er sich zur Kante und ließ sich fallen.
Die Welt rauschte an ihm vorüber und die Zeit zog vor seinem inneren Auge vorbei. Dorchadas Kindheit, die Raufereien mit seinen Brüdern, die tadelnden Worte seines Vaters, das verzweigte Labyrinth, die Grotte, Cahaya. Ihr Lachen, ihre Stimme, ihre Finger auf seiner Haut, ihr Stöhnen unter ihm, ihr Abschied, sein Auftrag. Er kam hart auf. Verlor die Orientierung. Sank hinab. Bekam keine Luft mehr. Schloss die Augen. Spürte Cahayas Hände auf seinem Körper. Fest wie Eisen. Zu fest. Sein Körper schlug erneut hart auf, aber er blieb liegen, hustete und erbrach einen Schwall Wasser. Etwas bohrte sich in seine Brust. Kaltes Metall. Ein langes Schwert. Es mündete in den Händen einer Lichtelfin. Eine weitere Waffe richtete sich auf ihn.
»Na, wen haben wir denn da?«
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