Die Nebelhexe

[ Ein Ausblick auf eine Szene schon gegen Ende ihrer Reise.

Manchmal beginne ich da zu schreiben, wo es mich am meisten packt.

Auch dieser Abschnitt ist im Rahmen einer Kurzgeschichten-Challenge entstanden. ]


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Der junge Dunkelelf fühlte sich müde.

Kein Wunder, der Aufstieg in die Höhle der Nebelhexe war anstrengend gewesen und lang. Aber er war anstrengende und lange Wanderungen durch weit unwegsameres Gelände als die Siebenwetterspitze gewohnt. Es sollte ihm also nichts ausmachen. Zumindest nicht so viel. Auch nicht, dass die Blutsbrüder, die Aufpasser im Dienste der Hexe, ihm die Ankunft beschwerlich gestaltet und ihn zuerst ausgiebig geprüft hatten, hätte ihm nicht so zusetzten sollen. Aber jetzt war er angekommen. Endlich. Zeit, Cahayas Auftrag auszuführen. Das war er seiner Geliebten schuldig und er hatte es ihr versprochen.

Die Nebelhexe beäugte ihn mit einem Stirnrunzeln, das sich auf ihrem von Wind, Wetter und einer nicht mehr zählbaren Summe von Jahren gezeichneten Gesicht, durchaus sichtbar abzeichnete.

"So, du bist also der angekündigte Besucher. Sehr außergewöhnlich, selbst für mich, einen Dunkelelfen so weit im Norden anzutreffen."

Dorchadas presste seine Hände in die Seiten, atmete ein paar Mal tief ein, ehe er zu einer Antwort ansetzte. "Die Umstände machen es erforderlich. Sicher habt ihr von der Prophezeiung gehört?"

Sie nickte und die Falte auf ihrer Stirn wurde noch tiefer.

"Wer hat das nicht? Aber ich will ehrlich sein. Die Prophezeiungen der Elfen interessieren mich nicht."

Dorchadas konnte nicht anders, als sich auf einen Hocker fallen zu lassen, der mehr einem abgesägten Baumstumpf als einem Möbelstück ähnelte. Seine Füße vermochten nicht länger, ihn zu tragen.

"Mich interessiert sie auch nicht mehr", gestand er. "Ich bin wegen Cahaya hier und wegen unserem Kind."

Bei der Erwähnung des Namens seiner Geliebten blitzten die Augen der Hexe auf. Aber Dorchadas war viel zu erschöpft, um das Funkeln in den seltsamen gelben Augen mit den schwarzen Schlitzen zu bemerken.

"Wie geht es der Tochter des Königs unter den Meeren? Wie verläuft die Schwangerschaft?" In ihrer Stimme lag ehrliches Interesse.

"Gut", entgegnete Dorchadas knapp. Erst jetzt fiel ihm auf, wie jung sie klang im Gegensatz zu ihrem Erscheinungsbild. "Es wird beschwerlich und sie bittet Euch, um einen Besuch. Sie ist verunsichert und erhofft sich Euren Rat."

Dorchadas gewahrte die Hand mit den knochigen Fingern und den langen gelblichen Nägeln, die sich auf ihre blassen Lippen legten. Eine Weile sagte sie nichts und er nutzte die Zeit, um sich zum ersten Mal so richtig in der Höhle umzusehen.

Ein Teppich säumte den Boden, alt und ausgetreten. Darauf stand das Tischchen, das nicht mehr als eine Holzplatte mit Fuß darstellte und die beiden Baumstammhocker, auf einem von denen er saß. Die Nebelhexe stand vor ihm, überragte ihn aber in seiner sitzenden Position kaum. An der rauen Steinwand standen Regale mit alten Folianten, Tiegeln und Töpfen aller Art. Auf der anderen Seite befand sich ihre Schlafstätte, wie er unschwer an all den Fellbündeln und Felldecken erraten konnte. An der Decke waren zahlreiche Büschel an einer Schnur aufgehängt. Kräuter in allen Zuständen der Trocknung. Noch frische grüne Zweige, neben strohigen und schwarzen Bündeln unter denen sich bereits abgefallenes Blatt- und Samenwerk auf dem Boden sammelte. Aber immerhin verströmte irgendetwas davon einen angenehm süßlich würzigen Geruch.

Anstatt wieder zu Kräften zu kommen, spürte der junge Dunkelelf wie er noch müder wurde.

"Meinen Rat haben schon viele erbeten. Gut, ich will ihr zu Diensten sein." Ihre honigsüße Jungmädchenstimme riss ihn aus seiner Lethargie.

Aber nur lange genug, um einen Gedanken zu fassen: Er musste sich zusammenreißen, das hier war wichtig! Cahaya und das Ungeborene brauchten seine Hilfe.

"Bitte! Keiner weiß, welche Komplikationen zu erwarten sind. Cahaya macht sich solche Sorgen. Immerhin ist es das erste Kind, das jemals aus der Verbindung eines Dunkelelfen mit einer Wassernixe geboren werden wird. Und dann lastet solch ein Schicksal auf seinen Schultern." Seine Zunge hing bleischwer in seinem Mund.

"Wo ist sie?" Die Nebelhexe hatte kaum abgewartet, bis er zu Ende gesprochen hatte, ehe sie anfing, in ihren Töpfen zu kramen. Nach und nach wanderte etwas aus diesen und etwas aus jenem in einen Jutebeutel, den sie an einer langen Schnur um ihr Gewand trug. Schließlich stieg sie auf den anderen Hocker, um eines der aufgehängten Kräuterbündel zu erreichen und zupfte einige Blättchen davon ab, die ebenfalls in eines der Säckchen an ihrem Gürtel wanderten.

Anschließend fiel ihr Blick erneut auf ihren Besucher. "Der Vater ein Dunkelelf. Die Mutter eine Wassernixe. Beide von königlichem Blut. Oh, in der Tat, das dürfte wirklich interessant werden. Nun sagt, wo habt ihr sie zurückgelassen?"

Dorchadas unterdrückte ein Gähnen. "Kennt ihr die kleine Bucht unterhalb des Eichenwäldchens? Dort hält sie sich versteckt." Die letzten Worte lallte er, aber sie hatte ihn dennoch verstanden.

"Die kenne ich gut. Hier trinkt das." Ihre knorrigen Finger entkorkten mit sicherem Griff den Verschluss einer Phiole. "Das wird euch stärken und zu Kräften kommen lassen. Die werdet ihr brauchen, für alles, was vor euch liegt." Er nahm den Trank entgegen. Eine nachtschwarze Flüssigkeit befand sich darin und verströmte einen angenehmen Duft. Verlockend wie der Gesang einer Sirene. Verheißungsvoll wie ein wundersamer Traum. Schön wie die Nacht selbst und die Dunkelheit, die er so liebte.

Dorchadas trank wie ihm geheißen und ein Lächeln trat auf die Lippen der alten Kräuterhexe.

"Dann will ich mal nach deinen beiden Schätzen sehen, während du dich hier erst einmal ausruhen wirst." Sie löste das leere Fläschchen aus seinen Händen und schob ihm eines ihrer Felle unter das Gesicht, das auf die Tischplatte gesunken war. Er hörte sie schon nicht mehr oder bemerkte, wie sie ihm fast zärtlich durch die dunklen Locken strich, ehe sie ihre Höhle verließ.

"Mein Schlummertrunk lässt dich einige Stunden schlafen. Bis dahin bin ich längst wieder zurück."

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