Aus Cahayas Sicht
[ Schreibimpuls im Rahmen einer Kurzgeschichtenchallenge hier auf WP für diesen Textausschnitt war das Lied "weird fishes" von Radiohead - aber sollte ich den Anfang je zu einem längeren Text ausgestalten, würde ich ihn teilweise auch aus Cahayas Sicht erzählen.
Die Kapitel ab hier, sind zusätzliche Ausarbeitungen und nicht mehr Bestandteil des Ideenzaubers. ]
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„Verschwinde!", hatte er gesagt und mich dabei nicht einmal angeschaut. Er hatte sich von mir abgewandt. Sein Gesicht lag im Dunkeln. Ich suchte nach seinen Augen, konnte sie aber nicht finden.
„Hau schon ab!" Jedes Wort schnitt wie ein Peitschenhieb in mein Herz. Ich gab mir einen Ruck und tauchte in das Wasser hinein. Wenn ich länger geblieben wäre, ich hätte die Tränen nicht mehr zurückhalten können.
Jetzt ließ ich ihnen freien Lauf, während ich davonschwamm. Ich achtete nicht darauf, wohin ich mich begab. Ich wollte einfach nur fort. Weg von Dorchadas, dem jungen Dunkelelfen, in den ich mich verliebt hatte. Unsterblich verliebt. Dem ich alles gegeben hatte, was ich besaß. Mein Herz. Meinen Körper. Heute hatte ich es ihm sagen wollen, aber er hatte mich weggeschickt. In meinem Inneren tobte ein Kampf der Gefühle. Mein Herz blutete und mein Verstand stürmte dagegen an. Schmerz. Leid. Zorn.
Mit wütenden Bewegungen peitschte meine Schwanzflosse durch die Wellen des Meeres, es war mir einerlei, wohin sie mich trieben. Ich achtete weder auf die bunten Fischschwärme, die erschrocken auseinanderstoben noch auf das seidige Seegras, das meinen Körper streifte. Sollten sie mich doch auffressen, sollten sie mich doch festhalten. Mir war alles gleichgültig.
Wie konnte er nur? Wir hatten uns geschworen, dass die kleine Grotte unser Geheimnis bleiben würde, unsere täglichen Zusammentreffen unser beider Schatz. Er war unglücklich. Ich hatte es gespürt und gesehen in seinen unendlich nachtschwarzen Augen. Er litt. Den Dunkelelfen stand ein Krieg bevor. Zugegeben, wann war das nicht der Fall? Dieses streitlustige Volk ließ keinen Vorwand für einen Überfall auf andere aus, aber wir Wassernixen hatten uns nie eingemischt in die Querelen der Landvölker. Die meisten ließen uns in Ruhe, so wie wir sie in Ruhe ließen. Aber man erzählte sich Geschichten. Der Vorteil, wenn man unter Wasser lebte, man wusste alles. Unsere Augen und Ohren waren überall. Von jeder Küste, von jedem Seeufer, Flusslauf und Quellbach drangen Berichte zu uns. Irgendetwas war im Gange im Reich der sieben Elfenvölker. Und wie immer ging es dabei um diese Prophezeiung, die besagte, wer das Große Reich vereinen und fortan beherrschen würde.
An diesem Vormittag war Dorchadas aufgewühlt gewesen. Mehr als sonst. Ich hatte die Niedergeschlagenheit auf einen Blick in seinen Augen, in seiner gesamten Haltung gesehen, aber ich konnte seinen Worten nicht glauben. Verschwinde. Hau schon ab. Wenn ich es nicht schon gespürt hätte, seine Stimme hätte ihn verraten. Sie strafte seine Worte Lügen.
Ich hatte angehalten. War müde und erschöpft, körperlich, seelisch. Dieser Tage ermüdete ich schnell. Für das, was mir bevorstand - uns - brauchte ich ihn an meiner Seite. Etwas quälte ihn. Gewissensbisse? Zweifel? Er war so anders, als ich mir einen Dunkelelfen vorgestellt hatte. Mein erster Reflex bei unserem ersten Zusammentreffen war gewesen, zu fliehen. Aber etwas an ihm hatte mich zögern lassen. Er hatte auf einem Stein gesessen und Kiesel ins Wasser geworfen. Das Geräusch hatte mich angelockt. Er wirkte nachdenklich, in sich gekehrt und er hatte mich nicht bemerkt, so dass ich ihn heimlich beobachten konnte, eine ganze Weile lang. Ich war in sicherer Entfernung geblieben, jederzeit bereit zu fliehen, sollte er mit einem Pfeil aus seinem Bogen auf mich zielen. Die Waffe lag neben ihm. Ich hätte alle Zeit der Welt gehabt, um zu entkommen, bevor der Pfeil auch nur die Wasseroberfläche hätte durchschlagen können. Ich war schnell.
In meinem Schmerz war ich bis zur tiefsten Stelle im Ozean vorgedrungen. Kein Sonnenstrahl brach bis hier unten durch. Alles war dunkel. Nachtschwarz, wie seine Augen. Alles erinnerte mich an ihn, auch wenn er fort war. Er hatte es nicht so gemeint, als er mich weggeschickt hatte und ich musste es ihm doch erzählen. Ob er das Kind dann wollte oder nicht. Wenigstens sollte er davon wissen.
Bei unsrer ersten Begegnung waren es seine unergründlichen Augen gewesen, die mich angezogen hatten und die es auch jetzt noch taten.
Warum sollte ich hier unten bleiben? Warum sollte ich bleiben wollen? Warum sollte ich auf seine Worte hören? Wo Wasser war, da war mein Reich. Ich konnte hingehen, wohin ich wollte. Ich war frei.
Jetzt, wo ich einen Entschluss gefasst, ein Ziel vor Augen hatte, ebbte der Schmerz ab und nahm die Verzweiflung in kleinen Wellen mit. Spülte sie fort, nicht ganz, sondern so, dass sie mich nur noch umfloss, wie ein dumpfes Grollen.
Ich wäre verrückt, auf seine Worte zu hören und ihm nicht zu folgen. Ihm nicht nachzugehen, heimlich und unbemerkt. So wie ich ihn schon einmal beobachtet hatte. Er würde es nicht merken. Ich konnte wie ein Phantom sein, ein Schatten tief unter der Wasseroberfläche, unerkannt, wenn ich es bleiben wollte. Ungesehen, nur ein ungutes Gefühl in den Gedanken, wenn man ein feines Gespür hatte. Das hatte er. Dorchadas war unheimlich feinfühlig und einfühlsam. Zuerst waren es seine Augen, dann sein melancholisches Wesen und dann seine emotionale Art gewesen, die mich gefesselt hatten, die meine Gefühle für ihn von einer zarten Neugier, zu unverhohlenem Interesse, zu einer geheimen Freundschaft und schließlich zu einer verbotenen, glühenden Liebe hatte wachsen lassen.
Um mich herum wurde es heller. Erste Sonnenstrahlen drangen zu mir durch, ließen das Wasser in einem diffusen Licht tanzen. Die Fische nahmen wieder Farben an. Die Welt erwachte in ihrer Buntheit. Mit dem Licht kam die Wärme, in meiner Umgebung und in meinem Herzen. Er liebte mich noch immer. Ich liebte ihn. Alles war wie immer. Alles war gut. Alles würde gut werden.
Ich würde ihm bis an den Rand der Erde folgen. Dort wo die Elfen glaubten, die Fluten stürzten in die Endlose Dunkelheit. Wir vom Wasservolk wussten es besser. Der Ozean war unendlich. Aber für Dorchadas würde ich diese Unendlichkeit überwinden und mich vom Rand der Welt stürzen, um ihn zu retten, um ihm nahe sein zu können.
Die Sonne tauchte alles in ein helles Licht. Ich näherte mich dem Eingang der Höhle, die zu unserer Grotte führte. Ich hatte sie durch Zufall entdeckt. Keiner außer mir, kannte den Zugang. Es war gefährlich, sich zu tief in die verzweigten Tunnel vorzuwagen und es war der Beginn des Dunkelelfenreichs. Aber ich war neugierig gewesen und getrieben von dem Wunsch etwas zu entdecken und das hatte ich. Es war auch gefährlich, sich mit einem Dunkelelfen einzulassen, aber auch das hatte ich getan. Vielleicht würde ich eines Tages beides bereuen, meine Neugier und meine Gefühle für ihn, aber ich konnte nichts davon ändern. Offenen Auges begab ich mich in die Gefahr. Hieß das Gefühl willkommen, umschloss es mit meinen Armen.
Das Sonnenlicht wurde vom Eingang der Höhle geschluckt. Erneut lag alles um mich herum im Dunkeln. Schwärze umgab mich, aber sie schreckte mich nicht ab, sondern erinnerte mich an ihn. An seine Augen, an sein Haar. Die Erinnerung trieb mich vorwärts.
Unser geheimer Treffpunkt war verlassen, er war nicht da. Ein Grollen durchriss die Stille. Ich kannte seinen Ursprung. Das Horn der Dunkelelfen. Es rief sie zusammen. Ein Kriegsrat wurde einberufen. Wieder einmal.
Dorchadas würde dort sein in den Hallen seines Vaters. Er hatte mich verlassen, fürs Erste. Ich atmete erleichtert auf. Er war nicht freiwillig dort. Er war dort, weil er musste. Sein Vater war der König. Ihm blieb keine Wahl. Die Gerüchte waren selbst bis zu mir durchgedrungen.
Zwei Spione der Dunkelelfen waren aus dem Norden zurückgekehrt und sie hatten Nachrichten mitgebracht. Ich hätte Dorchadas längst davon erzählen können, was sie zu berichten hatten. Aber es war nicht wichtig gewesen. Viel lieber hatte ich ihn geküsst und berührt.
Die Prophezeiung interessierte mich nicht. Meinem Volk war es einerlei, was sie besagte oder wo sie sich befand.
Für die Dunkelelfen war sie alles. Die Lichtelfen und Waldelfen waren ihre verbittertsten Feinde in der Suche danach. Unzählig waren die Scharmützel und Kriege, die sich daraus entsponnen hatten. Wie konnte etwas, das so viel Leid und Tod gebracht hatte, eine gute Sache sein?
Ich verließ die Grotte, um einem unterirdischen Wasserlauf zu folgen, der mich tiefer ins Reich der Dunkelelfen führen würde. Näher zu Dorchadas.
In dem lichtlosen Wasser fühlte ich mich wohl. Ich brauchte nur die Strömung, um mich zu orientieren und nirgends gegen den scharfkantigen Granitstein zu stoßen.
Irgendwann drang das Brummen und Gewirr von Stimmen zu mir durch. Ich musste ganz in der Nähe sein. Das Wasser hatte in Jahrtausenden ein feines Netz durch den Untergrund gezogen, in dem man sich verlieren konnte, wenn man nicht aufpasste. Wir kamen selten her. Hier gab es nichts für uns. Für mich allerdings schon. Ich war eine Ausnahme, nicht nur in dieser, sondern in so vielerlei Hinsicht.
Das Gemurmel verstummte. Ich hielt inne. Lauschte. Lange passierte nichts. Dann erklang das Stampfen von Schritten. Der Stein übertrug das Echo. Jemand verließ die Versammlung. Es mussten mehrere Elfen sein. Vielleicht war Dorchadas unter ihnen?
Getrieben von dem unüberwindbaren Verlangen ihm nahe zu sein, schwamm ich weiter. Bald hörte ich die Stimmen wieder, dieses Mal lauter und verständlicher. Sie diskutierten Angriffsstrategien, verglichen Waffen und Ausrüstung. Wenn mein Dunkelelfenprinz bei ihnen war, dann trug er nicht zur Unterhaltung bei. Ich war mir sicher, seine Stimme unter Hunderten zu erkennen.
Einzelne Schritte erklangen ganz in der Nähe. Sie brachten einen Ton in meinem Herzen zum Klingen. Ich kannte sie. Dorchadas, mein Geliebter, war in der Nähe.
Verzweifelt bahnte ich mir meinen Weg durch das unterirdische Gewässer. Die Kälte machte mir nichts aus. Mein Herz glühte vor Liebe. Ich musste ihn sehen. Mich davon überzeugen, dass es ihm gut ging.
Er lief durch die Gänge. Wie er es so oft tat. Mein Herz schlug schneller. Wollte er zu unserem Treffpunkt? Aber er kam nicht näher, ging nicht den Weg, der hinunterführte. Ich folgte dem Klang seiner Schritte, klammerte mich an seine Nähe, wie eine Ertrinkende an ein Stückchen Treibholz. Ertrank ich in meinen Gefühlen?
Jeder verließ sein Gefängnis, wenn er die Gelegenheit bekam. Das war meine Gelegenheit zur Flucht. Was erwartete mich auf dem Grund des Ozeans bei meinem Volk? Die Würmer würden mein Herz fressen und nichts davon übriglassen, als eine leere Hülle. Reste einer Liebe, die einmal geblüht hatte. Ich musste den Schmerz hinter mir lassen.
Seltsame Fische ließen sich von Würmern ködern. Waren wir nicht alle seltsame Fische?
Ein Wassernixenmädchen und ein Dunkelelf. Ich sein Wurm, er meiner. Wir waren alle Gefangene. Gefangene unserer Gefühle. Es gab kein Entkommen.
Seine Schritte waren verstummt. Verzweifelt lauschte ich in die Dunkelheit. Ich hatte ihn verloren. Er war weg. Er hatte die Tür meines Gefängnisses hinter sich zugestoßen, mein Herz in einem Gitter aus Schmerz eingesperrt.
Ich war verlassen, verirrt. Die Schwärze umgab mich, drohte mich zu verschlingen, mich bei lebendigen Leib aufzufressen und das Kind der Liebe in meinem Leib.
Mit einem entschlossenen Ruck meiner Schwanzflosse ließ ich mich vorwärts treiben. Ich musste entkommen. Ich peitschte durch die eiskalten Fluten, egal wohin, egal woher. Nur weiter. Zu ihm. Irgendwo musste er sein. Meine Rettung. Mein Anker.
Die Farbe des Wassers veränderte sich. Wurde erst grau, dann heller. Die Strömung veränderte sich. Ich hatte einen unterirdischen See erreicht. Mein Kopf durchbrach die Oberfläche. Ein Gewölbe aus Fels spannte sich über mich wie ein Dach. Ein wenig Licht drang durch winzige Ritzen. Es reichte, um mich zu orientieren. Und dann setzte mein Herzschlag einen Takt aus. Dort stand Dorchadas, am Eingang der Höhle. Ein schmaler Pfad führte am Rand des Wassers vorbei. Er lauschte, so wie ich es getan hatte.
Konnte er meine Anwesenheit spüren? Ich hielt die Luft an. Würde er mich wieder fortschicken? War er alleine? Traf er sich hier mit jemand? Mein Herz verpasste seinen Rhythmus, schlug auf dem Boden auf, zerschellte am Grund. Traf er sich hier mit einem Elfenmädchen? Hatte er eine andere? Er liebte mich nicht mehr.
Mein Herz war im freien Fall. Dunkelheit unter mir. Sie rauschte näher. Ich würde aufschlagen und zerschmettert werden. Am Rand der Welt. Zerschlagen. Liegenbleiben in tausend Splittern. Sollten mich doch die Würmer verschlingen, die seltsamen Fische sich an mir laben.
Weg hier, schrie eine Stimme in mir, fliehe, solange du kannst. Aber es gab kein Entkommen. Meine Gefühle hielten mich in einem eiskalten Klammergriff. Überrannten mich, übermannten mich. Trieben mich vorwärts, hinein ins Verderben, auf ihn zu, zu ihm hin. Ich würde ihm bis ans Ende der Welt folgen, bis ich herausgefunden hatte, ob er mich liebte. Bis er mich lieben würde.
Für mich gab es kein Entkommen.
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