VI
Mir fuhr ein Schauder über den Rücken. Es war, als wäre ich in der Zeit zurückversetzt worden. An einem eisigen Wintertag vor circa zwei Wochen hatte ich mich abends dazu entschlossen, noch einmal mein Haus zu verlassen, um schnell vor Ladenschluss noch eine Mandelmilch zu besorgen. Meine Tochter, welche seit vier Tagen vegan lebte, hatte mich darum gebeten und als guter Vater erfüllte ich ihr natürlich jeden Wunsch.
Den Kragen meines Mantels hochgeschlagen, überquerte ich die Straße vorschriftsmäßig am Zebrastreifen. Kaum hatte ich die andere Seite erreicht, war es mir, als hätte ich in der Dämmerung einen Schatten zwischen den Bäumen des angrenzenden Parks ausmachen können. Augenblicklich tat ich es als eine bloße Einbildung ab. Wer sollte sich denn dort aufhalten? Es war eindeutig keine Pulsader der Stadt, noch nicht einmal für die Dealer. Wahrscheinlich war es nur ein Tier gewesen.
Dennoch verschnellerte ich meinen Schritt und steckte mir die Kopfhörer in die Ohren, um meine Konzentration auf eine andere Sache zu lenken. Vor allem mit Tieren war nicht zu spaßen, konnten sie doch die Angst der Menschen spüren. Zum Glück war der Supermarkt nicht so weit.
Schon wieder! Hinter einer Mülltonne hatte ich ihn eindeutig erspäht. Dieser unheimliche, wandelnde Schatten. Angestrengt dachte ich darüber nach, ob ich die gesüßte oder ungesüßte Mandelmilch erstehen sollte. Unter keinen Umständen durfte ich mir auch nur die geringste Kleinigkeit anmerken lassen.
Da tauchte endlich der erlösende Eingang des Supermarkts auf. Beinahe flog ich mit einem kleinen Düsenantrieb unter den Sohlen in die sichere Helligkeit hinein. Nun hatte ich alle Zeit, das passende Produkt für meine Tochter zu wählen. Nach einigen Minuten verließ ich den Laden auch schon wieder, da ich gefunden hatte, was ich gesucht hatte.
In maximal zehn Minuten würde ich zu Hause sein und meine Tochter würde mir endlich nicht mehr mit ihrem blöden Getränk in den Ohren liegen. Schon schritt ich über den Parkplatz, in Richtung meiner wunderschönen Villa, die in der privilegiertesten Wohngegend der Stadt gelegen war. Alles würde hier friedlich bleiben, ganz so wie jede Nacht. Was bildete ich mir ein? Bestimmt hatte ich vorher einen Straßenhund überrascht, der sich im Park hatte zur Ruhe legen wollen. Etwas anderes kam gar nicht erst in Betracht. Da zog auch schon der Mülleimer von vorhin an mir vorbei. Gleich war ich wieder da, meine süße Tochter! Ob sie mich wohl zum Dank für die Milch in den Arm nehmen würde?
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top