Seit elf Jahren
„In Orions Villa?", wiederholte Ben entsetzt. „Ausgerechnet?"
Alea war ebenso überrascht gewesen, doch nun fiel ihr ein: „Nelani und Keblarr sind hier. Mit McDonnahall."
„Stimmt." Sammy nickte und blickte auf den bewusstlosen Orion. „Vielleicht sollten wir die beiden mal suchen. Nelani hat doch gesagt, dass hier immer noch Orions Leute patrouillieren. Sie selbst ist ja gerade in seinem Labor, oder?"
Lennox bejahte. „Wir sollten schnellstens verschwinden."
Cassaras ging wortlos voraus und niemand wiedersprach, da er sich wohl am besten hier auskannte. Lennox nahm Orion mit angewidertem Gesichtsausdruck hoch und folgte ihm. Alea wollte den es ihm gerade gleichtun, als sie jemand am Ärmel zupfte. Es war Thea, und sie sah Alea fassungslos an. Da begriff Alea: Thea würde nun zum ersten Mal ihre wahren leiblichen Eltern treffen! Diese Wendung musste für sie viel bedeutsamer sein als für den Rest der Cru.
Alea nahm Theas Hand und lächelte sie an. „Sie sind wunderbar", formte sie mit den Lippen und Thea atmete tief aus und erwiderte das Lächeln zittrig. Es war ihr die Aufregung so deutlich ins Gesicht geschrieben wie noch nie.
Gemeinsam beeilten sie sich den anderen zu folgen. Tatsächlich waren sie nicht weit von Orions Labor angekommen. Alea versuchte nicht daran zu denken, wie sie einst durch diese Gänge gelaufen war - in der Gewissheit, dass Doktor Orion die Rettung war. Stattdessen machte sie einem Gedanken ganz viel Platz, nämlich dem, dass ihre Familie endlich wieder vereint sein würde. Nelani, Keblarr, sie und... Thea. Wie lange hatte sie davon geträumt? Wie oft konnte sie abends nicht einschlafen, weil sie an ihre Zwillingsschwester dachte und sich die wundervollste Zukunft für sie ausmalte? Wie oft war sie am Bug gestanden und hatte sich vorgestellt, wie sie vier einmal gemeinsam mit ihren Familienorcas, den Kalemsopekas, wanderten?
Wobei für ihren letzten Traum erst einmal das Gegenmittel für den Virus fertiggestellt werden musste.
Sie blieben vor einer Alea nur zu bekannten Tür stehen. Auf dem Weg war nirgends eine Wache gewesen, so auch dort nicht. Alea hatte mit Thea inzwischen direkt hinter Cassaras aufgeholt und Alea konnte kaum erwarten, ihre Mutter wieder in die Arme schließen zu können.
Cassaras zögerte. Er blickte zu Thea.
„Nun mach schon", forderte diese ihn auf, aber ihre Hände zitterten dabei.
„Wartet!", sagte Sammy. „Sollen Nelani und Keblarr erst die gute Nachricht erfahren oder die schlechte?"
„Was meinst du?", fragte Tess.
„Na ja." Sammy sah zu Orion. „Es ist wahrscheinlich kein tolles Willkommen, wenn der ohnmächtige Doc als erstes reinkommt. Allerdings wäre es ein riesiger Schock, wenn sie zuerst Thea sehen würden und dann plötzlich Orion -"
„Das ist doch Schwachsinn", schnitt Cassaras ihm das Wort ab und drückte die Klinke runter.
Alea hielt den Atem an.
Cassaras drückte die Klinke noch einmal nach unten.
Nichts passierte.
Die Tür war abgeschlossen.
„Jetzt ist die Spannung endgültig im Eimer", murmelte Sammy.
Cassaras grummelte und holte etwas aus seiner Bachtasche, das wie Draht aussah. Er hantierte damit im Schloss herum, bis sie ein Klicken hörten.
Cassaras trat zur Seite. Er wollte wohl den anderen den Vortritt lassen.
Thea drückte Aleas Hand und öffnete die Tür. Sofort wurde ihnen die Sicht auf das Labor freigegeben – Unzählige Arbeitsutensilien und die verschiedensten Reagenzgläser in Ständern angeordnet und mit Zettelchen beschrieben. Ein Behälter mit graugrünem Pulver war geöffnet und mit einem Löffel wohl gerade etwas rausgenommen worden. Von dem Pulver lag etwas auf dem Boden und über den Tisch verstreut, jemand musste also gerade hastig den Arbeitsplatz verlassen haben. Roch es deswegen so leicht säuerlich?
Thea trat mit Alea in das Labor.
Für einen Moment standen sie einfach nur da und Alea genoss das Gefühl, das gerade in ihr hochkam. Dann hörte sie plötzlich eine Stimme. „Alea?"
Sie lächelte. „Mama."
Nelani kam aus ihrem Versteck heraus, von dem aus sie ungebetene Gäste überfallartig angreifen konnte, und starrte die Neuankömmlinge an. Ihr Blick haftete ungläubig und glücklich auf Alea, dann wanderte er nach rechts. Zu Thea.
„O mein Gott", flüsterte Nelani und schlug sich die Hand vor dem Mund. Im nächsten Moment drang ein tiefes Schluchzen aus ihrer Kehle und in ihren Augenwinkeln begann es verräterisch zu glänzen. „Anthea?"
Alea nickte und merkte, wie sich auch bei ihr die Tränen bildeten. „Wir haben sie gefunden", brachte Alea hervor.
Thea neben ihr starrte ihre Mutter, von der sie so lange geglaubt hatte, sie wäre vor elf Jahren am Wasservirus gestorben. Von der sie sich erhofft hatte, mit ihr bei der Loreley zu reden, und die ganze mühsame Reise auf sich genommen hatte.
Ihre Hand löste sich zaghaft von Aleas und sie trat einen Schritt vor, musterte jeden Winkel in Nelanis Gesicht. Sah in dieselben klargrünen Augen, die sie auch hatte.
Da lachte Nelani aufgelöst und zog ihre Tochter in eine lange, innige Umarmung.
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