Hinterhalt

Bevor Lennox antworten konnte, hob Siska alarmiert den Blick. „Ich höre etwas", teilte sie den anderen mit. „Jemand klettert die Außenleiter hinauf."

Alea starrte sie wie versteinert an. Orion? Darkoner?

Lennox erhob sich schnaufend vom Sofa. „Wer auch immer es ist, ich... ich..." Er hustete und ließ sich wieder zurücksinken. „Verdammt", murmelte er. Im nächsten Moment kippte sein Kopf zur Seite und er blieb reglos liegen.

„Lennox!", flüsterte Alea und wollte gerade zu ihm gehen. Da sah sie, wer gekommen war.

Cassaras.

Sein Blick fand ohne Umschweife zu Thea. Diese drehte sich noch im selben Augenblick um. „Du bist da", gebärdete Cassaras fahrig.

Thea war in wenigen Schritten bei ihm und umarmte den Nixenprinzen. Cassaras schien nicht so richtig zu wissen, wie er reagieren sollte. Da lächelte er und lachte leise. Es war aber kein hartes und kaltherziges Lachen, wie Alea es von ihm kannte, sondern ein warmes, offenes. Er strich Thea durch ihre schwarz-pinken Haare und Thea sagte etwas leise mit ihrer Stimme, das ihn abermals zum Lachen brachte.

Alea war sich nicht sicher, wann sie den Prinzen schon einmal so glücklich gesehen hatte. Sie sah zu Lennox, der die Augen halb geöffnet hatte und sie mit undefinierbarem Blick anschaute. Sie nahm seine Hand und drückte sie. „Jetzt wird alles gut", flüsterte sie ihm zu und Lennox bog die Mundwinkel schwach nach oben.

„Lennox." Cassaras hatte ihn bemerkt und löste sich von Thea. Mit raschen Schritten ging er zu ihm.

Alea machte Cassaras schweigend Platz. „Wie geht es dir?", fragte er, während er Muras Male begutachtete.

„Nicht sehr berauschend", brachte Lennox hustend hervor. „Gerade wird es immer schlimmer." Er warf Cassaras einen vielsagenden Blick zu, den dieser zu verstehen schien.

Der Prinz schloss die Augen, als müsste er in sich hineinfühlen. Dann krempelte er den rechten Ärmel seines Anzugs hoch.

Alea erstarrte.

Dort, auf Cassaras' Handgelenk, waren feine schwarze Linien. Genau dieselben wie bei Lennox' Nacken.

Muras Nixenmale.

Cassaras hielt nun sein Handgelenk an Lennox' Nacken. Im selben Moment leuchteten die Linien hell auf.

„Was zum Teufel?!", hörte Alea Ben sagen. Thea stellte sich neben Alea und sah den beiden schweigend zu. Cassaras begann nun lautlose Worte zu formen. Alea fiel auf, dass es immer dieselben waren. Mit jeder Wiederholung wurde das Leuchten der Male schwächer, die Linien verblassten nach und nach, schrumpften und waren nach einer Zeit lang gänzlich verschwunden.

Cassaras' Hand zitterte kaum merklich, als er sie wegnahm und sie wieder bedeckte. Er stand einen Moment lang so da und starrte auf den Boden. Dann wandte er sich Thea zu. „Du musst von hier verschwinden", gebärdete er. „Ihr müsst alle verschwinden! Als ich zu euch geschwommen bin, hab ich sieben von Orions Helikoptern gesehen, die in eure Richtung geflogen sind."

„Orion kommt?", wiederholte Siska alarmiert. Auch Alea hatte das Gefühl, dass plötzlich der Boden unter ihren Füßen weggerissen wurde. Der Fluch wurde erstmals in den Hintergrund gedrängt. Siska sah zu ihr. „Wo ist die Obsidianperle?"

„Ich hab sie." Sammy eilte in die Jungenkajüte und kam kurz darauf mit der Muschel zurück. Er gab sie Alea, die sie in ihre Jackentasche steckte.

Cassaras musterte ihn, bevor er fragte: „Also versucht ihr tatsächlich, ihn zu der Lafora zu bringen?"

Blitzschnell sortierten sich Aleas Gedanken. „Ja", entschied sie. „Jetzt ist die perfekte Möglichkeit. Wie weit ist Orion von uns entfernt?"

„Jedenfalls zu nah!", entgegnete er barsch. „Thea darf da auf keinen Fall noch einmal hineingeraten."

„Und Sie schlagen vor, dass sie jetzt verschwindet? Dass sie ins Meer flüchtet?"

„Ja."

„Ich höre die Rotoren", vermeldete Siska.

Alea sah zu Thea. „Möchtest du gehen?", fragte sie. Thea sollte selbst entscheiden, was für sie das Richtige war.

Thea schüttelte den Kopf. „Ich bleibe."

Plötzlich stand Lennox neben Alea. „Bist du sicher? Du könntest in ernsthafte Schwierigkeiten geraten."

„Jetzt ist es eh zu spät!", brauste Cassaras auf. „Die Darkoner würden es sehen, wenn jemand flieht." Er schlug mit der Faust gegen die Wand. „Schattfa!"

Aleas merkte, wie Lennox ihre Hand nahm. Was auch immer zwischen ihm und Cassaras war – sie mussten es ein andermal klären. „Alpha Cru!", donnerte sie, um gegen den heranrückenden Lärm anzukommen. „Unser Plan sieht so aus: Sieben Hubschrauber können nicht auf der Crucis landen, darum nehme ich an, dass in sechs von ihnen die Darkoner abspringen. Im siebten wird Doktor Orion sein, und der Helikopter wird landen. Wir müssen auf Zeit gegen die Darkoner kämpfen, bis Orion ausgestiegen ist. Dann benutzen wir die Obsidianperle."

„Aber -", wandte Tess ein, jedoch war der Lärm bereits so laut, dass Alea sie nicht verstehen konnte.

Siska fuhr zu ihnen herum. „Die ersten sind gelandet."

Alea sah, dass Lennox alle Muskeln anspannte. Er sah sie an. „Bitte versuch im Hintergrund zu bleiben", bat er sie und lehnte sich dicht an den Türrahmen. Im selben Moment betrat ein Darkoner den Raum und Lennox griff ihn hinterrücks an. Es dauerte keine paar Sekunden, bis er auf dem Boden lag.

Der nächste Darkoner kam und wieder griff Lennox ihn an. Durch die schmale Bordtreppe konnte immer nur einer gleichzeitig durchkommen, sehr zu ihrem Vorteil. Aber die Darkoner hatten doch bestimmt Pistolen dabei, oder? Wie lange würde es dauern, bis sie sie zogen und anwendeten?

Als Lennox von einem Darkoner hart ins Gesicht geschlagen wurde, mischte sich auch Alea in den Kampf ein. Mit Siskas Hilfe konnten sie dem ersten Ansturm gut entgegentrotzen, aber Lennox' Kräfte ließen schnell nach und auch Alea fühlte sich mit jeder Minute schwächer. Bald musste sich Lennox zurückziehen.

Alea erhaschte einen kurzen Blick zu Cassaras. Er wollte doch Thea beschützen, oder? Wieso kämpfte er nicht mit? Sie wollte ihm gerade etwas zurufen, als der Darkoner, gegen den sie gekämpft hatte, ihre Unachtsamkeit ausnutzte und ihr in die Kniekehle trat.

Aleas Beine knickten zusammen und im nächsten Moment lag sie auf dem Boden. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie nun mehrere Darkoner in den Salon traten und auch Tess, Sammy und Ben versuchten sich zu wehren.

Da war plötzlich Thea neben ihr. Sie griff den Darkoner an, der Alea zu Fall gebracht hatte und im nächsten Moment war auch Cassaras da. Der Darkoner riss überrascht die Augen auf, als er den Nixenprinzen sah, aber gleich darauf wurde er schon von ihm auf den Boden befördert. Alea stand mühsam wieder auf.

„Sammy!", hörte Alea Ben hinter sich rufen. Sie machte Kehrt, um Sammys Angreifer abzuwehren, aber da sprang schon Lennox den Darkoner an, der mit ein paar Schlägen ausgeknockt war.

Sammy sah seinen Retter mit blitzenden Augen an.

Siska erstarrte mit einem Mal.

Am anderen Ende der Treppe erschien Zeirus.

„Du musst nicht gegen ihn kämpfen", sagte Alea zu ihr und hätte gern gewusst, was in Siska vorging.

Lennox erschien schwer atmend hinter ihnen. „Ich kann das erledigen", keuchte er.

Siska nickte zackig und wandte sich nun den Darkonern zu, die im Salon gegen Tess, Ben und Thea kämpften. Lennox sah zu Alea. Doch die schüttelte den Kopf. „Du schaffst das nicht alleine", sagte sie.

Cassaras nickte. „Hör lieber auf die Elvarion."

Da zog Zeirus seine Waffe und richtete den Lauf auf Alea. Langsam kam er auf sie zu. „Keine Bewegung!", donnerte er und sämtliche Kämpfende hielten inne. Lennox fluchte leise und wechselte einen Blick mit Cassaras. Dieser neigte leicht den Kopf.

Lennox blinzelte zwei mal schnell hintereinander und im nächsten Augenblick leuchtete es hellgrün auf. Dort, wo Zeirus seine Pistole gehalten hatte, rieselte Staub auf den Boden. Lennox griff ihn sofort an und wenig später war auch Zeirus kampfunfähig.

Aleas Blick wanderte zu Cassaras' Hand. Er hatte die Sengbohne aus seiner Bauchtasche geholt! Aber das hätte auch schiefgehen können...

„Ein Hubschrauber ist auf der Crucis gelandet", teilte Siska ihnen da mit. Mit undurchdringlicher Miene musterte sie ihren Vater. „Ich denke, Orion kommt gleich."

„Dann wird er einen schönen Schock erleben", gebärdete Thea. Sämtliche Darkoner waren k.o., womit Orion wohl nicht unbedingt rechnete.

„Das sieht aus, als hätte irgendein blutiges Gemetzel stattgefunden", murmelte Ben mit Blick auf die ganzen Männer auf dem Boden. Er hatte wohl einen Schlag gegen den Kiefer einstecken müssen, denn gerade färbte sich die Stelle rot-bläulich.

Alea schaltete in den Elvarion-Modus. „Wir müssen uns im Kreis aufstellen!", wies sie den anderen an. „Wenn Orion runterkommt, verschwinden wir mit ihm in der Mitte." Sie holte die Muschel mit der Obsidianperle aus ihrer Jackentasche heraus. Die Muschel hatte einen kleinen Sprung, aber das würde ihnen hoffentlich nicht schaden.

Cassaras verdrehte die Augen. Wenn er mit Thea kommen wollte, musste er jedoch wohl oder übel mitmachen.

Lennox schloss nun die Tür, die in den Salon führte und positionierte sich neben sie. Wenn Orion reinkam, würde er den Kreis schließen.

Alea nahm Theas Hand. Thea wiederum nahm Sammys Hand und so ging das immer so weiter, bis es nur noch die Lücke zwischen Lennox und Cassaras gab.

Es war totenstill im Raum.

Da rief Siska: „Lasst Alea los!"

Alea war kurz verwirrt, aber Sammy sagte: „Nein! Schneewittchen! Ich... kann..." Er schüttelte mit dem Kopf, als wollte er einen unsichtbaren Knebel abwerfen. „Hmm! Mmm!", machte er dann nur noch.

Lennox stampfte auf dem Boden auf und schlug gegen die Wand. „Wir sind in der Unterzahl!", brüllte er. „Alea, du musst fliehen! Achtung, Ben, hinter dir!"

Ben grinste, als er einen übertriebenen Schmerzensschrei ausstieß und Sammy biss sich auf die Lippe, um nicht gleich loszuprusten. So klang das wie ein ersticktes Wimmern.

Cassaras schüttelte mit dem Kopf, als wäre das alles Schwachsinn. Aber würde Orion nicht Verdacht schöpfen, wenn es komplett still war?

Alea rief: „Wir fliehen nach draußen! Wenn Orion jetzt nicht kommt, haben wir vielleicht noch eine Chance." Sie ließ kurz Theas und Lennox' Hände los und zog ihre fingerlosen Handschuhe aus. Die beiden taten es ihr gleich.

„Schnell! Los jetzt!" Sammy fiel wohl ein, dass er eigentlich geknebelt war, und schloss rasch wieder den Mund.

Tess verdrehte die Augen. „Der Ausgang ist versperrt!", sagte sie jedoch mit einer einwandfreien Panikstimme und fluchte daraufhin lautstark auf Französisch. Durch die Sprachtauscher konnte Alea leider jedes Wort verstehen.

„Lennox, kannst du uns freikämpfen?", fragte Ben.

„Nein. Es sind zu viele!" Er schlug noch einmal gegen die Wand. „Verdammt! Wir können nicht gewinnen!"

In dem Moment ging die Tür auf.

Alea hielt den Atem an.

Lennox packte Orion augenblicklich am Arm und warf die Tür wieder zu. „Was zur Hölle?!", brachte der Doktor hervor, aber da wurde er auch schon in die Mitte des Raums geschleudert. Er sah sich panisch um und versuchte aufzustehen.

Lennox nahm Cassaras bei der Hand und der Kreis schloss sich.

Alea schloss die Augen und konzentrierte sich. Sie fühlte, wie Theas Hand zitterte und mit einem Mal kamen ihr Zweifel: Was, wenn Ben, Tess, Sammy und Siska nicht wieder durch eine Luftblase vom Wasser getrennt wurden? Was, wenn sie schutzlos mitten in den Ozean eintauchten?

Doch da sprach Alea schon mit fester Stimme: „Die Kraft des Obsidians bringt uns zum Herz des Ozeans."

Im selben Moment wurden sie fortgeschleudert.


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