Ausflüchte
Drei Stunden später saßen Lennox und Alea im Deckshäuschen vor dem Laptop und legten einen Termin für die Videokonverenz mit den Meerkindern fest. In zwei Tagen sollte sie stattfinden, denn es sollten so viele Kinder wie möglich dabei sein und von dem Treffen erfahren, das sie abhalten wollten. Zwar würden Alea und Lennox das Treffen noch in der Chatgruppe ankünden, aber durch die Videokonverenz wollten sie auch noch Informationen verteilen, die den Virus, Orion, die vergangenen Tage und ihr weiteres Vorgehen betrafen. Live konnten sie dann auch noch unkompliziert alle Fragen beantworten von denen, die eventuell nicht in der Meerkinder-Chatgruppe waren.
„Vielleicht können wir auch Nelani und Keblarr an der Konverenz teilnehmen lassen", schlug Alea vor. „Sie könnten den Meerkindern viel besser die ganzen Sachen über ihre jeweiligen Stämme und die Meerwelt erzählen."
Lennox nickte, fuhr sich über den Nacken und räusperte sich. „Ja, das sollten wir wohl."
Alea musterte ihn ausführlich. Sie hatte das Gefühl, dass er an etwas ganz anderes dachte. „Alles okay?"
Vielleicht lag es an dem Gespräch, das er mit Cassaras geführt hatte? Alea traute sich nicht ihn deswegen zu fragen, da er von sich aus das Thema mit keiner Silbe erwähnt hatte. Aber womöglich wollte er ihr jetzt davon erzählen? In Lennox schien eine Menge vorzugehen, dann sah er Alea an. Er lächelte. „Klar", sagte er. „Vermutlich wirst du mir das aber eh nicht glauben. Aber ja, alles gut, du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Mir geht gerade nur ziemlich viel im Kopf rum, verstehst du?"
Alea bog die Mundwinkel in die Höhe. „Du hast recht, das klingt nicht danach, als könnte ich es glauben."
Lennox lachte rau. Alea bemerkte, dass es nicht sonderlich gesund klang, sondern ein Kratzen dabei war, das es sonst nicht gab. Ihr Eindruck wurde dadurch verstärkt, dass sein Lachen in Husten ausartete. „Lennox!", rief Alea.
„Tut mir leid..." Lennox räusperte sich abermals.
„Bitte sag mir...-" Alea verstummte abrupt und sie überlegte, wie sie den Satz so formulieren konnte, dass sie keinen Imperativ benutzte. „Ich würde mich sehr freuen, würdest du mir sagen, was denn bitte los ist."
Lennox blickte sie schräg an. Anscheinend hatte sie wirklich nicht den Herrinnenschwur aktiviert. „Also gut", sagte Lennox. Aber da gibt es etwas, das du mir ebenfalls noch nicht gesagt hast..."
Alea hatte eine lange Leitung. „Was denn?"
„Na ja, das, was die Silberfadenvision gezeigt hat."
Alea erschauderte innerlich, als Lennox die Vision ansprach. Ja, sie hatte ihm nicht erzählt, was sie gesehen hatte. Ihre Gefühle waren so durcheinander gewesen, dass sie sich nicht dazu abringen konnte. Aber würde sie ihm jetzt davon erzählen können? Von... dem Baby?
Lennox beobachtete Alea, als bekäme er durch ihre Mimik irgendeinen Hinweis darauf. „Du musst es mir nicht sagen, ehrlich", beschwichtigte er dann. „Das Thema sollte eigentlich nur Ablenkung sein. Du musst es mir nicht erzählen."
Alea atmete tief durch. „Okay. Aber du sagst mir, was los ist?"
Lennox starrte den Laptop an, mit dem sie gerade eben noch die Mail an alle Meerkinder abgeschickt hatten. „Du würdest dir nur Sorgen machen, wenn ich es dir erzähle."
„Jetzt mache ich mir erst recht Sorgen!"
„Nein, nicht solche Sorgen. Ich meine..." Er schien nach Worten zu suchen. „Tiefgründigere Sorgen, verstehst du?"
Alea saß mit offenem Mund da. „Du meinst, wenn ich es nicht wüsste und du mir sagst, dass ich mir riesige Sorgen machen würde, wenn ich es wüsste, würde ich mir weniger Sorgen machen als wenn ich es wüsste?"
Lennox verarbeitete den nicht gerade schön formulierten Satz und sagte dann: „Ja."
„Ich... ähm... fände es aber überaus freundlich, erzähltest du mir, was dir auf der Seele liegt." Hinzu fügte sie: „Du erfährst von mir dann auch die Silberfadenvision."
Lennox seufzte. „Also gut, ich..." Fahrig fuhr er sich mit der Hand über den Nacken. „Ich habe vorhin mit Cassaras darüber gesprochen. Du wolltest doch bestimmt wissen, was wir beredet haben, oder? Ich mein, er ist ja irgendwie ein Verwandter von mir und diese Neuigkeit musste ich erst einmal verarbeiten. So wie Sammy schon gesagt hat, das Schicksal hat sich mal wieder eine sehr große Kuriosität ausgedacht..."
„Ihr habt über eure Verwandtschaft und Kuriositäten gesprochen? Lennox." Alea legte ihre Hand auf seine. Sie spürte, dass Lennox' Haut außergewöhnlich warm war, beinahe heiß. „Du weichst aus."
Lennox lächelte. „Okay, schon gut. Also, über was wir geredet haben, ist... Also, es gibt eigentlich keine Zweifel, dass... also, dass ich..."
Alea wartete. „Dass du was?" Ihr Mund fühlte sich mit einem Mal ganz trocken an. „Dass du was?!", wiederholte sie mit erstickter Stimme, als er abermals nicht antwortete.
Lennox hatte plötzlich Tränen in den Augen und sein Atem ging flach und schnell. „Ich habe alles in meine Notizen geschrieben", flüsterte er, bevor ihm der Kopf auf die Brust sank und er mit der Stirn auf dem harten Steuer aufschlug.
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