Unterwasser

Alea wartete darauf, dass eine zweite Vision kam. Als dies jedoch nicht geschah, streifte sie sich den Umhang wieder ab. Vier Augenpaare schauten sie erwartungsvoll an.

„Und, was hast du gesehen?", fragte Sammy. Alea schilderte es ihnen und auch sie waren verwundert über das, was ihr der Silberumhang gezeigt hatte.

„Wieso kämpft ihr?", fragte Ben. „Die Meerkinder sind schließlich auf unserer Seite."

„Isla ist sogar beim Treffen in Brügge gekommen", warf Lennox ein.

„Aber sie sagte, dass sie es nicht wollte." Alea zog die Augenbrauen zusammen. Die Vision war durch und durch unlogisch. Im selben Moment setzte der Elvarion-Modus ein und Alea durchging strukturiert alle Möglichkeiten, die dazu führen könnten. „Sie wurde vielleicht gezwungen", sagte sie dann.

„Und warum warst du ganz allein da?", fragte Lennox. „Wo waren wir?"

Darauf hatte niemand eine Antwort. Sie grübelten eine Weile herum, bis Alea sagte: „Die Visionen beim Goldumhang sind viel länger. Könnte es sein, dass die Zukunft zu ungewiss ist, als dass man längere Ausschnitte vorhersehen könnte?"

„Ja, wahrscheinlich", stimmte Lennox ihr zu. „Vielleicht kann ich mal -" Er konnte seinen Satz nicht beenden. Denn im nächsten Augenblick erklangen tiefe, lang gezogene Töne.

Alea erstarrte. Wale. Das waren Wale! Sie sprang augenblicklich auf und wollte an Deck rennen, aber jemand hielt sie am Arm fest.

„Halt! Schau mich an, Alea." Sie blinzelte. Irgendetwas in ihrem Kopf sagte ihr, dass sie der Stimme gehorchen sollte. Also wandte sie sich um. Dort war... Lennox. „Was hat Nelani dir beigebracht?", fragte er und Aleas Gedanken schwirrten herum. Stimmt, da war was. Sie musste sich einen Anker setzen. Wie ging das noch mal? Das Denken fiel ihr schwer. Sie musste abwechselnd vom Wal zum Anker schauen... aber hier war keiner.

Sie zerrte an ihrem Arm. „Lass mich los, sonst geht es nicht!" Abermals ertönte ein langer Ruf und Alea zog stärker. Lennox hielt sie jedoch eisern im Griff.

„Braucht der Wal Hilfe?" Sie schüttelte den Kopf. Etwas in seinem Kopf schien vorzugehen und er sah die anderen an. Stimmt, Tess, Ben und Sammy waren auch noch da. Dann stand er auf. „Du kannst zu den Walen gehen, aber unter einer Bedingung", sagte er. Alea nickte, Hauptsache, sie konnte endlich gehen. „Ich komme mit und sobald du auch nur Anzeichen eines Rausches zeigst, bringe ich dich sofort zurück zur Crucis."

„Okay", sagte Alea und lief blitzschnell los, um endlich am Wasser zu sein. Sie zögerte nicht länger und sprang sofort ins Meer. Auch die Verwandlung wartete sie nicht ab, sondern schwamm direkt in die Richtung, von der die Rufe kamen. Hinter ihr hörte sie jemand anderes ins Wasser springen, aber das war ihr egal. Schon nach wenigen Fußkicks was sie bei ihnen angekommen angekommen. Es war eine ganze Schule von Pottwalen und sie begrüßten sie mit kurzen Tönen, die Alea die Haut kribbeln ließen. Sie schwamm näher und strich über die Haut eines größeren Tiers, das ihr die Finne hinhielt. Er wollte, dass sie sich festhielt. „Natürlich!", rief Alea erfreut und im nächsten Moment tauchte jemand neben ihr auf. Lennox drehte ihren Kopf in seine Richtung.

„Atme durch die Nase", verlangte er und in seiner Stimme schwang ein Ton mit, der Alea ganz und gar missfiel. Sie wollte doch nur mit den Walen schwimmen! Musste er so ein Spielverderber sein? Dennoch tat sie es, woraufhin sie sofort anfing zu husten. „Und jetzt sag mir, was Nelani dir beigebracht hat."

Tatsächlich war ihr Kopf nun wieder etwas klarer und sie versuchte sich an die Worte ihrer Mutter zu erinnern. „Ich muss mir einen Anker setzen", murmelte sie.

„Und wie geht das?", wollte Lennox wissen. Alea dachte angestrengt nach und ihr Blick wanderte zu dem Wal, der sie auffordernd anschaute und ihr immer noch die Flosse hinhielt. Jedoch drehte Lennox ihn wieder zu sich um. „Wie geht es?", wiederholte er.

„Ich... muss abwechselnd zu ihm und zu dir schauen."

Er nickte. „Dann tu das."

Alea erkannte, dass er Recht hatte und dass es vernünftig war. Also machte sie es so, wie Nelani ihr beigebracht hatte. Kurz darauf ruckte es in ihrem Kopf. „Hat es funktioniert?", fragte Lennox. Alea horchte in sich hinein und spürte, wie das dumpfe Glücksgefühl verschwunden war.

„Ja, es hat geklappt", erwiderte sie und lächelte. Er lächelte zurück, allerdings etwas unsicher.

„Dann schwimm los, Walwanderin", flüsterte er und ließ sie los. Sein Gesicht war angespannt, aber trotzdem griff Alea nach der Finne des Wals. Er schien sich zu freuen und auch die anderen aus der Schule stießen Geräusche aus, als wollten sie endlich loslegen. Schon setzten sie sich in Bewegung und Alea jauchzte. Sie stoben mit einer Geschwindigkeit durch das Wasser, die Alea niemals für möglich gehalten hätte und sie lachte aus voller Kehle. Dann erinnerte sie sich daran, was ihre Mutter ihr noch gesagt hatte und sie schwang sich auf den Rücken des Wals und drückte zwei mal mit dem Knie gegen seine Flanke. Sofort änderte der Wal seine Richtung und schwamm nun auf die Wasseroberfläche zu. Alea schnalzte und er schoss im hohen Bogen über das Meer. Sie lachte begeistert, als seine Wasserfontäne auf sie niederprasselte und hielt noch rechtzeitig die Ellbogen vors Gesicht, bevor der Wal wieder im Meer untertauchte. Dann schwamm er nach unten, dem Meeresboden entgegen, um wieder Anlauf zu nehmen...

„Alea, komm zurück", hörte sie plötzlich eine Stimme. Lennox schwamm neben ihr und konnte mit seinen Schwimmhäuten locker mithalten.

Alea protestierte. „Ich hab doch gerade erst angefangen..."

„Erst? Du schwimmst seit mindestens zwanzig Minuten mit den Walen!" Alea sah ihn verwundert an. Es kam ihr viel kürzer vor, doch vielleicht hatte sie beim Wandern wie immer jegliches Zeitgefühl verloren... Sie wollte nicht aufhören! Als sie jedoch in Lennox' angespannte Miene blickte, seufzte sie schwer und ließ von dem Wal ab.

„Ein andermal", versprach sie und strich über seine Haut. Der Wal schien nicht zu wissen, ob sie noch weiter schwimmen wollte oder ob er gehen sollte. Doch als Alea sich schweren Herzens von ihm abwandte, stieß er mehrere Töne aus und schwamm den anderen Walen fort.

Neben ihr hörte sie Lennox aufatmen. „Ich dachte schon, du seist wieder in einen Rausch verfallen."

„Nein", sagte sie. „Ich glaub, Nelanis Tipps helfen wirklich. Als das mit dem Anker funktioniert hat, kam in mir nicht wie sonst der Wunsch auf, für immer mit den Walen zu schwimmen."

„Ein Glück", erwiderte Lennox und küsste sie. „Aber das hättest du eh nicht gekonnt. Immerhin bin ich jetzt vollständig Hajaro und hätte locker mithalten können."

„Deshalb hast du mir erlaubt, zu den Walen zu gehen?"

„Einerseits schon, ja."

„Einerseits?"

„Anderseits finde ich es Schwachsinn, dass du als Walwanderin nicht in deinem Element sein darfst, jetzt, wo Nelani dir gezeigt hat, wie es geht."

„Die gröbsten Grundlagen", beschwichtigte Alea. Sie konnte noch viel mehr von ihrer Mutter lernen, wahrscheinlich konnte jedes Wandererkind schon mehr als sie. Aber Alea nahm sich fest vor, mehr zu lernen, wenn ihre Mutter bei ihnen war. Dann konnte sie endlich gefahrlos walwandern und das vielleicht auch noch mit ihrer Schwester Thea zusammen...

„Anfangs hattest du zwar noch Probleme, aber es hat wirklich gut funktioniert", sprach Lennox weiter. „Vielleicht kannst du das allein nicht, aber wenn ich mitkomme, wird in Zukunft womöglich keine Gefahr mehr bestehen."

Alea freute sich, auch darauf, dann nur mit Lennox im Meer zu sein. „Wollen wir mal zum Grund schwimmen? Vielleicht finden wir dort eine Meermenschenstadt."

Auf Lennox' Gesicht schlich sich ein Lächeln. „Ja, lass uns das machen", stimmt er zu. Er verschränkte seine Finger in ihre und Hand in Hand schwammen sie nach unten. Es begegneten ihnen viele Fischschwärme, deutlich mehr als nach der Ölkatastrophe in Norwegen, die auch ihre Schäden weiter draußen im Ozean hinterlassen hatte. Aber hier im Mittelmeer sah man gar nichts davon. Auch waren überall wieder Farben zu erkennen. Alea hatte ihre Fähigkeit in ihrer Zeit als Landgängerin furchtbar vermisst, doch nun war das Meer wieder zu einem riesengroßen Regenbogen geworden, der ihr seine Geschichten erzählen wollte. Anders als für Lennox, der überhaupt nichts anderes als... eben das Wasser sah.

Alea fiel plötzlich etwas ein und ihr Blick richtete sich auf ihre Hände. Sie erstarrte, als sie bemerkte, dass der Minutenring ihrer rechten Hand fehlte. Auch Lennox hatte es bemerkt. „Oh Scheiße", entfuhr es ihm.

„Er muss mir abgerutscht sein, als sich meine Knubbel verwandelt haben", brachte Alea hervor und schaute sich hastig um. Aber nirgendwo sah sie das Schmuckstück, indem sich Magie befand, die zwei Meermenschen ihre Fähigkeiten für kurze Zeit tauschen lassen konnte. „Er muss auf dem Meeresgrund sein", sagte sie dann und schwamm mit doppelter Geschwindigkeit und die Arme eng angelegt.

Es dauerte nur ein paar Minuten, bis sie den Grund erreichten. Allerdings lag nur überall Müll herum. Sie suchten unter jeder einzelnen Plastikverpackung und unter jedem Autoreifen, allerdings war es schier unmöglich ihn zu finden, dafür war er viel zu klein und unscheinbar...

„Folge mir", klingelte da auf einmal eine hohe Stimme neben ihr. Alea fuhr herum und hätte beinahe losgelacht. Natürlich, warum war sie nicht gleich darauf gekommen, eine Finde-Finja zu rufen? Auch Lennox schlug sich gegen die Stirn und verdrehte erleichtert die Augen.

Sie folgten der Finja, die viel weiter nach Norden schwamm als dort, wo Alea und Lennox gesucht hatten. Als sie ein paar Minuten geschwommen waren, bildeten sich plötzlich überall Schatten, die vom Grund nach oben schwammen. Alea hielt die Luft an. Es waren Skorpionfische! Und sie schienen etwas getarnt zu haben... Da bemerkte sie, dass es ein altes Bauwerk war. Es sah genauso aus wie das, welches sie auf dem Weg nach Island gefunden hatte und in dem sie den Gilfen getroffen hatte. Alea konnte sich nicht mehr genau an seinen Namen erinnern, aber sie wusste noch, dass sie dort allerlei Kleidungsstücke vorgefunden hatte.

Die Finja schwamm jedoch unbeirrt weiter. Alea verharrte kurz und blickte durch den Türrahmen. Es gab unzählige Schubladen in dem weitläufigen Raum und auf einer von ihr... Alea kniff die Augen zusammen. Dort lag eine Sengbohne! Sie blickte kurz zu Lennox. Er hatte bemerkt, dass sie zurückgeblieben war und rief der Finja zu, dass sie kurz anhalten sollte. Alea verschwand schnell in der Art Weberei und griff nach der Bohne. Sie war etwas kleiner als die, die sie Kit geschenkt hatten. Aber damit konnte man immer noch super den Müll auf der Crucis vernichten!

Rasch steckte Alea sie ein und schwamm wieder zu den anderen.

„Was hast du dort drinnen gemacht?", fragte Lennox, dem anzusehen war, wie gern er auch dort gewesen wäre. Er hatte so etwas schließlich noch nicht gesehen.

„Ich hab eine Sengbohne gefunden", antwortete Alea. Sein Gesichtsausdruck verfinsterte sich und er schien etwas sagen zu wollen, doch dann meckerte die Finja: „Könnt ihr euch nicht ein bisschen beeilen? Ich habe nicht ewig Zeit!"

Alea war sich sicher, dass sie sehr wohl alle Zeit der Welt hatte, aber einfach nur miesepetrig war wie einige Magische. Sie hatte wohl noch nicht bemerkt, dass sie die Elvarion der letzten Generation war, oder sie wusste es einfach nicht. „Natürlich, wir kommen sofort", sagte sie schnell.

Kurz darauf hielt die Finja wieder an.

„Ich habe gefunden, was ihr gesucht habt. Ich bin eine Finde-Finja. Ich finde."

„Ich bin eine Walwanderin, und mein Freund ist ein Oblivion. Wir haben gesucht und du hast gefunden." Alea blickte auf den Boden. Dort war tatsächlich, zur Hälfte im Sand eingegraben, der zweite Minutenring. Sie atmete erleichtert aus. „Komm, lass uns zurück schwimmen." Die Magische war bereits abgezischt und Lennox nickte und nahm den Ring. So machten sie sich wieder auf den Weg nach oben.

Es dauerte keine zehn Minuten, da waren sie schon wieder an der Wasseroberfläche. Die Crucis war nur wenige Meter von ihnen entfernt und sie schwammen zur Leiter. Alea stieg als erste nach oben. „Wir sind wieder da!", rief sie den anderen zu und wrang ihre Haare aus. Mitten in ihrer Bewegung hielt sie jedoch inne. Jemand war an Deck gekommen und blickte ihr mit eisigem Lächeln entgegen.

„Das sehe ich, meine Liebe", sagte Doktor Orion.

Hinter ihm standen drei Darkoner. Allesamt hatten ihre Waffen auf sie gerichtet.


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