Nimara

Sofort war Alea hellwach und schreckte hoch. Sie befand sich in einem dunklen Raum ohne Fenster. Die Ereignisse schossen wir durch den Kopf, sie blinzelte.

Alea befand sich im Kerker der Villa Konungur. Ihr Atem ging schnell.

Hektisch sah sie sich um. Wo waren die anderen? Wo waren Lennox, Sammy, Tess und Ben?

Mit wackeligen Beinen stand sie auf. Ihre Augen mussten sich an die Dunkelheit gewöhnen, und gerade als sie das taten, wurde die Tür aufgerissen.

Orion kam hinein.

„Na? Schön geschlafen?", fragte er nicht ohne Spott. Sie erwiderte nichts.

„Komm mit, die anderen warten schon." Grob zog er sie mit sich und Alea war so überrumpelt, dass sie sich nicht wehren konnte. Es ging durch Gänge und Flure, bis sie in einen großen Raum kamen. Dort saß die Alpha Cru mit Thea gefesselt an der Wand. Auch sie, das merkte sie erst jetzt, hatte an den Händen fesseln an. Sie wurde zu den anderen hingeschubst, sie taumelte und landete neben Lennox.

„Alea!", flüsterte er. „Geht es dir gut?" Sie schluckte.

„Körperlich schon."

Orion platzierte sich nun vor sie und betrachtete sie mit Siegesmiene.

„Woher wussten Sie, dass wir kommen würden?", brüllte Sammy ihn mit Tränen im Gesicht an. Ben, der neben ihm saß, nickte. Auch Alea fragte sich das, selbst jetzt, da ihr unendlich Dinge durch den Kopf schwirrten. Fast schon fühlte sie sich so wie am ersten Morgen, als sie ohne Erinnerungen aufgewacht war.

„Alles der Reihe nach", sagte Orion ruhig und wich einem Tritt von Tess aus, die wütend schnaubte.

„Holt sie rein!", befahl der Doktor den umstehenden Darkonern. Wen?, fragte sich Alea.

Doch seine Männer schienen genau zu wissen, wen er meinte und verließen den Raum. Kurz darauf kamen sie mit einem Mädchen herein.

Alea schnappte nach Luft.

Es hatte schwarze Haare, so wie ihre Augen die selbe Farbe hatten und ein Stirnband. Ihre Miene war ausdruckslos, ihr Blick leer.

„Darf ich vorstellen?", fragte Orion und zog das Mädchen zu sich.

„Das ist Nimara."

„Und was hat sie mit uns zu tun?", spuckte Lennox heraus.

Orion grinste. „Mach mal halblang, Oblivion. Ich erzähle es doch gerade." Nachdenklich betrachtete er die Spritze in seinen Händen. Nimara blieb immer noch ausdruckslos, starrte Löcher in die Wand.

„Ich denke, ihr solltet schon erste Erfahrungen im Zug zum Loreleyfelsen gemacht haben mit ihr. Das war nämlich der erste wichtige Zeitpunkt, indem ich euch abhören konnte."

„Abhören?", krächzte Sammy, blass, wie mit Kalk bestrichen.

Auch Alea schluckte schwer. Das Mädchen hatte sie doch das letzte Mal so komisch angeschaut, als sie Haraja miteinander gesprochen habem. Hatte sie sie wirklich verstanden? Oder hatte Orion ein Aufnahmegerät an ihr befestigt oder so etwas?

„Es war natürlich nicht zu meinem Gunsten, dass du Alea nichts mehr vergessen lassen kannst", fuhr er fort und zeigte dabei auf Lennox.

„Dann wurdet ihr natürlich noch den ganzen Weg lang abgehört..." Jetzt wurde der Doktor säuerlich. „Ich habe Prinz Cassaras ja noch nie vertraut", murmelte er, „aber das ist die Höhe!" Er schritt auf und ab. Vorsichtig blickte Alea zu Thea. In ihren Augen lag Sorge. Sie selber fühlte sich auch ganz elend. Sie hatten Cassaras in Gefahr gebracht! Aber anscheinend hatten sie nicht von Hagen gesprochen, da Orion ihn gar nicht erst erwähnte.

„Dass du wieder zum Meermädchen wurdest, hat mir ebenfalls nicht sonderlich gefallen", sprudelte es weiter aus ihm heraus, während Nimara immer noch starr geradeaus blickte.

„Aber es hat mich brennend interessiert, wie deine Mutter das Gegenmittel herstellen konnte. Darum beauftragte ich ihr, das Fläschchen abzuluchsen – immerhin mussten noch Spuren daran sein. Das war beim Supermarkt."

Jetzt entsann sie sich wieder. Sie war mit Nimara zusammengestoßen – sicher nicht durch Zufall. Und dabei hat sie ihr das Fläschchen geklaut.

„Ich habe ständig Bericht erhalten, dachte mir, dass ich die ganze Sache mal mitspielen werde. Diese Silberfäden scheinen ja ziemlich interessante Dinge zu erzählen. Nur schade, dass sie magisch sind..."

„Wieso hast du das getan?", fragte Tess das Mädchen, erhielt aber keine Antwort, da diese immer noch geradeaus starrte.

„Och, das ist ganz einfach", belehrte Orion sie. „Mit einer kleinen Drohung am Rande wird jeder willig, mir zu helfen."

„Sie Monster!", brüllte Lennox und zerrte an seinen Fesseln. Orion lachte.

„Da ich sie jetzt nicht mehr brauche, kann sie euch gleich Gesellschaft in den Katakomben leisten."

Plötzlich hielt Alea inne.

Diese Szene kannte sie doch...

Ihre Augen weiteten sich.

„Die Vision!", flüsterte sie Lennox zu, der auch die Augen aufriss.

Das war die Silberfadenvision!

Orion blickte noch einmal auf Nimara hinab, dann stieß er sie zu den anderen. Das Mädchen zuckte zusammen, taumelte und fiel dann schließlich vor ihnen auf den Boden. Alea wich erschrocken zurück. Ein Darkoner hob sie mühelos auf und trug sie aus dem Raum.

„Damit ihr mir nicht mehr im Weg steht", fuhr Orion fort, als sei nichts gewesen, „Kommt ihr jetzt in die Kerker." Ein weiterer Wink und fünf andere Darkoner gingen zu ihnen, zogen sie unter aller Wehr mit sich und zurück ließen sie einen lachenden Orion, der siegesbewusst und als Konungur den Raum verließ.

Sie wurden abgeführt und fuhren mit dem Aufzug nach unten, in den düsteren Teil der Villa.

Sie alle kamen in den selben Raum, zu Aleas Verwunderung, doch Orion war sich so sicher – und zurecht auch – dass sie nicht abhauen konnten, deshalb schob er wohl diese Vorsichtsmaßnahme beiseite. In diesem Raum war auch Nimara, die auf dem Boden lag, die Augen geschlossen.

Alea wusste nicht, was sie von ihr halten sollte.

Sie hatte ihnen nachspioniert – aber weil sie nicht anders konnte. Doch mit was hatte der Doktor ihr gedroht?

Die Tür wurde abgeschlossen, Wachposten aufgestellt.

Lennox lief verzweifelt zu dem einzigen Bett im Raum, trat dagegen und rief „Schattfa!" In seinen Augen spielten sich viele Sachen ab, das konnte Alea sehen.

„Wieso sollte ich ein Beschützer sein, wenn wir letztendlich doch immer bei diesem Mistkerl landen?" Wieder trat er dagegen.

Er machte sich schon wieder Vorwürfe.

Sammy weinte und hatte den Kopf dicht an Bens Jacke vergraben, Tess saß an der Wand und schaute düster auf die Tür, Thea hockte schweigend auf dem Boden und war den Tränen nahe. Und sie selber?

Alea wusste nicht, was sie fühlen sollte.

Es war einfach unfassbar.

Dieser Mann schaffte es doch immer wieder.

Verzweifelt lehnte sie sich in eine Ecke und überlegte vergebens, wie sie hier nur jemals wieder rauskommen konnten.

Da tat sich etwas in Nimara. Ganz langsam richtete sie sich auf, blinzelte.

Sie murmelte irgendwas und schaute sich um. Jeder blickte auf sie, doch keiner erwiderte etwas. Da bemerkte Alea auch, dass sie gar nicht mehr pechschwarze Augen hatte – es waren blaue. Hatte sie Kontaktlinsen  grtragen?


„Du bist die Elvarion der letzten Generation!", murmelte sie wieder und schaute sie mit ihren blauen Augen an.

„Mit was hat Orion die gedroht?", fragte Alea. "Was kann wichtiger sein, als..." Da erst bemerkte sie, dass Nimara Handschuhe mit abgeschnittenen Fingerlöchern trug.

„Ich komme ebenfalls aus dem Meer", war ihre Antwort auf keine laut ausgesprochene Frage.

Alea vermutete auch, dass das Stirnband ihre Raffnarben an den Ohren verdecken sollte.

„Welchem Stamm gehörst du an?", fragte sie.

Nimara schwieg eine ganze Zeit lang, dann sagte sie: „Ich gehöre zu dem Stamm der Nixen."

Noch bevor sie weiterfragen konnte, wurde die Tür geöffnet. Giovanni und Rix kamen herein und brachten ihnen wortlos etwas zu Essen. Dann gingen sie raus.

Doch kurz darauf kam Hagen rein!

Alea fuhr in die Höhe.

Aber sie durften ihn nicht verraten.

Hagen fragte, ob sie Durst hätten und brachte ihnen daraufhin etwas zu Trinken. Er gab jedem der Alpha Cru und Nimara ein Glas, dann war er bei Alea angekommen. Anstatt ihr das Glas zu reichen, nahm er ihre Hand und hielt sie ins Wasser. Dabei sagte er nichts. Doch er wartete. Schaute sie vielsagend an.

Silberfadenvision, sah sie Lennox gebärden und so langsam dämmerte es ihr, was Hagen wollte.

Sie konzentrierte sich und schickte Zavana Ravanda, direkt ins Glas hinein.

Der Maulwurf schloss nun mit einem Deckel das Glas, steckte es in seine Tasche und überreichte ihr einen Zettel. Dann verließ er wortlos den Raum.

Langsam faltete sie das Stück Papier auseinander und legte es so hin, dass alle es sehen konnten.

Liebe Alpha Cru,

ich denke, ihr wisst schon, was es mit mir auf sich hat. Lennox hat es euch sicher erzählt.

Und ihr wisst vielleicht auch, dass ich bei den Müllablagerungen dabei bin. Dort werde ich Aleas Zavana Ravanda ins Wasser gießen. Wenn die Magischen uns nach Island folgen werdet ihr vielleicht fliehen können.

Ich werde möglicherweise heute Nacht als Wachposten eingestellt, dann können wir uns weiter unterhalten.

Bis dahin

alles Gute.

Hagen

PS: Zerstört diese Nachricht sofort, wenn ihr sie gelesen habt.

Das tat Alea auch. Mit ein paar Rissen waren nur noch Papierschnipsel vor ihr, die sie in den nächstbesten Mülleimer schmiss.

„Er kann doch gar kein Hajara, wie will er den Magischen dann erklären, dass sie ihm folgen sollen?", fragte Tess. „Hagen kann ein bisschen Hajara", erwiderte Thea, nachdem Ben übersetzt hatte. Überrascht zog Alea die Brauen hoch.

„Ich hab ihm ein wenig beigebracht", erklärte ihre Schwester.

„Was stand da?", wollte Nimara wissen. „Kannst du nicht lesen?", fragte Lennox sie. „Doch, aber nur Hajara", meinte sie. Er fasste es kurz zusammen.

„Ich weiß, ich habe einen riesigen Fehler begannen. Dennoch es kann mir nicht leidtun", sagte sie ruhig, „Aber ich will hier echt weg." Sie kratzte sich unter dem Stirnband.

„Hast du denn davor im Meer gelebt?", fragte Lennox. „Über was sprecht ihr eigentlich die ganze Zeit?", wollte Sammy wissen, der ja kein Fetzten Hajara konnte, höchstens schaffta. Doch Alea konnte jetzt nicht für ihn übersetzten, das sollte Ben tun, der ja von ihr etwas von der Sprache gelernt hatte.

„Ja, habe ich", erwiderte Nimara auf Lennox' Frage hin.

„Im Wasser ist ein Virus", stellte Alea klar.

„Ich hab doch schon gesagt, ich bin kein Meermädchen."

„Du hast gesagt, du gehörst dem Stamm der Nixen an – oder?"

„Ja, genau. Der Virus macht den Magischen nichts aus."

„Wieso du hast Beine?", fragte Ben, der konzentriert ihrer Unterhaltung gelauscht hatte.

„Ich bin eine halbe Nixe", erklärte Nimara.

Dann zog sie ihr Stirnband ab. Darunter waren Nixenmale. Sie hat es also gar nicht wegen der Raffnarben getragen!

„Und hast du Eltern?", fragte Alea weiter.

„Ja. Meine Mutter ist tot und mein Vater ist tot." Dann lehnte sie sich an die Kerkerwand und sagte nichts mehr.

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