Neue Zukunft

Orion. Er stand am Ufer und grinste spöttisch. Hinter ihm war jemand, sie konnte nicht erkennen, wer, doch er bedrohte den Doktor. Mit was auch immer. Dann holte er unauffällig etwas aus seiner Tasche und rammte es dem anderen in das Bein. Dieser andere krümmte sich und fiel dann nieder.

Orion. Er war in seiner Villa, die deutlich zu erkennen war. In seiner Hand eine Spritze. Er bewegte den Mund, Alea konnte aber nicht verstehen, was er sagte. Dann erst erkannte sie ein Mädchen vor ihm. Mehr konnte sie an ihr nicht erkennen.

Orion. Er saß an einem Tisch und las Zeitung. In seiner Hand war ein dampfender Expresso. Hinter ihm das Kolosseum von Rom. Sie kannte diese Vision. Da hob der Doktor den Blick. Keine Regung zeigte sich in seinem Gesicht, er starrte sie einfach nur an.

Alea blinzelte zwei, drei mal, dann erzählte sie den anderen von ihrer Vision, während Sammy für Thea übersetzte.

„Erst überrascht, dann hat er dich erwartet, dann wieder überrascht und jetzt zeigt er keine Regung?", fragte Lennox skeptisch. „Das ist doch klar wie Kloßbrühe!", rief Sammy. „Die Silberfusseln werden überstrapaziert! Da dürfen sie sich ruhig mal irren!" Er nickte heftig. „Ah", kommentierte Lennox nur. „Alea, nimm auch den zweiten." Das tat sie, doch die selben Visionen kamen. Dann war Lennox an der Reihe.

Nachdem er den Faden wieder weglegte erklärte er: „Es waren die mit dir, Thea, Nelani und Keblarr. Dann noch... Orion, wer hätte das gedacht. Und er war überrascht." Er zuckte hilflos mit den Schultern. „Aus dieser Vision werden wir wohl nie schlau werden. Aber ich hatte auch noch eine dritte: Ich habe dich gesehen. Na, ich weiß nicht, wo das war, aber dann hielt dir jemand ein Glas Wasser hin – und du hast Zavana Ravanda geschickt."

Alea staunte. Ihre Zukunft war anscheinend ziemlich vielseitig. „Kann ich jetzt?", fragte Thea, als Lennox beim zweiten Faden wieder die selben Sachen gesehen hat. Zögerlich nahm sie den einen und ihr Blick richtete sich nach innen.

Alea hielt angespannt den Atem an.

Es vergingen ungefähr zwei Minuten, dann öffnete Thea wieder die Augen.

„Ich habe Cassaras gesehen", sagte sie auf Hajara und vergaß wohl ganz, deutsch zu sprechen, deshalb übersetzte Lennox für Sammy.
„Neben ihm war ein Mädchen, ich weiß nicht welches, doch mitnichten du oder ich. Und dann ist er ins Wasser gesprungen – mit ihr." Sie schluckte schwer. Alea runzelte sie Stirn. War das Mädchen aus ihrer Vision das selbe wie aus Theas? Nein, das wäre wohl ein zu Großer Zufall. „In der anderen... da sah ich die Elvarion der letzten Generation und in ihren Händen hielt sie zwei Umhänge – den Goldumhang und den Silberumhang." Ihr entfuhr ein Jauchzer. Das hieß, dass Mura dem Nixenprinzen den Umhang überließ? Das war... fantastisch!

„In der dritten", fuhr Thea fort. „War ich. Und du. Und... ich glaube, es waren unsere Eltern." „Die selbe, wie ich sie hatte?", fragte Lennox in Gebärdensprache. Sie nickte. „Ich glaube schon."

Das war doch mal etwas. Mehr hatten sie nicht gesehen, aber es waren auch schon mehr als genug Visionen. Sammy lief zu Tess und Ben und erzählte ihnen alles, während die anderen in der kleinen Kajüte blieben.

„Die Fäden haben nichts negatives gezeigt", meinte Lennox. „Nur die mit Orion und dem Bedroher war seltsam – und die mit Cassaras und dem Mädchen. Ich frage mich echt, was es damit auf sich hat."

„Aber anscheinend werden wir es ja noch erfahren", sagte Alea.

„Und Orion da sehen, wo wir ihn eigentlich nicht haben wollen!", beendete er. „Wir wollen ihn doch gefangen nehmen, wieso ist er mit einmal an einem Strand und in seiner Villa?" Er schüttelte ungläubig den Kopf.

„Das ist zu viel, darüber werde ich mir noch Gedanken machen." Damit verließ er den Raum.

Alea wollte auch gerade gehen, da hielt Thea sie zurück. „Was gibt's?", gebärdete sie verwundert.

„Können wir...", stotterte sie, „... ins Wasser? Schwimmen gehen?" Alea blickte sie an.

„Okay, wenn die anderen einverstanden sind", sagte sie dann. Insgeheim freute sie sich, auch darüber, dass ihre Schwester dann wohl auch die Angst vom Wasser überwinden würde. Und... gerade, als sie nach oben gehen und fragen wollte, hielt sie inne.

Das war er.

Ihr Traum.

Mit Thea schwimmen gehen.

Sie musste sich an der Wand festhalten, so überrumpelte sie die Tatsache gerade. Wenn es auch nicht mit Walen sein würde – sie ging schwimmen! Mit Thea!

Schnell stolperte sie hoch und berichtete es den anderen. Lennox wollte mit, aber Alea schlug ab. Sie wollte nur mit Thea im Wasser sein. Doch dann erlaubte er es ihr und sie holte ihre Schwester schnell. Dann lief sie an die Reling. Thea war neben ihr.

Doch gerade, als sie sprangen wollten, sah Alea ein leuchtendes Oval auf der Meeresoberfläche. Ihre Augen wurden groß. „Hier sind wir!", rief sie und das Oval wechselte seine Richtung, bis es schließlich bei ihnen angelangt war und ein Bild erschien. „Das ist Nelani – unsere Mutter!", entfuhr es ihr.

„Hallo Alea", begrüßte die Walwanderin sie. „Oder ist da auch noch Thea?" Sie schaute aus dem Oval und suchte nach ihr. Aber natürlich konnte sie nichts sehen, da es sozusagen ein Video und nicht live war.

„Es ist echt super, dass ihr euch gefunden habt! Du hast es mir ja in der letzten Botschaft geschickt – seid ihr noch beim Loreleyfelsen? Wenn diese Nachricht euch erreichen wird, dann wahrscheinlich nicht mehr. Ist Prinz Cassaras bei euch?" Wieder schaute sie suchend aus dem Oval. „Ich bin gerade in der Stadt – stell dir vor, ich kann den Namen endlich aussprechen: Hafnarfjörður. Dort habe ich Keblarr getroffen! Nach all den Jahren... Sag mir bitte gleich, wo ihr seid. Denn dann würden wir zu euch kommen. Richte deiner Schwester bitte schöne Grüße aus, wenn sie nicht gerade zuhört. Und den anderen natürlich auch. Viele Grüße, Nelani."

Das Oval verschwand nicht, stattdessen veränderte sich das Gesicht von ihr – und daraus wurde Keblarrs!

„Hallo Alea", sagte er in seiner tiefen Stimme. „Nelani ist bei mir! Ich habe ja so lange geglaubt, sie wäre tot. Wenn ich richtig liege bei meiner Vermutung wann du – oder ihr? - diese Borschaft bekommst, dann war sie vor vier Tagen bei mir angekommen. Wo seid ihr? Schon in Rom? Deine Mutter hat mir alles erzählt. Es ist ja so schön, dass du deine Schwester gefunden hast. Aber ich muss jetzt aufhören, ich muss noch was erledigen. Möge dich stets guter Wellenschlag begleiten." Damit verschwand das Oval. Alea wusste gar nicht, dass man anscheinend zwei-in-eins Nachrichten verschicken konnte, und war unheimlich glücklich, dass ihr Vater sich auch mal gemeldet hat. Vorsichtig blickte sie zu Thea. Sie hatte die Botschaft auch mitbekommen. Sie wusste nicht, ob das daran lag, dass sie auch eine Wanderin war, oder dass sie genau gleich aussah – Thea blickte selig ins Wasser. Sie hatte ihre leiblichen Eltern gerade zum ersten Mal gesehen.

Schnell verschickten sie auch beide jeweils eine. Sie erzählten davon, dass sie gerade in Rom sind und Thea Bandenmitglied geworden ist. Auch noch, dass Cassaras bei Mura ist, war oder sein wird und in vier Tagen sie Orion schnappen werden.

Danach ging es aber mit einem Kopfsprung ins Wasser! Alea schaute zu Thea, um zu sehen, wie ihre Verwandlung aussah. Sie hatte sie zwar einmal bei Orion gesehen – aber er war zur Hälfte Landgänger und deshalb hatte er auch keine grüne Haut und zwischen Zehen und Fingern Schwimmhäute. Ihre Schwester schaute ihrem Körper ebenfalls fasziniert zu. Es dauerte um einiges länger als bei Alea, bis sie vollständig ein Meermädchen war. Aber ganz am Anfang war es bei ihr genauso gewesen.

Thea lachte. Sie lachte aus vollem Herzen. All die Jahre, die sie sich vom Wasser ferngehalten hatte, all die Jahre, in denen sie sich nicht verwandeln durfte. Und jetzt war sie hier. Im Meer.

Sie preschten los, ließen sich von Strömungen treiben, gerieten in Fischschwärme. Es tarnten zwar nirgends Skorpionfische etwas, doch sie hatten trotzdem viel Spaß. Es war wunderschön, mit ihr hier zu schwimmen. Und natürlich auch, weil sie davor ja noch eine Landgängerin war. Die Farben von Thea zeigten das selbe wie die von ihr selber. Freude, Spaß, Euphorie.

Es war einfach wunderbar.

Als sie nach einer Weile wieder auftauchten, war es schon etwas dunkel. Sie waren Stunden im Wasser gewesen und jetzt sah man die Crucis nicht mehr. Entweder lag es daran, dass sie sowieso getarnt war und sie lag direkt vor ihren Füßen, oder, sie waren wirklich so weit geschwommen, dass sie das Schiff auch nicht hätten sehen können, wenn es sichtbar wäre. „Finde-Finja!", rief Alea in die Fluten und schon nach einer Minute kam eine blau-violette. „Ich bin gekommen", säuselte die Magische.

„Ich bin Alea Aquarius, Tochter der Nelani und des Keblarr, Elvarion der letzten Generation. Dies hier ist Anthea Lepus, Tochter der Nelani und des Keblarr." Die Finja starrte sie an. Dann Thea.

„Alea Aquarius? Die Alea Aquarius?", wiederholte sie dann. Alea nickte.

„Ich bin Finni-Fina."

„Gut, Finni-Fina. Bitte finde für uns die Crucis, ein altes Segelschiff, es ist von Skorpionfischen getarnt." Die Finja geriet nun in brütendes Schweigen. Dann klirrte sie: „Folgt mir." und sauste los.

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