Loreley

Alea wurde von piependen Stimmen geweckt. Sie fuhr in die Höhe und ihre Augen suchten nach möglichen Gefahren ab. Dann kam wieder klirrendes Gelächter. Verwundert schaute sie in den Rhein – und entdeckte dort eine Isibelle. Sie kicherte und schien irgendetwas wohl wahnsinnig lustig zu finden.

„Hallo!", rief Alea ihr zu. Davon wachte auch Lennox auf, der sich an den Schläfen rieb und gerade fragen wollte, was los war, als er sie auch bemerkte. Die Isibelle kicherte weiter. Dann sagte sie:

„Ich habe jemanden gesehen, der sah genauso aus wie du!"

Sofort wurde sie hellwach.

„Wo?", wollte sie wissen, während sie Lennox' Hand nahm und sie ganz fest drückte.

„Irgendwo halt! Schon komisch, oder?" Mit ihrer zarten kleinen Hand deutete sie in die eine Richtung des Flusses. „Da!"

„Wann?", fragte sie weiter.

Die Isibelle legte den Kopf schief. „Wer seid ihr überhaupt?"

„Ich bin Alea Aquarius. Und das hier ist..."

Die Alea Aquarius? Die Elvarion der letzten Generation?", unterbrach die Magische sie. Alea nickte.

„Vor ungefähr einer Stunde! Vielleicht vor einer halben!", rief die Isibelle und strahlte, da sie wohl der Elvarion helfen durfte.

„War... noch jemand anderes bei ihr?", fragte Lennox. Sie nickte heftig.

„Ja! So ein Mann, aber wahrscheinlich eine Nixe. Hm, jedenfalls hatte er die Male, aber halt auch Beine."

„Cassaras", kommentierte Alea nur.

Der Prinz Cassaras aus der Legende?" Erstaund bejahte sie. Meinte die Isibelle etwa die Legende mit dem Silberumhang? Da hörte sie auch andere Stimmen. Aber sie schienen jemanden rufen zu wollen. „Ich muss los", meinte die Magische. „Möge dich stets guter Wellenschlag begleiten, Alea Aquarius", verabschiedete sie sich, schwamm weg und fügte im Schwimmen noch hinzu: „War mir eine Ehre, dich kennenzulernen!"

„Möge dich auch stets guter Wellenschlag begleiten", flüsterte sie, überrascht, dass das so schnell ging.

„Sie sind also wirklich hier!", sagte Lennox aufgeregt. „Komm, packen wir zusammen."

Das taten sie und ein paar Minuten später waren sie auch schon wieder auf dem Weg zum Loreleyfelsen.

Mit der einen Hand hielt Alea Lennox' und mit der anderen umklammerte sie das Glasfläschchen in ihrer Jackentasche. Heute würde sie bestimmt auch schon wieder ein Meermädchen sein! Der Gedanke daran ließ sie manchmal über Steine oder Wurzeln stolpern, und wenn Lennox sie nicht gehalten hätte, wäre sie hingefallen.

Aber auch er wurde, je näher sie dem Felsen kamen, angespannter. Man konnte es auch an seiner Stimme hören, wenn sie sich unterhielten. Manchmal fuhr er herum, als habe er das Gefühl, beobachtet zu werden, aber das tat er bestimmt nur, weil er so aufgeregt war.

Nach der Karte war es auch gar nicht mehr weit.

Und dann sahen sie ihn.

Alea fiel fast um, hätte Lennox sie nicht schon wieder gehalten.

An der Spitze des Loreleyfelsens war ein Mädchen, das nachdenklich ins Wasser schaute. Es hatte lange, schwarze Haare, blasse Haut und klargrüne Augen. Außerdem trug sie Handschuhe – mit abgeschnittenen Fingerlöchern. Anthea.

Cassaras, der weiter hinten stand, hatte sie sofort bemerkt. Sein Blick wurde groß, als er sie sah. Mit forschen Schritten und wehendem Mantel lief er zu ihnen, der Vorwurf in seiner Miene war nicht zu übersehen.

Als er bei ihnen angekommen war, donnerte er sofort los: „Was macht ihr denn hier? Was ist mit Orions Sender?" Da setzte der Elvarion-Modus ein. Mit gefasster Stimme antwortete Alea:

„Orions Sender ist zerstört. Außerdem sind wir nicht mit der Crucis hier." Der Nixenprinz hatte sich so platziert, dass er Anthea verdeckte. „Und was macht Scorpio hier?"

„Die Alpha Cru hat mich aus Korsika befreit", erwiderte dieser kühl. „Wir wissen, dass das dort hinten Thea ist." Alamiert durchbohrte Cassaras Alea mit seinem Blick. Die Überraschung stand ihm ins Gesicht geschrieben. „Du solltest nicht nach ihr suchen", murmelte er.

„Aber zu diesem Zeitpunkt wusste Orion auch, wo wir waren. Jetzt nicht mehr. Die Crucis ist unter anderem auch noch getarnt."

„Woher wusstet ihr, dass sie hier ist?" Er blickte sich nach hinten um. Aleas Zwillingsschwester kam mit verdutzter Miene näher. „Woher?", wiederholte er sich.

„Thea und ich... wir haben uns noch gefunden, bevor wir auf dem Turm mit Ihnen gesprochen haben. Dort hat sie einen Ort erwähnt, wo sie schon immer hinwollte. Also kamen wir auf die Idee, hier zu suchen...", sagte sie. Aber gerade, als Cassaras wieder etwas erwidern wollte, war Thea auch schon angekommen.

„Wer sind sie?", fragte sie den Nixenprinzen in Gebärdensprache. Dabei sah sie jedoch die ganze Zeit Alea an. Doch dieser wandte sich ab und entfernte sich für ein paar Meter.

„Wer seid ihr?", fragte sie wieder, dieses Mal in perfektem Hajara. „Und wieso siehst du so aus wie ich?"

Jetzt war der Moment gekommen. Alea und Anthea standen sich nun gegenüber. All die Momente, in denen Alea sich gewünscht hatte, ihre Zwillingsschwester wäre da, Zu dir, die SMS... Nun war sie da. Und nun hatte sie endlich die Chance, sich mit ihr zu unterhalten. Zu wissen, wer jeweils der andere ist. Nun stand sie direkt vor ihr.

„Thea", begann sie langsam und gebärdete: „Mein Name ist... Alea Aquarius. Das hier ist..." Sie hielt inne. Wenn sie diesen Namen aussprechen würde, wusste ihre Schwester, dass sie A. vor sich hatte. „Dies hier ist Lennox Scorpio." Trotz des Elvarion-Modus war sie aufgeregt. Perplex starrte Thea sie an. Dann Lennox.

„A.?", gebärdete sie verblüfft und sprach auch gleichzeitig. Langsam nickte Alea.

„In den SMS, die ich geschrieben habe..." Jetzt fehlte ihr ein Zeichen. Deshalb buchstabierte sie es einfach. „E.R.Z.Ä.H.L.T.E. ich dir, ich suche nach meinen Eltern." Wie in Zeitlupe bejahte Thea.

„Meinen lebenden Eltern", fügte sie hinzu, da sie es jetzt sagen musste.

„Wir haben dieselben Eltern."

Anthe blickte sie ruhig an. Aber das tat sie lange. Zu lange. In ihren Augen konnte man sehen, wie viel in ihr vorgehen musste, doch Alea konnte nicht sagen, was es war. Lennox, die neben ihr stand, nahm ihre Hand und drückte sie aufmunternd. Schließlich war sie wieder aus ihrer Starre erwacht und gebärdete: „Du bist meine Zwillingsschwester?"

„Ja. Unsere Eltern... sie heißen Nelani und Keblarr. W.A.H.R.S.C.H.E.I.N.L.I.C.H. sind sie gerade auf Island."

„Dort wohnt auch mein Pa", antwortete Thea.

„Doktor Orion?", war es dieses Mal Lennox, der fragte. Erschrocken wich sie zurück.

„Woher wisst ihr das? Kennt ihr meinen Pa etwa? Außerhalb des Gesprächs mit Hilfe der Handys?" Besser, als du glaubst, dachte Alea leise und Wut stieg in ihr auf, die aber nur kurzzeitig anhielt. Wieder bejahte sie.

„Woher?"

„Das ist eine lange Geschichte", erwiderte er mit einem zwanghaften Lächeln. „Und wir können nicht sehr gut gebärden."

Anthea nickte. „Woher könnt ihr eigentlich überhaupt die Sprache?"

„Ben und Sammy", antwortere Alea.

„Hagen", sagte Lennox.

„Was?" Sie riss die Augen auf.

„Der, mit D.E.C.K.namen Siegfried." Thea nickte. „Ich auch."

Alea schaute kurz zu Cassaras. Er war in Gedanken versunken und starrte auf das Wasser.

„Das ist der Wanderer", erklärte ihre Schwester, die den Blick wohl bemerkt hatte.

„Ja. Cassaras." Wieder war sie verblüfft.

„Woher wisst ihr so viel?"

Alea überlegte, ob Anthea ihre Wandererbotschaften überhaupt hören konnte. Klar, sie war taub, aber sie hatte schon immer das Gefühl gehabt, dass man die Botschaften nicht mit dem Verstand wahrnimmt, sondern mit dem Herzen. Sie könnte ihr die ganze Geschichte aufschreiben, aber wenn es wirklich funktionierte, war das der schnellere Weg. Also versuchte sie jetzt Thea so gut wie möglich zu erzählen, dass jemand ihr ihre Wandererattribute weggespritzt hatte, und Nelani ein Gegenmittel herstellen konnte, wofür sie allerdings etwas ihrer früheren DNA brauchte.

Thea war sofort einverstanden, wie auch Alea aus ihrem Gefühl aus von Anfang an dachte, sie könnte der geheimnisvollen T. alles erzählen, schien ihre Schwester das selbe zu empfinden.

Sie holte ein Messer aus ihrer Jackentasche heraus und schnitt einen kleinen Riss in ihren Oberarm, aus dem ein wenig Blut quoll. Schnell schraubte Alea das Glasfläschchen auf und hielt es unter die tropfende Wunde. Bald darauf plitschte ein kleiner Tropfen in die Flüssigkeit. Sie verfärbte sich grünlich, nachdem sie es etwas geschüttelt hatte.

Sie konnte hören, wie Lennox neben ihr geräuschvoll die Luft anhielt. Genauso ging es ihr auch.

Mit diesem Gebräu würde sie wieder ein Meermädchen werden. Eine Walwanderin.

Sie schluckte.

Das war so ein großer Moment, dass Alea plötzlich gar nicht mehr wusste, ob sie es wirklich trinken sollte. Aber dann klärte sich ihr Geist. Natürlich würde sie es tun. Und jetzt hatte sie die Möglichkeit, es zu tun. Sie schloss die Augen und kippte alles mit einem Mal runter.

Die Flüssigkeit schmeckte bitter, fad und fast schon bisschen scharf. Sie zog ihren einen Handschuh aus und beobachtete, was mit ihren Händen geschah.

„Silberfadenvision", keuchte sie.

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