Letzter Tag
„Schneewittchen! Hallo! Hier spricht der Hüter des Schatzes, und wenn du jetzt nicht endlich aufwachst, dann wird der Drache zu höheren Maßnahmen greifen müssen!"
Alea schlug müde die Augen auf. Samuel Draco, eigentlich Sammy Walendy, war auf ihr Bett geklettert und grinste sie an, wodurch seine Zahnlücke zu voller Geltung kam. „Schneewittchen!", flötete er und kroch unter ihre Decke, steckte seine nackten, kalten Füße zwischen ihre Waden und schmiegte sich an sie.
„Heute ist der letzte Tag, an dem ich dich mit meiner Präsenz beflügeln kann! Das muss ich ausnutzen!" Alea gähnte und musste lächeln. Sammy beflügelte die anderen meist, wenn er eigentlich den Abwasch machen muss und dadurch eine noch wichtigere Aufgabe hat. „Guten Morgen, Kuschelkönig ", begrüßte sie ihn. „Dann beflügel mich mal."
Er strahlte. „Ich habe mir schon was wunderbäriges überlegt." Sie hatte eine Vorahnung, was das sein könnte. „Du backst Kekse! Bestkekse! Und dann Megabestkekse, wenn ich bei dir bin und du meine Präsenz aus vollen Zügen genießen kannst! Das finden die Kekse bestimmt auch! Und ich bekomme eine Bestwampe!" Er hob seinen Arm, um einen dicken Bauch zu veranschaulichen. „Außerdem brauche ich einen Vorrat, weil du ja mit Scorpio schon morgen gehst." Er nickte, als wolle er sich selbst beipflichten.
„Du solltest gleich die doppelte Menge machen. Oder die dreifache! Oder vier mal so viel! Uuuhh... so viele Kekse!" Er blickte selig drein und schien in seiner Fantasie zu schwelgen, während er bestimmt gerade im Sammy-Universum in einem Schwimmbad voller Kekse ist.
„Ist Lennox eigentlich schon wach?", fragte Alea schließlich. „Nee, der schläft noch. Aber er wacht bestimmt jeden Moment auf!" Sie beschloss, zu ihm zu gehen. Ein Blick auf das obere Bett verriet ihr, dass Tess Taurus schon wach sein musste, was auch verständlich war, da Sammy hier so reingeplatzt war.
Sie zog sich geschwind an, dann ging sie vorsichtig in den Salon. Dort schlief nämlich Lennox Scorpio, Krieger des Vergessens und außerdem noch ihr Freund. Ihr besonderer Freund. Er hatte die Augen geschlossen, war zur Seite gelehnt. Alea genoss noch kurz seinen Anblick, dann flüsterte sie: „Aufwachen, Krieger." Langsam schlug er die Augen auf und lächelte. „Misch Lateyna", murmelte er auf Hajara, was so viel wie Guten Morgen bedeutete. Er neigte sich vor und küsste sie.
„Noch diesen Tag auf der Crucis", raunte er. „Und dann morgen... wir ganz allein." Bei der Vorstellung machte sich ein warmes Gefühl in ihr breit. Hier auf dem engen Schiff ist es selten der Fall, ein ruhiges Plätzchen zu finden, wo einer keinen stört.
Seine azurblauen Augen strömten so viel Liebe und Zuneigung aus, dass Alea ihn unbeholfen anstarrte. Lennox war ein halber Oblivion, ein Meeresstamm, der Landgänger Dinge vergessen lassen konnte und meist von ihnen übersehen wurden. Außerdem konnte er Skorpionfische rufen, die Dinge tarnen konnten. Getarnt war auch gerade die Crucis, damit Doktor Orion sie nicht finden konnte. Er, der den Virus im Wasser erschaffen hatte, er, der ihr die Meermädchen-Attribute geraubt hatte. Denn Alea war eine Walwanderin. Betont auf war, aber durch das Gegenmittel, dass Nelani, ihre Mutter, geschaffen hatte, konnte sie sich zurückverwandeln – aber nur mit einem Teil ihrer früheren DNA. Deshalb wollten sie morgen zum Loreleyfelsen fahren, um ihre Zwillingsschwester Anthea zu finden.
„Ich wurde wieder zum backen verdonnert", sagte sie dann nach einer Weile. „Sammy sagt, er brauch dringend Vorrat." Lennox lachte leise. „Dann gehe mal deinen Pflichten nach, Alea Aquarius." Sie ging in die Küche, stellte Mehl, Butter, Zucker und was sie noch so brauchte bereit und begann, den Teig zu machen. Währenddessen kam auch von hinten der Bandenjüngste hergelaufen und schaute ihr über die Schultern. „Ahh... ich sehe schon, das werden Best-super-originäre-Abschieds-Kekse!" Alea formte sie nun zu kleinen Ankern, legte sie auf das Blech und stellte es in den Ofen. „Ich konnte nicht mehr als sonst machen", erklärte sie ihm. „Dafür hätten die Zutaten nicht gereicht." Sammy zog einen Schmollmund. „Aber... wenn ich keine Kekse bekomme... dann..."
„Stirbst du, bis du tot bist?", fragte da eine Stimme hinter ihnen, mit leicht französischem Akzent. „Hallo Piratenprinzessin!", rief Sammy und stürmte zu Tess. „Übrigens: Ganz genau! Dann werde ich sterben, bis ich tot bin! Und das willst du doch nicht!" Schmeichelthaft sah er zu Alea. Tess stöhnte und lief durch den Salon zur Mädchenkajüte.
„Das wäre natürlich ganz schlecht", meinte sie, „Aber es fehlen halt die Zutaten." Sammy schaute in den Ofen. „Vielleicht werde ich auch nur ganz knapp nicht sterben...", murmelte er und leckte sich über seinen Mund.
„Ben telefoniert gerade übrigens mit Niki", sagte er. „Mannometer, es soll auf der Volantis ziemlich cool sein. Niki hat schon ganz viel gelernt, hat Ben mir erzählt."
Niki war Benjamin Libras Freundin, aber als die Ocean Knights mit Volantis in See stachen, war sie mit ihnen gegangen, was anderes hätte er aber auch gar nicht zugelassen. Denn auf diesem Segelschiff konnte Niki endlich ihren Traumjob ausüben.
„Das ist klasse", meinte Alea.
„Wunderbärchen", korrigierte Sammy.
„Wunderbärchen", verbesserte sie sich.
„Haaaalt! Stopp! Kekse!" Er streckte ihr auffordernd seine Hand entgegen. „Später", erwiderte sie und schmunzelte. Immer wenn sie Wunderbärchen sagte, schuldete sie ihm Kekse.
„Ausnahmsweise. Weil du's bist." Er drückte sich nun die Nase am Ofenfenster platt, während Alea aufräumte.
Bald kam auch Lennox zu ihnen. Auch er wurde schnell von Sammy angesprungen und umarmt, aber sie alle waren das gewohnt, weshalb er nicht einmal mit der Wimper zuckte. Freundschaftlich wuschelte er mit seiner Hand durch seinen Rotschopf. „Guten Morgen, du kleiner Irrer."
Sammy seufzte. „Boah, bin ich verliebt in dich", nuschelte er. „Und in alle anderen auch! Alea ist mein absoluter Schmuse-Favorit und aus Bens Bauchnabel gibt es die besten Best-Fussel. Tess ist die coolste Piratenrockrampensauprinzessin und du der Krieger des Vergessens! Sogar in Kit bin ich verliebt! Und selbstverständlich in Niki! Und in Fussel! Meine kleine Fusseline!" Er nickte aufgeregt. „Bestimmt bin ich auf der ganzen Welt in die meisten Leute verliebt! Ich, Drache, Hüter des Schatzes!" Er grinste.
„Ganz bestimmt", kommentierte Lennox nur.
Alea sah, dass die Kekse fertig waren. Schnell zog sie die Handschuhe an, öffnete den Ofen und holte das Blech heraus. Sie waren perfekt durchgebacken. Sie ließ sie noch ein wenig stehen, dann nahm sie ein paar und übergab sie Sammy. „Entschädigung."
Dieser nahm sich den größten und biss hinein. Mit vollem Mund krakeelte er: „Bestkeks!" Dann verschwand er in der Jungenkajüte.
„So eine Schmusezecke", seufzte Lennox und ging zu Alea. „Ab morgen haben wir wieder ein paar Tage ruhe vor ihm." Sie lächelte. Zwar störte sie es überhaupt nicht, jeden Tag geknuddelt zu werden, aber ein paar ruhige Momente konnte keinenfalls schaden.
Als es Frühstück gab, gingen sie alle an Deck. Ben hatte fertig telefoniert und Tess hatte anscheinend auch noch mit Kit geskypt. Es gab Brote, Marmelade, Käse, Chai-Tee mit Ingwer und natürlich Kekse, die Sammy aber sofort für sich beanspruchte. Jedoch war er noch so gütig, den anderen jeweils einen halben zu geben. „Schließlich geht es hier um Projekt Wampe und um nicht am Fehlen von Keksen zu sterben", hatte er erklärt. Tess rollte natürlich wieder mit den Augen, und Tante Hildegard, ihre Möwe, sah auch ein wenig so aus, als zog sie eine Miene. Ben gab derweil Lennox eine Karte und Geld. Sie würden mit dem Zug zum Loreleyfelsen fahren, doch laufen ließ sich nicht vermeiden. Wenigstens nicht so lange, wie damals in Schottland.
Außerdem packten sie noch Lennox' Gitarre, etwas zum Essen, eine Termosflasche und sonst noch die Dinge ein, die sie brauchen werden. Alea selbst hatte in ihrer Tasche das kleine Glasfläschchen, das Mittel, das sie wieder zur Walwanderin machte. Schweigend zog sie den Behälter heraus und schaute ihn nachdenklich an. Bald würde sie wieder schwimmen können! Bald sie wieder unter Wasser atmen können! Bald würde sie wieder die Farben des Meeres sehen! Und Wandererbotschaften verschicken. Alea nahm sich vor, dass wenn es soweit war, sie sofort eine an Nelani verschickte. Vielleicht war sie schon bei Keblarr, ihrem Vater, der auf Island wohnte.
Am Nachmittag wollten sie noch ein wenig Musik machen. Schnell holte Alea ihre 18 Weingläser (die anderen drei waren zerbrochen) und füllte sie mit Wasser, Lennox schnallte sich seine Gitarre um, Sammy setzte sich auf seine Cajón, Benn hielt seinen Bass bereit und Tess ihr Akkordeon. Als erstes spielten sie Wenn das Wasser ruft, danach Fünf, schließlich (auf Sammys Wunsch hin) Drachenherz, Zu dir und am Schluss noch Meeresleuchten. Die Alpha Cru kannte das Lied noch nicht, dass Alea neulich mit Lennox auf Capraia geschrieben hatte, und zusammen bauten sie noch ihre Instrumente ein.
Sie spielten lange, und jedes Lied hatte einen Hauch von Magie an sich, und den konnte jedes einzelne Bandenmitglied spüren. Denn zusammen waren sie super. Spektakulär. Einzigartig. Aber noch viel mehr.
Sie waren Magisch.
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