Epilog
Peter klickte mit gelangweilter Miene die Programme des Fernsehers durch. Seit Tagen kamen keine spannenden Sachen, nur Erwachsenenkram oder Serien für Kleinkinder. Er rieb sich die Augen und blickte durch die Tür zum Zimmer seiner Pflegeeltern. Herr Ambrosius sortierte irgendwelche Akten und seine Frau schrieb fleißig einen Bericht über Tiere oder so was. Und da er nun nichts besseres zu tun hatte, saß er hier auf dem Sofa und klickte zum gefühlt tausendsten Mal auf die Fernbedienung.
Später wusste er auch nicht mehr, wieso er bei diesem Sender gestoppt war, doch das Mädchen mit den klargrünen Augen und den langen schwarzen Haaren weckte seine Interesse. Ungefähr ein Dutzend Kinder standen hinter ihr, ein Junge mit azurblauen Augen war direkt neben dem Mädchen. Sie alle hatten Handschuhe mit abgeschnittenen Enden an. Wie ich, dachte Peter und beobachtete, wie das Mädchen zu sprechen begann. „Mein Name ist Alea Aquarius", sprach es, „und ich möchte alle Landgänger über einst vergessene Tatsachen berichten." Stirnrunzelnd wollte Peter schon weiterklicken, denn für erfundenen Quatsch wollte er seine Zeit nicht verschwenden, doch seine Hände wollten ihm nicht gehorchen. „Vor vielen Jahren gab es eine Zivilisation in den Tiefen der Ozeane, die Hand in Hand mit den Leuten an Land zusammenlebten. Man nannte sie die Meermenschen."
„Was schaust du dir da an?", rief seine Pflegemutter aus ihrem Zimmer aus. „Weiß nicht!", kam seine Antwort wahrheitsgemäß, doch dann ging es schon weiter. „Es gab viele Stämme unter Wasser und sie alle hatten Kiemen hinter den Ohren und Schwimmhäute zwischen Fingern und Zehen. Doch nach einiger Zeit lebten die Landgänger nicht mehr mit der Natur im Einklang, sondern beuteten sie aus und schadeten ihr. Die Meermenschen fanden dieses Verhalten nicht akzeptabel und es wäre beinahe ein Krieg ausgebrochen, doch dann erschienen die Oblivionen, mit einer sehr wertvollen Gabe ausgestattet – sie konnten Leute etwas vergessen lassen. Da dies die einzige Möglichkeit war, einen schlimmen Krieg zu verhindern, löschten sie sämtliche Erinnerungen der Landgänger." Ungläubig schüttelte Peter den Kopf. Was war das nun wieder für ein Quatsch? „Doch dann brach ein Virus im Meer aus", fuhr das Mädchen namens Alea fort. „Er ließ die Meermenschen dahinraffen und nur wenige schafften es noch an Land. Viele infizierte Eltern gaben wildfremden Leuten an Land ihre Kinder und baten sie, auf sie aufzupassen, mit einer Lüge: Die Kinder hätten Kälteurtikaria." Fassungslos starrte er den Fernseher an. Noch nie hatte Peter solchen Schwachsinn gehört – und doch schlug das Wort Kälteurtikaria mit enormer Intensität auf ihn ein. Ja, er hatte diese bescheuerte Kaltwasserallergie. Doch da steckte nichts dahinter, natürlich nicht, was erzählte diese Alea da?
„Durch diesen Schwindel hielten die Landgänger ihre Pflegekinder von dem Wasser fern, welches tödlich für sie war. Man konnte diese Kinder an Knubbeln erkennen. Raffnarben, so heißen sie, sind hinter den Ohren, zwischen den Fingern und zwischen den Zehen." Bei diesen Worten zogen sie alle ihre fingerlosen Handschuhe aus und spreizten die Finger. Das Mädchen mit den klargrünen Augen sagte noch etwas, doch die ganzen weiteren Worte rauschten einfach an Peter vorbei. Ganz langsam wanderte sein Blick zu seinen Händen. Und diese wiederum zu seinen Ohren. Nach einem kurzen Augenblick richtete er seine Aufmerksamkeit wieder dem Fernseher. „Doch der Virus ist unschädlich gemacht! Ihr, der ihr dies anschaut, und ebenfalls Knubbel zwischen besagten Stellen habt – geht ins Wasser! Kehrt zurück in eure Heimat und-" In diesem Moment kam sein Pflegevater ins Zimmer und schaltete den Fernseher aus. „Genug für heute. Weißt du eigentlich, dass du noch den Abwasch machen musst?", fragte er und übersah wohl einfach Peters fassungslose Miene, mit der er den schwarzen Bildschirm anstarrte. „Nein", flüsterte er. „Später." Und mit diesen Worten zog der seine Handschuhe aus und stürmte aus dem Haus.
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