Die Geschichte der Elvarion
Langsam begannen ihre Hände zu brennen, es schmerzte sie etwas, doch wie in Zeitlupe wuchsen dann kleine Hautfetzen – sie bildeten sich immer weiter und wurden immer größer, dass auch bald nicht nur kleine Knubbel zu erkennen waren, nein:
Es waren Raffnarben.
Hinter ihren Ohren und Zehen pochte es auch wie wild. Mit der anderen Hand konnte Alea fühlen, wie auch dort, hinter ihren Haaren, die Raffnarben wuchsen. Dann schaute sie ins Wasser. Ihr Spiegelbild war verschwommen, doch trotzdem sah sie, wie ihre Augen immer grüner wurden – klargrün.
Es gab noch einen kurzen Ruck, dann sah plötzlich alles anders aus.
Das Wasser war bunt.
Sie konnte wieder die Farben des Meeres sehen.
„Ja!", rief Alea und konnte es immer noch nicht fassen. „Ja!"
Sie strahlte Lennox an und warf sich ihm in die Arme. „Ich bin wieder ein Meermädchen!" Lennox lächelte ebenfalls übermütig. „Jetzt kann die Elvarion wieder die Ozeane retten!"
Neben ihnen hörte Alea Thea die Hände vors Gesicht schlagen.
„Du bist die Elvarion der letzten Generation?", krächzte sie und starrte ihre Schwester dabei an.
„Ja", antwortete diese. Wahrscheinlich hatte Thea es von Lennox' Lippen abgelesen.
„Der Tasfar", murmelte sie. „Er prophezeite, dass ich der Elvarion helfen würde! Das bist du! Und jetzt... habe ich das getan." Sie fasste sich ungläubig an den Kopf. „Das... ist ja... und dass du auch noch gegen den Virus immun bist und..."
Sie hielt inne.
„Ich auch", sagte sie heiser. „Ich bin auch immun?" Wieder bejahte Alea.
„Ich schicke dir jetzt eine Wandererbotschaft", gebärdete sie. „Darin werde ich meine – unsere – Geschichte erzählen. Die, der Alpha Cru."
„Mach das", sagte auch Lennox und hob sie wieder runter.
Sie hechtete zum Fluss. Dann schloss sie die Augen und stellte sich Theas Gesicht vor. Da sie dieses allerdings auswendig kannte, öffnete sie auch schon bald wieder die Augen. Ein Oval war im Wasser entstanden. Innerlich begann ein Sturm in ihr zu tosen. Sie konnte es wieder! Sie konnte wirklich wieder Nachrichten verschicken.
„Also", sagte sie. „Es begann alles damit, dass meine Pflegemutter Marianne einen Herzinfarkt hatte..."
Alea erzählte nun von der Alpha Cru, wie sie sie kennengelernt hatte, Amsterdam, Rennese, Schottland, Loch Ness, Island, Norwegen, Brighton, Korsika, Capraia und von allen Dingen, die sie erlebt hatte. Auch noch von Niki und Kit, wie diese sich in Marseille für die Elvarion geopfert hatte. Ein paar Sachen kannte Thea schon, die sie ihr in einer SMS geschrieben hatte. Doch das Meiste war neu, und Alea erzählte auch die Sachen, die ihr schon bekannt waren. Schließlich auch noch von Cassaras, Zu dir, von der Legende mit dem Silberumhang, dass der Wanderer einen Rilling hatte, mit der er die Crucis immer finden konnte. Schließlich auch noch, wie sie auf die Idee gekommen waren, beim Loreleyfelsen zu suchen. Von den Silberfäden und den Visionen.
Das Oval schloss sich die ganze Zeit nicht. Sonst war dies schon nach kurzer Zeit der Fall, aber Alea wusste, wie sie die Botschaften schickte, außerdem hatte sie so viel zu erzählen, dass sie es gar nicht zuließ, dass es sich wieder schloss.
Sie erzählte und erzählte, dass der Abend auch bald hereinbrach. Nach einer Ewigkeit schloss sie ihre Geschichte mit den Worten ab: „Und jetzt wollen wir wegen der Vision auch so schnell wie möglich nach Rom aufbrechen, um Orion zu schnappen." Sie wusste nicht, was Thea davon hielt, dass sie ihren Pa gefangen halten wollen, aber nach all dem, was sie über ihn erfahren hatte, bezweifelte Alea, dass ihre Zwillingsschwester ihr das übel nehmen würde.
Dann schloss sich das Oval allerdings glitt es nicht weg, es blieb wo es war. Wahrscheinlich, weil genau dort auch Thea war, die schon rübergekommen ist.
„Ich bin hier", sagte sie, da sie ja genauso aussah wie Alea. Dann setzte sich die Botschaft einen klitzekleinen Augenblick in Bewegung, bis sie direkt vor Thea war.
Sie wusste nun, dass sie die Nachricht gerade ansah. Zufrieden ging sie zu Lennox zurück. Er schien sich mit Cassaras unterhalten zu haben, was sich auch gleich darauf bewahrheitete:
„Ich habe ihm erzählt, wie du Thea getroffen hast – und von Mura." Fragend schaute Alea den Nixenprinzen an.
„Da du jetzt keine Landgängerin mehr bist", begann er nach ein paar Momenten des Schweigens, „sollte es keinen Grund geben, wieso sie ihn dir nicht überlassen sollte. Schließlich kennt sie wie alle Nixen die Legende. Nur mit dem Silberumhang hat die Elvarion eine Chance, die Meere zu retten."
Sie nickte. Das ergab durchaus Sinn. „Aber wie wollen wir ihr das mitteilen?", fragte Lennox. „Wir haben keine Ahnung, wo sie ist. Wir wissen nur, dass sie höchstwahrscheinlich gerade auf irgendeinem Thron sitzt und die Herrschaft des Königinnen-Seins genießt."
„Ich weiß, wo sie ist", sagte da Cassaras. Zwei Augenpaare richteten sich auf ihn. „Wie ich Alea schon erzählt habe", fuhr er fort, „wohnte ich mit Nixen – und unter diesen war Mura – zusammen. Wer wäre ich, wenn ich nicht mehr wüsste, wo ich damals gelebt habe? Natürlich ist Mura gerade dort, schließlich will sie ein bisschen Königin spielen. Wo sollte sie das machen, wenn nicht in ihrer Heimatstadt?"
„Heißt das...", wollte Alea wissen.
„Das Sie zu ihr gehen und...", ergänzte Lennox.
„Genau das heißt es." Cassaras blickte zu Thea. „Sie wird es bei euch besser haben, denke ich. Außerdem würde ich an ihrer Stelle lieber bei meiner Zwillingsschwester leben, als bei irgendeinem wildfremden Nixenmann."
„So wildfremd sind Sie doch gar nicht für Thea", widersprach Alea, aber insgeheim freute sie sich über diese Worte. Es war eine wunderbare Vorstellung, sie bei sich zu haben.
„Wie wollen Sie Mura aber davon überzeugen?", fragte Lennox, „Denn Sie haben gar keine Beweise und Sie sind auch noch ihr Feind. Ich denke, ihr wird es wichtiger sein, zu herrschen, als auf einen Erzfeind zu hören, der wahrscheinlich auch noch lügt, um den Umhang zu bekommen."
Cassaras klopfte auf seinen Leierkasten.
„Es sollte kein Problem sein, Aleas Stimme damit aufzunehmen. Dadurch wird es, denke ich, gehen. Du musst sie nur überzeugen, dass du noch die Elvarion bist. Und ein Meermädchen."
Sie nickte aufgeregt.
„Vielleicht würde es auch reichen, dich einfach Hajara sprechen zu hören."
Er drückte ein paar Knöpfe an dem Kasten, dann gab er Alea den Wink, loszulegen. Sie holte tief Luft und begann in Meeressprache zu sprechen:
„Hallo Mura. Ich bin es, Alea Aquarius, Elvarion der letzten Generation. Als sie den Umhang gestohlen haben, haben Sie mich als unwürdig gesehen, weil ich eine Landgängerin war. Dennoch bin und war ich immer die Elvarion, das hatte nichts mit meinen Genen zu tun. Nun, wie Sie ja auch hören, bin ich wieder eine Walwanderin. Außerdem wurde in der Legende erzählt, dass ich nur mit Hilfe des Silberumhangs die Chance habe, die Ozeane zu retten. Ist Ihnen Ihre Herrschaft wichtiger, als die Rettung der Meere und Auferstehung einer neuen Ära, in der wieder Meerkinder in ihre Heimat zurückkehren?
Wenn Sie Prinz Cassaras den Umhang geben, wird er ihn mir überreichen. Mit dem Silberumhang und dem Goldumhang werde ich im Besitz aller Antworten sein und..."
Cassaras stoppte die Aufnahme. „Goldumhang?"
„Mit dem Goldumhang sieht man in die Vergangenheit", erklärte Lennox knapp. Fasziniert nickte er. „Das sollte reichen. Damit sollte ich sie überzeugen können." Er warf noch einen letzten Blick auf Thea, die gerade mit offenem Mund ins Wasser starrte. „Ich mache mich jetzt auf den Weg. Mit meinem Rilling werde ich die Crucis finden, inzwischen solltet ihr ja wieder dort sein."
Alea hob die Hand zum Abschied.
„Möge Sie stets guter Wellenschlag begleiten, Prinz Cassaras."
Er fixierte beide noch einmal, dann nickte er, drehte sich um und ging mit raschen Schritten davon.
Es dauerte lange, doch bald erhob sich Thea wieder. Sie musste die Botschaft zu Ende gehört haben. „Das ist... ziemlich... wow", stammelte sie. Da konnte Alea nur zustimmen. Sie wunderte es keinenfalls, dass ihre Schwester das so empfand. Wenn sie an ihrer Stelle wäre, und die Geschichte der Elvarion hören würde, wäre sie wahrscheinlich ausgeflippt, so wowig war sie.
„Und das alles... hat... Pa euch... angetan", murmelte sie. Aber dann zogen sich ihre Brauen zusammen. „Wo ist Cassaras?", fragte sie und blickte sich um.
„Er ist gegangen, um den Silberumhang zu holen", antwortete Lennox. Thea schluckte. „Okay", flüsterte sie nach einer Weile. „Also... auf geht's nach Rom?"
Alea lächelte. „Einen Moment noch."
Sie rannte wieder zum Fluss. Eigentlich wollte sie ja einer ganz anderen Person eine Botschaft schicken.
Nachdem sie wieder die Augen öffnete, sah sie sich in einem Oval wieder.
„Hallo Nelani, ich bin's, Alea", begann sie. „Wir sind beim Loreleyfelsen! Und dort war Thea mit Cassaras! Ich bin wieder ein Meermädchen. Hast du Keblarr schon gefunden? Ich habe Thea meine Geschichte... erzählt. Cassaras ist weg, um den Silberumhang zu holen und jetzt machen wir uns auf den Weg nach Rom.
Viele Grüße, deine Alea."
Das Oval zog sich zusammen und glitt auf der Oberfläche des Rheins davon. Sie seufzte tief und ging dann zu den anderen.
Sie haben schon zusammengepackt, es wurde auch immer dunkler. „Ich würde sagen, wir laufen den selben Weg zurück, den wir auch gekommen sind", schlug Lennox vor. Und das machten sie auch, Thea blieb immer ganz nahe bei Alea, was ihr ein gutes Gefühl brachte und er selber schaute nicht mehr so oft auf die Karte, wie beim Hinweg. Aber sie liefen nicht mehr so lange, vielleicht nur eine Dreiviertelstunde. Es war schon stockfinster, da packten sie wieder etwas zu essen aus und legten sich in ihre Schlafsäcke. Thea hatte keinen dabei, nur eine Decke, die sie schließlich auch benutzte. Sie erzählte noch von ihrem Leben bei Doktor Orion, von Cassaras. Ein paar Dinge wusste Alea bereits, aber es mal aus ihrem Mund zu hören, war schon etwas anderes, als es auf dem Handy zu lesen.
Dann wurde ihre Stimme immer langsamer und dann war sie auch schon eingeschlafen. Sie waren selber auch hundemüde, weshalb sie ihre Augen schlossen und während Alea einschlief, dachte sie darüber nach, was sie heute so erlebt hatten. Und da kamen schon viele Sachen zusammen.
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