Perception


Zögernd enthüllte ich meinen Körper. Zog das schützende Seidentuch zitternd von meiner Haut und offenbarte dem Spiegel mein Ich – So wie mich Gott geschaffen hatte.

Langsam fuhr ich mit meinen Fingerspitzen meine Taille entlang und betrachtete die Kurve kritisch. Früher war es mir egal, ob ich breite Hüften hatte oder nicht, aber dein bissiger Kommentar hat mich nachdenklich gestimmt.
Jeder hätte diese abwerfende Bemerkung fallen lassen können, ohne dass es mir einen Stich versetzt hätte ... Jedoch bist du meine beste Freundin, bei dir hinterlassen solche Gemeinheiten Spuren.

Langsam drehte ich mich etwas und betrachtete weiter meine mickrigen, weiblichen Vorzüge.
Damals war es mir egal gewesen, dass ich nicht so attraktiv wie andere war. Mir war es ganz gleich, ob sich die Jungs um mich reißen würden, wenn ich im Kleid kam, oder ob sie sich angewidert wegdrehen würden. Und du bist meiner Meinung gewesen. Wir waren zu zweit unschlagbar!
Bis du die Sprüche der anderen bemerkt hast. Wie sie immer die Köpfe zusammengesteckt hatten, wenn wir vorbeigingen und leise: „Die Schöne und das Biest", raunten.
Die Kommentare verletzten dich, ich weiß. Aber warum hast du angefangen, deshalb auf mir herumzuhacken? Wieso musstest du mich so klein machen?

Ich streckte die Hand nach dem Mädchen vor mir aus. Sie hatte langes, blondes Haar, welches ihr in leichten Wellen über die Schulter fiel. Ihre ehemals freudenstrahlenden, grünen Augen waren trüb und dunkel. Ihr dünner Mund zu einer schmalen Linie geformt.
Ihre Schultern waren zierlich – Das Schlüsselbein stark hervorgehoben. Ein kleiner Stoß und die Blondine würde zusammenbrechen.
Meine Finger berührten das Glas langsam und es dauerte eine Weile, bis ich in dieser leblosen Hülle meine Wenigkeit erkannte.

„Was hast du nur aus mir gemacht?", hauchte ich fassungslos und meine Hand wanderte zu dem Gesicht am Spiegel hinauf, um die Träne aus dem Augenwinkel zu wischen, wo sie sich gebildet hatte.
Ein leises, klagendes Schluchzen drang aus meiner Kehle. Wenn dein altes Ich jetzt hier wäre, würdest du mich in den Arm nehmen, mich drücken bis mir die Luft ausging. Du würdest meine Haare liebevoll aus meinem tränenverschleiertem Gesicht zupfen und mir sagen, dass niemand auf der Welt meiner Schönheit gerecht werden konnte.
Aber das bist du nicht mehr... Und das wirst du vermutlich auch nie wieder sein. Du hast mich von dir gestoßen, als wäre ich das teuflische Gift in deinem Leben.
Ich war dir nicht mehr gut genug – Ich wurde zu einer Bedrohung für dich. Und deine Beseitigung von mir bestand darin, mich fertig zu machen. So fertig, dass ich den Mut finden würde, mich selbst zu beseitigen.
Ich war es dir nicht mal wert, die Drecksarbeit selbst zu machen. Nein, du hältst dich mal wieder schön raus aus der Sache.

Mein tief empfundener Schmerz verwandelte sich langsam in Zorn und diese kleine Flamme entbrannte zu einem Hass, welcher tief in meinem Bauch rumorte.
Mit einem lauten Schrei zerschlug ich den Spiegel vor mir... Ich konnte den Anblick meines gebrochenen Selbst nicht mehr ertragen.
Leise schluchzend betrachtete ich meine blutverschmierte Hand. Glassplitter bohrten sich in meine Haut, aber ich würde nicht aufgeben.
Ich lass dich nicht so einfach gewinnen – Wieso sollte ich mich deinem Willen beugen?
Glaub mir, Joelle, ich werde kämpfen!

- Geschrieben am 02.04.2017 -

533 Wörter


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