Loyal
Die Dornen zerkratzen meine Wange, als ich mir meinen Weg durchs Dickicht bahnte. Wie unzählige, kleine Dolche bohrten sich die Pflanzen in meine Haut und rissen sie auf.
Mit einem schmerzverzerrtem Blick schob ich das Gestrüpp beiseite, drehte mich mit tränenverschleierten Augen um und klopfte auf meinen Oberschenkel: „Shane! Bei Fuß mein Junge!", stieß ich zwischen ein paar Schluchzern hervor, bemüht, nicht erneut in Tränen auszubrechen.
Ein Australien Shepherd der Farbe Blue Merle kämpfte sich hinter mir durch die Dornen, blieb stehen und bellte frustriert auf, als sich sein dichtes Fell erneut in den Zweigen verfing.
„Shhh! Sei still!", keuchte ich erschrocken auf und stolperte den Weg zu meinem Rüden zurück, ehe ich ihn aus dem pflanzlichen Gefängnis befreite. „Du musst leise sein, Shane", murmelte ich nun sanfter und kraulte den Blue Merle hinter seinen Ohren.
Der Hund schloss genüsslich seine Augen, ehe er mit seiner Zunge die Zärtlichkeit beglich.
Traurig lächelte ich ihn. Shane konnte einfach nicht eingeschläfert werden!
Diese Menschen hatten keine Ahnung, was für ein liebreizender, wohlerzogener Hund er war! Sie beurteilten ihn nach einem Fehler... Ein Missgeschick das sich der Rüde erlaubt hatte und ZACK – Sein Leben sollte enden.
Mir entfuhr ein Seufzer bei dem Gedanken an eine Zukunft ohne meinen treuen Gefährten.
Shane winselte neben mir und ich strich ihm beruhigend über das farbenreiche Fell.
„Komm weiter", flüsterte ich und ließ ihn vorausspringen.
Ich folgte dem Hund mit weniger Begeisterung. Für Shane war das Ganze hier nur ein wundervoller Spaziergang – Er hatte natürlich keine Ahnung, in was für ein Schlamassel er sich geritten hat, als er zubiss. Er konnte nicht ahnen, dass sein Versuch, sich selbst zu verteidigen, so missverstanden werden konnte.
Dieses Mädchen hätte einfach auf Shanes warnendes Knurren hören müssen. Mein Hund war nicht aggressiv – Das wusste ich und jeder andere konnte es bestätigen.
Noch nie zuvor hatte Shane einen Menschen grundlos angegriffen oder verletzt. Aber die Polizei stütze sich nur auf die Aussage der Blondine...
Eine Träne hatte es geschafft, sich aus meinem Augenwinkel zu lösen und rollte nun meine zerkratze Wange hinab, zerfloss mit dem Blut und tropfte schließlich auf meinen schwarzen Pullover.
Wie sollte ich die Zukunft nur ohne Shane überstehen? Dieser Hund war alles für mich! Er begleitet mich nun schon seit 4 Jahren und es sollte auch weiterhin so bleiben!
Verdammt! Ich werde Shane nicht aufgeben, nur weil er sich einmal einen Fehler erlaubt hat! Hieß es nicht in der Bibel vergessen und verzeihen?! Warum konnte man diese Geste nicht auch Shane entgegenbringen? Warum wollte man ihn gleich töten? Er war doch kein Monster!
Ich zuckte zusammen, als sich eine feuchte Schnauze gegen meinen Handrücken drückte. Ich blickte hinab und starrte geradewegs in Shanes blaue Augen.
Der Rüde beobachtete mich mit aufmerksamen, funkelnden Augen und wimmerte leise, während er näher an mich ran rückte.
Ein kleines Lächeln bildete sich auf meinem tränenüberströmten Gesicht und ich beugte mich hinab, um Shane einen Kuss auf seine Stirn zu drücken.
Kurz bevor meine Lippen sein Fell berührten, sprang der Hund zurück und fing an, wie verrückt zu bellen.
Irritiert sah ich mich um und erstarrte, als ich zwei Gestalten zwischen den Bäumen ausmachen konnte.
Mein Puls fing an zu rasen, doch ich konnte mich nicht bewegen. Unzählige Gedanken schossen mir durch den Kopf, aber nur einer ankerte sich fest: Ich musste Shane retten!
„Lauf Shane!", brüllte ich und scheuchte den Rüden mit einer abwehrenden Handbewegung zurück.
Verwirrt bellte Shane noch einmal, sah mich an und lief zögernd in den Wald hinein. Dann blieb er stehen und drehte sich erneut um.
„JETZT LAUF DOCH!", schrie ich ihn verzweifelt an und machte einen drohenden Schritt auf ihn zu.
Shane wimmerte und machte noch ein paar Schritte auf mich zu. Dann fing er an zu rennen, denn ganzen Weg zu mir zurück.
Plötzlich zerriss ein Schuss die Luft und ich keuchte erschrocken auf. Mein Hund jaulte auf und sank wimmernd in sich zusammen.
„Shane!" Ich wollte zu meinem Gefährten stürzen, als mich eine Hand an der Schulter festhielt. „Shane...!", weinte ich nun und fiel schluchzend auf meine Knie.
Ich hatte ihn verloren... Ich konnte ihn nicht beschützen. Und das nur, weil er mich nicht alleine zurücklassen wollte.
-Geschrieben am 04.04.2015-
694 Wörter
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