8: ich bin nunmal so? {p-ger}
„Du bist nunmal so."
Wie?
„Magst du warmes oder kaltes Wetter?" Ich mag Schnee.
„Also magst du kaltes Wetter."
„Bist du lieber allein?" Ich mag nur wenige Menschen.
„Also bist du lieber allein."
„Reist du gerne?" Ich liebe fremde Kulturen.
„Also reist du gerne."
„Bist du nachtragend?" Deine Worte haben mich verletzt.
„Also bist du nachtragend."
„Magst du gemütliche Abende auf der Couch mit einem guten Buch?" Ich brauche Zeit, um neue Energie zu tanken.
„Also ja."
Und schon entsteht ein Eindruck. Insgeheim versuchen wir immer, die Leute in unserem Umfeld zu kategorisieren, mit dem, was sie sagen. Zu analysieren, um ihr Verhalten an banalen Dingen festmachen zu können und sie so zu verstehen. Ihre Reaktion auf bestimmte Sachen vorherzusehen.
„Herz- oder Kopfmensch?"
„Stubenhocker oder Rausgänger?"
„Intro- oder extravertiert?"
Ein Eindruck zu der Person, mit der wir interagieren, bildet sich ganz automatisch. Antworten auf diese Fragen „helfen", um zu entscheiden, ob und wann und wie wir etwas sagen oder auch nicht sagen, je nachdem, in welchem Verhältnis wir zueinander stehen und was wir erreichen möchten.
„Ich weiß, wie du tickst."
Ach ja?
„Du bist introvertiert? Ich lade dich lieber nicht auf die Party ein, zu viele Menschen."
„Du bist schlecht in der Schule? Ich rede in einfacher Sprache mit dir, du verstehst bestimmt keinen komplizierten Satzbau."
„Du bist sensibel? Ich behalte die Information lieber für mich, du kannst damit ja nicht umgehen."
Es sind Entscheidungen, die vorweggenommen werden, Dinge, die du gerne hättest.
Die Freiheit, "Nein" zu der Party zu sagen, auf die du vielleicht gerne gegangen wärst.
Die Möglichkeit, dich intellektuell auszutauschen, die dir genommen wurde, da du nur eine Drei in Deutsch hast.
Die Gelegenheit, etwas Wichtiges zu hören, die mit der Zurückhaltung der Information verpuffte.
Mit diesem „Schubladendenken" wird uns vorgeschrieben, wie wir uns zu verhalten haben, wie wir auf gewisse Dinge reagieren werden, was wir zu fühlen haben.
Aber wie wollen wir wissen, wie sich jemand verhalten würde, wenn wir ihm überhaupt nicht die Möglichkeit dazu geben? Sollte man Menschen nicht das Privileg geben, sich ihnen gegenüber so zu verhalten, wie man ist, sodass sie das Gleiche tun können? Haben sie nicht das Recht, selbst zu entscheiden, wie sie einer Situation entsprechend reagieren, ganz gleich, welcher "Kategorie" sie auch angehören?
"Ich kenne dich."
Wie bin ich denn?
„Du bist nicht schlau, weil du keine guten Noten in der Schule schreibst (du wirst immer eine Enttäuschung sein)."
„Oder du bist es, weil du im Unterricht aufpasst und ein tolles Zeugnis hast (super, jetzt halten sie dich für einen Streber)."
„Du bist nicht hübsch, weil dich niemand bittet, mit ihm auszugehen (keiner will dich, ändere was an dir)."
„Oder du bist es, weil letztes Jahr, letzten Monat, letzte Woche jemand mit dir in das Restaurant an der Ecke ging (toll gemacht, du pick-me)."
„Du bist nicht einfühlsam, weil du nicht bemerkt hast, dass es jemandem nicht gut geht (wie ignorant kann man sein, bist du nur mit dir beschäftigt?)."
„Oder du bist es, da du im richtigen Moment einen Gesichtsausdruck richtig gedeutet hast (herzlichen Glückwunsch, ein Glückstreffer)."
„Du bist abergläubisch, weil du letzte Woche ein vierblättriges Kleeblatt gefunden und behalten hast (meine Güte, bist du so verzweifelt, dass du in so einfachen Dingen Glück suchst?)."
„Oder du bist es nicht, weil du dir beim Auspusten deiner Geburtstagskerzen nichts gewünscht hast (ach, sind wir uns zu fein, um uns was zu wünschen?)."
„Du bist aufgedreht, weil du vor deinen Freunden auf und ab gesprungen bist, als die neue Folge deiner Lieblingsserie rauskam (sei doch nicht immer so, das nervt)."
„Oder du bist es nicht, da du es für dich behalten hast (gut gemacht, niemand hält dich für nervig, aber teil dich doch nächstes Mal mehr mit)."
„Du bist eingebildet, weil du dich über deine gute Note freust (war doch sowieso klar, reib das anderen nicht unter die Nase, das macht dich unsympathisch)."
„Oder du bist es nicht, weil du dich still gefreut hast, als du deine Gehaltserhöhung bekommen hast (willst du dein Glück nicht teilen, bist du so geizig?)."
„Du bist nunmal so."
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Wie ich bin, entscheide ich, und du kennst mich und mein Verhalten nicht, nur weil du weißt, dass ich gerne Früchte-Tee bei Kerzenschein trinke und über die Menschheit philosophiere.
Ja, ich bin gut in der Schule.
Trotzdem bin ich faul und frage fünf Mal nach, was ich machen muss, weil ich es auch beim vierten Mal nicht verstanden habe.
Ja, mich hat noch niemand zum Essen eingeladen.
Trotzdem fühle ich mich geliebt, weil ich wundervolle Menschen in meinem Leben habe, die mir sagen, dass ich schön bin.
Ja, ich bin einfühlsam.
Trotzdem kann ich mich nicht immer nur auf die Gefühle anderer fokussieren, wenn ich selbst einen schlechten Tag habe.
Ja, ich habe mir etwas gewünscht, als ich eine Sternschnuppe gesehen habe.
Trotzdem glaube ich nicht, dass der Wunsch deshalb mehr in Erfüllung geht, denn ich muss auch selbst etwas dafür tun.
Ja, ich war aufgedreht, als eine neue Folge meiner Lieblingsserie erschien.
Trotzdem heißt das nicht, dass ich nerven möchte, ich will nur, dass du dich mit mir freust, so wie ich mich mit dir freue, wenn du voller Begeisterung von deinem Lieblingslied erzählst.
Ja, ich habe mich über meine Eins in Französisch gefreut, obwohl ich immer eine habe.
Trotzdem bin ich nicht eingebildet, sondern glücklich, dass ich es wieder geschafft habe, in etwas gut zu sein, was mir wichtig ist und wofür ich gearbeitet habe.
Denn so bin ich nunmal.
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