Loserstreber #1 -3-
Die Augen der anderen waren auf mich gerichtet, sobald ich die Haupttür aufmachte und in die Schule lief. Ich war gewohnt, dass man mich anschaute, wenn ich mit Minho durch die Gänge lief. Ebenfalls war ich gewohnt, dass man mich nicht bemerkte, wenn ich alleine durchs Schulhaus streifte. Heute allerdings brauchte ich Minho nicht, um die ganze Aufmerksamkeit zu bekommen, die sonst für meinen besten Freund bestimmt war. Ich fühlte mich ausgeliefert, so wie mich die Augenpaare hier nur mit Blicken durchlöcherten. Es wurde getuschelt, verräterisch zu seinen Freund geschaut. Die ganze Prozedur, wenn hier wieder ein Gerücht die Runden machte. So gut es ging versuchte ich die Blicke der anderen zu ignorieren, um zu meinem Klassenzimmer zu gelangen, wo wir jetzt Koreanisch hatten. Auch hier wurde ich angeschaut, was ich versuchte zu ignorieren. Also wusste jeder hier Bescheid, dass Minho Selbstmord begangen hat.
Meine Klassenlehrerin Frau Yun kam rein und legte ihre Tasche auf ihren Platz am Pult, bevor sie sich vorne hinstellte. Ihre Miene sehr ernst und besorgt. Also weiß sie es auch und wird uns gleich davon berichten. „Liebe Schüler und Schülerinnen, heute morgen ist uns eine sehr traurige Nachricht zu Ohren gekommen. Einer unserer Schüler, Lee Minho, hat sich das Leben genommen. Die Schule wird am morgigen Tag eine Trauerfeier mit den Lees abhalten. Minho war ein sehr geschätzter Schüler der eine große Zukunft als Arzt vor sich hatte. Möge er in Frieden ruhen."
Schweigen. Keiner wagte ein Wort zu sprechen, noch die Hand zu strecken. Es war totenstill, dass man seinen eigenen Atem hören konnte. Und wieder schmerzte mein Herz vor Verlust. Frau Yun hat mir nur eine weitere Bestätigung gegeben, dass Minho nicht zurück kommen wird. Schon zum zweiten Mal spürte ich Tränen in meinen Augen. „So traurig es ist, wir müssen mit den Stoff machen." Frau Yun bat uns die Aufschriebe von gestern rauszuholen, um sie zu besprechen. Immer wieder musste ich an Minho denken, dass ich mich nicht wie sonst konzentrieren konnte. Die Kälte in meinem Herzen, der Schock wegen Minhos Selbstmord war einfach zu viel im Moment. Vielleicht hätte ich besser zuhause bleiben sollen. Dort würde ich Minhos Tod besser verkraften können, als hier, wo ich ihm völlig ausgeliefert bin.
Irgendwie gingen die Doppelstunde rum und ich packte meine Sachen ein, um mich zu Englisch zu schleppen. Ich weiß jetzt schon, dass Englisch heute nur schwer auszuhalten sein wird, weil Minho und ich englisch zusammen hatten. Der Platz neben mir wird heute leer sein. Und die Tage danach auch. Monate. Bis ans Ende des Schuljahres. Es fiel mir schwer erst ins Zimmer zu laufen, weil ich meinen und Minhos Platz hinten schon sehen konnten. Minho überredete mich dort hinten zu setzen, obwohl ich gerne vorne saß, da er immer hinten saß. Allerdings passte er in Englisch immer sehr gut auf, was mich froh machte. Er schien Spaß in Englisch zu haben. Ich setzte mich hin und wartete auf unseren Englischlehrer. Anstelle ihn durch die Tür laufen zu sehen, kam Frau Kwon, unsere Sozialkundelehrerin, herein. Sie eilte hastig zu dem Pult und holte ihre Unterlagen heraus. „Herr Bang hat sich vorher krank gemeldet und mir die Arbeitsblätter gegeben, die er euch heute aufgegeben wollte. Wenn ihr damit fertig seid, dann lest euch bitte den Text auf Seite 172 durch."
Frau Kwon teilte uns die Arbeitsblätter aus. Ich nahm mir meins und zückte meinen Kugelschreiber. Als sie den leeren Platz neben mir sah, blieb sie kurz stehen. Sie musste sicher gerade an Minho denken. Sie wandte sich zu mir. Wie die anderen Lehrer wusste sie, dass Minho mein Kumpel war. „Es tut mir so Leid für dich", flüsterte sie kaum hörbar mir, bevor sie zur nächste Reihe Schritt. Die Worten hatten mich wieder aufgewühlt. Frustriert fuhr ich mir durch die Haare und versuchte mir die Aufgabe auf dem Arbeitsplatz durchzulesen. Eigentlich kein Problem für mich, doch heute fühlte es sich einfach unmöglich an. Wie soll ich den heutigen Tag bestehen, wenn Minhos Abwesenheit noch so frisch war?
Mit viel Durchhaltevermögen und kurzen Nervenzusammenbrüchen, die ich versuchte vor den anderen zu verstecken, schaffte ich den Schultag. Die Mittagspause war am Allerschlimmsten. Jetzt ganz alleine irgendwo zu sitzen und mit niemanden zu reden, wenn man gewohnt war, Minho um sich herum zu haben, der mit einem redete, war schwer. Ich erinnerte mich noch gestern an seine Sprüche. Wie ich sie einfach so hinnahm, unwissend, dass es das letzte Mal war, wo ich sie hören konnte. Mein Tag war noch nicht zu ende. Ich musste heute noch zu meiner freiwilligen Arbeit im Rathaus. Um ein Musterschüler zu sein, musste ich außerschulische Aktivitäten vorweisen und im Rathaus lernte ich sehr viel über das Bürgerleben Seouls. Die Arbeit machte mir dort Spaß, doch heute erledigte ich sie wie auf Autopilot. Ich war mehr als nur froh, endlich nach Hause zu kommen.
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