Kapitel 3 - Manchmal braucht man ein Zeichen
Nachdem meine Tränen getrocknet waren, hatte ich den gesamten Abend damit verbracht Bela im Internet ausfindig zu machen. Doch er war wie ein Phantom. Ich fand nicht die geringste Spur von ihm. Es war, als hätte der Erdboden ihn vollkommen verschluckt.
Ich fragte mich, wie ein Mensch, der im 21. Jahrhundert geboren war, es schaffte unter dem Radar von Social Media zu fliegen. Nicht einmal in den Freundeslisten von ehemaligen gemeinsamen Freunden hatte ich ihn finden können. Meine Hoffnung, dass er tatsächlich bei dem Treffen aufschlagen würde, wurde immer geringer.
Plötzlich kam mir der Gedanke, ob er vielleicht gestorben war. Doch hätte man dann nicht zumindest eine Traueranzeige oder etwas Ähnliches gefunden?
Vielleicht war er auch ausgewandert und lebte jetzt unter Palmen in Hawaii. Wahrscheinlich würde ich es nie erfahren.
Und trotzdem begann ich mir am nächsten Morgen ein komplettes Makeover zu geben. Ich rasierte, peelte, cremte, sprayte, schminkte, zupfte, tupfte und drapierte. Es war absurd, wie viel Aufwand ich in mein Äußeres steckte, doch ohne diesen Zirkus wäre ich zu unsicher gewesen zu dem Treffen zu gehen. Immerhin bestand noch eine kleine Chance, dass er vielleicht doch auftauchen würde. Und ich wollte nicht, dass er gleich zu Beginn dachte: "Oh Gott, was ist denn nur mit ihr passiert?"
Mein Zimmer roch mittlerweile schlimmer als jede Parfümerie, doch immerhin wies mein Gesicht nun weder Augenringe noch Poren auf. Jedoch nur, wenn ich mich von dem Vergrößerungsspiegel meiner Mutter fern hielt. Denn dieser war der Feind eines jeden Mädchens, das nach stundenlanger Arbeit endlich zufrieden mit dem Make-Up war.
Um dem ganzen einen Abschluss zu geben, zwängte ich mich auch noch in eine Kompressionshose, die meinen Hintern wohlwollend formte und meinen Bauch zwar nicht wegzaubern konnte, aber ihn immerhin flacher und fester wirken ließ.
Dann wählte ich das schönste Kleid aus, das ich besaß. Ich sah mich im Spiegel an und hatte erwartet, dass ich mich hübscher fühlen würde. Doch das tat ich nicht. Denn so sah ich nicht wirklich aus. Doch das spielte keine Rolle. Denn Bela sollte mich hübsch finden... oder zumindest nicht hässlich. Damit würde ich mich auch schon zufrieden geben.
Ich atmete noch einmal tief ein, schnappte dann meine Tasche und verließ mein Zimmer. Es war Zeit meinen Kokon zu verlassen und die Transformation zu einem Schmetterling zu beginnen. Und dazu gehörte es, dass man sich Situationen stellte, vor denen man Angst hatte. Nur so konnte man sich weiterentwickeln. Und genau das wollte: Mich weiterentwickeln. Ich wollte nicht mehr dieses ängstliche Mädchen sein, das wir ein Trauerkloß zu Hause saß.
"Wie siehst du denn aus?", erklange die tiefe Stimme meines Vater.
"Ich treffe mich mit Freundinnen", log ich, denn ich wollte nicht, dass sie auf die Idee kamen, dass ich Bela datete, nur weil ich mich in diesem Aufzug mit ihm traf.
"Was macht ihr? Ein heimliches Clown-Meeting?", brachte er den schlechtesten und verletzendsten Dad-Joke, den er je gebracht hatte.
"Nein", knurrte ich.
"Warum schminkst du dich dann wie ein Clown?"
Und schon flog mein Selbstbewusstsein wieder aus dem Fenster. Warum verstand niemand, wie zerbrechlich ich war und dass jeder neuer Kommentar ein weiterer Riss in meiner Fassade bedeutete.
"Weil ich es schön finde", motzte ich ihn an.
Er lachte herablassend.
"Also wenn du einen Tipp von einem Mann haben willst, dann lass dir sagen, dass manchmal weniger mehr ist. Männer wollen keinen Schminkkasten daten."
Ich funkelte ihn böse an. Unschlüssig, wie ich darauf reagieren sollte. Weinen? Schreien? Schweigen?
Ich entschied mich für letzteres und ging kommentarlos aus dem Haus. Es hatte keinen Sinn mit ihm darüber zu diskutieren. Es würde doch nur in einem Streit enden und dazu hatte ich einfach keine Kraft mehr.
Immerhin war heute schönes Wetter und für April war er herrlich warm. Ich blinzelte die Tränen aus meinen Augen.
Lass dich nicht von anderen herunterziehen!, sagte ich mir selber.
Ich ging die Straße entlang und merkte, wie ich immer langsamer wurde. Mein Mut schwand. Vielleicht hatte ich es mit dem Make-Up wirklich übertrieben. Wahrscheinlich dachte sich Bela: "Oh mein Gott, was für ein Gesicht hat sie sich denn aufgemalt?"
Vielleicht würde er mich nicht einmal erkennen.
Das war doch lächerlich. Warum brachte ich mich überhaupt in diese Situation? Ich könnte einfach zu Hause im Bett bleiben und meine Serie zu Ende schauen. Ich blieb stehen und ließ meinen Kopf nach unten hängen.
Ich war nicht so mutig, wie ich mir versuchte einzureden.
Ich sollte umdrehen.
Ich hob mein Kopf und stellte fest, dass ich direkt vor einem Café stand. Es war nicht geöffnet und der Innenraum war stockdunkel. Doch eins konnte man sehen. Hinter dem Tresen prangte ein großer Schriftzug.
This is the sign that you've looking for
Ich musste schmunzeln und instinktiv wusste ich, dass dieses Zeichen mir nicht sagen sollte, dass ich jetzt einen Rückzieher massen sollte. Nein, ich sollte mutig sein. Ich sollte mich meinen Ängsten stellen. Wer immer dieses Zeichen dort aufgehangen hatte, wollte Menschen inspirieren.
Ich ließ es zu. Dieser Mensch war ein kleiner Held, denn ich hatte genau dieses Zeichen gebraucht.
Ich schaff das.
Ich setzte mich wieder in Bewegung.
Der Kirschbaum war gar nicht weit weg von meinem Zuhause. Er stand an der Stadtgrenze, direkt an einem Wald. Wir hatten so viel Zeit unter dem Baum, aber auch in dem Wald verbracht. Bela und ich hatten selten unsere Freizeit auf Spielplätzen verbracht. Stattdessen waren wir richtige Naturkinder gewesen, die abends voller Dreck nach Hause gekommen waren.
Es war eine wirklich glückliche Zeit gewesen und ich fragte mich, wieso diese Freundschaft nicht gehalten hatte. Was Bela und ich gehabt hatten, war so kostbar gewesen und wir hatten nicht genug darauf aufgepasst.
Es war nicht einmal ein bewusste Entscheidung gewesen. Ich war nie an dem Punkt gewesen, an dem ich gesagt hatte: Jetzt möchte ich nicht mehr mit Bela befreundet sein.
Es war einfach so geschehen. Wie das Leben eben so ist. Es passiert einfach.
Ich erreichte den Baum und stellte erfreut fest, dass er in voller Blüte stand. Die rosafarbenen Blüten sahen aus, wie aus einem Märchenfilm. Fast schon surreal.
Doch unter dem Baum war niemand.
Ich sah auf mein Handy. Er hatte noch 5 Minuten. Ich war mich nicht einmal sicher, ob ich wollte, dass er auftauchte oder nicht.
Ich ärgerte mich über mich selber, dass ich zu früh war. Es war immer blöd, wenn man die Person war, die sinnlos in der Gegend herumstand und warten musste.
Es fühlte sich an, als hätte ich ein Blind Date. Denn ich wusste wirklich nicht, was ich zu erwarten hatte. Wir hatten dieses Treffen von 10 Jahren ausgemacht.
Ich spürte wie meine Hände schwitzig wurden. Hoffentlich kam er nicht auf die Idee mir zur Begrüßung die Hand zu schütteln. Falls er überhaupt auftauchen würde.
Noch 2 Minuten.
Der Himmel war wunderschön blau. Als würde man ihn gerade frisch angemalt haben. Es war das erste Mal seit Monaten, dass wir so gutes Wetter hatten.
Noch eine Minute.
Ich sah mich um, doch da war niemand.
Was hatte ich auch erwartet? Es war lächerlich, dass ich hierher gekommen war. Es war doch nur die Idee von zwei Grundschulkindern gewesen. Wie hatte ich glauben können, dass Bela hier tatsächlich auftauchen würde?
"Lilly?"
Vor Schreck fiel mein Handy zu Boden. Statt es aufzuheben, drehte ich mich jedoch erst einmal um. Ich wollte unbedingt sehen, wie er aussah.
***
Lillys Instagram Account: upsanddownsoflilly
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