Kapitel 22 - Wenn du Angst hast, überwinde sie

"Oh nein, was ist denn jetzt schon wieder passiert?", fragte Pepe und zog mich wie selbstverständlich an sich heran.

"Kann ich bei dir bleiben?", kam es verzweifelt über meine Lippen.

Ich wusste nicht, wohin ich sollte. Meine Mutter wollte ich nicht mehr sehen, schließlich hatte sie mich geohrfeigt. Und bei der neuen Freundin meines Vaters konnte ich auch schlecht übernachten. Es blieb nur Bela übrig, doch wenn ich ehrlich zu mir war, wollte ich viel lieber bei Pepe sein. Und genau deshalb stand ich hier.

"Komm erst einmal rein! Du siehst durchgefroren aus. Willst etwas Warmes? Kaffee, Tee, Kakao?"

Er half mir aus der Jacke.

"Kakao, wenn es keine Umstände macht."
"Nein, gar nicht."

Er strich mir sanft über die Wange und führte mich ins Wohnzimmer. Ich ließ mich erschöpft auf seine Couch fallen, während er Hafermilch in einem Topf erwärmte.

"Erzähl, was ist schon wieder los in deinem Leben? Man bekommt ja langsam das Gefühl, dass du nie zur Ruhe kommst."

Das Gefühl hatte ich auch!

Ich nahm mir eins seiner Kissen und hielt es vor meinen Bauch. Eine Angewohnheit, dich ich mir schon vor Jahren angeeignet hatte.

Ich mochte seine kleine Wohnung. Sie war sehr minimalistisch und doch mit Liebe eingerichtet. Auf der Anrichte standen zwei Fotos. Eins zeigte Pepe mit seiner Familie, das andere mit einen engsten Freunden. Bela war auch darauf zu sehen. Wenn Pepe nur wüsste, wie privilegiert er war gute Freunde und eine nette Familie zu haben.

"Meine Mutter hat mir eine gescheuert, was sie noch nie getan hat", begann ich zu erzählen. Ich konnte es noch immer nicht glauben, dass sie es wirklich gewagt hatte. "Und mein Vater belügt mich von vorne bis hinten. Er erzählt uns, dass er bei meinem Onkel wohnte, aber da war ich heute und der sagt, dass er ihn schon seit Weihnachten nicht mehr gesehen hat. Also gehe ich davon aus, dass er bei seiner Neuen wohnt. Und als ich ihm erzählt habe, dass Mama mir eine gescheuert hat, hat er sie auch noch in Schutz genommen!"

Wie hatte mein Leben nur so schnell aus dem ruder laufen können?

"Das tut mir so leid, Lilly. Ich hoffe, die Ohrfeige war nicht kraftvoll."

"Sanft war sie nicht, aber es tut nicht mehr weh. Es ist echt zum Kotzen. Seine Familie kann man sich leider nicht aussuchen." Ich zerknautschte vor Wut das Kissen meinen Armen. "Ich weiß nur nicht, wo ich jetzt schlafen soll. Ich will nicht zurück zu meiner Mutter und mein Vater will mich nicht einmal."

Pepe kam zu mir rüber und ließ sich neben mich auf die Couch fallen. Er legte beschützend einen Arm um mich.

"Du kannst gerne erst einmal bei bleiben. Ich freue mich über Gesellschaft in meiner Wohnung. Alleine ist es eh langweilig."

Er küsste mich liebevoll auf die Wange. Ich lehnte mich an seinen Körper und genoss den engen Kontakt. In Momenten wie solchen, begriff ich wie einsam ich wirklich in den letzten Jahren gewesen war. Nie war jemand wirklich liebevoll mit mir umgegangen. So einen Augenblick wie jetzt hatte ich mir immer erträumt. Jemanden zu haben, der einfach für mich da war und mich auffing. Endlich gab es jemanden, der mir zuhörte und sich für das interessierte, was ich zu erzählen hatte. Dieses Gefühl war neu für mich.

Plötzlich hörten wir es zischen.

Sofort sprang Pepe auf.

"Verdammt! Die Milch!", rief er, lief zum Herd und nahm den Topf vom Herd.

Hektisch versuchte die Platte von weiteren eingebrannten Milchflecken zu retten.

"Tut mir leid!"

"Nein, ist nicht deine schuld. Ich habe es vollkommen vergessen. Mein Fehler."

Er warf mir ein kurzes Lächeln zu und begann die übrig gebliebene Milch in eine Tasse zu gießen und Kakaopulver einzurühren.

Dann kam er zurück und gab mir die Tasse. Um die verschmutzte Herdplatte würde er sich offenbar erst später kümmern.

"Vorsichtig, ist noch sehr heiß".

Ich stellte den Kakao auf dem Tisch ab und suchte stattdessen nach Pepes Nähe. Mir kam Australien in den Sinn und die Tatsache, dass ich dann sehr lange nicht in seiner Nähe sein würde.

"Woran denkst du?", fragte er und streichelte mein Knie.

"Australien."

Sofort verfinsterte sich seine Miene. Offenbar war er schon zur gleichen Erkenntnis wie ich gekommen.

"Ist das immer noch der Plan?"

Ich nickte. Es war allein deshalb noch der Plan, weil ich meiner Mutter beweisen wollte, dass ich das wirklich durchzog.

"Ja", sagte ich nachdenklich. "Kannst du nicht mitkommen?"
Er lächelte sanft.

"Nein, leider nicht. Ich kann nicht einfach so mein Studium unterbrechen. Ich schreibe nächstes Semester meine Bachelor-Arbeit."

Ich kam ihm noch näher.

"Ich will bei dir sein", flüsterte ich. "Aber ich will auch nicht auf Australien verzichten."

"Das musst du auch nicht."

Was bedeutete das? Dass wir erst gar keine Beziehung eingehen würden? Oder dass wir bereits so eine starke Verbindung hatten, sodass wir vielleicht ein Fernbeziehung starten könnten?

Ich schlang meine Arme um seinen Körper. In seiner Anwesenheit hatte ich das Gefühl, dass ich nie wieder allein sein würde. Ich wollte das nicht aufgeben. Noch weniger wollte ich jedoch meiner Mutter die Genugtuung geben, dass ich doch nicht nach Australien ging. Außerdem hatten Bela und ich schon alles geplant. Sogar die Visa waren schon beantragt.

"Du bist für mich sehr besonders", ließ ihn wissen und malte mit meinem Finger ein paar Kreise auf seinen flachen Bauch. Ich konnte ihn bei diesem Satz nicht in die Augen sehen, denn ich hatte Angst vor seiner Reaktion.

"Du auch", hauchte er zurück. "Weißt du eigentlich, dass Bela von Anfang an vorhatte uns zu verkuppeln?"

Verdutzt sah ich nun doch zu ihm auf.

"Was? Wirklich?"
"Ja, er hatte dich damals unter dem Kirschbaum wiedergetroffen und mich danach sofort angerufen. Er meinte, er hätte jemanden gefunden, der perfekt zu mir passen würde. Das war auch der Grund, warum er dich zum Crossfit mitgebracht hat."

Ich schüttelte den ungläubig den Kopf.

Bela schien wirklich kein Interesse an mir zu haben. Zumindest in Bezug auf Beziehungen.

"Wow. Da hatte er ein wirklich gutes Gefühl."

"Ja, du warst am Anfang zwar sehr schüchtern, aber ich war hin und weg von dir."

Bis heute verstand ich nicht, warum ich für ihn anders, als andere Frauen war. An mir war nichts besonders. Er könnte bessere als mich haben. Hübschere. Mutigere. Witzigere. Schlauere.
"Ich hätte nie gedacht, dass ich überhaupt in deiner Liga spiele. Deshalb war das für mich am Anfang überhaupt keine Option. Du warst ein erwachsener Mann und ich gefühlt ein Kind."

Er schüttelte lächelnd den Kopf.

"Nun stell mich mal nicht als pädophil da", scherzte er. "Außerdem unterschätzt du dich viel zu sehr."

Er küsste mich. Die Art, wie er mich küsste war anders als zuvor. Gleichzeitig spürte ich, wie seine Hände begann unter mein Shirt zu wandern. Es waren ganz vorsichtige Berührungen und man konnte spüren, dass er nichts überstürzen wollte. Er ließ sich aber auch nicht beirren und ging immer wieder ein kleines Stückchen höher.

Derweil versteifte mein Körper immer mehr. Diese Erfahrung war neu für mich und alles was neu war, machte mir bekanntlich Angst.

"Ich kann auch aufhören, wenn du möchtest", hauchte er mir ins Ohr, als offenbar merkte, wie angespannt ich war.

"Nein, nicht aufhören", hörte ich mich sagen.

Wenn ich mich nicht neuen Erfahrungen aussetzte, würde ich nie im Leben vorankommen.

"Okay, dann entspann dich einfach. Sag mir einfach Bescheid, sobald du dich unwohl fühlst."

Ich nickte stumm.

Wir hatten nie darüber gesprochen, doch ich war mir sicher, dass ihm klar war, dass das mein erstes Mal sein würde. Ich wollte mir lieber nicht vorstellen, wie viel sexuelle Erfahrungen er bereits gesammelt hatte. Er schien zumindest genau zu wissen, was er tat. 

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