Kapitel 5

„Hey Kleiner! Aufwachen, wir sind noch lange nicht fertig mit dir."
Dafür, dass er im Moment mehr als vierzehn Arten nennen konnte, um Stark auf der Stelle umzubringen – wenn seine Fesseln nicht gewesen wären – benahm sich der ältere Mann äußerst unvorsichtig. Seine Worte schienen stets bewusst provozierend zu sein, egal an wen sie sich richteten. 

Peter würdigte ihn jedoch keines Blickes, stattdessen starrte er auf die Turnschuhe des Milliardärs.
Er war nicht Starks „Kleiner". Hoffentlich wurde er diesen blöden Spitznamen schnell wieder los. 

Bis vor wenigen Minuten hatte er vor sich hin gedöst, denn Schlaf war in dieser durchaus gefährlichen Umgebung viel zu riskant und versucht, an nichts zu denken – was ihm kläglich misslungen war.
Er verspürte eine Leere im Herzen, die stetig größer zu werden schien. Er fühlte sich so allein. Es war gut, dass Stark ihn mit ein wenig Abwechslung bedachte. 

Dieses Mal war der Mann mit dem Alias Ironman in Begleitung einer Frau. Peter stachen sofort ihre rot leuchtenden Haare ins Auge. Außerdem fiel ihm ihr äußerst intelligent, aber auch vorsichtig wirkender Blick auf. Ohne Zweifel war sie Agent Natascha Romanoff. Vor ihr musste er sich auf jeden Fall in Acht nehmen, denn er wusste um ihre Ausbildung im Roten Raum und ihre damit verbundenen Fähigkeiten. 

Er sah auch ihr nicht in die Augen, sondern ließ seinen Blick nur schnell über sie wandern. In einem Sekundenbruchteil klebten seine Augen wieder am Boden. Es würde schwierig werden, ihr etwas Überzeugendes vorzuspielen, aber er konnte es schaffen. Er musste. Wenn er hier raus wollte, damit er seinem Partner endlich von Hydra befreien konnte, dann führte kein Weg daran vorbei. Er durfte nicht versagen. 

Peter hatte genug Zeit gehabt, um sich zu überlegen, in welche Rolle er nun schlüpfen würde. Er wusste, was er zu tun hatte, was er ihnen erzählen und wie er sich verhalten musste. In der Theorie war es einfach. Die Praxis hingegen erforderte viel Gefühl von seiner eigenen Seite, einiges an Überzeugungskraft und vor allem Geduld. Denn das sich Vertrauen von Avengers nicht einfach innerhalb eines Tages erarbeiten ließ, war ihm klar.
Zudem mussten die Anderen auch ein wenig mitmachen, denn er würde wohl nicht weit kommen, wenn sie nicht wenigstens ein bisschen Hilfsbereitschaft und Mitgefühl zur Verfügung stellten, mit dem er arbeiten konnte. 

Peter hatte sich grob Gedanken darüber gemacht, welche genauerenn Informationen er erläutern und welche nur anschneiden würde. Von seiner Verbindung zum Winter Soldier würde er jedoch nichts sagen. Dieser Entschluss war fest, seine anderen Entscheidungen waren jedoch variierbarer. Er konnte nicht riskieren, dass sie dafür sorgten, dass er ihn nie wieder sah. 

„Bist du heute besser drauf?", fragte Stark. 

Peter senkte den Kopf noch ein bisschen mehr und nickte leicht. Die demütige Haltung konnte er gut. Hydra hatte ihn so vieles gelehrt . . . es half ihm zu wissen, dass all die Schmerzen und Strapazen der vergangenen Jahre wenigstens nicht völlig umsonst gewesen waren. 

„Und, was kannst du uns zu dir sagen? Wie heißt du?" Stark redete mit ihm, wie mit einem kleinen Kind. Vielleicht konnte es ein Vorteil sein, wenn Peter diesen Eindruck noch verstärkte. Er war ein eingeschüchterter, verängstigter Junge. Deshalb zögerte seine Antwort beabsichtigt etwas hinaus. 

„Peter.", wisperte er. 

„Peter.", wiederholte Stark. Er nickte wieder, nur ganz sacht, sodass man es fast nicht sehen konnte. „Wie alt bist du?"

Älter, als Stark dachte. Er zuckte jedoch nur kaum wahrnehmbar mit den Schultern. 

„Interessant." Stark nahm sich eine kurze Redepause. "Namen deiner Eltern? Wo kommst du her? Hast du Geschwister?" 

Er antwortete nicht, zeigte keinerlei Regung. Die Informationen kannte er nämlich tatsächlich nicht. Es war einfacher, jemanden zu kontrollieren, wenn dieser ein Niemand war. 

Starks Ungeduld schien angereizt worden zu sein. "Okay.", sagte er langgezogen. "Und du weißt, wer beziehungsweise was Hydra ist?" 

Ah, er versuchte jetzt also auf dem direkten Weg, Peter Informationen zu entlocken, da er einsah, dass er wohl erst einmal nichts mehr zu sich preisgeben würde – oder konnte. Allzu leicht würde er es den Avengers jedoch nicht machen, das wäre zu auffällig. Er musste sich langsam an sie herantasten, nie zu viel und auch nie zu wenig offenbaren. 

Also nickte er einfach nur erneut und setzte anschließend mit stark zitternder, immer noch gesenkter Stimme an, etwas einzuwerfen, das bereits andeuten sollte, dass er bloß ein Opfer in diesem Spiel war.
„Ich wollte nie jemandem wehtun." 

Er ließ Panik in seine Worte fließen und sah hektisch auf, ließ den Blick aus weit aufgerissenen Augen zwischen den beiden Avengers hin und her springen. „Ich wollte niemals jemanden verletzten!" 

Stark blickte angesichts des plötzlichen emotionalen Ausbruches des jungen Mannes überrascht drein und hob die Hände, um ein paar beruhigende Gesten damit auszuführen. „Wow, wow, ganz ruhig Kleiner." 

„Wem hast du wehgetan, Peter?" Romanoff trat jetzt einen Schritt vor. Es war das erste Mal seit Beginn der Konversation, dass sie sich zu Wort meldete. Selbst Peters Unterlippe bebte leicht, aber er schwieg. 

Die rothaarige Frau zog ihre Augenbrauen minimal zusammen und betrachtete ihn prüfend. Er starrte wie versessen vor sich hin und sah sich vor, zu blinzeln, als würden tatsächlich gerade grausame Erinnerungen vor seinem inneren Auge vorbeiziehen. 

Schließlich packte Romanoff Stark am Arm und ging mit ihm ein paar Schritte weg von Peter, durch die Tür nach draußen. Dort lehnte sich ein Stück zurück, sodass sie ihm mit gesenkter Stimme etwas ins Ohr flüstern konnte. Peters geschärften Sinnen sei Dank, dass er trotzdem jedes Wort verstehen konnte. 

„Ich glaube, dass er traumatisiert ist. Vielleicht ist ihm tatsächlich ähnliches wie Barnes passiert." Romanoff hatte die Tür nicht richtig geschlossen. Das war ein großer Fehler ihrerseits. Die Arbeit als Avenger schien sie sehr viel unvorsichtiger gemacht zu haben, als sie es bei ihrer Ausbildung gelernt hatte. 

„Das bedeutet nicht, dass ich ihm traue." Peter hatte das vage Gefühl, dass sie ihm nach diesen Worten einen flüchtigen Blick zuwarf, den er mit Leichtigkeit mied. Schließlich lag die Tür ja in seinem Rücken. „Vielleicht sollten wir psychologische Hilfe hinzuziehen.", schlug Romanoff vor. 

Stark wandte seinen Kopf in ihre Richtung. „Da unterschätzt wohl wieder jemand meine Fähigkeiten. Ich, als das Genie unseres Jahrhunderts, bin sehr wohl dazu in der Lage – " 

„Darum geht es nicht Tony!", unterbrach Romanoff ihn scharf. 

Peter hörte ihrer kleinen Unterhaltung weiterhin interessiert zu, hütete sich aber, das zu zeigen. Die Kameras in den Ecken waren schließlich noch immer auf ihn gerichtet. Kein Avenger durfte merken, dass er ihnen etwas vormachte. Jedoch hätte er sie alle, vor allem Romanoff, wirklich als klüger eingeschätzt. Das war bereits das zweite Gespräch, das sie in seiner Anwesenheit führten, und keinem schien auch nur den Hauch der Idee zu kommen, dass er das für sich nutzen konnte. 

Am liebsten hätte er über diese Unvorsichtigkeit den Kopf geschüttelt. Hydra tat in dieser Hinsicht tatsächlich mehr mitzudenken als Shield. Und dass er so etwas jemals denken konnte, überraschte ihn selbst.
Oder war es ein Trick, um ihn irgendwie aus der Reserve zu locken? Sollte er etwa denken, sie wären schwächlich, damit er sie unterschätzte? Ein solches doppeltes Spiel wäre Romanoff durchaus zuzutrauen. 

„Worum denn dann, Nat, hm? Ich merke selbst, dass er Hilfe braucht! Aber ich will auf jeden Fall verhindern, dass sich Steve vollkommen in einer Sache verrennt! Leider kann ich ihn nicht ewig von diesem Jungen fernhalten. Er will Barnes so unbedingt finden, dass mir die Sache langsam unheimlich wird." 

Romanoff nickte leicht und ließ ihn langsam los. „Ich versteh dich. Ich werde nochmal mit ihm reden. Diese „Obsession" ist nicht nur für Steve selbst gefährlich, sondern auch für uns. Aber wir müssen dem Jungen Zeit lassen, denn er muss erstmal hier bleiben, egal, was man ihm vielleicht angetan hat. Seine Fähigkeiten sind nicht zu unterschätzen, das hast du schließlich selbst gesagt." 

Danach senkte sie ihre Stimme noch weiter und schien sich zudem noch weiter vom Raum zu entfernen. Was hatte Romanoff vor? Peter gab sich größte Mühe, etwas zu verstehen, aber draußen herrschte auf einmal Stille. Was war passiert? Hatten sie etwa bemerkt, dass er lauschte? Aber wie sollte das möglich gewesen sein? 

Schließlich erhob Stark wieder das Wort. "Aber natürlich. Es ist besser so, denn dann findet Steve ihn nicht sofort wieder, wenn wir mal außer Haus sind." 

Als die Schritte der beiden erneut den Raum betraten, wusste Peter, dass die kleine Plauderstunde endgültig beendet war. Aber das, was er gehört hatte, war bereits mehr, als er sich erhofft hatte. Es machte ihm alles so viel einfacher! Aber was hatten Starks letzte Worte auf dem Flur zu bedeuten? Irgendetwas musste dort passiert sein, und er hatte nichts davon mitbekommen. Das war schlecht. 

"Da sind wir wieder, Peter.", verkündete Stark, als er sich wieder vor dem Bett positionierte, auf dem Peter noch immer festgebunden war. Als hätte er das nicht von allein bemerkt, dass die beiden zurückgekehrt waren. Stark regte seine Sympathie auf keinen Fall an, er war viel zu . . . mitleidig. Es behagte Peter überhaupt nicht, dass jemand so über ihn dachte. Wer Mitleid zeigte, der war schwach, den konnte man angreifen. Aber diese Karte durfte er noch lange nicht ausspielen. Er musste warten – aber er hatte neue Informationen, die ihm zur Verfügung standen und die er in seinen Plan einbeziehen und einbinden konnte. Er konnte hier raus kommen. 

Als würde sie befürchten, dass Stark Peter noch mehr verstörte, ergriff nun Romanoff das Wort und blickte ihn mit festem, aber beruhigenden Blick an. "Fürs Erste hast du genug gesagt. Wir werden uns später erneut mit dir befassen."
Sie lächelte, aber er hätte selbst aus zehn Metern Entfernung erkennen können, dass es nicht echt war. 

Plötzlich zuckte ein Gedanke durch seinen Kopf. Sie führte etwas im Schilde! Deshalb war sie plötzlich so leise im Flur gewesen, deshalb lächelte sie ihn jetzt so falsch an! Arlamiert wollte er irgendetwas tun, sich aus vor der Gefahr retten und verschwinden. Aber er hatte es zu spät bemerkt. Es musste die Müdigkeit sein, die ihn durch das stunden-, vielleicht sogar tagelange Warten erfasst hatte. 

Von der Seite, praktisch aus dem Nichts, traf ihn die dünne Spitze einer Nadel in den Hals und irgendein Mittel floss in seinen Körper und begann sofort, alles zu durchströmen. Romanoff hatte es geschafft, ihn zu überlisten, ihn so sehr abzulenken, dass er sich nicht auf dieses Manöver hatte vorbereiten können. 

Er spürte, wie sich Taubheit in Sekundenschnelle in seinen Gliedern ausbreitete und seine Augen bereits müde wurden. Er war nicht aufmerksam genug gewesen. Sein Verstand schwand dahin, versank in einer bodenlosen Schwärze ohne Anfang und ohne Ende. Das letzte, das er noch wahrnahm, ehe ihn das Betäubungsmittel vollständig dahinraffte, war Romanoffs Stimme, die wie aus weiter Ferne erklang.

"Gute Nacht, Peter." 

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