Kapitel 2

Melusine saß in ihrer blassblauen Schuluniform auf der Bettkante und wippte ungeduldig mit dem Fuß auf und ab, während sie ihre Uniform richtete.

„Flo, bitte beeil dich. Ich möchte nicht gleich am allerersten Schultag zu spät kommen!"

„Ja, ja, gleich. Ich bin fast so weit." Florence wuselte durch den leeren Schlafsaal; Élodie und ihre vierte Mitbewohnerin waren bereits zum Unterricht aufgebrochen. Frühstück gab es erst nach der ersten Doppelstunde, also etwa um 9 Uhr.

„Das hast du vor zehn Minuten auch schon gesagt!" Melusine verkniff sich ein genervtes Stöhnen. »Eine Dame stöhnt nicht!«

„Moment noch!"

„Was suchst du denn?", wollte Melusine ergeben wissen.

„Ich kann mein blaues Haarband nicht finden! Es muss hier irgendwo sein! Maman hat mir von den Hauselfen extra den blauen und weißen Haarschmuck einpacken lassen!" Hektisch durchwühlte sie die Schubladen ihres Nachttischs.

Melusine gab sich alle Mühe, die Augen nicht zu verdrehen, als sie mit übertrieben freundlichem Lächeln fragte: „Ist es vielleicht noch in deinem Koffer? Du hast doch gestern gar nicht alles auspacken können."

Florence schüttelte energisch den Kopf. „Nein, natürlich n-." Sie brach ab, runzelte die Stirn und riss dann plötzlich die Augen auf. Sofort hastete sie zu ihrem Koffer, öffnete einige Reißverschlüsse und streckte Augenblicke später triumphierend ihre Hand, in der sich ein blaues Haarband befand, in die Höhe.

„Na endlich! Bitte lass uns jetzt gehen!"

„Sei doch nicht so ungeduldig! Wir brauchen nur ein paar Minuten bis zum Klassenraum", meinte Florence gelassen und griff nach Melusines Hand, um sie hinter sich her zu ziehen.

Diese entzog ihr die Hand sofort wieder und hielt die Rothaarige an der Schulter fest. „Woher willst du das wissen? Wir sind doch erst seit gestern hier", fragte sie misstrauisch. »Traue niemandem, den du nicht kennst! Sei wachsam und verschenke deine Freundschaft nicht an jene, die sie nicht verdienen!«

„Es ist nicht das erste Mal, dass ich hier bin", gab Florence schulterzuckend zu, „Vater hat mich und die Zwillinge letzten Monat mitgenommen, als er eine Unterredung mit Madame Maxime hatte. Er ist Vorsitzender des Elternbeirats. Da konnten wir uns hier ein wenig umsehen."

Melusine nickte fürs Erste befriedigt und ließ von ihrem Gegenüber ab. „Dann lass uns keine Zeit verlieren." Sie versteckte ihren Argwohn hinter einer nett lächelnden Fassade und folgte Florence durch die Gänge des Palastes.

~~~

„Ruhe bitte, ich bitte um Ruhe!" Das Gekicher und Geschnatter der Erstklässlerinnen verstummte augenblicklich ob der strengen Stimme ihrer Lehrerin.

„Merci beaucoup. Bonjour et bienvenue à l'académie de magique de Beauxbâtons!

Mein Name ist Professeur Papâte und ich werde Sie im Fach Verwandlung unterrichten.

Gestern sind Sie alle bereits über die grundlegenden Regeln und Verhaltensweise an dieser Schule unterrichtet worden, aber da ich mich selbst noch gut daran erinnere, wie aufregend der erste Tag an dieser Schule sein kann, werde ich ausnahmsweise die wichtigsten Dinge noch einmal wiederholen. Hören Sie bitte aufmerksam zu, denn ich werde dies kein zweites Mal tun. Wenn es Ihnen hilft, dann schreiben Sie ruhig mit."

Sie drehte sich zur Tafel und schrieb mit ihrem Zauberstab eine Liste an.

„Erstens", begann sie, „Wie Sie unschwer bemerkt haben, werden bei uns Mädchen und Jungen getrennt unterrichtet. Beim gemeinsamen Speisen ist die Geschlechtertrennung aufgehoben, ebenso wie in den gemeinsamen Pausen oder Freistunden.

Zweitens, die Schlafsäle der Mädchen befinden sich im Westturm, die der Jungen im Ostturm, jeweils aufgeteilt nach Klasse in unterschiedlichen Stockwerken. Ein Schlafsaal ist für vier Personen ausgerichtet.

Drittens, der Unterricht beginnt jeden Tag, ausgenommen Sonntag, um 7 Uhr. Frühstück gibt es danach um 9 Uhr, Mittagessen um 13.30 Uhr, Abendessen um 19 Uhr.

Viertens, Ihre Unterrichtszeiten richten sich ansonsten nach dem Stundenplan, den Sie gestern Abend erhalten haben. Allgemein gilt für die Schüler der unteren Klassen, dass Samstagnachmittag kein Unterricht stattfindet.

Fünftens, die Unterrichtsräume befinden sich in den Korridoren des West- und Ostflügels. Astronomie wird draußen unterrichtet, wie auch Studie magischer Tierwesen. Gegessen wird im Speisesaal. Die Krankenstation und die Bibliothek liegen im ersten Stock. Des Weiteren haben wir hier auf Beauxbatons einen Ballsaal und die Räumlichkeiten für Musik- und Benimmunterricht.

Sechstens, das Tragen Ihrer Schuluniform ist Pflicht. In Ihrer Freizeit dürfen Sie auf Alltagskleidung zurückgreifen, allerdings sollten Sie sich an die Kleiderordnung halten. Keine Hosen und angemessene Kleidung.

Siebtens, bei Fragen und Problemen können Sie sich jederzeit an die Lehrer oder die Vertrauensschüler und Schulsprecher wenden.

Achtens, mit jedem Schuljahr kommen neue Verpflichtungen und Möglichkeiten auf Sie zu. Darüber werden Sie jedoch rechtzeitig informiert. Das gilt genauso für Ihre Wahl- und Pflichtfächer.

Haben Sie alles verstanden?"

Einstimmiges Nicken beendete den Monolog der Lehrerin.

„Gut!" Sie klatschte enthusiastisch in die Hände. „Dann können wir ja nun mit dem Unterricht beginnen."

~~~

„Ich kann nicht mehr!" Benjamin warf theatralisch die Hände in die Luft und ließ dann seinen Kopf auf den Tisch sinken. „Professeur Chapeau hat uns zwei Stunden lang mit Benimmunterricht gequält, weil er nicht mit unseren Manieren zufrieden war! Dabei sollte er uns eigentlich Zauberkunstunterricht erteilen! Und dann hat er uns auch noch einen Aufsatz aufgegeben!"

„Benjamin, reiß dich ein bisschen zusammen, sonst bekommst du noch eine Strafarbeit dazu!", ermahnte ihn Florence.

„Flo hat Recht", stimmte Melusine ihrer Mitbewohnerin zu, „Du solltest lieber dein Frühstück genießen, es ist wirklich köstlich."

„Wenigstens etwas."

Ein lautes Scheppern unterbrach die Unterhaltung der drei Schüler. Alle Blicke wandten sich sich dem Eingang des Saals zu.

Merde! Was fällt dir eigentlich ein?!", empörte sich eine hübsche Blondine lautstark, „Kannst du denn nicht aufpassen? Du hast meine Uniform mit deiner Kalorienbombe ruiniert und alles, was du dazu zu sagen hast, ist »Oh nein«?! Es ist nicht zu glauben! Deswegen sollte man Leuten wie dir den Umgang mit Magie nicht lehren! Was wirst du Tollpatsch erst mit einem Zauberstab anrichten, wenn du nicht einmal auf dein eigenes Frühstück achten kannst?"

Melusine drehte sich mit erhobener Braue zu Florence und Benjamin um. „Wer ist das?"

„Élodie, wie sie leibt und lebt", grinste Benjamin.

„Ihr wollte mir doch nicht wirklich erzählen, dass sie sich immer so benimmt?", fragte Melusine entsetzt nach.

„Leider doch. Armer Louis, er hätte besser aufpassen müssen", seufzte Florence und warf dem kleinen Jungen, der unter dem Geschrei Élodies immer kleiner wurde, einen mitfühlenden Blick zu.

„Aber Florence, du hast doch etwa kein Mitleid mit Morel?"

Mercur und seine Anhängsel Laurent und Adrien saßen einige Plätze von ihnen entfernt und hatten sich nach den Worten der Rothaarigen zu den Dreien umgedreht. „Morel", setzte Mercur wieder an und spuckte den Namen aus, als hätte er etwas Ekelhaftes im Mund, „Dieses Halbblut hat sich schon viel zu viel geleistet und verdient es nicht, dass irgendjemand für ihn den Finger krümmt."

„Ich weiß sehr genau, was geschehen ist, Mercur", fuhr Florence ihn an. Ihre Lippen verzogen sich zu einem spöttischen Grinsen. „Aber jeder, der Élodie ertragen muss, hat wahrlich mein Beileid verdient."

Wütend funkelte Mercur sie an. „Du solltest dich lieber zurückhalten!"

„Aus welchem Grund?"

„Ich bin mir sicher, dein Vater wäre untröstlich, wenn er von dem halbblutfreundlichen und entwürdigenden Betragen seiner Tochter erführe. Man könnte ihm nahelegen, sie in familiäre Obhut zu übergeben", antwortet er hämisch.

Für den Bruchteil einer Sekunde entgleisten Florence die Gesichtszüge, dann hatte sie sich wieder gefangen. „Spar dir den Atem lieber für deine hinreißende Verehrerin. Sicherlich vermisst sie dich schon schmerzlich."

Tatsächlich stolzierte eine vor Wut bebende Élodie mit wehenden Haaren auf den freien Platz neben Mercur zu, nachdem sie allem Anschein nach die Diskussion gegen Professeur Papâte verloren hatte. Im Laufen drehte sie sich noch einmal zu ihrer Lehrerin zu und rief, ihr Vater werde davon erfahren.

Melusine blickte nachdenklich zwischen den beiden Gruppen hin und her. Auf welche Seite sollte sie sich letztendlich schlagen? Und warum hatten alle Geheimnisse vor ihr? Louis hatte irgendetwas Unverzeihliches getan, Florence hatte anscheinend Familienprobleme und ihre Eltern hatte sie aus unbekanntem Grund jahrelang vor der Welt versteckt.

~~~

Als sie am Abend in ihrem Bett lag, nahm sich Melusine für die Zeit auf Beauxbatons drei Dinge vor:

Die Schule als Jahrgangsbeste abzuschließen, die Geheimnisse ihrer Mitschüler und ihrer Familie zu lüften und selbst zum Rätsel für andere zu werden.

»Wenn sie dich nicht durchschauen, werden sie dich fürchten. Mit Furcht kommt Macht.«

***

Zur Feier meiner Rückkehr ein neues Kapitel! Übrigens bin ich zufällig auf die Information gestoßen, dass es auch in Beauxbatons verschiedene Häuser geben soll. Falls es stimmt, kommen sie bei mir nicht vor, also wundert euch nicht.
🍄

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top