Plötzlich Ärztin: Das Examen (2. Tag)
Am 2. Prüfungstag ging es erst nachmittags mit der theoretischen Prüfung los. Das war ganz nett, da man so länger im Bett bleiben konnte (auch wenn ich automatisch früh aufwachte). Ich nutzte die Zeit, um mittels Karteikarten die Therapiemöglichkeiten bei häufigen kardiologischen und pulmonologischen Erkrankungen nochmal durchzugehen (eine Auffrischung fürs Kurzzeitgedächtnis schadet ja nie). Dann trank ich beim Bäcker eine Tasse Kaffee, um in der Prüfung munter zu sein und würgte eine halbe Käsestange herunter, damit mir nicht schwindlig wurde. Genießen kann ich persönlich mein Essen vor Prüfungen allerdings nie. Im Prüfungsraum angekommen erwartete uns eine Überraschung, denn der lange Tisch war weihnachtlich geschmückt und es standen Kaffee sowie Plätzchen bereit. Außerdem hing in der Ecke ein Tropenanzug mit Ebola-Schutzhelm und quietschgelbem Overall, der an einen Abenteurer erinnerte, der uns während der Prüfung anfeuerte.
Es wird ernst: Los geht's mit Bilder analysieren für Radio
Nachdem sich die vier Prüfer eingefunden hatten, ging es los. Es wurde immer eine von uns Studentinnen fünfzehn Minuten pro Fach geprüft, wobei einer der anderen Prüfer protokollierte. Ich musste somit eine halbe Stunde warten, bevor ich zum ersten Mal dran kam und meine Hände waren inzwischen schweißnass, sodass ich sie an meinem Kleid abwischen musste.
Als erstes kam Radiologie dran und ich wurde zuerst ein paar gelbe Kästchen aus dem Skript abgefragt. Es ging los mit den sogenannten Leppin Stadien, die beschreiben, wie man vorgeht, wenn eine Schwangere aus Versehen geröntgt wurde (hierbei wird die Strahlendosis abgeschätzt und es besteht entweder keine Gefahr für den Embryo oder man muss einen Medizinphysiker um Rat bitten). Auch die Nachweisbargrenze von Fruchtschäden (Schäden des Embryos) wurde abgefragt und wie hoch die Strahlendosis bei einer Röntgen- bzw. CT-Aufnahme des Thorax und bei einer Röntgen- bzw. CT-Aufnahme des Abdomen jeweils ist. Außerdem, was man dem Patienten sagt, wenn er wissen möchte, wie man die Strahlendosis bei einer Röntgenaufnahme einschätzen soll (ist im Vergleich zur natürlichen Strahlendosis, der man in Deutschland jährlich ausgesetzt ist, vernachlässigbar). Zuletzt, was bei einer Dosis von 1 Sievert für Risiken bestehen.
Dann sollte ich bei einigen Bilder aus dem Skript die Pathologie diagnostizieren. Es ging mit einem Röntgenbild mit kompletter Verschattung des linken Hemithorax und Verlagerung des Herzens ins rechte Mediastinum (Brustraum) los. Habe erklärt, dass dies bei einem Karzinom passieren kann, weil es das Herz verdrängt. Dann fragte der Radiologe, ob das Bild bei einer Pneumonektomie (Lunge entfernt) genauso aussehen würde (nein, das Mediastinum wäre zur kranken Seite hin verlagert wegen der Volumenminderung). Es folgte ein Röntgen-Thorax mit Kavernen mit Verdacht auf Tuberkulose oder eine einschmelzende Pneumonie. Hier wollte der Prüfer hören, dass man einen Patienten mit Tuberkulose auf die Normalstation aufnehmen kann, aber isolieren muss. Danach kam eine Abdomenübersichtsaufnahme mit dilatierten Dünndarmschlingen und thumb prints (Teile des Darms sehen aus wie Fingerabdrücke). Hier erzählte ich, dass eine Darmwandischämie als Ursache vorkommt (mangelnde Durchblutung des Darms). Dann kam ein CT des Schädels mit einem Ödem, hier ist ein Infarkt die häufigste Ursache. Als Letztes sollte ich ein MRT des Oberbauches mit Raumforderung an der Nebenniere beschreiben, hier folgte die Frage, ob es ein T1 oder T2 Bild ist (bei T1 ist der Liquor dunkel, bei T2 weiß). Bei zwei Bildern erkannte ich die genaue Diagnose nicht gleich, was mich geärgert hat, bei ungefähr 100 Bildern im Skript aber vorkommen kann. Natürlich ist es doof, wenn gleich die erste Fragerunde nicht so perfekt läuft wie erhofft, aber man muss das einfach abhaken und sich auf die folgenden Fächer konzentrieren.
Anschließend hieß es wieder eine halbe Stunde warten, da zuerst die beiden anderen wieder abgefragt wurden. Das Warten fand ich stressiger als die Prüfungen selbst, denn während der eigenen Prüfung ist man wenigstens beschäftigt. So hört man, wie viel die anderen können, was einen zusätzlich nervös macht. Allerdings flatterten auch bei einer meiner Mitstudentinnen die Nerven, denn sie sprach sehr schnell und hektisch, auch wenn das Gesagte richtig war. Nervosität betrifft also die meisten Leute in einer Staatsexamensprüfung.
Skalpelle, Kameras, OP-Management: Weiter geht's mit Chirurgie
Nachdem ich mit Dextro Energy meine Gehirnzellen wieder auf Trab gebracht habe (schließlich fand die Prüfung am Nachmittag statt und das ist nicht die Zeit, in der ich mich am besten konzentrieren kann), wurde ich vom Chirurgen geprüft. Zu Beginn sollte ich den Patienten vom Vortag nochmal vorstellen, über den ich auch die Epikrise geschrieben hatte. Es folgte die Frage nach den Stadien des Pleuraempyems (exsudativ, fibrinopurulent und Organisationsstadium) und der Therapie (eigentlich immer operativ, da der Erguss auch in Stadium I schon gekammert sein kann und Antibiose und Thoraxdrainage nicht ausreichen). Im Stadium I operiert man mit der VATS (also minimal-invasiv mit Hilfe einer Kamera) und führt ein Débridement durch, im Stadium II ein Débridement und eine Dekortikation und im Stadium III ein Débridement und eine Dekortikation. Dann sollte ich die Dekortikation definieren, in der Thoraxchirurgie ist das die Entfernung einer entzündlichen, die Lunge fesselnden Schwarte. Welche Antibiotika gibt man? Der Prüfer wollte gar keine spezifischen hören, sondern nur, dass man erst eine kalkulierte antibiotische Therapie geben würde (Antibiotika, die gegen die vermuteten Keime wirken), die man nach Erregernachweis und Antibiogramm anpassen würde. Post-OP Vorgehen? Wundverhältnisse prüfen, Analgesie (Schmerztherapie), Atemtherapie, Thromboseprophylaxe, Frühmobilisation, Stuhlregulierung.
Dann folgte die Überleitung zur Allgemeinchirurgie: Ein Patient mit akuten Schmerzen im Unterbauch kommt in die Notaufnahme, was sind die Differenzialdiagnosen? Inkarzerierte Leistenhernie, Hodentorsion, Sigmadivertikulitis, Appendizitis. Patient hat eine Appendizitis (Blinddarmentzündung) und freie Flüssigkeit im Sono, habe eine Perforation diagnostiziert, also einen Durchbruch des Blinddarms. Diagnostik und Therapie bei Appendizitis mit Perforation? Sofortige Notfall-OP. Zuletzt ging es um einen Patienten, der auf die Hand gefallen ist und Schmerzen hat, wie würde man in der ZNA vorgehen? Anamnese, Inspektion, Untersuchung der Hand, Röntgen. Im Röntgen sah man eine Fraktur des distalen Radius mit Gelenkbeteiligung. Habe eine Colles-Fraktur (Extensionsfraktur) identifiziert, die operativ versorgt werden muss.
Labor, EKG und Co.: Ein Prüfungsfall in der Inneren Medizin
Als Nächstes kam Innere Medizin an die Reihe. Hierbei sollte jede von uns einen Umschlag mit einem Prüfungsfall ziehen. Ich hatte eine Patientin, die mit chronischer Dyspnoe in die ZNA kam und sollte erklären, wie ich vorgehen würde. Anamnese, klinische Untersuchung (Vitalparameter, Herz und Lunge auskultieren), Labor (bekam ich dann vorgelegt). Im Labor waren CRP und die Leukozyten erhöht (die Entzündungswerte), außerdem die D-Dimere, was auf eine Lungenarterienembolie hindeutet. Habe als Untersuchungsmethode noch EKG genannt, das ich auch vorgelegt bekommen habe. Ich habe es strukturiert analysiert und mit der Hilfe des Prüfers den S1Q3-Typ als Hinweis auf eine Rechtsherzbelastung identifiziert (bei diesem Typ sind Zacken in bestimmten EKG-Ableitungen vorhanden). Auf die Frage nach dem weiteren Vorgehen habe ich ein Angio-CT genannt (CT der Gefäße), da alles auf eine Lungenarterienembolie hinweist (also auf einen Verschluss einer Lungenarterie).
Im CT war im rechten Oberlappen ein Bronchial-Karzinom zu erkennen. Die Dame hatte also keine Lungenarterienembolie, sondern Lungenkrebs. Frage, wie ich weiter vorgehen würde (Biopsie, also Gewebeentnahme, um die Diagnose zu sichern). Dann wollte der Prüfer wissen, ob man es noch operieren kann (OP beim nicht-kleinzelligen Lungenkrebs bis Stadium IIIA3 möglich, ab IIIA4 eher palliative Radiochemotherapie). Zusätzlich hatte die Patientin laut Labor noch eine Hämaturie und Proteinurie (Blut und Proteine im Urin), habe einen Harnwegsinfekt als Ursache genannt. Im Antibiogramm war der Erreger (E.coli) gegen alles außer Meropenem und Gentamicin resistent. Ein Antibiogramm zeigt, welche Medikamente gegen den Erreger wirken und welche nicht. Was würde ich ihr geben (Meropenem, da Gentamicin nephrotoxisch ist, also die Niere schädigt).
Mit Tropenanzug, Moskitonetz und Zecken: Tropenmedizin
Mein letztes Fach in der Prüfung war Tropenmedizin, mein Wahlfach. Im Voraus hatte ich als Spezialthema Malaria unter globalen Aspekten erhalten und der Großteil meiner Prüfung sollte sich darum drehen. Meine Prüfung lief allerdings nicht ganz so ab wie erwartet, denn der Professor hatte verwechselt, dass eine der anderen Studentinnen aus der Prüfungsgruppe zusätzlich in der Mikrobiologie gewesen war und nicht ich. Im ersten Moment war ich deswegen ein wenig schockiert, da der Prüfer das falsche Material für meine Prüfung vorbereitet hatte und ich von Mikrobiologie wenig Ahnung habe. Er versicherte mir aber, dass er die Prüfung anpassen und die Verwechslung berücksichtigen würde (trotzdem blöde Situation in einer Staatsexamensprüfung). Anstatt zu globaler Gesundheit wurde ich also neben meinem Hauptthema Malaria mit Hilfe von Bildern zu Infektionen befragt. Logischerweise fehlte mir das Mikrobiologie-Wissen, aber der Professor half mir und ich denke, er hat die Bilder eher weniger bewertet, da sie ja nicht für mich, sondern für die Studentin, die auch in der Mikrobiologie war, gedacht waren.
Los ging es mit einer Patientin, die seit 2 Monaten aus einem tropischen afrikanischen Land (habe vergessen, welches genau) zurück ist und jetzt Fieber hat. Was wäre am wahrscheinlichsten? Infektion mit Plasmodium vivax oder Plasmodium ovale (den Erregern, die Malaria verursachen), da sie Hypnozoiten (Dauerformen) in der Leber bilden und die Erkrankung so auch noch nach Monaten ausbrechen kann. Auch Plasmodium malariae, da es eine chronische Blutschizogonie auslösen kann. Dann sollte ich die Diagnostik erklären (Blutausstrich und dicker Tropfen, Schnelltest nur wenn keine anderen Diagnostika verfügbar, PCR). Ich erhielt das Bild eines Blutausstrichs und identifzierte P. malariae (Stäbchenform im Erythrozyten). Dann erklärte ich die Therapie (Chloroquin, da noch wenige Resistenzen im Gegensatz zu P. vivax). Was gibt man, wenn kein Chloroquin verfügbar ist? Atovaquon/Proguanil oder Artemether/Lumefantrin. Dann bekam ich ein Bild vorgelegt, auf dem eine eiternde Hautwunde zu sehen war (Patient war vorher auf Bali). Ich sollte sagen, was das sein könnte. Wusste nicht genau, was ich differenzialdiagnostisch sagen soll, da das Bild eigentlich für die Studentin gedacht war, die in der Mikrobiologie war. Es war letztendlich eine einfache eiternde Infektion mit dem häufigsten Erreger (Staphylococcus aureus). Das nächste Bild erkannte ich, es war ein Eschar (abgestorbenes Gewebe) durch eine Rickettsien-Infektion nach Zeckenbiss.
Dann die Frage nach dem Vorkommen des Dengue-Fiebers (häufigste Ursache für Fieber nach Aufenthalt in Lateinamerika und Südostasien, durch den Klimawandel auch Fälle in Südeuropa und Frankreich). Frage, welche vektorübertragenen Virusinfektionen in Europa neuerdings auch vorkommen? Chikugunya-Fieber und Zika-Virus. Warum ist Zika gefährlich? Über Plazenta Übertragung von Mutter auf Fetus möglich, Mikrozephalie-Risiko (verkleinerter Schädel). Dann sollte ich Hepatitis B allgemein erklären und wurde gefragt, was passiert, wenn sich Säuglinge infizieren (in den meisten Fällen chronische Infektion). Dann Frage, ob eine Hepatitis B heilbar ist. Habe erklärt, dass es bei vielen Patienten zu einer Serokonversion von HBsAg (Antigen) zu Anti-HBs (Antikörper) kommt und die Hepatitis dann ausgeheilt ist, bei anderen aber die Serokonversion nicht stattfindet und sich eine chronische Infektion entwickelt. Welche Medikamente gibt man? Nukleosidanaloga. Wie stehen dann die Chancen auf Heilung? Nicht so hoch. Anschließend kam eine Frage zu Komplikationen, also einer zusätzlichen Hepatitis D- Infektion. Wie würde man die behandeln? Man würde die Hepatitis B behandeln, da man Hepatitis D dann mitbehandelt (Hepatitis D-Viren brauchen die Hepatits B-Viren, um zu bestehen). Anscheinend gibt es seit 2 Jahren für die Hepatitis D Behandlung auch ein eigenes Medikament, aber es ist sehr teuer und kaum verfügbar.
Der große Moment der Notenvergabe und Partytime
Endlich war die Prüfung vorbei und wir mussten draußen warten, damit die Prüfer sich besprechen konnten. Für die Gesamtnote wurden sowohl die Prüfungen am Patientenbett als auch die theoretischen Prüfungen miteinbezogen. Ich fand, dass meine Prüfung ganz okay lief, ärgerte mich aber, dass ich am Vortag in der Inneren Prüfung so aufgeregt gewesen war und es in Radiologie nicht so gut lief wie erhofft. Dennoch war ich stolz, dass ich meine Nerven am zweiten Prüfungstag deutlich besser im Griff hatte. Nach zehn Minuten rief uns die Prüfungskommission dann in den Raum und teilte uns die Noten mit. Eigentlich war ich zufrieden mit meiner Leistung, für eine bessere Gesamtnote für das gesamte Studium (mit erstem und zweitem Staatsexamen) hätte ich allerdings die Topnote benötigt, weshalb ich enttäuscht war. Mich hat es vor allem geärgert, dass mir die Bettenprüfung in der Inneren und das Viertfach Radio die Topnote vermiest haben und sowohl die Bettenprüfungen als auch das Viertfach pandemiebedingt weggefallen wären, wenn ich die Prüfung nur ein halbes Jahr früher absolviert hätte.
Immerhin hatten wir alle gut bestanden und feierten vor der Klinik ein wenig mit Sekt. Endlich keine Lernerei mehr und Zeit, die Adventszeit zu genießen. Trotzdem war es ein komisches Gefühl, nach langen Jahren an der Uni das Studium abgeschlossen zu haben. Obwohl ich streng genommen weiterhin Studentin bin, da ich für meine Doktorarbeit eingeschrieben bleiben muss (Promotionsstudium here I come!). Die Vorbereitungszeit auf die Prüfung war auf jeden Fall eine sehr stressige Ausnahmesituation und ich bin froh, dass das Examen jetzt vorbei ist. Irgendwann in den folgenden Tagen dämmerte es mir dann, dass ich jetzt offiziell Ärztin bin. Wie geil ist das denn? Jahrelang arbeitet man darauf hin und dann ist man plötzlich Kollegin von Dr. House und den Leuten aus der Schwarzwaldklinik! Ich bin kein Fan davon, sich selbst zu feiern, aber nach dem PJ und dem Examen war es definitiv mal Zeit dafür :-)
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Wie geht's jetzt weiter? Das könnt ihr im nächsten und allerletzten Kapitel von "Medic to be" lesen. Wie läuft es mit der Doktorarbeit? Wo bewerbe ich mich? Und natürlich: Wie war die Examensfeier?
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