Plötzlich Ärztin: Das Examen (1. Tag)
Je näher der Examenstermin Anfang Dezember rückte, desto angespannter wurden meine Mitstudentinnen und ich. Kurz vor dem Examen waren wir alle an dem Punkt, an dem wir uns einig waren, dass wir die Lernerei nicht mehr viel länger durchhalten würden und endlich die Prüfung ablegen wollten. Ich machte mir vor allem Gedanken darüber, was ich machen könnte, um vor den beiden Prüfungstagen gut zu schlafen, was vor den beiden ersten Staatsexamina ein Problem gewesen war. Entspannungsübungen, Schlaftabletten, Schäfchen zählen, Lesen... Außerdem überlegte ich mir, was ich am ersten Prüfungstag an Essen mitnehmen wollte, denn zwischen den stressigen Patientenuntersuchungen und der Prüfung am Patientenbett würde keine Zeit bleiben, um Essen zu gehen. Aus Erfahrung wusste ich, dass ich in stressigen Situationen kaum etwas essen kann, deshalb entschied ich mich für leicht herunterzuwürgende Speisen (Croissant und Banane, zudem Dextro Energy, um die grauen Zellen kurz vor der Prüfung aufzuwecken).
Vorbereitung: Schicke Kleidung und Entspannungversuche
Um den Stress am ersten Prüfungstag zu minimieren, legte ich alles Nötige am Abend vorher bereit. Zum einen ist in der Prüfung formelle Kleidung erwünscht, weshalb ich ein businessmäßig aussehendes Kleid mit Strumpfhose und schicken Schuhen wählte. Die flachen Schuhe hatte ich für die Prüfung extra neu gekauft, denn hohe Schuhe zu tragen wollte ich in der Prüfung nicht riskieren. Mit verstauchtem Knöchel in die Prüfung zu gehen, weil man in der Eile die Treppe heruntergefallen ist, stellte ich mir nicht förderlich vor. Außerdem wollte ich mich in meinem Outfit so wohl wie möglich fühlen, also keine drückenden Schuhe und eine kneifende Hose tragen.
Zudem packte ich einen Kittel für die Untersuchung der Patienten ein. Wir hatten den Prüfungsvorsitzenden gefragt, ob wir zur Prüfung am Patientenbett normale Krankenhauskleidung (Kasack und Hose) tragen dürften, weil wir uns darin wohler fühlen als in schicker Kleidung und man sowieso einen Kittel darüber trägt, dies wurde aber abgelehnt. Ein Staatsexamen sei schließlich eine wichtige Prüfung und man solle vor den Patienten professionell herüberkommen. Neben dem Kittel wanderten mein Stethoskop, eine Diagnostikleuchte und ein EKG-Lineal in meinen Rucksack, um Befunde des Patienten beurteilen zu können. Auch ein Block für Notizen, Kugelschreiber und mein Tablet kamen mit. Zuletzt zwei Flaschen Wasser und Essen.
Um zu entspannen, wusch ich in aller Ruhe meine Haare und sah mir eine Serie auf Netflix an, hörte Musik und las vor dem Schlafengehen. Zur Sicherheit steckte ich mir Ohrstöpsel in die Ohren, um nicht mitten in der Nacht aufgeweckt zu werden. Einzuschlafen fiel mir tatsächlich schwer, sodass ich schließlich Schäfchen zählte, um mich abzulenken Glücklicherweise klappte das, auch wenn ich relativ früh aufwachte (mehr als sechs Stunden Schlaf habe ich schätzungsweise nicht bekommen).
Dennoch fühlte ich mich am Morgen ganz okay. Da es Dezember war und ich kein Auto habe, zog ich eine dicke Leggins unter dem Kleid sowie meine Winterstiefel, Mantel, Schal und Stirnband an. Das sah in Kombi mit dem Kleid vermutlich seltsam aus, aber ich wollte auf dem Weg zur Prüfung nicht erfrieren. Die schicken Schuhe und die Strumpfhose wollte ich erst in der Klinik anziehen. Dann machte mich auf den Weg dorthin. Da ich den Bus zur Klinik nahm, frühstückte ich beim Bäcker neben der Klinik, um nicht in Zeitnot zu geraten. Am ersten Tag trafen wir uns mit dem Prüfungsvorsitzenden nämlich schon um 09:00 Uhr in der Klinik. Mit dem Essen hatte ich wie erwartet Probleme und würgte ein halbes Croissant mit Hilfe einer Tasse Kaffee mehr schlecht als recht herunter. Dennoch finde ich es ratsam, sich vor Prüfungen zum Essen zu zwingen, weil mir immer sehr schwindlig wird, wenn ich nichts im Magen habe.
Einarbeitungsphase beim Patienten: Aktenschlacht unter Zeitdruck
In der Klinik angekommen, zog ich mich rasch um und bändigte meine Zottelhaare. Um 9 Uhr trafen wir uns mit dem Prüfungsvorsitzenden, legten unsere Rucksäcke im Seminarraum ab und machten uns auf den Weg auf die thoraxchirurgische Station. So schick angezogen zogen wir die Blicke der Leute in der Ambulanz auf uns, was die Aufregung noch steigerte (auf den lila Anzug meiner Mitstudentin konnte man aber nur neidisch sein, sah toll aus). Der Prüfungsvorsitzende lud jeden von uns bei einem Patienten ab, den wir befragen und untersuchen und nach dem Aktenstudium später vor den Prüfern vorstellen sollten.
Mein Patient hatte nach einer Lungenkrebs-Erkrankung ein Pleuraempyem (Eitererguss zwischen den Lungenblättern, der die Entfaltung der Lunge und damit das Atmen behindert) entwickelt. Da das Pleuraempyem das Lieblingsthema des prüfenden Chirurgen ist, war ich beruhigt, weil ich glaubte, darauf gut vorbereitet zu sein. Auch der Patient war bei der Untersuchung recht kooperativ, auch wenn er ab und an fragte, wie lange das noch dauere. Die PatientInnen stellen sich für die Prüfung freiwillig zur Verfügung, aber bei Patientenmangel wird der ein oder andere auch schon mal von den Prüfern zum Mitmachen überredet, weshalb es Glückssache ist, wie kooperativ die Patienten sind. Ich beschloss eigentlich, vor der Anamnese und körperlichen Untersuchung die Akte zu lesen, um zu wissen, auf was ich achten muss. Da der Patient allerdings bestrebt war, mir sofort seine Krankheitsgeschichte zu erzählen, befragte ich ihn dann doch ohne Hintergrundwissen (Mit welchen Symptomen ist er erstmals in die Klinik gekommen? Wie wurde er behandelt? Was ist jetzt geplant? Vorerkrankungen? Medikamente?).
Anschließend wollte ich mir alte Arztbriefe am Computer durchlesen sowie Röntgenbilder und Laborwerte ansehen, was gar nicht so einfach war. Denn ich hatte keinen Zugang, um mich ins Online-System einzuloggen und die Patienten der Chirurgie aufzurufen. Netterweise loggte sich die Assistenzärztin der Tropenmedizin für mich ein und ich konnte einen der Computer in der Tropenambulanz nutzen (im Arztzimmer wäre es sonst eng geworden, denn die Ärzte dort brauchen ihre Computer ja, um sich um die alltägliche Patientenversorgung zu kümmern). Wie die Studenten an die elektronischen Patientenakten kommen, wenn keiner Zeit oder Lust hat, ihnen dabei zu helfen, möchte ich nicht wissen. Ich finde es inakzeptabel, dass man für die Prüfung keine eigenen Log-in Daten bekommt, weil es für mehr Stress sorgt. Wenn die Assistenzärztin ihren Zugang selbst gebraucht hätte, hätte ich auch Pech gehabt, weil man nur einmal unter einem Benutzernamen eingeloggt sein kann. Zudem hatten wir Glück, dass der Tropenmedizin-Professor den Seminarraum für uns reserviert hat, damit wir dort die ausgedruckten Arztbriefe und Befunde in Ruhe studieren und uns Notizen machen können.
Mein Patient hatte eine lange Krankheitsvorgeschichte und ich brauchte einige Zeit, um sie zu erarbeiten. Glücklicherweise traf ich im Arztzimmer einen Oberarzt an und konnte mit ihm einige offene Fragen zum Patienten klären. Nachdem ich den Patienten körperlich untersucht hatte, verriet der Arzt mir unter anderem, welche Art von Drainage der Patient hat (Heimlich-Ventil, was bedeutet, dass Luft aus der Drainage entweichen, aber nicht in den Patienten einströmen kann). Hektisch schrieb ich mir die wichtigsten Fakten für die spätere Vorstellung auf und kehrte zurück zum Seminarraum, denn von dort aus ging es in die Innere Medizin zum zweiten Patienten.
Der zweite Patient hatte eine Thrombose, wohl infolge eines im Anschluss entdeckten Lungenkarzinoms. Der Internist warnte mich vor, dass er außerdem jede Menge Nebendiagnosen hätte, die ich aber auch gerne weglassen könnte. Die Krankheitsgeschichte war leider etwas unvollständig, da er vorher in einer anderen Klinik gewesen war, weshalb ich es schwierig fand, mich in den Fall einzuarbeiten. Auch hier dauerte die Vorbereitung mit Anamnese, klinischer Untersuchung und Aktenstudium relativ lange und die zahlreichen Nebendiagnosen brachten mich ein wenig durcheinander (Gicht, Anämie etc.), weshalb ich sie wie empfohlen wegließ. Auf der Station herrschte Personalmangel und ich fand keinen Arzt, der mir etwas zum Patienten erklären konnte. Immerhin traf ich im Arztzimmer einen PJ-Studenten an, der mit mir zum Patienten ging und dessen Lunge nochmal abhörte, da ich mir nicht sicher war, welches Geräusch ich genau gehört hatte. Auch in der Visitendoku gab es dazu keine Infos und nach dem PJ reicht die Erfahrung leider noch nicht dazu, alles genau identifizieren zu können.
Nun wurde die Zeit knapp und ich schaffte es gerade noch, mein halbes Croissant herunterzubringen und einen Schluck Wasser zu trinken, bevor der Professor uns zur Bettenprüfung abholte. Wir hatten pro Patient für alles 2,5 Stunden Zeit, was erstmal viel klingt, bei komplexen Akten und vielen Infos, die man sortieren und für die Vorstellung zusammenfassen muss aber relativ knapp ist. Insofern waren wir alle sehr gestresst und hatten weder Zeit, um in Ruhe zu essen, noch etwas zu den Befunden nachzulesen. Im Laufschritt ging es dann (natürlich mit FFP2-Maske) in den dritten Stock und ich schnappte dort angekommen erstmal nach Luft, weil ich in der Lernphase keinen Sport gemacht hatte. Blöderweise war ich gleich als Erste dran und wurde immer noch nach Luft schnappend (rennt mal mit FFP2-Maske in den dritten Stock) ins Zimmer geschickt.
Prüfung am Patientenbett: Nervosität, Abhören, Fragerunde
Nach der Vorstellung des Patienten mit Hilfe der Notizen, die ich auf einen Zettel gekritzelt hatte, und ein paar Fragen zu den ersten Untersuchungen bei Verdacht auf Lungenkrebs fragte der Internist plötzlich detailliert zur tiefen Beinvenenthrombos. Das überrumpelte mich, da ich mich in der Vorbereitung auf die Diagnose des Bronchialkarzinoms konzentriert hatte. Durch den Stress und das eher unerwartete Thema war ich leider sehr nervös und brachte einiges durcheinander. So brauchte ich länger um auf die Trias aus Schwellung, dumpfem Schmerz und Zyanose zu kommen und führte die Payr- (Druckschmerz der medialen Fußsohle), Mayr- (Druckschmerz des Unterschenkels) und Homans-Zeichen (Dorsalextension des Fußes löst Schmerz in Wade aus), mit denen man eine Thrombose klinisch feststellen kann, ein wenig chaotisch vor.
Dann sollte ich die Lunge untersuchen, also hörte ich sie ab und perkutierte (wenn der Klopfschall gedämpft ist, weist das beispielsweise auf eine Lungenentzündung hin). Außerdem wurde ich gefragt, wann die Atemverschieblichkeit auf einer Seite geringer ist (Zwerchfellhochstand aufgrund von Phrenicusparese). Insgesamt hat die Innere-Bettenprüfung mir die Note ein wenig vermasselt, weil ich zu aufgeregt war. Ich rate euch, euch nicht so viele Vorwürfe zu machen, wenn euch in der Prüfung die Nerven flattern, denn man kann leider nicht kontrollieren, wie aufgeregt man ist und es geht vielen anderen auch so. Unter Anspannung sofort die richtigen Antworten auszuspucken ist eine Herausforderung, denn im Gegensatz zu schriftlichen Prüfungen kann man nicht einfach eine Frage überspringen und später beantworten, wenn man die Antwort nicht weiß. Im Allgemeinen ging die Prüfung aber recht schnell vorbei, auch wenn man mittendrin das Gefühl hat, die bohrenden Fragen würden nie aufhören.
Danach hatte ich glücklicherweise eine Pause, weil meine beiden Mitstudentinnen vom Internisten geprüft wurden und konnte durchatmen. Ich habe mich geärgert, dass ich in der Prüfung so nervös war, denn eigentlich habe ich gut gelernt und hätte viel mehr gewusst.
Weiter ging es mit Chirurgie. Hier ging ich zuversichtlicher in der Prüfung, da ich vorher Zeit gehabt hatte, durchzuatmen und mich zu sammeln und nicht direkt vom Seminarraum ins Zimmer geschickt wurde wie bei der Bettenprüfung in Innerer Medizin. Für die Vorstellung schrieb ich mir eine kurze Zusammenfassung. Der Patient hatte ein Pleuraempyem (Ansammlung von Eiter an der Lunge) entwickelt, nachdem er zuvor mit einem nicht-kleinzelligen Bronchial-Karzinom diagnostiziert worden war und als Folge wiederkehrende Pleuraergüsse entwickelt hatte. Aufgrund des Pleuraempyems war eine videoassistierte Thorakoskopie (man schaut mit einer Kamera in den Brustkorb) durchgeführt worden. Ich sollte den Bauch untersuchen und erzählen, woher die OP-Narben im Unterbauch kommen (Prostatektomie bei Prostata-Karzinom). Dann sollte ich was über die Drainage erzählen, die Sekret und Luft aus dem Körper leitet (war eine Bülau-Drainage mit Heimlich-Ventil). Es folgte die Frage, ob man das Ventil falsch rum anbauen kann und was dann passieren würde (am Heimlich Ventil sind Zeichnungen, die anzeigen, welches Ende zum Patienten und welches zum Beutel zeigen soll und wenn man es falsch herum einbaut, geht der Sog zum Patienten hin). Dann wollte der Prüfer wissen, welche Arten von Drainagen es noch gibt.
Anschließend sollte ich nochmal die Lunge untersuchen. Dann wollte der Prüfer wissen, ob der Patient den PleurX-Katheter, den er aufgrund der rezidivierenden Pleuraergüsse ursprünglich hatte (und der während der jetzigen OP gezogen worden war) wieder braucht. Nein, weil durch die operative Versorgung des Pleuraempyems die Ursache für die rezidivierenden Pleuraergüsse beseitigt wurde. Er fragte auch, wie man den PleurX-Katheter anlegen würde (wusste ich nicht, weil ich im PJ nicht in der Thoraxchirurgie war, fand er aber nicht schlimm). Insgesamt lief die Chirurgie-Prüfung deutlich besser, da ich die Themen einfacher fand und vor der Prüfung Zeit zum Durchatmen hatte.
Abendliche Arbeit an der Epikrise und Warten auf den zweiten Prüfungstag
Der erste Prüfungstag ging von 9 Uhr morgens bis 17 Uhr nachmittags, weshalb wir ziemlich fertig waren. Leider musste am Abend noch eine Epikrise zu einem der beiden Patienten angefertigt werden. Eine Epikrise ist ein Bericht über den Krankenhausaufenthalt eines Patienten und beschreibt weshalb der Patient sich vorgestellt hat, welche Untersuchungen durchgeführt wurden und wie er behandelt wurde. Das dauerte eine ganze Weile, weshalb ich nicht mehr viel Zeit hatte, mir Lernstoff für die Theorieprüfung am zweiten Tag anzusehen. Zudem war ich müde und wollte mich nicht verrückt machen, weshalb ich meine Notizen irgendwann weggelegt habe, um Netflix zu schauen und ein Buch zu lesen.
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Lest im nächsten Kapitel wie der zweite Prüfungstag mit dem Theorieteil lief und welche coole Deko im Prüfungsraum uns die Daumen für die Prüfung gedrückt hat
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