Emergency Room *2*: Jetzt wird's ernst

Weiter geht's mit meinem Bericht aus der Notaufnahme. Die studentischen Fähigkeiten verbessern sich und damit steigen die Erwartungen und der Druck. Du stehst in der Notaufnahme herum, du musst jetzt Leistung bringen. Arena frei.

Code Rot-Studentische Schockstarre

Irgendwann ist es doch passiert. Es piept, ich schaue auf die Anzeigentafel und es blinkt rot. Unfallchirurgie, Mehrfachfraktur, Schockraum. Schwestern und Ärzte laufen hektisch herum, fragen nach mehr Informationen. Jetzt zählt es, jeder kennt seine Aufgabe. Außer ich-ich verfalle in Schockstarre. Was soll ich machen? Mich mit in den Schockraum quetschen und ein EKG anlegen, einen Arm halten? Wo ist der Schockraum überhaupt? Was, wenn die Schwester mit der aufgezogenen Adrenalin-Spritze in mich reinrennt und der Patient wegen mir das Zeitliche segnet? Kurz und knapp: Ich bleibe draußen. Hätte ich vorher den Schockraum mal gesehen und gefragt, wo ich mich im Notfall hinstehen soll/darf, wäre ich mitgegangen, so wäre ich tatsächlich eher im Weg gestanden als zu helfen. Erkenntnis: Man muss sich nicht auf Biegen und Brechen überall dazuquetschen. Manchmal besteht die Aufgabe eines Studenten auch darin zu wissen, wann man besser wegbleibt. 

Update: Mittlerweile habe ich mir den Schockraum zeigen lassen und weiß, von wo aus ich das nächste Mal zuschauen kann (hinter dem CT, da muss nämlich keiner lang). Auf jeden Fall ist der Schockraum ziemlich groß. Es gibt eine Liege für den Patienten, die auch unters CT-Gerät gefahren werden kann, ohne den Patienten zu bewegen, ein EKG- und Sonographiegerät und natürlich Intubationsmaterial, Nahtmaterial und Notfallmedikamente (zum Beispiel Adrenalin und Amiodaron bei Herzkreislaufstillstand).

Ich dachte ehrlich gesagt auch, dass jeder, der in den Schockraum kommt, in Lebensgefahr schwebt, ist aber nicht so. Oft wird der Schockraum angefordert, wenn man nicht ausschließen kann, dass der stabile Patient doch noch einen Kreislaufstillstand bekommt oder bei offenen Brüchen. Außerdem ist es gerade bei Code Rot wichtig, dass man eben nicht in Panik und Hektik verfällt, sondern die Ruhe bewahrt. Das muss ich auf jeden Fall noch üben, ich werde schon aufgeregt, wenn es gelb blinkt. Der Patient mit dem Code Rot ist übrigens mit einem komplizierten Bruch der Unterschenkelknochen und des Fußes davongekommen und war drei Tage später schon wieder auf der Normalstation, was mich sehr gefreut hat.

Reanimieren üben im Studentenunterricht-Trockenübung für den Ernstfall

Früh übt sich und beim Reanimieren am besten erstmal nicht am Patienten, sondern an der Puppe (kennt ihr vielleicht aus dem Erste-Hilfe-Kurs für den Führerschein). Unser Lehrer ist ein Anästhesist (Narkosearzt), der auch als Notarzt arbeitet. Witzigerweise ist er genauso, wie ich mir den perfekten Notarzt vorgestellt habe. Auf der einen Seite cool und gelassen, auf der anderen ehrgeizig und ein wahrer Anführer. Notärzte werden zu recht bewundert, den Job kann nicht jeder machen (ich geb's zu, der Franzose, der mir damals im Austauschsemester erzählte, er möchte Notarzt werden, hat einige anhimmelnde Blicke von mir abbekommen :D). 

Angefangen haben wir mit der Laienreanimation (30 mal drücken, 2 mal beatmen), doch halt- wegen der Corona-Pandemie fällt das Beatmen momentan weg. Schließlich ist niemand gezwungen, sich selbst in Gefahr zu begeben, um anderen zu helfen. Mir wurde wieder mal klar, dass es nicht auf Kraft, sondern die richtige Technik ankommt (den Schwung aus der Hüfte, nicht den Armen zum Drücken nutzen) und nachdem der Defibrillator, den wir zwischendurch angeschlossen hatten, mich ein paar Mal zum tiefer Drücken aufgefordert hatte, hat es endlich geklappt. Vor dem Defibrillator muss niemand Angst haben, er spricht nämlich und erklärt Schritt für Schritt, was man tun muss. Selbst auf den Elektroden sind Bilder, die erklären, wo man sie festkleben muss. Man darf nur nicht vergessen, den Rettungsdienst zu rufen, bevor man mit dem Reanimieren anfängt (oder wenn vorhanden, andere auffordern, das zu tun), sonst drückt man sich dumm und blöde und keiner kommt!

So, da wir in der Klinik nun keine Laien mehr sind, reichte das für uns aber noch nicht und wir haben die erweiterte Reanimation geübt (nennt sich auch ALS, advanced life support). In der erweiterten Reanimation beatmen wir den Patienten zusätzlich mit einem sogenannten Ambubeutel (pumpt Luft in die Lunge) bevor wir ihn intubieren und legen einen Zugang, über den Medikamente gegeben werden (Adrenalin und Amiodaron). Der "professionelle" Defibrillator spricht übrigens nicht, dafür kann man die EKG-Rhythmen selbst analysieren und entscheiden, ob ein Schock abgegeben werden muss oder nicht. Nach ein paar Durchläufen hat die Arbeit im Dreierteam bei uns wirklich gut geklappt und ich bin wirklich stolz auf unsere Lernfortschritte. Im Fall der Fälle wüsste ich jetzt auf jeden Fall, was ich tun soll. Und wie der Notarzt so schön sagte: Selbst mit einer schrottigen Reanimation hat der Patient eine bessere Überlebenschance als mit gar keiner! Also traut euch Leute, ihr könnt nichts kaputt machen, alles was ihr tut, ist besser als nichts zu tun!                                                                                                        

Ich habe für euch oben ein Video eingefügt, damit ihr euch die erweitere Reanimation besser vorstellen könnt, viel Spaß beim Schauen :-) 

Interessante Info: In Arztserien wird der Einsatz des Defibrillators oft falsch dargestellt. Wenn im EKG nämlich eine Nulllinie zu sehen ist (Asystolie), wird in Realität nicht geschockt! Und warum? Weil eine Asystolie einen Stillstand der elektrischen und mechanischen Herzaktion signalisiert. Eine Defibrillation wandelt eine irregulären Herzrhythmus wieder in einen regulären um, wo aber keiner mehr da ist, kann sie auch nichts mehr umwandeln.

Erlernte Tätigkeiten in der Notaufnahme-Schritt für Schritt zum Fortschritt

Nachdem ich am Anfang eher wie ein scheues Reh in der Notaufnahme stand, habe ich meine Hemmungen immer mehr verloren, je mehr ich gemacht habe. In der Notaufnahme wird nicht lange gefackelt, da wird man mit den Worten "Mach mal" ins Zimmer geschoben und genau so lernt man. Ich habe Zugänge legen geübt, unter anderem an einem netten jungen Mann mit Gehirnerschütterung und schlechten Venen, bei dem ich dreimal daneben gestochen habe (war ich von den schicken Tattoos abgelenkt?) und den Zugang dann doch direkt in der Ellenbeuge legen musste. Auch Fäden ziehen gehört nun zu meinen Skills, ist eigentlich ganz einfach, die Psychiater weigern sich trotzdem, das selbst zu tun und schicken ihre Patienten immer rüber zu den Chirurgen. Verbände habe ich mittlerweile auch ein paar angelegt und natürlich Patienten untersucht. Vereinfacht gesagt heißt es da: nach Unfallhergang fragen, gucken, drücken, Bewegungsausmaß überprüfen und zum Röntgen/CT schicken. Sehr gerne sonographiere ich Patienten und suche nach den Nieren, der Harnblase und freier Luft im Bauchraum (zeigt an, ob Organe gerissen sind). Manchmal schicke ich die Patienten auch zum Pinkeln, denn wenn Blut im Urinstix angezeigt wird, sind eventuell die Nieren geschädigt (ist nur blöd, wenn die Patientinnen gerade ihre Periode haben, dann ist da natürlich jede Menge Blut).

Sprachenwirrwar-Hilfe, der Patient versteht mich nicht!

So, was sind nun vom Medizinischen abgesehen die weiteren Herausforderungen in der Notaufnahme? 

Zum einen das Sprachenwirrwarr. Die Patientin aus Polen oder Rumänien kann noch nicht so viel Deutsch (oder manchmal gar keins und auch kein Englisch) und schon hat man den Salat. Mit Händen und Füßen und genialen internationalen Wörtern wie "aua" wurschtelt man sich durch, sucht in der Telefonliste nach einem Kollegen, der der Sprache mächtig ist, und erklärt, indem man auf Blutabnahmröhrchen oder Verbände zeigt. Manchmal läuft es auch andersrum und der Arzt aus Jordanien versteht den Dialekt des älteren Patienten nicht oder der Patient versteht den Akzent des Arztes nicht. Die Globalisierung ist auch in der Klinik angekommen mit allen Freuden und Leiden. Auch auf der Station durfte die Belegschaft schon mit ihren Englischkenntnissen glänzen, was von der dankbaren amerikanischen Patientin mit einem Lächeln honoriert wurde. 

Zum anderen wäre da noch das Benehmen mancher Menschen in der Notaufnahme. Von fordernd bis hysterisch ist da alles dabei und manche Betrunkene werden aggressiv, wenn man sie anfassen will (will man oft gar nicht, weil der Hygienezustand oft zu wünschen übrig lässt, aber als Gesundheitspersonal muss man).  Von den psychiatrischen Patienten ist man nach einiger Zeit frustriert, weil sie sich die frisch zugeklammerten Wunden immer wieder aufreißen, auch wenn man deren schwierige Lage verstehen kann. Aber natürlich gibt es auch die wundervollen Patienten, die sich selbst nachdem man sie viermal gepiekst hat, um den Zugang zu legen, noch bedanken ;-) 

Fazit meiner Zeit in der Notaufnahme

Mega cool! So viel gesehen und gelernt (sowohl praktisch als auch theoretisch) habe ich noch nie. Ich werde auf jeden Fall wieder kommen, wann immer ich nicht auf der Station oder im OP gebraucht werde (Wenn mich jemand sucht, kann er/sie mich anrufen, ich hab ja ein Telefon ;-)  Nur bitte nicht kurz vor'm Mittagessen, das hab ich letzte Woche zweimal verpasst, weil ich noch im OP stand).

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So, nächste Woche ist meine letzte Woche in der Unfallchirurgie bevor ich zu den Allgemeinchirurgen (Organe, Organe, Organe) wechsle. Es wird einen Nahtkurs geben und ansonsten bin ich genauso gespannt wie ihr, was noch so passieren wird ;-)

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