Crews in Burgundrot: Notaufnahme und Intensivstation reloaded (Teil 2)
Meine zweite Rotation führte mich auf die Intensivstation, diesmal eine komplette Woche statt nur zwei Tage wie in der Chirurgie. Im Gegensatz zur anderen Klinik, wo das Ärzteteam der Intensivstation alle Patienten dort betreute, betreuen die Internisten in meiner momentanen Klinik jedoch nur die internistischen Patienten. Die übrigen Patienten werden von den Anästhesisten betreut und die Patienten auf der IMC (intermediate care-Station), also der Überwachungsstation, auf der die Patienten ein oder zwei Tage zum Beispiel nach einer Gallenblasen-Entfernung bleiben, von den Chirurgen. Das klingt verwirrend und auch ich fand es komisch, dass nicht ein gemischtes Team alle zusammen betreut, denn wenn mal jemand abwesend ist, kennen die anderen Ärzte die Patienten teilweise nicht.
Übergabe, Visite, Papierkram: Der Tagesablauf auf der Intensivstation
Zuerst zum Ablauf des Tages auf der Intensivstation: Am Morgen gibt es eine Übergabe, in der der Nachtdienst (die Intensiv hat einen eigenen, sie muss sich keinen Arzt/Ärztin mit den Normalstationen teilen) alles Wichtige berichtet und in der alle internistischen Intensiv-Patienten besprochen werden. Beispielsweise wird erklärt, wer neu aufgenommen wurde, wie sich der Zustand der Patienten entwickelt hat und welche weiteren Maßnahmen geplant sind. Es geht ungefähr um 5 Patienten (da die Anästhesisten und Chirurgen ihre eigenen Patienten betreuen), was eine übersichtliche Anzahl darstellt. Danach gibt es eine kurze, gemeinsame Visite mit der Oberärztin der Anästhesie, die Tipps zu den verschiedenen Beatmungsformen gibt (mehr dazu später). Diese Visite ist nötig, da Beatmungen auf der Intensivstation sehr komplex sind und man dafür absolute Fachkräfte braucht (Anästhesisten sind schließlich als Narkoseärzte die Superstars in Intubieren und Co.). Anschließend folgt eine ausführlichere Visite alleine mit den Internistin, die sich die Blutwerte der Patienten ansehen, die Medikation überprüfen und die Patienten körperlich untersuchen (Rasselgeräusche in der Lunge? Darmgeräusche vorhanden?).
Dann folgt der ungeliebte Papierkram, das heißt, Akten wälzen und codieren. Die Ärzte müssen selbst auf einer Intensivstation für jeden Tag codieren, wie hoch der Intensivstatus des Patienten ist (Beatmet? Invasive Maßnahmen? Zentraler Zugang wie ein ZVK?). Dieses Codieren nimmt unglaublich viel Zeit in Anspruch, die dann für die Patienten fehlt. Anstatt den Ärzten auf der Intensivstation zuzutrauen, entscheiden zu können, welche Patienten auf die Intensivstation gehören und dass die dort durchgeführten Maßnahmen sinnvoll sind, will der MDK (medizinischer Dienst der Krankenkassen) noch zusätzliche Beweise, dass kein Geld unnötig ausgegeben wurde. Das ist schade, denn so verbringen die Ärzte mehr Zeit vor dem Computer als bei den schwer kranken Patienten.
Sind auf Intensiv nur Corona-Patienten? Krankheitsbilder auf Intensiv
Viele von euch haben vielleicht zum ersten Mal in der Corona-Pandemie Videos von einer Intensivstation gesehen. Da aber nicht nur eine schwere Corona-Erkrankung zu einem Aufenthalt auf der Intensivstation führen kann, werde ich hier an Beispielen schildern, mit welchen Krankheiten Patienten auf Intensiv eingewiesen werden.
-Corona:
Während meines Praktikums war die Omikron-Welle schon deutlich abgeflacht (und Omikron verläuft in den meisten Fällen milder als Delta, sodass auch während des Höhepunkts der Welle weniger Patienten auf die Intensivstation mussten). Folglich gab es am Anfang der Woche nur zwei Corona-Patienten auf der Station, wobei sich einer davon bereits erholt hatte und zur Verlegung auf die Normalstation vorbereitet wurde. Beide Patienten litten allerdings unter Vorerkrankungen, einer hatte eine Krebserkrankung und der andere eine Herzinsuffizienz. Der ältere Patient mit der Herzinsuffizienz lag mit einer Covid-Pneumonie noch im Isolierzimmer, die nur mit einer FFP3-Maske betreffen werden durfte. Er bekam über eine Maske Sauerstoff und wirkte recht schwach, saß aber schon wieder zur Kreislaufmobilisierung in einem Stuhl. Der jüngere Patient hatte mittlerweile einen recht hohen CT-Wert (was bedeutet, dass er nicht mehr ansteckend war) und wurde aus dem Isolierzimmer in ein normales verlegt. Er war wieder gut ansprechbar und aß selbstständig, obwohl er mehrere Wochen lang schwer krank mit einer Covid-Pneumonie behandelt worden war. Es ist faszinierend, wie die Intensivmedizin intubierten und an Unmengen an Schläuchen hängenden Menschen den Weg zurück in ein selbständiges Leben ebnen kann.
-Akut exazerbierte COPD:
COPD steht für chronic obstructive pulmonary disease (chronisch-obstruktive Lungenerkrankung). Die COPD ist eine chronische Atemwegsobstruktion, die die normale Atmung behindert. Durch langjähriges Rauchen oder Luftverschmutzung entzünden sich die Atemwege, was eine Erhöhung des Strömungswiderstands beim Ausatmen bedingt. Dadurch haben die Patienten Schwierigkeiten beim Ausatmen, weshalb zu viel Luft in der Lunge zurück bleibt und das Lungengewebe zerstört.
Bei einer akut exazerbierten COPD verschlimmern sich die Symptome der COPD plötzlich stark, meist durch Atemwegsinfektionen. Dadurch entstehen eine Dyspnoe (Atemnot) mit charakteristischen Geräuschen beim Ausatmen, Tachykardie (Herzrasen) und Zyanose (Blaufärbung von Lippen oder Zehen aufgrund einer Minderdurchblutung). Schnell kann es zu Sauerstoffmangel auch im Blut kommen, was eine Aufnahme auf die Intensivstation nötig macht.
-Spondylodiszitis:
Die Spondylodiszitis ist eine von den Bandscheiben ausgehende bakterielle Entzündung, die sich auf die Wirbelkörper der Wirbelsäule ausbreitet. Der Patient entwickelte im Laufe der Entzündung eine Pneumonie mit Atemnot und kam mit Fieber auf die Intensivstation (wenn sich eine Entzündung ins Blut ausbreitet, nennt man das Sepsis). Die Antibiotikatherapie wurde umgestellt, da die ursprüngliche nicht zu einem Rückgang des Fiebers führte. Dieser Patient litt unter vielen Grunderkrankungen wie COPD, Niereninsuffizienz und einer pAVK (periphere arterielle Verschlusskrankheit), weshalb sich seine Therapie leider in die Länge zog.
- Alkoholintoxikation:
Zu viel Alkohol sorgt für eine Dämpfung von Prozessen im Gehirn, was zu Schwierigkeiten bei Motorik, Gedächtnis und Sprachproduktion führt. Ab 2,5 Promille kann eine Alkoholvergiftung zu Bewusstlosigkeit und Schock und ab 4,0 Promille zu einem Koma und Atemstillstand führen. Der Patient erholte sich dank der intensivmedizinischen Therapie schnell, aber die Alkoholvergiftung hätte auch schlimmer verlaufen können. Bei einer schweren Alkoholvergiftung müssen Patienten auf jeden Fall auf die Intensivstation, damit Atmung und Vitalparameter überwacht werden können.
NIV, Arterie und ZVK: Abkürzungen sind auf Intensiv in Mode
Falls ihr keine Ahnung habt, was oben genannte Begriffe bedeuten, seid ihr nicht alleine. Ich wusste es vor meinen Rotationen auf die Intensivstation auch nicht, schließlich gibt es hunderte von speziellen Abkürzungen. So viel war aber schon bald klar: Auf der Intensivstation gibt es Medikamente, Beatmungsformen und Therapiekonzepte, die man auf einer Normalstation nicht findet. Bei der morgendlichen Visite schwirrte mir folglich erstmal der Kopf, weil ich nicht verstand, was der Oberarzt mit "NIVen, High Flow" und dergleichen sagen wollte. Auf der Intensivstation arbeitet man normalerweise erst, wenn man einige Jahre Arbeitserfahrung als Assistenzarzt hat und während meiner Woche dort habe ich gemerkt, dass dies Sinn macht. Zeitgleich mit mir fing eine Assistenzärztin mit zwei Jahren Erfahrung auf Normalstation auf Intensiv an und selbst sie hatte Vieles, was dort zum Alltag gehört noch nie gemacht. Es ist also völlig normal, dass man auf der Intensivstation als Studentin oder Notfallsanitäter-Praktikantin erstmal nicht durchblickt.
- Beatmungsformen:
"NIV", "High Flow" und Co. beschreiben verschiedene Beatmungsformen. "NIV" bedeutet nicht-invasive Ventilation, wobei der Patient nicht intubiert wird, sondern Sauerstoff über eine Maske bekommt. Das hat den Vorteil, dass der Patient keinen Schlauch in die Luftröhre gelegt bekommt, was Infektionen vorbeugt, eine Sedierung vermeidet und eine spätere Entwöhnung des Patienten von der künstlichen Sauerstoffzufuhr einfacher macht. "High flow" bedeutet, eine große Menge an Sauerstoff (über 15 l/min.) wird über eine Nasenbrille über Maske an den Patienten gegeben. Dies wird verwendet, wenn der Sauerstoffdruck im Blut zu niedrig, der Kohlenstoffdruck aber normal ist. Außerdem gibt es noch die Formen der invasiven Beatmung, bei denen der Patient intubiert wird, zum Beispiel CPAP (hilft dem Patienten durch Herstellung eines positiven Drucks beim Atmen und BIPAP (druckkontrollierte Beatmung, lässt selbstständige Zwischenatmung des Patienten zu). Allgemein ist es kompliziert, sich für das richtige Beatmungsverfahren zu entscheiden und die Drücke an den Geräten richtig einzustellen, weshalb es sich um Spezialwissen handelt, für das hochqualifizierte Fachkräfte gebraucht werden.
-Arterie und ZVK:
Das sind zwei Möglichkeiten, um auf der Intensivstation Blut abzunehmen. Während auf der Normalstation entweder direkt aus der Vene Blut abgenommen wird, aus einem liegenden Zugang oder bei Chemotherapiepatienten aus dem Port (unter die Haut implantiertes Kathetersystem), legt man auf Intensiv zusätzlich "Arterien" und ZVKs. "Arterien" sind Zugänge, die nicht in die Vene, sondern in die Arterie gelegt werden, wofür ein spezieller Draht benötigt wird. Das arterielle Blut braucht man, um daraus Sauerstoff- und Kohlenstoffdruck sowie den pH-Wert und den Säure-Basen-Haushalt zu überprüfen (da Intensivpatienten häufig ein respiratorisches (Atmung) und/oder metabolisches (Stoffwechsel) Problem haben). ZVK steht für zentraler Venenkatheter und beschreibt einen Katheter, der für die venöse Blutentnahme in eine große Körpervene, meist am Hals (Vena jugularis) gelegt wird. So kann man den zentralen Venendruck messen oder Medikamente für Chemotherapien geben (da manchmal die peripheren Venen nicht groß genug für solche aggressiven Substanzen sind).
Asystolie auf dem Bildschirm, Angehörige: Herausforderungen
Natürlich gibt es auf einer Intensivstation auch menschliche Herausforderungen. So wurde ein weiterer Patient mit Covid-Pneumonie eingeliefert, der bereits einige schwere Vorerkrankungen hatte. Da er sehr unter den Vorerkrankungen litt und keinen Lebenswillen mehr hatte, entschied er sich, die Beatmung im Rahmen der Corona-Erkrankung abzulehnen. Entscheidungsfähige Patienten haben das Recht, Behandlungen abzulehnen und so wurden die Angehörigen einbestellt, damit sie sich verabschieden konnten. Danach verschlechterte sich der Patient ohne künstliche Sauerstoffzufuhr rasch und man konnte am Bildschirm anhand des EKGs beobachten, wie die Herzaktion weniger wurde, bis schließlich nur noch ein gerader Strich (eine Asystolie) im EKG zu sehen war. Das war eine traurige Situation, aber auf einer Intensivstation muss man auch daran denken, dass man Menschen mit schweren Vorerkrankungen oder den 90-jährigen Opa nicht immer mit aller Gewalt am Leben halten muss, weil es technisch möglich ist, sondern auch den eigenen Willen schwer kranker Patienten akzeptieren muss. Eine Intensivstation ist ein extremes Arbeitsumfeld und deshalb kann es oft angenehmer sein, auf einer Normalstation zu arbeiten, weil man dort weniger schwer kranke Patienten hat. Allerdings gibt es auf der Intensivstation auch wirkliche Erfolgserlebnisse, wie den jungen Corona-Patienten, dem es nach langer Therapie wieder besser ging und der wieder auf dem Weg zu einem selbstständigen Leben war.
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So, damit waren meine Rotationen in die Notaufnahme und die Intensivstation leider schon wieder vorbei (was ich sehr schade fand, da es deutlich spannender war als auf der Normalstation). Als Nächstes ging es nochmal auf eine Normalstation (allerdings nicht die Kardio), findet in meinem Bericht nächste Woche heraus auf welche ;-)
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