- Chapter 8 -
Magnus
Völlig erschöpft warf sich Magnus auf sein Bett, als er nach der schier nie endenden Autofahrt endlich zu Hause angekommen war.
Zum Glück hatte seine Familie schon geschlafen, denn er wusste nicht, was er getan hätte, wenn sie ihn beim Reinkommen mit Fragen gelöchert hätten.
Dieser Tag war mit Abstand der kräftezehrendste in seinem ganzen Leben gewesen.
Noch nie war er so vor den Kopf gestoßen worden wie heute.
Noch nie hatte er sich so klein gefühlt.
So war Magnus nicht. Er ließ sich nicht in die Ecke drängen.
Das würden Maryse und vor allem auch sein Professor sehr genau zu spüren bekommen.
Das hatte sich Magnus fest geschworen.
Er merkte wie seine Augen schwerer und schwerer wurden.
Seine müden Augen suchten nach seinem Wecker, den er für morgen noch stellen musste.
Da fiel ihm plötzlich eiskalt ein, dass er keinen blassen Schimmer hatte, wie er morgen überhaupt in die Nähe der Lightwoods kommen sollte.
Zwar hatte er den Professor auf der Rückfahrt gefragt, ob er morgen auch da sein würde, doch es hatte sich gleich herausgestellt, dass sein Boss kommen würde, jedoch erst gegen Mittag.
Und das war natürlich viel zu spät.
Magnus wurde schlecht bei dem Gedanken den Notgroschen seiner Familie plündern zu müssen.
Das wollte er nicht.
Auch, wenn morgen die Anzahlung auf ihrem Konto sein würde.
Die Anzahlung.
Magnus' Magen grummelte verdächtig. Er schluckte.
Er wollte das Geld eigentlich nicht annehmen. Er wollte kein Geld von den Lightwoods.
Doch seine Familie brauchte es. Mehr als alles andere.
Und obwohl ihm jedes Mal unglaublich schlecht wurde, wenn er über das Geld nachdachte, wusste er, dass er keine andere Wahl gehabt hätte.
Wahrscheinlich würde ihn für immer ein schlechtes Gewissen und Übelkeit heimsuchen, wenn er auch nur in die Nähe einer Bank kam, doch für seine Familie war ihm das wert.
Magnus schmunzelte automatisch als er sich ausmalte, wie seine Mutter und seine Grandma auf diese Nachricht reagieren würden.
Ächzend streifte sich Magnus die ärmellose Weste und das Hemd vom Oberkörper und öffnete den Gürtel seiner Hose.
Dann stand er auf und stellte sich für einen Moment vor den Spiegel, der gerade groß genug war, um seine Gestalt zu reflektieren.
Von Geburt an gebräunte Haut, leicht muskulöser Bauch, betont muskulöse Oberarme, herausstechende Hüftknochen, V-Linie.
Sein Aussehen war ihm heilig. Es gab nichts besseres als sich ein makelloses Erscheinungsbild zu schaffen, um sich im schlimmsten Fall dahinter verstecken zu können.
Für Magnus war das bis jetzt fast nie in Frage gekommen.
Er war schon immer glücklich gewesen, obwohl er unter sehr schwierigen Umständen aufgewachsen war.
Magnus hatte seine Freude nie verloren, selbst jetzt nicht.
Obwohl er älter und reifer war und auch keinen Grund mehr brauchte sich hinter einer perfekten Fassade zu verstecken.
Zwar hatte er natürlich auch Tiefpunkte in seinem Leben gehabt, vielleicht sogar sehr viele, jedoch hatte er immer dafür gesorgt, dass diese nicht dazu fähig waren, ihn zu ändern.
Denn er wollte nichte geändert werden.
Magnus straffte die Schultern, warf nochmal einen letzten Blick auf seinen nackten Oberkörper und zog sich die Hosen von den Beinen.
Nur in Shorts lief er zurück zu seinem Bett und setzte sich einfach auf die zu weiche Matratze.
Der Wecker zeigte 22:33.
Die Müdigkeit, die ihn vor wenigen Minuten noch heimgesucht hatte, war ganz verschwunden.
Stattdessen klopfte sein Herz schnell und seine Atmung war auch schneller als normal.
Noch einmal sah er es genau vor sich.
Er rief sich noch einmal Alexanders Ausdruck in den Augen vor sein eigenes inneres Augen.
Sofort ließ ihn ein eiskalter Schauer erzittern.
Sein Herz brannte schmerzhaft als er sich dazu zwang, irgendwelche eindeutigen Emotionen aus Alexanders Augen zu fischen.
Was ging in ihm vor?
Wieso schienen Alexanders Augen schier unlesbar und verletzten denjenigen, der in sie blickte gleichzeitig seelisch so sehr, dass man nur noch Leere in seinem Herzen spürte?
Was war der Grund, wieso Alexander so leben musste?
Konnte er denn überhaupt etwas spüren?
Magnus schüttelte es augenblicklich.
Er konnte sich nicht vorstellen, dass es Menschen gab, die ohne Gefühle existieren konnten.
Jeder Mensch fühlte doch irgendetwas.
Bei Alexander schien es so, als bestünde sein Inneres nur aus Leere.
Vielleicht war es ja diese Leere in Alexanders Augen, die einen so fertig machte.
Gleichzeitig war da aber auch eine Spur von Feuer...
Verwirrt schüttelte Magnus den Kopf.
Er sollte nicht länger über diesen Klienten nachdenken.
Zwar würde er jetzt jeden Tag mit ihm verbringen müssen, doch Magnus nahm sich fest vor, dass er sich nicht von Alexanders Anwesenheit beeindrucken ließ.
Alexander war nur ein Klient. Psychisch gestört.
Magnus war der Mächtigere von ihnen beiden, denn er war noch Herr über sich selbst.
Alexander jedoch...Magnus zweifelte sehr daran.
Alexander würde ihn nicht beirren.
Was konnte schon ein Junge, der hinter einer Plexiglasscheibe saß, ausrichten?
Nichts, genau. Nichts!
Magnus lächelte grimmig und suchte nach seinem Handy.
Fast schon automatisch wählte er Izzys Nummer und lachte, als sie sich mit leicht verschlafener Stimme meldete.
"Hallo?", ertönte ihre Stimme leise.
"Heeey.", rief er und biss sich auf die Unterlippe um sich ein Kichern zu verkneifen.
"Magnus...oh Gott, ich bring' dich um.", stöhnte Izzy verärgert und gähnte.
Magnus rollte mit den Augen und drehte sich auf den Bauch.
"Hast du morgen früh Zeit?", fragte er sie mit einem leicht flehenden Tonfall.
Izzy stöhnte erneut. "Du rufst mich mitten in der Nacht an, um mich zu fragen, ob ich morgen Zeit habe? Bei dir piept es doch."
Magnus zog eine Grimasse und sah erneut auf seinen Wecker. "Es ist nicht mal 23 Uhr, Iz."
"Hast du eine Ahnung, was für ein Tag ich hinter mir habe?", rief Izzy ehrlich aufgebracht.
Magnus fühlte einen leichten Stich gegen sein Herz donnern.
"Tut mir leid, Babe.", murmelte er etwas verlegen.
Er konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen als Izzy vor Verlegenheit leicht quietschte.
"Hör auf so zu sein.", verlangte sie schließlich gespielt beleidigt.
Magnus schnappte empört nach Luft. "Wie bin ich denn, huh?"
Izzy lachte. "Du wickelst die Leute um deinen Finger als wäre es nichts."
"Ich nehm' das jetzt mal nicht als Beleidigung.", kommentierte Magnus trocken.
"Ich sollte auflegen.", murmelte Izzy genervt.
"Nein!", rief Magnus. "Du musst mich morgen um sechs Uhr zu den Lightwoods fahren."
"Das ist jetzt nicht dein ernst.", rief Izzy aufgebracht.
Magnus senkte etwas schuldig den Kopf und stützte seinen Kopf auf seine freie Hand.
"Ich habe niemanden, der mich fahren kann.", gestand er ihr kleinlaut. "Du hast bei mir was gut, versprochen!"
Izzy sagte für einen Moment gar nichts.
Magnus war schon kurz davor sie anzubetteln.
"Okay, von mir aus. Aber ich bleib' nicht! Ich will mit Psychos nichts zu tun haben."
Magnus verdrehte die Augen. "Alexander ist kein richtiger Psycho."
"Trotzdem muss bei ihm im Hirn etwas nicht richtig laufen. Apropos, wie ist euer erstes Treffen überhaupt gelaufen?"
Magnus atmete innerlich tief durch.
Er hatte sich vorgenommen, Izzy nichts von dem Geld zu erzählen, das er ab morgen auf dem Konto haben würde.
Er würde ihr auch nicht erzählen, dass sein Boss vieles ausgelassen und sich jetzt herausgestellt hatte, dass Magnus jetzt wohl Alexanders persönlicher Betreuer war.
Natürlich hatte er immer noch keinen Plan, was er als Betreuer überhaupt alles machen musste.
Magnus erhoffte sich, dass er das morgen alles herausfinden konnte.
"Es war kein richtiges Treffen. Es war eher eine kurze Gegenüberstellung.", korrigierte er sie und schloss die Augen.
Es tat jetzt schon weh. Er wollte ihr nichts verschweigen, doch er hatte aus irgendeinem Grund Angst davor, dass Izzy ihn verurteilen würde.
Sie ist deine beste Freundin, wieso sollte sie dich plötzlich verurteilen?, fragte er sich selbst.
Magnus spürte Verzweiflung in sich aufkeimen als ihm klar wurde, dass er sich diese Frage selbst nicht beantworten konnte.
"Wie sieht er aus? Ist er hübsch? Sicher nicht, oder?"
Magnus wusste nicht, ob er Izzy wirklich auf die Nase binden sollte, dass Alexander mit Abstand der schönste Mann war, den er je gesehen hatte.
Die Emotionen, die er bei ihrer ersten Begegnung empfunden hatte, waren aber jedoch komplett abgelöscht worden, als Alexander ihn mit diesem Blick angesehen hatte.
Magnus war erwachsen genug um verstehen zu können, dass zwischen Alexander und ihm nie etwas Richtiges entstehen konnte.
Niemals.
Und damit hatte sich Magnus abgefunden.
"Bedauerlicherweise ist er alles andere als hässlich. Schönes Gesicht. Echt grroße Augen, fast schon bambiähnlich, wenn du mich fragst. Größer als ich. Schwarze Haare."
Izzy schnalzte mit der Zunge. "Die Unerreichbaren sind einfach immer die attraktivsten."
"Das ist so unfair.", stimmte Magnus ihr zu und rollte mit den Augen.
"Hast du mit Bambi-Boy geredet?", fragte Izzy.
Magnus lachte innerlich auf.
Wenn sie nur wüsste...
"Ewww, hör auf ihn so zu nennen! Und nein, ich glaube, das wird eher nicht so schnell passieren."
Nie. Das würde nie passieren.
Magnus war nicht blöd. Jeder würde erkennen, dass Alexanders alles andere als redselig war.
Komischerweise hatte er damit überhaupt kein Problem.
So lange Alexander keine psychotischen Mordversuche an ihm ausprobierte, war ihm eigentlich alles egal, was diesen Klienten betraf.
Zu viel war im Voraus schon schief gelaufen. Obwohl Alexander dafür nichts konnte.
Genauso wenig Maryse, wenn er ehrlich war.
Wut stieg in Magnus auf.
Der Professor. Es war natürlich mal wieder der Professor gewesen, der alles auf den Kopf gestellt hatte.
"Wie viel Uhr soll ich dich morgen nochmal abholen?", fragte Izzy plötzlich und Magnus schreckte etwas verwirrt aus seiner Gedankenwelt.
"Um sechs Uhr.", antwortete er nach dem er sich gefasst hatte.
So langsam spürte er, wie die Müdigkeit sich wieder bemerkbar machte.
"Morgens?", rief Izzy etwas hysterisch.
Magnus lachte nervös.
"Du bringst mich irgendwann noch um, Magnus.", prophezeihte Izzy düster.
"Die Tankkosten übernehm' ich, versprochen!", bot er ihr sanft an und grinste als Izzy immer noch genervt zustimmte.
"Ich hätte dich schon längst auf die Straße setzten sollen.", murmelte sie leise.
Magnus lachte. "Du liebst mich viel zu sehr."
Izzy schnaubte. "Du bist so eingebildet."
Magnus grinste. "Bis morgen, Iz."
Izzy atmete laut aus. "Bis morgen, Mags."
Mags.
Magnus lächelte leise in sich hinein als er sein Handy auf den Nachttisch legte.
Wenn Izzy ihn so nannte, wusste er sofort, dass sie ihm schon längst verziehen hatte.
Wie immer spürte er diese schöne Wärme in sich hochsteigen als er an seine und Izzys Freundschaft dachte.
Er würde alles dafür geben, mit ihr gemeinsam von hier weg zu kommen.
Er würde alles dafür geben, mit ihr gemeinsam ein Leben voller Reisen und neuen Eindrücken aufzubauen.
Er würde alles dafür geben, sie glücklich zu machen.
Selbst wenn der Preis dafür höher war, als Magnus eigentlich zahlen konnte.
Er würde sogar für sie sterben, wenn es notwendig war. Aber nur in der Gewissheit, dass es ihr dann auch wirklich gut ging. Auch wenn er dann nicht mehr da sein würde.
Eine komische Art von Trauer überfiel ihn und er schüttelte leicht den Kopf.
Etwas zerstreut knipste er das Licht aus und breitete die Decke über sich aus.
Magnus bezweifelte, dass er in dieser Nacht noch viel Schlaf bekommen würde.
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