- Chapter 44 -
Alec
Etwas besorgt starrte Alec auf die schwarze Uhr, die an der Wand gegenüber hing und einen starken Kontrast zur weiß gestrichenen Wand bildete.
Das Ticken des Sekundenzeigers surrte laut in seinen Ohren. Mit der Zeit hatte er sich daran gewöhnt, doch es irritierte ihn dennoch.
Alec wandte den Blick wieder ab und versuchte sich auf den Fernseher zu konzentrieren, der im Radio-Modus stand.
Es entspannte ihn, die Stimmen der Radiosprecher im Hintergrund zu hören, während er mit Stift in der Hand rastlos auf den Block auf seinem Schoss kritzelte.
Er vermied es normalerweise zu zeichnen. Es frustrierte ihn jedes Mal, dass jedes Bild, das er vor Augen hatte, auf dem Blatt Papier völlig entstellt aussah.
Fast, als würde er sein früheres Chaos in sich bildlich darstellen.
Wieder wanderte Alecs Blick unbewusst zur Uhr an der Wand.
In seinem Magen grummelte es und ein schmerzvolles Ziehen zog sich durch seinen gesamten Körper.
Magnus hatte sich seit vier Stunden nicht gemeldet.
Verbissen nagte Alec an seiner Unterlippe und zog unbewusst ausgetrocknete Hautfetzen von seiner Unterlippe.
Sofort schmeckte er Blut und ein leicht brennender Schmerz floss durch die empfindliche Stelle.
Schließlich gab er auf, legte Stift und Block bei Seite und seufzte laut.
Wieso war er noch nicht zurück?
Das war so gar nicht Magnus' Art.
Für einen kurzen Moment überlegte Alec Julia anzurufen, doch dann wurde ihm schlagartig bewusst, dass er alleine war.
Magnus war nicht hier. Er konnte sich nicht wie sonst sein Smartphone ausleihen und seine Schwester anrufen.
Plötzlich war Alec wütend. Wütend auf sich selbst, weil er nie so weit gedacht und Magnus nie darum gebeten hatte, ihm ein eigenes zu besorgen.
Vorher stand das nie zu Debatte. Vielleicht hatte er deswegen nicht daran gedacht.
Vor Magnus hat es in seinem Leben nichts gegeben, was einem Telefon überhaupt im Entferntesten glich.
Aber das war Vergangenheit.
Jetzt war alles anders.
Alec schüttelte abwehrend den Kopf, um seine Gedanken zu vertreiben.
Er schweifte ab.
Das kam in letzter Zeit häufig vor. Er verlor immer öfters den Blick für die Realität.
Er hatte keine Ahnung, an was es lag, aber es machte ihn blind.
Alec konnte sich nicht einmal daran erinnern, was Magnus getragen hatte, als er gegangen war.
Ein Detail, das ihm früher nie entgangen wäre.
Es machte ihm aber seltsamerweise überhaupt keine Angst.
Er hatte aufgehört über jede noch so kleine Sache sich Sorgen zu machen und hatte angefangen einfach zu akzeptieren.
Manchmal musste man einfach etwas akzeptieren, um damit umgehen zu können.
Eine plötzliche Unruhe keimte in Alec auf als sein Blick ein drittes Mal zur Uhr schweifte.
Stop!
Er begann sich einzureden, dass es keinen Grund gab, sich Gedanken über Magnus' Verbleib zu machen.
Es ist alles in Ordnung. Er wird bald zurück sein.
-
Magnus
Magnus war völlig gefasst, als seine Mutter und Izzy ihn mit besorgtem Blick in die Küche führte.
Sein Blick schweifte kurz über die gewohnte Einrichtung und ein Gefühl von Geborgenheit machte sich in seinem Herzen breit.
In Erinnerungen versunken setzte er sich unbewusst auf die kleine Eckbank, die wie früher unter seinem Gewicht ächzte.
Seine Gesäßknochen drückten sich hart gegen das Holz unter ihm. Für einen Moment zappelte Magnus auf seinem Platz herum und versuchte sein Gewicht so zu verlagern, dass der dumpfe Schmerz abebbte.
Izzy und Magnus' Mutter setzten sich zögerlich gegenüber.
Magnus schenkte sich wie selbstverständlich Kaffee in eine benutzte Tasse und starrte einige Momente nur stumm vor sich hin, bevor er an der Tasse nippte und sie schließlich auf den Tisch abstellte.
Stechende Blicke verfolgten all seine Bewegungen und in seiner Kehle bildete sich ein Seufzen.
Er fühlte nichts. Rein gar nichts.
Es war, als würde er die Welt nur noch in einem eintönigen Grau sehen.
Langsam begann er schließlich zu erzählen, was die Monate hinweg alles passiert war.
Während er so redete, fühlte er, wie sich der Kokon, der sich um sein Herz geschlossen hatte, sich ganz langsam öffnete.
Plötzlich spürte er wieder den Schmerz, der ihn daran erinnerte, was er getan hatte.
Er enthielt Alec Dinge vor, die er wissen sollte. Wissen musste.
Damit er mit den Folgen besser umgehen konnte.
Doch noch immer sträubte sich alles in Magnus, Alec endlich die Wahrheit zu verraten.
Ihm die Bilder zu zeigen, die in dieser einen Nacht von ihm geschossen worden waren.
Sie befanden sich schon auf kleineren, unbekannten Online-Magazinen, die darüber zu spekulieren begannen, ob es sich wirklich um den Sohn der Lightwoods handelte, der betrunken mit seinem Freund und seiner Schwester eine Party verließ.
Julia hatte ihm vorhin, als er unterwegs war, mindestens vier Links geschickt, die ihn zu den Klatsch-Zeitschriften geführt hatten.
Die Bildrechte waren also wohl schon auf dem Markt.
Magnus schluckte krampfhaft.
Es war jetzt wirklich nur noch eine Frage der Zeit, bis die großen Magazine Wind davon bekamen und sich für die Story anfingen zu interessieren.
Alles war so kurz davor einzustürzen.
Frustriert fuhr Magnus sich über das Gesicht und tippte immer wieder mit den Zeigefinger gegen die Schläfe.
Er spürte eine unglaubliche Anspannung in seinem Körper.
Am liebsten würde einfach nur vergessen.
Das würde so vieles einfacher machen.
„Du kannst aber doch jetzt nicht einfach aufgeben!", rief Izzy empört und sah Magnus' Mutter kurz entschuldigend an, als diese leicht zusammen zuckte.
Magnus senkte den Blick.
In seinem Kopf und seinem Herzen herrschte das reinste Chaos.
Während sein Kopf ihn dazu riet, einfach alles hinter sich zu lassen, wollte sein Herz ihn mit aller Kraft zu Alec zurück treiben.
„Hast du einen besseren Plan?!", fragte Magnus gereizt.
Ärger ballte sich in seinem Magen zu einer schweren Masse zusammen.
„Du musst es ihm sagen, Magnus.", schaltete sich seine Mutter ein, bevor Izzy antworten konnte.
Magnus schluckte schwer.
Wie oft hatte er diesen Satz schon von Julia gehört?
Die schwere Last auf seiner Brust war mit einem Schlag wieder da und raubte ihm die nötige Luft zum Atmen.
„Er wird mir nicht glauben.", flüsterte Magnus bitter und presste seinen Kiefer fest zusammen.
Izzys Blick wurde für einen Moment etwas weicher, als sie sah, wie sehr die Lüge wirklich an Magnus zerrte.
Doch dann verhärtete er sich auch schon wieder und sture Entschlossenheit nahm ihren Platz ein.
„Das ist absolut unfair und total egoistisch, was du da gerade tust, Magnus. Wenn du dieses Spiel weiter spielst, bin ich mir nicht mal mehr sicher, ob du Alec je wieder zurück gewinnen kannst, sobald er es weiß."
Magnus schluckte hart und biss sich auf die Unterlippe.
Erneut führten sein Kopf und sein Herz einen heftigen Kampf gegeneinander.
Hilflos sackten seine Schultern nach vorn.
Izzy seufzte. Sie schien genervt. Als würde sie sich mit einem kleinen Kind unterhalten.
Vielleicht verhielt sich er auch gerade wie ein Kleinkind.
Vielleicht sollte er wirklich mit der ganzen Geheimnistuerei aufhören.
„Dein Selbstmitleid ist so unfassbar groß, dass du gar nicht mehr die Realität vor deinen Augen siehst. Verdammt, Magnus, reiß dich zusammen und stell' dich deinem Fehler. Du hast schon alles aufs Spiel gesetzt, mehr kannst du gar nicht verlieren."
Und mit einem Schlag, wusste Magnus, dass er keine andere Wahl hatte.
Er hatte immer geglaubt, dass er im letzten Moment eine Möglichkeit finden würde, die dieses ganze Chaos auflösen würde.
Doch jetzt wurde ihm so langsam klar, dass er diese Möglichkeit wohl niemals finden würde.
Manchmal musste man sich einer Situation einfach stellen, um sie aus dem Weg zu schaffen.
Wie er das aber am besten anstellen sollte, stand jedoch auf einem völlig anderen Blatt.
-
Immer wieder ging er die Worte durch, die er sich auf dem Rückweg zurecht gelegt hatte.
Immer wieder sah er das Szenario vor seinen Augen.
Immer wieder zwang Magnus sich dazu, sich Alecs fassungsloses Gesicht vorzustellen.
Gleichzeitig wusste er, dass es in Wahrheit noch viel schlimmer werden würde.
Verkrampft und mit bebendem Herzen saß er auf der Beifahrerseite von Izzys Wagen.
Die Autofahrt verging wie im Flug.
Die Umrisse der Häuser verschwammen jedes Mal, wenn er versuchte seinen Blick scharf zu stellen.
Schließlich gab er auf und versuchte sich innerlich auf die nächsten Stunden vorzubereiten.
Als Izzy plötzlich stehen blieb und den Motor ausstellte, fühlte Magnus einen brennenden Schmerz in seinem Magen.
Sein Körper zitterte vor Anspannung und Nervosität.
„Ich warte hier draußen auf dich.", meinte Izzy leise.
Ihre Stimme hörte sich sanfter an. In ihrem Blick lag Mitleid, aber auch eine Entschlossenheit, die Magnus etwas Sicherheit gab.
Er würde nicht völlig alleine sein, wenn es vorbei war.
Izzy ließ ihn nicht im Stich. Darüber war er sich fast todsicher.
Izzy legte für einen Moment aufmunternd eine Hand auf Magnus' Oberschenkel und drückte ihn sanft.
„Du schaffst das, Magnus. Ich glaube an dich. Deine Mom glaubt an dich. Wenn das alles vorbei ist, dann wird vieles wieder so wie früher werden. Bevor du Alec überhaupt kennen gelernt hast."
Magnus schluckte schwer. Seit Stunden befand sich ein dicker Kloß in seiner Kehle, der einfach nicht verschwinden wollte.
Sein Herz brannte. Es fühlte sich an, als wäre es mit Benzin übergossen und angezündet worden.
Es tat so unbeschreiblich weh, dass es Magnus jetzt schon Tränen in die Augen trieb.
Seine Unterlippe zitterte leicht.
„Ich möchte nicht, dass es vorbei ist.", flüsterte Magnus. Dann atmete er jedoch tief durch und richtete sich etwas auf. „Aber es muss sein."
Izzy nickte zustimmend. In ihrem Blick spiegelte sich Magnus' Qual wider.
Er konnte sich selbst in ihren Augen sehen.
Blind und mit zitternden Fingern griff er nach dem Hebel und zog ihn zu sich heran.
Viel zu schnell war er es aus dem Auto gestiegen und lief Richtung Tor, das sich automatisch öffnete, als er den Code eingab.
Er konnte Izzys Blick in seinem Nacken spüren.
Ihr Blick fühlte sich heiß auf seiner Haut an.
Magnus versuchte aus der Hitze Kraft zu sammeln und machte sich schweren Herzens auf den Weg zu Alecs Wohnung.
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