- Chapter 15 -

Magnus

Als Magnus am nächsten Morgen aufstand, hatte er sofort das Gefühl, dass heute etwas passieren würde, das wahrscheinlich alles verändern würde.

Er konnte dieses Gefühl jedoch weder als positiv oder negativ einschätzen.

Seine Gedanken kreisten, während er sich fertig machte, pausenlos um Alec.

Magnus hoffte so sehr, dass er nach dem 'Gespräch' gestern wenigstens ein bisschen zu ihm vorgedrungen war.

Seine Haute kribbelte vor Aufregung und sein Herz pochte ungewöhnlich schnell.

Magnus lächelte in sich hinein.

Magnus' Wunsch Alec helfen zu wollen hatte sich jetzt vollständig in ihn eingebrannt und ließ ihn nicht mehr los.

Er konnte es kaum noch erwarten zu den Lightwoods zu fahren.

"Ist alles in Ordnung mit dir?", fragte seine Mutter besorgt als er aus Versehen ein leeres Glas mit seinem Handrücken zum zweiten Mal umwarf.

Magnus versuchte sich zu konzentrieren und nickte mit einem entschuldigenden Blick.

"Du kommst mir heute so aufgewühlt vor. Hat das irgendetwas mit deinem neuen Job zu tun?", fragte seine Mutter weiter.

Magnus schluckte und versuchte sich an einem nichtssagenden Gesichtsausdruck.

In ihm brodelte es jedoch förmlich.

Ihn machte es glücklich, endlich die Lösung gefunden zu haben, die Alec vielleicht wirklich helfen könnte.

Auch wenn er dafür seine eigene Vergangenheit nochmal aufleben lassen musste.

Das war wahrscheinlich der einzige Haken an der Sache.

Während er versuchte Alec aus seiner Depression zu ziehen, drängte er sich selbst erneut in seine eigene hinein.

Magnus konnte noch nicht sagen, was in ihm ausgelöst werden würde, wenn er Alec heute von diesem einen schwerwiegenden Erlebnis während seiner Schulzeit erzählte.

Er wusste, dass er trotzdem professionell wirken musste, denn zu viele Emotionen verwirrten Alec nach wie vor.

Und auch in der Gegenwart des Professors schien es Alec schlechter zu gehen.

Vor allem, wenn dieser ihn die ganze Zeit mit seinem psychologischen Geschwafel zu textete.

Magnus war ehrlich erstaunt darüber, dass Alec es gestern nicht zu viel geworden war, als er über Izzy erzählt hatte.

Denn er hatte um ehrlich zu sein nicht darauf geachtet, dass er Alec eigentlich nicht mit Informationen und Gefühlen überfordern sollte.

Erst abends im Bett war es ihm wieder eingefallen und sofort hatte er sich Sorgen gemacht.

Was war, wenn er Alec durch seinen Monolog insgeheim doch viel zu sehr verwirrt hatte?

Magnus schüttelte energisch den Kopf.

Er sollte so nicht denken.

Und falls Alecs Zustand sich wirklich verschlechtert haben sollte, dann musste er eben erneut nach einer Lösung finden.

An aufgeben dachte Magnus erst gar nicht.

"Ich habe endlich die Lösung gefunden.", erklärte er seiner Mutter mit einem Lächeln auf den Lippen.

Magnus redete normalerweise nicht über seinen Job, vor allem seit dem letzten Monat nicht.

Aber Magnus' Mutter hatte bald erkannt, dass sich irgendetwas verändert hatte, vor allem wegen dem Geldbetrag auf ihrem Konto.

Er hatte ihr daraufhin sehr wage erzählt, dass er eine Lösung für ein sehr komplexes Problem, alias Alexander Lightwood, suchte, damit es ihm wieder besser ging.

Seine Mutter hatte ihn davor gewarnt, dass er sich nicht zu sehr hinein steigern und alles einfach auf sich zu kommen lassen sollte.

Und sie hatte recht behalten. Izzy war letztendlich diejenige, die ihm geholfen hatte, ohne es wirklich erzwungen zu haben.

Seine Mutter fuhr ihm jetzt sanft über die Stirn und lächelte stolz, aber noch immer besorgt.

"Du hast zwar die Lösung gefunden, doch du solltest dir immer vor Augen halten, dass alles was sich daraus entwickelt, sich auch ins Negative auswirken kann. Vielleicht hilft es Alexander wirklich für den Moment, aber was ist, wenn er einen noch schlimmeren Rückfall bekommt und dann komplett eingeschränkt ist? Du wirst nicht immer die Lösung für alles finden werden, Magnus. Also bitte sei vorsichtig, bevor du dein Herz komplett in diese Sache legst und am Ende selbst verletzt wirst, weil du nicht erreicht hast, was du erreichen wolltest."

Magnus wusste, dass sie recht hatte. Seine Mutter hatte ein Gespür für die verborgenen Dinge und sie hatte gesehen, was in seinem inneren gerade herrschte.

Er war glücklich, doch gleichzeitig fühlte er sich schlecht, wenn er genau in sich hinein hörte.

Es war eine leichte Melancholie, die ihn plötzliche erfüllte und sein Herz schwer machte.

Er räusperte sich um Fassung zu gewinnen und lächelte seiner Mutter halbherzig zu.

"Ich muss los.", sagte er dann leise und stand auf.

Bevor er aus der kleinen Küche hinaus lief, hielt ihn seine Mutter am Arm fest.

"Versprich mir, dass du auf dein Herz aufpassen wirst, Magnus. Ich möchte nicht, dass du auf irgendeine Weise verletzt wirst."

In einem anderen Moment hätte Magnus die Worte seiner Mutter als übertrieben und total kitschig bewertet, doch die Ernsthaftigkeit in ihrer Stimme zeigte ihm, dass diese Sache wirklich nicht harmlos war.

Jeder kennt doch das Gefühl, wenn man sich auf etwas zu sehr freut und alles in eine Sache hineinsteckt und man am Ende enttäuscht wurde, weil alles nicht nach Plan läuft.

Hier war es genau das gleiche, nur war es viel verstrickter, eben weil es nicht nur um eine Überraschungsparty ging, sondern um eine Person, die nichts hatte außer sich selbst und ihre dunklen Gedanken.

Magnus senkte den Blick auf die Hand seiner Mutter, die seinen Unterarm entschlossen umfasste.

"Versprochen.", sagte er ernst und sah ihr aufrichtig und fest in die Augen.

Seine Mutter ließ ihn daraufhin los und nickte kurz.

Er nickte zurück.

Dann verließ er die Küche, zog sich seine schwarzen Stiefel über, sah sich noch ein letztes Mal im Spiegel an und verließ dann das kleine Haus mit schnellen Schritten.

Die Aufregung war wie weg geflogen.

Stattdessen spürte er einen unangenehmen Druck auf seiner Brust, der ihm die Luft zum Atmen nahm.


---


Als er fast zwei Stunden später mit dem Fahrstuhl zu Alecs Wohnung hoch fuhr, spürte er wie die Aufregung sich doch ganz langsam wieder hervor schlich.

Jedoch reichte sie nicht aus, um seine Bedenken und Gedanken zu überdecken.

Genau wie gestern saß Alec auf der Couch, die Richtung Plexiglasscheibe gedreht war.

Magnus rang sich ein schwaches Lächeln auf die Lippen als er in seine Richtung sah und setzte sich auf den Stuhl, den er dann näher an die Glasscheibe rückte.

Die Sprechanlage ließ er noch aus.

Er wollte zu erst sicher gehen, dass es Alec den Umständen entsprechend so gut ging wie gestern.

Alec wirkte entspannt.

Es war ungewöhnlich, dass Alec zwei Tage hintereinander völlig ruhig schien.

Normalerweise gab es vier Tage in der Woche, an denen er sehr, sehr unruhig und ziellos war und ab und zu auch gegen die Scheibe rebellierte.

Jedoch nie so extrem wie der Zwischenfall, der ja letztendlich damit endete, dass Alec von den anderen drei Assistenten des Professors, die Magnus schlicht und einfach als Idioten bezeichnete, betäubt worden war.

An den restlichen zwei Tagen sah man ihn dann kaum und er verweigerte auch meistens die Sitzungen mit dem Professor.

Magnus konnte ihm das nicht übel nehmen.

Er würde an Alecs Stelle dem Professor den Hals umdrehen wollen.

Denn alles was der Professor in seinen Sitzungen schwafelte, half rein gar nicht.

Deswegen zeigte Alec auch keine Fortschritte.

Es schien eher so, als wäre Alec nach diesen Sitzungen noch mehr zerstreut als er eh schon war.

Magnus schämte sich regelrecht dafür, bei diesem Mann zu arbeiten...

Prüfend ließ er nun seinen Blick über Alecs Gesichtszüge wandern.

Dessen Gesicht zuckte leicht unter Magnus' Augen.

Magnus lächelte Alec kurz beruhigend zu, bevor er ihm schließlich direkt in die Augen sah.

Leichter Schwindel ergriff ihn als er sah, was in Alec heute alles vor ging.

Die altbekannte, für Magnus noch immer sinnlose Wut, Trauer, der unbegründete Schmerz.

Und da! Ganz plötzlich blitzte Aufregung in Alecs Augen auf. Eine positive Aufregung, die Magnus noch nie zuvor in Alecs Augen ausgemacht hatte.

Er konnte nicht sagen, wieso diese Emotion plötzlich in Alecs Gefühlschaos mit schwamm, doch er freute sich so sehr darüber, dass sein Herz einen riesigen Hüpfer machte.

Endlich eine wirklich positive Emotion! Etwas, auf das der Professor seit Jahren hin arbeitete, aber nie erreicht hatte.

Was wahrscheinlich auch daran lag, dass der Professor es strikt vermied mit Alec direkten Augenkontakt aufzunehmen, da er der Meinung war, dass er Alec dadurch nur noch mehr durcheinander brachte.

Magnus dagegen hatte erkannt, dass diese Ignoranz Alec nur noch mehr schadete.

Alec brauchte Aufmerksamkeit, eine Person, die  ihm zeigte, dass sie sich wirklich um ihn kümmerte und sorgte!

Magnus konnte nicht sagen, ob er diese Person für Alec war, da sie sich eigentlich nicht kannten, doch innerlich hoffte er es.

Grüßend hob er jetzt leicht die Hand und versuchte die Ruhe auszustrahlen, die Alec versicherte, dass alles in Ordnung war.

Alec nickte sogar ganz leicht zurück, seine Miene war jedoch verkrampft.

Magnus sah, wie ungewohnt das alles für Alec war.

Leichte Traurigkeit erfüllte ihn wieder. Er hasste noch immer, dass Alec unter solchen Umständen leben musste.

Er hasste die Lightwoods dafür, dass sie ihren Sohn so im Stich ließen.

Er hasste sich selbst dafür, dass er nicht schon früher hier gewesen war.

Er hasste sich selbst dafür, dass er das alles hier zuließ.

Doch was konnte er schon dagegen tun? Ein Dorfjunge, der zu viel Glitzer eingeatmet hatte und davon praktisch lebte...?

Alec hatte ein sehr, sehr feines Gespür und er hatte offensichtlich erkannt, dass Magnus gerade ziemlich viel durch den Kopf ging.

Unruhe, Anspannung und deutliche Verwirrung strahlte zu Magnus herüber.

Alec konnte nicht nachvollziehen, was Magnus durch den Kopf ging und vor allem wieso und genau das machte ihn so nervös und oft auch wütend.

Magnus versuchte seine negativen Gedanken auszublenden und konzentrierte sich wieder voll auf Alec.

Das zum Thema Professionalität, spottete er zu sich selbst.

Magnus war nicht gerade Spezialist darin, das war ihm schon klar, doch es ärgerte ihn, dass er selbst bei so einer wichtigen Sache nicht gebacken bekam.

Konzentrier' dich, sonst musst du wieder bei null anfangen!

Magnus seufzte leise und schaltete einfach die Sprechanlage an.

Alecs Gesicht hatte sich verdüstert und sein Körper wirkte sehr angespannt.

Magnus versuchte es mit einem beruhigenden Blick, der nicht viel half.

"Erinnerst du dich noch an das, was ich dir gestern erzählt habe?", fragte er mit ruhiger Stimme.

Alecs Augen jagten für einen kurzen Moment ziellos hin und her, doch dann blieb sein Blick fest auf Magnus' Gesicht hängen und er nickte leicht.

Magnus musste sich ein erleichtertes Lächeln verkneifen.

"Erinnerst du dich daran, wie du mich gefragt hast, ob ich auch mit Make-up in die Schule gegangen bin?", fragte Magnus weiter.

Ein erneutes Nicken. Leichte Spannung in den Augen.

Man sah Alec an, dass er sich für Magnus' Erzählungen interessierte, auch wenn er noch nicht ahnte, was Magnus in seiner Schulzeit alles erlebt hatte.

Magnus hoffte, dass Alec die Botschaft verstand und erkannte, dass er nicht alleine war.

Und vor allem sollte er erkennen, dass es immer eine Rettung für alles gab.

Egal, wie weit sie vergraben war und egal, wie lange man brauchte, um sie auszugraben.

Es gab sie!

Und Alecs Fall würde keine Ausnahme sein.

"Ich bin mit sechzehn zum ersten Mal mit Make-up in die Schule gegangen. Ich hatte für diesen Tag seit Monaten extra geübt und hatte jedes Mal Izzys ehrliche Meinung hören wollen. Manchmal hat sie sogar irgendwelche Verabredungen verschoben, weil sie wusste, wie wichtig mir das war. Es war Frühling. Ich hatte eine schwarze, lange Hose mit einer champagner-farbenen, leicht durchsichtigen Bluse an, die ich heute immer noch ab und zu trage. Vorher hatte ich noch nie zuvor so etwas in der Öffentlichkeit getragen. Vor allem in der Schule nicht...genauso wie ich zu dieser Zeit noch nie Make-up außerhalb meiner vier Wände getragen habe. Dieser eine Morgen begann damit, dass....

*flashback*

Magnus' Wecker klingelte pünktlich um kurz vor sechs.

Anders als sonst fiel es ihm überraschend einfach aus dem Bett zu kommen.

Er war auch sofort hellwach als er ins Bad lief und seine morgentliche Routine machte.

Sein Herz pochte ihm bis zum Hals und seine Finger kribbelten so sehr, dass er kein Gefühl in den Fingerspitzen hatte.

Die Zahnbürste fiel ihm während dem Zähneputzen mindestens zweimal auf den Badezimmerboden und jedes Mal spülte er sie aus und begann nochmal von Neuem.

Magnus hatte wahrscheinlich noch niemals in seinem Leben so lange gebraucht, um sich das Gesicht zu waschen, sich die Zähne zu putzen und sein Gesicht einzucremen.

Als er wieder in seinem Zimmer ankam, sah er, dass er noch mindestens zwanzig Minuten hatte bevor Izzy ihn abholen würde.

Eine Welle der Aufregung und Nervosität schlug durch seinen Körper und für einen Moment konnte er sich nicht von der Stelle rühren.

Doch er raffte sich wieder zusammen, schob sich etwas ins Haar, damit seine Stirn von seinen Haaren befreit war und tropfte sich großzügig Primer auf den Handrücken.

Nach zehn Minuten hatte er die Foundation, den Concealer und seine Augenbrauen fertig und sah sich für ein paar Sekunden prüfend im Spiegel an.

Seine Haut war klar, seine Augenringe und kleinere Unreinheiten komplett unsichtbar und seine Augenbrauen sahen trotz des Augenbrauenstiftes sehr natürlich und schön geformt aus.

Einen besseren Start gab es eigentlich gar nicht!

Jetzt kann nichts mehr schief gehen, freute sich Magnus innerlich und lächelte sich selbst aufmunternd.

Zufrieden drehte Magnus den Kopf hin und her, nach dem er sich den Kajalstrich großzügig auf der unteren und oberen Wasserlinie gezogen hatte.

Seine dunkelbraunen Augen leuchteten ihm förmlich entgegen.

Ein großes Stück der Anspannung war ihm von den Schultern gefallen, denn ihm war bewusst, dass er attraktiv aussah.

Zumindest empfand er sich selbst als attraktiv genug, um seinen Mitschülern unter die Augen zu treten.

Wäre es anders, würde er sofort alles von seinem Gesicht wieder herunter nehmen, sich andere Kleidung heraussuchen und als der Magnus in die Schule gehen, der weder auffiel noch unterging.

Heute würde es anders sein.

Heute würde er auffallen!

Wieder fing sein Herz laut zu pochen, gleichzeitig wurde ihm heiß und kalt.

Die Aufregung lag ihm schwer im Magen und als er nach seinem Contouring-Set griff, wurde ihm leicht übel.

Doch er blendete das alles aus und versuchte es nicht als negativ zu bewerten, denn er wollte das heute durchziehen!

Er wollte sich nicht mehr verstecken.

Er wollte das sein, zu dem er geboren war und das ließ er sich nicht kaputt machen!

Egal, wie die Leute auf ihn reagieren würde.

Er war bereit!

Und Izzy war ja auch noch da.

Während er ganz dezent seine Wangen- und Kieferknochen contourierte, hörte er im Hintergrund wie Izzy an der Haustür klingelte und nach ihm fragte.

Wenige Sekunden später stand sie dann auch schon mitten im Zimmer und umarmte Magnus vorsichtig von hinten.

Er musste automatisch lächeln als sie ihre Lippen auf seiner Schläfe spürte.

"Hi.", sagte sie etwas leiser als sonst und schenkte ihm durch den Spiegel ein stolzes Lächeln.

"Hi.", erwiderte er genauso leise und ließ den Pinsel sinken.

"Zeig dich mal.", bat Izzy und musterte Magnus' Gesicht als er dieses in ihre Richtung drehte.

"Ich bin noch nicht ganz fertig.", erklärte er schnell und drehte sich wieder zum Spiegel.

Für einen kurzen Moment keimte Zweifel in ihm hoch.

Izzy entging das offensichtlich nicht, denn sie legte eine Hand fast schon tröstend auf seine Schulter und sah ihn durch den Spiegel direkt in die Augen.

"Du musst das nicht tun, wenn du noch nicht soweit bist. Das ist ein verdammt mutiger Schritt, keiner verlangt das von dir."

Magnus nickte. "Ja, ich weiß, aber ich möchte endlich ich selbst sein, verstehst du?"

Izzy sah ihn einfach nur stumm in die Augen.

Er holte tief Luft. "Mir wird schlecht bei dem Gedanken, dass ich mich nicht so zeigen kann, wie ich eigentlich bin. Du trägst Kleidung, die dir gefällt, auch in der Öffentlichkeit und ich möchte dasselbe auch tun können. Etwas, dass du all die Jahre ohne Probleme kannst."

Izzy nickte verständnisvoll und gab ihm einen aufmunterten Stoß. "Jetzt mach endlich, sonst kommen wir noch zu spät!"

Magnus verdrehte die Augen und schnappte sich die kleinen Glitterpartikel, die er dann ganz vorsichtig seinen unteren und oberen Wimpernkranz verteilte.

Der Glitter war nicht ganz so auffällig und schimmere auch nur in einem besonderen Winkel, was Magnus beruhigte, obwohl er davon eigentlich nie genug bekommen konnte.

"Mit Highlight oder ohne Highlight?", fragte Magnus Izzy kurz zweifelnd.

"Ohne, dafür aber Mascara", meinte Izzy überzeugt und reichte ihm seine Mascara, fast schon etwas energisch.

-

Natürlich kamen sie viel zu spät an der Schule an.

Die Schule lag außerhalb ihres Dorfes, nahe der Stadt.

Den Bus hatten sie schon um zehn Minuten verpasst als sie an der Bushaltestelle ankamen, an der sie Normalerweise jeden Morgen abgeholt und abgesetzt wurden.

Magnus' Hände zitterten als sie etwa zwanzig Minuten nach Schulbeginn am Tor der Schule ankamen.

In seinem ganzen Leben war er ihm noch nie so übel gewesen.

Izzy nahm seine Hände sanft in ihre als sie sah, wie sehr er gerade mit sich selbst kämpfte.

"Sieh mich an.", sagte sie leise und er gehorchte ihr zögernd.

In ihren Augen lagen so viel Zuneigung, Liebe und Entschlossenheit, dass Magnus kurz davor war in Tränen aus zu brechen.

Noch heute morgen als er aufgestanden war, war er davon überzeugt gewesen, dass er das hier mit links schaffen würde.

Er war ja so naiv gewesen.

So etwas war niemals einfach!

Die Leute würden über ihn reden, irgendwelche dummen Geschichten erfinden.

Dagegen konnte er nichts tun, damit musste er sich abfinden.

Magnus fühlte sich so leer und verloren, dass er am liebsten zur Toilette gerannt wäre und sein ganzes Make-up wieder weggewischt hätte.

"Du schaffst das. Du arbeitest seit Monaten auf diesen Moment hin! Du bist bereit."

Magnus fühlte sich noch immer unsicher.

Seine Unterlippe bebte leicht als er seinen Mund einen Spalt öffnete.

Izzy zog ihn sanft an sich und drückte ihn fest.

"Du siehst gut aus. Du brauchst dich nicht für das zu schämen, was dir gefällt. Ich liebe diesen Magnus viel mehr als den alten Magnus, der mir so lange nicht gesagt hat, was ihm wirklich gefällt und für was sein Herz wirklich schlägt."

Jetzt traten Magnus wirklich die Tränen in die Augen und er musste sich echt zusammen reißen, um nicht wie ein kleiner Junge los zu weinen.

Gleichzeitig versuchte er aus Izzys Worten wieder Mut und Selbstbewusstsein zu ziehen und schaffte es sogar irgendwie.

Schließlich stand er dann vor dem Klassenraum, hinter dem er jetzt gleich zwanzig verschiedenen Augenpaaren die Stirn bieten musste.

Izzy hatte woanders Unterricht, da sie am Anfang des Schuljahres einen anderen Kurs gewählt hatte als er.

Obwohl Izzy jetzt nicht bei ihm sein konnte, spürte er wie sehr sie gerade an ihn dachte und ihm all ihre Kraft schenkte.

Magnus konnte sich keine bessere beste Freundin wünschen.

Er würde nie eine bessere Freundin als Izzy in seinem ganzen Leben mehr finden.

Selbst sein zukünftiger Mann oder seine zukünftige Frau würde niemals an sie heran kommen können.

Bei diesen Gedanken erwärmte sich Magnus' Herz und er fühlte sich auch nicht mehr so leer wie zuvor.

Schließlich hob er die rechte Hand, atmete noch einmal tief durch und klopfte schließlich an die Tür des Klassenraumes.

Er hörte, wie sein Lehrer daraufhin knapp "Herein" rief.

Magnus legte seine zitternden Hände auf die Türklinke und versuchte sein rasendes Herz unter Kontrolle zu bringen.

Das kühle Metal der Türklinke beruhigte ihn seltsamerweise.

Jetzt zögerte er auch nicht mehr länger, sondern drückte die Klinke herunter, zog die Tür auf und trat ein.

Ein unangenehme Stille lag im Raum als alle Blicke auf ihn fielen.

Er würdigte seine Mitschüler keines Blickes.

Seine Hände zitterten dennoch und sein Herz sprang ihm förmlich aus der Brust, doch er wollte tough und selbstbewusst wirken.

Am liebsten wäre wieder umgekehrt und alles rückgängig gemacht.

Magnus fühlte sich so verloren.

Sein Lehrer hatte die Augen zusammen gekniffen und musterte ihn von oben bis unten.

Unruhe brach im Klassenzimmer aus, als sich plötzlich alle anfingen leise zu unterhalten und zu tuscheln.

"Bist du neu?", fragte sein Lehrer ihn schließlich ziemlich verwirrt.

Magnus' Herz krachte schon in der nächsten Sekunde zu Boden.

Er hörte innerlich, wie es auf dem harten Untergrund aufkam und in tausende Stücke zerfiel.

Nie hätte er gedacht, dass er nicht erkannt werden würde, wenn er so in Schule gehen würde.

Nie hätte er gedacht, dass ihn genau das, so sehr treffen könnte.

Magnus versuchte die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken und räusperte sich.

"Ich gehe seit vier Jahren in diese Klasse, Sir.", antwortete mit einer überraschend ruhigen und klaren Stimme.

"Oh mein Gott."

"Das ist Magnus."

,hörte er die Mädchen leise flüstern.

Er zwang sich seinen Kopf nicht in deren Richtung zu drehen, sondern fixierte seinen Lehrer mit seinen Augen.

Diesem schien die ganze Situation alles andere als angenehm zu sein.

"Magnus...", sein Lehrer musterte ihn erneut von oben bis unten. "Setz dich auf deinen Platz."

Magnus nickte und drehte den Kopf, um nach seinem Platz hinten in der Ecke zu suchen.

Alle Blicke lagen auf ihm, als er durch die Reihen schritt.

Sein Rücken brannte, genauso sein Gesicht.

Die Jungs pfiffen ihm anzüglich hinterher als er an ihnen vorbei lief, viele fingen an zu lachen.

Und natürlich blieb es nicht dabei.

Magnus stolperte plötzlich über einen ausgestreckten Fuß eines Schülers und stürzte krachend zu Boden.

Sofort lief er knallrot an und drehte sich zu dem Jungen, der ihm offensichtlich absichtlich den Fuß gestellt hatte.

"Pass auf wo du hin läufst, Schwuchtel.", zischte dieser hämisch und grinste.

Und natürlich brach sofort das Gelächter aus.

Mit Tränen in den Augen und mit brennendem Herzen zog sich Magnus vom Boden hoch und setzte sich eilig auf seinen Platz.

Noch immer lachten sie, sahen ihn dabei an und zeigten mit dem Finger auf sein Gesicht.

Magnus ließ es über sich ergehen, ließ sich nichts anmerken, doch innerlich hatte er das Bedürfnis zu sterben....

*flashback ende*

Magnus hob den gesenkten Kopf und sah Alec an, nach dem er ihm so genau wie möglich geschildert hatte, was an diesem Tag in diesem einen Klassenzimmer vorgefallen war.

Währenddessen hatte er Alec keine Sekunde in die Augen geschaut, sondern hatte war nur auf seine eigenen Hände fixiert gewesen.

Seine Brust schmerzte so sehr, dass er nur zitternd atmen konnte.

Seine Hände lagen verkrampft in seinem Schoss und er zwang sich zu einem Lächeln.

Ihm war bewusst, dass Alec sehen konnte, dass sein Lächeln nicht echt war.

Dass es nur die Schmerzen verdecken sollte, die sich in seinem Magen und seiner Brust zu einem schweren Etwas zusammen geballt hatten.

Magnus war bewusst gewesen, dass es nicht leicht werden würde, darüber zu reden.

Vor allem vor einer Person wie Alec, die wahrscheinlich gar nicht richtig nachempfinden konnte, wie es war so gedemütigt zu werden.

Als er jetzt schließlich in Alecs Augen sah, stieß er auf Schmerz und Verwirrung.

Magnus war kurz davor zu glauben, dass Alec nicht verstanden hatte, was er ihm eigentlich vermitteln wollte.

Alec schien so zerstreut und abwesend, dass Magnus Angst bekam, dass er Alecs Zustand mit dieser Geschichte nur noch mehr verschlechtert hatte.

Brennende Verzweiflung stieg in ihm auf und ließ ihn reflexartig nach Luft schnappen.

Wieso machte er nie etwas richtig?

Doch dann hörte er wieder dieses Geräusch.

Dieses Geräusch, das er damals auch gehört hatte, als er in Alecs Wohnung gewesen war und nach diesem gesucht hatte, nach dem er sich die Hand an der Scheibe halb zertrümmert hatte.

Dieses Mal wusste er sofort, was es bedeutete und sofort drehte sich sein Kopf wieder zu Alec.

Magnus zerriss es genauso wie damals das Herz.

"Alec...", murmelte er leise als er seinen Blick über dessen Gestalt wandern ließ.

Alecs Kopf war gesenkt, sein Körper leicht zusammen gekrümmt.

Magnus stand langsam auf und stellte sich direkt vor die Scheibe.

Noch immer brannte sein Herz, noch immer tat alles in ihm weh.

Doch noch viel mehr weh tat es ihm, Alec in diesem Zustand zu sehen.

Er weinte. Noch nie zuvor hatte er ihn so weinen gesehen.

Noch nie zuvor, hatte Magnus so viele Emotionen in einem leisen Schluchzen gehört.

Und noch nie zuvor hatte in eine Situation so sehr berührt wie diese.

Automatisch flogen ihm wieder diese Bilder von diesem einen Schultag durch den Kopf und auch er spürte, wie leise Tränen ihm die Wangen hinunter liefen.

Magnus ließ es zu, er kämpfte nicht dagegen an.

Wahrscheinlich schien diese Szene für eine außenstehende Person total kitschig oder übertrieben, doch für Magnus und Alec bedeutete es viel mehr.

Magnus wusste, dass Alec weinte, weil er nicht wusste, wohin mit seinen ganzen Gefühlen.

Aber Alec weinte auch, weil es ihm leid tat und weil er selbst Magnus' Geschichte durchlitt.

Man sah es an seiner Haltung, wie er fast schon vor Reue den Kopf gesenkt hatte.

Magnus schluckte schwer. Noch immer liefen vereinzelte Tränen seine Wangen hinunter.

"Ich hätte ihm das nicht erzählen sollen.", sagte er leise und drehte sich von der Plexiglasscheibe weg.

Magnus hätte nie gedacht, dass er solche Gefühle in Alec erwecken würde.

Alec, der Alec, der normalerweise so hart wie Stein war.

Der Alec, der sich nicht berühren ließ, weder körperlich noch geistig.

Der Alec, der nie sprach und nie weinte.

Der Alec, der in den Augen seiner Eltern und des Professors ein Monster war.

Der Alec, der nichts und niemanden an sich heran ließ und niemanden vertraute.

Genau dieser Alec saß auf seinem Sofa und weinte vielleicht sogar mehr, als Magnus damals nach der Schule in Izzys Armen.

Magnus konnte jetzt noch nicht sagen, wie Alec das alles verarbeiten würde, doch er hoffte inständig, dass er ihm zumindest etwas die Augen geöffnet hatte.

Aber zuerst brauchten sie eine Pause voneinander. Für heute war es genug.

Bevor er in den Fahrstuhl ging, sah er noch einmal in Alecs Richtung.

Alec hatte seinen Kopf leicht angehoben und sah ihn aus schimmernden Augen an.

In seinen Augen herrschte für einen Moment kein wirbelnder Sturm, sondern eine klare Ruhe, die Magnus' Herz einen Stich versetzte.

Magnus schluckte schwer.

Doch dann setzte der Sturm wieder ein und durch Alecs Augen wirbelten tausende Emotionen, die dieser selbst innerlich gar nicht alle verarbeiten konnte.

"Du bist nicht allein, Alexander.", sagte Magnus zu ihm leise, lächelte ihm traurig zu und lief in den Fahrstuhl.

Als sich die Türen schlossen, lehnte er seinen Körper gegen die Wand und schloss die Augen.

Und dann brach aus ihm ein Lachen aus, das all seine inneren Emotionen widerspiegelte.

Erleichterung, Schmerz, Angst, Überraschung, Aufregung.

Was hatte er nur getan?

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