Kapitel 7
Ich sprach nicht ein Wort mit ihm während der Autofahrt. Er schien auch nicht das Bedürfnis zu haben, sich in irgendeiner Weise entschuldigen müssen. Starr sah er auf die Autobahn. Seine Hände umklammerten fest das Lenkrad. Wir waren umhüllt von der Nacht. Die Scheinwerfer unseres Autos wiesen uns den Weg. Es hatte mittlerweile aufgehört zu schneien.
Ich konnte es noch immer nicht fassen. Er hatte es tatsächlich für eine gute Idee gehalten, meiner Schwester an Weihnachten Gras mitzubringen. Von Einsicht war keine Spur. Er schien nicht einmal ein schlechtes Gewissen zu haben, dass er meinen Eltern und mir das Weihnachtsfest vermasselt hatte.
In mir war so viel Wut, doch wie so oft, behielt ich sie für mich. Es war, als würde ein Feuer in mir lodern. Ich hatte jedoch Zweifel daran, dass es je vollständig gelöscht werden konnte.
Plötzlich zog ein Polizeiauto an uns vorbei und reihte sich vor uns ein. Sofort hatte es meine Aufmerksamkeit. Es war offensichtlich, dass wir deren komplette Aufmerksamkeit hatten.
Dann erschien "Bitte folgen" in der Heckscheiben.
Auch das noch. Ich wollte einfach nur nach Hause. Ich sah auf unsere Geschwindigkeitsanzeige. Wir waren nicht zu schnell unterwegs.
"Unser Erste-Hilfe-Kasten ist noch nicht abgelaufen, oder?", durchbrach ich die Stille angesichts der Situation.
"Keine Ahnung", sagte er angespannt und folgte dem Streifenwagen.
Dann fuhr Basti hinter dem Polizeiauto auf einen Rastplatz. Er wurde nervös. Schweißperlen standen ihm auf der Stirn und er konnte die Finger nicht ruhig lassen. Wenn mir das schon auffiel, entging das den Polizisten sicherlich auch nicht.
"Basti, beruhige dich! Es ist nur eine Routinekontrolle. Die wollen die Fahrzeugpapiere sehen, unseren Erste-Hilfe-Kasten und vielleicht noch eine Warnweste oder so. Kein Grund zur Panik. Du hast doch nicht einmal ein Glas Alkohol getrunken."
"Hmm."
Wir hielten und die Polizisten kamen auf unser Fenster zu.
"Guten Abend", sagte der junge Mann in Uniform freundlich. "Verkehrskontrolle. Einmal den Führerschein und die Fahrzeugpapiere bitte."
"Frohe Weihnachten", wünschte ich dem Polizisten, der heute sicherlich auch lieber bei seiner Familien unterm Tannenbaum sitzen würde. Ich griff ins Handschuhfach und reichte ihm die Fahrzeugpapiere. Basti fischte derweil seinen Führerschein aus dem Portemonnaie.
Prüfend sah sich der Polizist die Papiere an, während sein Kollege dicht hinter ihm stand.
Dann blickte er zu Basti. Ich sah seinem Blick sofort an, dass er von nun an misstrauisch war.
"Steigen Sie bitte einmal aus", ertönte nun die strengere Version des eben noch so netten Polizisten.
Bastis Kiefer spannte sich sichtlich an, was mir zeigte, dass ihm das gar nicht gefiel. Trotzdem befolgte er den Befehl.
Was war hier los? Warum reagierte Basti so? Hatte er auch gekifft?
Nein! Das würde er nicht tun! Er würde doch nicht high Auto fahren! Insbesondere nicht, wenn ich mit im Auto saß.
"Schauen Sie bitte einmal in das Licht."
Der Polizist hielt eine Taschenlampe hoch und leuchtete Basti damit in die Augen. Ich an dem Gesichtsausdruck des Beamten bereits erkennen, dass etwas nicht stimmt. Seine Mimik war hart und streng.
"Wir würden gerne mit ihnen einen Alkohol und Drogenschnelltest machen."
Bastis kräftiger Puls war nun an seinem Hals sichtbar und ich begann die Wahrheit zu erahnen: Er hatte ebenfalls gekifft.
Wut breitete sich in mir aus. Hatte er sich wirklich bekifft ans Steuer gesetzt, während ich neben ihm saß? Hatte er mich so unbekümmert in Gefahr gebracht?
"Okay", stimmte Basti mit belegter Stimme zu.
Er wagte es nicht in meine Richtung zu sehen. Dafür kam der zweite Polizist zu mir.
"Hat ihr Partner etwas zu sich genommen, dass er nicht hätte nehmen sollen?"
"Keine Ahnung", antwortete ich ehrlich. "Ich dachte nicht."
Doch nun war ich mir nicht mehr so sicher. Das schien auch dem Beamten aufzufallen, denn er sah mich mitleidig an.
"Hat er denn Probleme mit Suchtmitteln?"
Ich sah zu Basti hinüber. Er blies gerade in den Alkoholtest. Was hatte er nur getan?
"Sie müssen auch nicht antworten", sprach der Polizist weiter. "...aber sollte einer der Tests positiv ausfallen und sich das durch eine Blutprobe bestätigen, ist das eine ernste Sache."
Ich nickte.
"Ich weiß."
Wie viel schlimmer konnte dieses Weihnachten noch werden? Ungeduldig beobachtete ich nun Basti und seine Reaktionen. Er sprach mit dem Polizisten und es sah nicht gut aus. Basti raufte sich die Haare und legte seine Stirn in Falten.
Das durfte doch nicht wahr sein!
Meine Augen füllten sich mit Tränen. Ich fühlte mich so hintergangen. Wie konnte er mir das antun? An Weihnachten!
Ich sah mit an, wie Basti und der Beamte ein ernstes Gespräch führten. Dann kamen sie zu unserem Auto zurück. Ich war mittlerweile aus dem Auto ausgestiegen. Um meine Wärme zu erhalten, hatte ich die Arme vor meinem Körper verschränkt.
"Ich müsste ihren Freund zur Blutentnahme mit auf die Wache nehmen", informierte mich der jüngere der beiden Polizisten mit einem empathischen Blick. Er schien die Situation gut genug einschätzen zu können, um zu wissen, dass ich keine Ahnung gehabt hatte, dass Basti verbotene Substanzen intus hatte.
"Ich kann nicht fahren. Ich habe getrunken", informierte ich sachlich und versuchte meine Emotionen mit aller Kraft zurückzuhalten. Ich wollte nicht die bemitleidenswerte Freundin sein, die auf den falschen Mann reingefallen war. "Auf welche Wache bringen Sie ihn denn?"
Wir waren nicht mehr weit weg von zuhause und ich konnte mir denken, dass sie ihn eh auf die Wache bringen würden, die nur eine Querstraße weiter war.
"Die in der Albertstraße."
Immerhin ein glücklicher Zufall an diesem Abend!
"Können Sie mich vielleicht mitnehmen? Ich kann von da aus nach Hause laufen. Wir wohnen in der Augustenstraße."
Sofort nickte der Polizist kooperativ.
"Na, wenn das so ist, können wir Sie auch direkt an ihrem Haus absetzen. Das ist ja wirklich nur eine Straße weiter. Das ist gar kein Problem."
Dankbar lächelte ich ihn an.
Dann sah ich zu Basti, der den Blick nicht vom Boden abwenden konnte. Er hatte mich in Gefahr gebracht! Die Straßen waren eh schon glatt. Die Dunkelheit machte es auch nicht besser. Wie kam man bei solchen Bedingungen auf die Idee, seine Sinne noch mehr einzutrüben und sich dann hinter das Steuer zu setzen?
Ich setzte mich mit Basti auf die Rückbank des Streifenwagens. Sein Schweigen machte mich unfassbar wütend.
"Was soll das?", raunte ich ihm zu.
Mir war bewusst, dass die Beamten uns hören konnten, doch es war mir egal. Für sie gehörten Beziehungsstreitigkeiten vermutlich zum täglichen Brot.
"Reicht es nicht, dass du mir Weihnachten versaut hast? Wolltest du mich auch noch umbringen, oder was?"
Das erste Mal seit wir bei meinen Eltern ins Auto gestiegen waren, sah er mich an. Es war nicht der reumütige Blick, den ich mir erhofft hatte.
"Nun übertreib mal nicht. Ich habe dich nicht umgebracht und hatte es auch nicht vor. Habe ich auf dich den Eindruck gemacht, dass ich nicht Autofahren könnte? Wohl kaum! Sonst hättest du mich nicht ans Steuer gelassen."
Es war eine Sache einen Fehler zu begehen, doch es war eine zweite Sache, nicht einmal den Mumm zu haben, dazu zustehen und sich zu entschuldigen.
"Ist das dein Ernst?"
"Ich hatte alles unter Kontrolle, okay?"
"Ja, das sieht man ja", entgegnete ich und verschränkte meine Arme vor der Brust. "Ist dir schon aufgefallen, dass wir gerade in einem Polizeiauto sitzen? Du hast nichts mehr unter Kontrolle!"
Ich wollte nur noch weg von ihm. Über den Rückspiegel beobachtete uns der Polizist ganz genau. Vermutlich fragte er sich, ob wir auch ein Fall von häuslicher Gewalt waren.
"Ich glaub das einfach nicht", sagte ich mehr zu mir selbst als zu Basti. "Es ist doch Weihnachten!"
Basti ließ seinen Blick aus dem Fenster schwenken, wo Einfamilienhäuser in schönster Weihnachtsbeleuchtung an uns vorbeizogen. Ich war neidisch, auf die Menschen, die in diesen Häusern gerade eine schönes Fest mit ihrer Familie feierten. Sie sangen, tranken, aßen und schenkten. Vermutlich brannte sogar noch der Kamin und der Weihnachtsbaum glitzerte in Rot und Gold.
Und was machte ich an Weihnachten? Ich wurde von der Polizei nach Hause gefahren.
"So, da wären wir!"
Das Auto hielt vor unserem Haus. Ich konnte gar nicht schnell genug aus dem Wagen steigen.
"Vielen Dank fürs Fahren", richtete ich das Wort an die Polizisten. "Und schöne Feiertage!"
Basti würdigte ich weder eines Blickes noch eines Wortes. Ich konnte es nicht verhindern, dass ich die Tür hinter mir zuschmiss.
Als das Auto davon fuhr, blieb ich allein auf der zugefrorenen Straße zurück. Endlich konnte ich meinen Frust rauslassen. Bittere Tränen liefen über meine Wangen. Ich fühlte mich, als wäre ich am Tiefpunkt meines Lebens angekommen. Ich fühlte mich so allein und das am Tag des Festes der Liebe.
"Ilvi?", hörte ich eine vertraute Stimme, die sehr besorgt klang.
Finn kam in seinen Hausschuhen auf die Straße zu mir gelaufen.Er hatte Mühe sich bei der Glätte sicher auf den Beinen zu halten.
"Hat dich gerade eine Streifenwagen hier abgesetzt?", fragte er sichtlich irritiert.
Sein Küchenfenster war zur Straße ausgerichtet. Offenbar hatte das Ende meines heutigen persönlichen Dramas gesehen.
Ich nickte, denn ich brachte kein Wort mehr aus meiner Kehle.
"Oh Gott, was ist denn passiert?", fragte er und kam sofort näher, um mich in seine Umarmung zu schließen.
Es war als würde mein gesamter Körper von ihm umschlossen werden. Er streichelte meinen Hinterkopf, während an seiner Schulter mein Leid in Tränenform aus den Augen quoll.
"Bist du okay? Hat er dir etwas getan?"
Ich schüttelte den Kopf.
"Aber was ist passiert?", gierte Finn nach Informationen. "Wieso weinst du?"
Er nahm nun mein Gesichts zwischen seinen Hände. In seinem eigenen Gesicht stand die Sorge geschrieben. Seine großen dunklen Augen schienen nur mich zu sehen. Vor meinem inneren Augen sah ich jedoch ganz andere Dinge.
"Wir sind in eine Verkehrskontrolle gekommen und sie haben ihn auf Drogen und Alkohol getestet. Mindestens einer der Tests war positiv und es würde mich nicht wundern, wenn es beide waren. Sie haben ihn mit auf die Wache genommen, um es noch einmal mit einer Blutprobe nachzuweisen. Netterweise haben sie mich hier abgesetzt", erzählte ich ihm die Kurzfassung meines wahrgewordenen Alptraums.
Ich konnte kaum glauben, was aus meinem Mund kam. War das wirklich passiert?
"Was?", kam es ungläubig über seine Lippen. "Er ist unter Einfluss gefahren?"
Ich nickte. Finn hatte mittlerweile nach meinen Händen gegriffen. Seine waren wunderbar warm.
"Ja, und es war alles noch viel schlimmer. Wir sind noch vor der Bescherung wieder nach Hause gefahren, weil er meiner Schwester mit Gras versorgt hat und meine Vater es mitbekommen hat. Ich werde Papa nie wieder in die Augen sehen können. Ich schäme mich so, dass ich meinen Freund mitgebracht habe, der meiner Familie das Weihnachtsfest kaputt gemacht hat. Mama und Papa waren so enttäuscht. Ich glaube auch von mir... weil ich noch mit ihm zusammen bin. Dieses Weihnachten ist eine riesige Katastrophe."
Mein Leben war eine Katastrophe! Nicht nur dieser Abend.
"Es tut mir so leid!" Finn streichelte nun über meine Schultern, um mich warm zu halten. "Komm doch zu uns mit rein. Ich will nicht, dass du jetzt an Weihnachten allein bei dir zuhause bist."
"Nein, ich will euer Weihnachtsfest nicht auch noch vermiesen."
"Das tust du nicht. Glaube mir! Meine Schwiegereltern sind da. Da ist Weihnachten für mich auch keine Freude mehr! Ihre Mutter hat sich schon beschwert, dass ich ihren kratzigen, selbstgestrickten Pullover vom letzten Jahr heute nicht anhatte. Das Ding war pink und braun gestreift und hatte je eine Bommel auf Nippelhöhe. Den konnte ich nicht mal in die Kleiderspende geben."
Ich zog einen Mundwinkel hoch, was er mit dieser Aussage auch bezwecken wollte.
"Finn!", ertönte sein Name im strengen Ton. Wir sahen zu seinem Haus. Maddie stand in der Tür und hatte ihre Fäuste in die Taille gestemmt. "Was machst du so lange hier draußen? Wir warten auf dich mit der Feuerzangenbowle." Dann fiel ihr Blick auf mich. Sie zog abwertend eine Augenbraue hoch. Es war eindeutig, dass sie es missbilligte, dass ich ihrem Verlobten so nahe war. Ich respektierte das und machte einen Schritt von Finn weg.
"Ist schon okay", sagte ich so leise, sodass nur Finn es hören konnte. "Macht euch ein schönes Fest. Ich komme schon klar."
Es war offensichtlich, dass ich nicht willkommen war.
Unglücklich sah Finn von mir zu Maddie und wieder zurück.
"Wenn du etwas brauchst, kannst du jederzeit rüberkommen. Verstanden?"
"Ja, danke."
Ich lächelte tapfer, auch wenn ich nur heulen wollte.
"Und du erzählst mir noch einmal in Ruhe, was alles passiert ist, ja? Das kann so nicht weitergehen!"
"Hmm."
"FINN!", rief Maddie genervt. "Ich will meine Eltern nicht noch länger warten lassen! Komm schon!"
Ein letztes Mal streckte er den Arm nach mir aus und strich mir kurz über meinen Oberarm.
"Es tut mir so leid, Ilvi", hauchte er mir zu.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top