Kapitel 5
Langsam nahm ich Stufe für Stufe. Noch nie zuvor hatte ich so lange für die zwei Stockwerke in meine Wohnung gebraucht.
Finn und ich waren gemeinsam nach Hause gegangen.
Wir hatten jedoch nicht ein einziges Wort gesprochen. Die frische Luft der Winternacht hatte uns zu Verstand kommen lassen.
Ich hielt noch einmal kurz inne, bevor ich den Schlüssel ins Schloss steckte. Schon von unten hatte ich gesehen, dass im Wohnzimmer noch Licht brannte. Basti war also zuhause. Ich öffnete die Tür und war erstaunt, keine Pizzapackungen auf dem Boden vorzufinden. Stattdessen hörte ich Schritte aus dem Wohnzimmer näher kommen.
"Hey, da bist du ja", sprach eine liebevolle Stimme.
Baste lächelte mich fast schon schüchtern an.
Ich kannte dieses Spiel. Es war jedes Mal das gleiche. Sobald er wieder nüchtern war, konnte er der nette liebe Kerl sein, in den ich mich mal verliebt hatte.
"Hey", sagte ich kurz angebunden. "Du bist ja noch wach!"
"Ja, ich konnte nicht schlafen. Du weißt doch, dass ich mir immer Sorgen mache, wenn du erst so spät nach Hause kommst."
Schuldgefühle machten sich in mir breit. Noch nie zuvor hatte ich jemals einen Partner betrogen. Und das Schlimmste war, dass ich es auch noch in einer Phase getan hatte, in der er mich wirklich brauchte. In diesem Moment war mein Kopf leer gewesen - bis auf einen einzigen Gedanke: Ich hatte Finn um jeden Preis gewollt.
Erst jetzt wurde mir jedoch die Höhe dieses Preises wirklich bewusst. Ich hatte meine Beziehung aufs Spiel gesetzt. Ich hatte meinen Partner betrogen.
Basti kam auf mich zu und streichelte mit seinem Daumen über meine Wange.
"Hübsch siehst du aus", ließ er mich mit sanfter Stimme wissen und sah an mir hinab. "Das Kleid steht dir."
In meinem Kopf war das Bild, wie Finn es hochgeschoben hatte um die untere Hälfte meines Körper zu entblößen. Er hatte mich berührt und mich damit fast in den Wahnsinn getrieben.
"Danke", sprach ich mit belegter Stimme.
Dann zog er mich in eine Umarmung. Fürsorglich strich er mir über meinen Rücken.
"Es tut leid", sagte er kaum hörbar. "Ich habe mich gestern Abend furchtbar verhalten."
Ich wusste genau, wie viel Überwindung ihm diese Worte kosteten. Basti war niemand, dem es leicht fiel, einen Fehler einzugestehen und sich zu entschuldigen. "Ich habe mich wirklich daneben benommen. Es kommt nicht wieder vor! Das verspreche ich dir! Ich möchte so nicht sein und du weißt, dass ich so auch nicht bin. Es ist im Moment alles einfach nur ein bisschen viel."
Die Art, wie er sprach, war der Basti, in den ich mich mal einst verliebt hatte. Leider wusste ich, dass es nur eine Momentaufnahme war. Schon bald würde er wieder trinken und kiffen. Er würde wieder die Kontrolle über sich verlieren.
Basti löste sich aus der Umarmung, um mir in Gesicht schauen zu können.
"Ich liebe dich, Ilvi!", sagte er aufrichtig und ich glaubte es ihm. "Und ich bin dir so dankbar, dass du das mit mir durchstehst. Ich weiß, dass das nicht selbstverständlich ist. Es ist für uns beide nicht einfach. Du bist das beste, das mir passieren konnte. Ich bin so dankbar, dich an meiner Seite zu haben."
In meinem Hals bildete sich ein riesiger Kloß. Er hatte so viel Vertrauen in mich und ich hatte es einfach missbraucht. Wie hatte ich das nur tun können?
Ich zwang mir ein Lächeln auf. Er gab mir einen Kuss auf die Stirn.
"Du siehst fertig aus, Süße. Hattest du denn einen schönen Abend?"
Ja, den hatte ich gehabt.
Und gleichzeitig war es auch der furchtbarste Abend, den ich je gehabt hatte, denn ich hatte gegen meine eigenen Prinzipien verstoßen.
"Ja, war ganz nett. Die Location war wunderschön und wir haben viel getanzt."
Er lächelte.
"Das freut mich. Es tut dir sicher auch mal gut, rauszukommen."
Er streichelte dabei meine Schulter, während das schlechte Gewissen mich innerlich zerfraß. Ich konnte mich nicht einmal rausreden. Den Kuss im Fotoautomaten hätte ich mir vielleicht noch verzeihen können, in dem ich es auf eine Mischung aus Schock und Alkohol geschoben hätte. Doch der Sex war eine bewusste Entscheidung gewesen. Ich war mir im Klaren darüber gewesen, was ich getan hatte. Ich hatte sogar damit angefangen.
"Ja, aber ich bin jetzt auch echt müde. Wir haben wirklich viel getanzt. Ich will eigentlich nur noch eine Dusche und dann ins Bett."
Basti nickte verständnisvoll.
"Na klar. Ich habe dir schon eine Wärmflasche ins Bett gelegt, sodass es schön warm ist."
Warum musste er ausgerechnet heute so nett und süß sein?
Ich fühlte mich, wie der schlechteste Mensch auf dieser Erde.
Ich ging ins Bad und streifte mich aus meinem Kleid. Ich konnte es nicht vermeiden, dabei an Finn zu denken. Er hatte genau gewusst, wie er mich zu berühren hatte. Noch jetzt bekam ich Gänsehaut beim Gedanken daran.
Ich sah auf mein Handy. Er hatte mir geschrieben.
Hey Ilvi, ich hoffe, du bist gut oben angekommen. Was heute Abend passiert ist, kann ich mir selber nicht erklären. Es war wirklich schön, aber es hätte nicht passieren dürfen. Du hast es heute Abend selber schon gesagt: Wir sind beide in einer Beziehung. Und ich werde bald heiraten. Ich liebe Maddy. Ich möchte nicht, dass dieser eine Ausrutscher alles kaputt macht, was ich mir in den letzten Jahren mit ihr aufgebaut habe.
Es tut mir leid, falls ich dich damit verletze, aber lass uns diesen Abend bitte wirklich vergessen. Ich schätze unsere Freundschaft so sehr. Ich will nicht, dass das zwischen uns steht.
Du bist eine wundervolle Frau! Du hast eh jemand besseren als mich verdient ; )
Schlaf gut und träum 'was Süßes!
Er hatte Recht mit seinen Worten und hätte er mir nicht bereits geschrieben, hätte ich ihm spätestens morgen früh einen ähnlichen Text verfasst. Diese Nacht hatte nichts zu bedeuten und doch hatte ich das Gefühl, dass sie für uns beide etwas Besonderes war. Ich war mir nicht sicher, ob ich sie wirklich vergessen wollte. Finn hatte mir das Gefühl gegeben, begehrenswert zu sein. Schon viel zu lange hatte ich mich nicht mehr so gefühlt.
Schlaf du auch gut! Morgen wachen wir auf und mit ein bisschen Glück haben wir eh keine Erinnerung mehr an den Abend ;)
Ich wusste genau, dass es nicht so sein würde. Diesen Abend würde ich genauso wenig vergessen, wie den Abend vor 15 Jahren.
Ich zog meinen BH aus und das Kussfoto fiel mir entgegen.
Ich hatte Finn versprochen, dass ich es wegschmeißen würde. Doch ich konnte nicht. Ich sah mir die vier Schwarzweiß-Bilder an und wir sahen so glücklich aus. Mein Blick fiel auf das letzte Bild und eine Nadel bohrte sich in mein Herz.
Man konnte den Schock in meinen Augen sehen. Finn hingegen hatte seine geschlossen und es sah fast so aus, als würde er bei dem Kuss lächeln.
Es wäre eine Schande, dieses Foto wegzuschmeißen.
Ich stieg unter die Dusche und versuchte mich von meinem Gedankenwirrwarr zu befreien. Doch Schuld konnte man leider nicht mit Wasser abwaschen. Und so stieg ich mit der Last einer Betrügerin aus der Dusche und wickelte mich in mein Handtuch.
Das Foto ließ ich in meiner Dreckwäsche verschwinden und tapste dann auf Zehenspitzen ins Schlafzimmer.
Basti lag schon im Bett und hatte die Augen geschlossen. Ich nutzte die Gelegenheit, um das Foto in meinem Lieblingsbuch verschwinden zu lassen: Die Weihnachtsgans Auguste. Basti würde es niemals in den Sinn kommen, dieses Buch zu öffnen.
Dann legte ich mich in das vorgewärmte Bett. Ich spürte wie Basti sich neben mir bewegte und näher an mich herankam.
Er gab mir einen Kuss auf die Wange.
"Schlaf gut, Süße!"
"Du auch!", sagte ich, während eine Träne über meine Wange rollte. Zum Glück hatte ich das Licht bereits ausgeschaltet.
Ich hatte nie so ein Mensch sein wollen, der seinen Partner betrügt. Eine Beziehung baute auf Vertrauen auf und ich hatte dieses missbraucht.
Ich musste Acht geben, leise zu weinen und nicht zu schluchzen. Wie sollte ich Basti schließlich erklären, dass ich nach einem angeblich schönen Abend weinend im Bett lag?
"Ilvi?", flüsterte Basti in die Dunkelheit hinein.
"Hmm?"
"Ich habe noch einmal über deine Worte nachgedacht und ich denke, dass du Recht hast. Ich werde mich mal nach einem Therapeuten umsehen. Ich weiß, dass du unter der Situation mittlerweile genauso leidest wie ich und das möchte ich nicht."
Überrascht drehte ich mich in seine Richtung.
"Wirklich?", hakte ich nach.
"Ja, ich will, dass wir wieder glücklich sind. So, wie früher. Ich vermisse diese Zeit."
Nun kam eine Träne der Rührung aus meinen Augen. Ich beugte mich zu ihm hinunter und küsste ihn auf den Mund.
"Ich bin stolz auf dich", hauchte ich ihm zu. "Ich weiß, dass dich das viel Überwindung kostet, aber es ist der richtige Weg."
Er nickte.
"Ich weiß. Gemeinsam schaffen wir das."
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