Kapitel 3

"Wow, Ilvi! Du siehst Hammer aus!"

Finn kam auf mich zu und zog mich in eine Umarmung. Er roch gut. So, als hätte er gerade frisch geduscht.

"Danke, du auch!"

Finn trug einen dunkelblauen Anzug mit einem schneeweißen, faltenfreien Hemd und einer roten Seidenkrawatte. Es waren die Farben, die auch im Logo unserer Firma wiederzufinden waren. Ich fragte mich, ob es Zufall war oder Finn sich bewusst dafür entschieden hatte.

Die Weihnachtsfeiern bei Chocluck fand nicht in irgendwelchen Ugly Christmas Sweater statt. Wir waren schon lange aus der Start-Up-Phase raus und so wurde erwartet, dass man in Abendgarderobe erschien.

Ich hatte mit für ein bordeauxfarbenes Samtkleid entschieden, welches zwar bis zum Boden reichte, jedoch nur fingerbreite Träger hatte. Für einen kurzen Moment hatte ich heute Nachmittag bei meiner Kleiderwahl gezögert, da ich glaubte, dass es zu freizügig sein könnte. Doch ich liebte dieses Kleid. Es hatte einst meiner Mutter gehört und es gab genug Fotos aus den 80ern, auf denen sie dieses trug.

"Basti hat dir erlaubt so aus dem Haus zu gehen?", erkundigte Finn sich mehr im Scherz und wusste nicht, wie viel Wahrheit dahinter steckte. Vermutlich hätte mich Basti nicht so gehen lassen, doch er hatte mich gar nicht gesehen. Nach unserem Streit von gestern war er zu einem Kumpel geflüchtet und seitdem nicht wieder aufgetaucht.

"Ich kann ja wohl selbst entscheiden, wie ich das Haus verlasse", stellte ich klar, auch wenn ich wusste, dass Finn daran keine Zweifel hatte.

"Weiß ich doch", sagte er augenzwinkernd und legte dann sein Jackett über meine Schultern. "Beim Tanzen wird dir später sicherlich noch warm, aber im Moment siehst du mit deinen freien Schultern etwas unterkühlt aus."

Dankend lächelte ich ihn an. Es war eine sehr typische Geste für Finn. Er dachte immer erst an andere und dann an sich selbst. Man merkte, dass er der älteste von fünf Geschwistern war.

Die Location, die unser oberster Chef für diese Feier extra angemietet hatte, war ein wahrer Kristallpalast. Als hätte Eiskönigen Elsa sich mit ihren Kräften hier ausgetobt. Über uns hingen sechs riesige Kristallkronleuchter, in denen das Licht in allen Farben brach. Die Wände waren mit Spiegel bekleidet und der Mamorboden war so blank poliert, sodass es wie eine Eisfläche wirkte. Wir mussten dieses Jahr ein ordentliches Plus gemacht haben, um uns das leisten zu können.

"Ilvi, das bist du ja!", hörte ich die Stimme meines Vorgesetzten Lennard. Dieser Teil der Start-Up-Kultur war uns noch erhalten geblieben: Alle nannten sich beim Vornamen und duzten sich. "Kannst du noch mal kurz in mein Büro kommen, bevor die Feier losgeht? Ich möchte gerne noch etwas mit dir besprechen."

Finn und ich tauschten Blicke aus. Wenn Lennard jemanden in sein Büro zitierte, war es wichtig. So viel wussten wir beide.
"Na klar." Dann sah ich zu Finn. "Soll ich dein Jackett hier bei dir lassen?"

Lächelnd schüttelte er den Kopf.
"Behalt es ruhig."

"Danke", hauchte ich ihm zu.
"Und viel Erfolg bei was auch immer Lennard mit dir vor hat!"

Ich folgte Lennard in sein Büro. Zu meiner Verwunderung hatte dort schon jemand anderes Platz genommen. Mein Kollege Sven saß an einem kleinen runden Tisch und sah ähnlich irritiert aus wie ich.

"Setz dich doch", forderte Lennard mich auf.

Ich gehorcht und nahm Platz.

Lennard blieb stehen und sah zu uns hinab. Sven und ich tauschten kurz Blicke aus. Er schien genauso unwissend wie ich zu sein.

"Ich denke, ich habe gute Neuigkeiten für euch", begann Lennard, während Sven und ich ihm an den Lippen hingen. Ich war mir sicher, dass auch Sven spürte, dass dieses Gespräch nicht nur um ein neues Werbeplakat gehen würde. "Aber lasst mich von vorne beginnen. Wir haben mit Chocluck riesige Fortschritte in den letzten fünf Jahren gemacht. Den Deutschen Markt rocken wir schon lange. Auch Spanien, Italien und Frankreich sind gut dabei. Europa haben wir schon gut im Begriff, abgesehen von den skandinavischen Ländern." Er machte eine theatralische Pause, die Sven und ich nutzten, um uns erneut anzusehen. Bei uns beide hatte es Klick gemacht, warum ausgerechnet wir beide hier saßen. Sven war in Schweden geboren und ich hatte eine dänische Mutter und dementsprechend viel Zeit beim dänischen Teil meiner Familie verbracht. Wir waren beide vertraut mit dem skandinavischen Kulturraum.

"Wir wollen auch diesen Markt erobern", sprach Lennard weiter. "Es gibt bereits ein kleines Team in Kopenhagen, aber die brauchen Unterstützung und ihr seid die perfekte Besetzung dafür. Ihr könnt die Sprache und habt das Fachwissen. In den letzten Jahren habt ihr beide einen hervorragenden Job gemacht! Daher hier mein Angebot: Ihr werdet für mindestens zwei Jahre nach Kopenhagen versetzt. Das Gehalt bleibt gleich, aber die Firma stellt euch eine Wohnung und 10 Flüge im Jahr zurück in die Heimat. Im Gegenzug werdet ihr dafür sorgen, dass das Marketing im skandinavischen Raum richtig angeheizt wird. Wir wollen, dass die Skandinavier Chocluck lieben!" Er grinste uns an. "Was haltet ihr davon?"
Während ich in kompletter Schockstarre auf meinem Stuhl saß, sah Sven aus, als hätte er gerade den Weihnachtsmann getroffen. Seine Augen leuchteten, als wäre ein Lebenstraum in Erfüllung gegangen.

"Fantastisch!", rief Sven.

Ich schluckte schwer. So gern ich auch wollte, ich konnte jetzt nicht weg. Basti brauchte mich und er würde definitiv nicht mit nach Dänemark gehen. Ich liebte Kopenhagen und die dänische Kultur, doch ich hatte Verpflichtungen in Deutschland, die ich nicht einfach hinter mir lassen konnte.
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte und das schien mir Lennard auch anzusehen. Dieses Angebot war ein riesiges Kompliment, das er mir machte.

"Keine Sorge, Ilvi. Ich weiß, dass das gerade sehr unerwartet kommt und ich erwarte auch keine sofortige Entscheidung. Ich weiß, dass da oft noch viel mehr dran hängt. Lass es dir einfach mal durch den Kopf gehen und gib mir Anfang des neuen Jahres Bescheid, wie deine Entscheidung ausgefallen ist, okay?"

Ich nickte, während sich mein Magen schmerzhaft zusammenzog. Das war nicht nur eine Möglichkeit in der Heimat meiner Mutter zu leben, sondern auch eine verdammt gute Karrierechance. Ich sollte für den gesamten skandinavischen Raum ein Marketingkonzept aufbauen. Sven war im Vertrieb tätig. Unsere Aufgaben waren also klar getrennt. So eine Chance dürfte ich mir eigentlich nicht entgehen lassen. Doch was hatte ich schon für eine Wahl?

Nicht jeder Traum konnte in Erfüllung gehen.
"Danke, Lennard. Ich weiß dieses Angebot sehr zu schätzen und werde darüber nachdenken", antwortete ich. Es war eine Ehre für so einen Job ausgewählt zu werden.

"Sehr schön! Dann würde ich vorschlagen, dass wir jetzt zur Weihnachtsfeier gehen und uns einen schönen Abend machen!"

"UND?", fragte Finn neugierig, als ich zurückkam. "Was wollte er?"

Ich ließ die Schulter hängen, was Finn sofort wahrnahm.
"Was ist? Warum schaust du so? Er hat dich aber nicht gefeuert, oder?", hakte er besorgt nach. "Ist es etwa, weil du manchmal Umschläge und Klebestreifen mitgehen lässt?"

Ich schüttelte den Kopf.

"Nein. Er hat mir ein Jobangebot gemacht. Ich kann den skandinavischen Markt übernehmen und marketingtechnisch leiten."

Finn klatschte vor Freude in die Hände. Es war schön zu sehen, dass es noch Menschen gab, die sich für andere freuen konnten.
"Das ist doch super!", unterbrach Finn mich euphorisch. "Warum schaust du dann so, als hätte man einen Schwarm Mücken in deinem Schlafzimmer angesiedelt?"

"Weil der Job in Kopenhagen wäre", antwortete ich knapp und ließ meine Schulter hängen.

"Oh", kam es über seine Lippen. "Du müsstest wegziehen?"

"Ja und das geht im Moment nicht."

Er nickte verständnisvoll und legte seine Hand auf meine Schulter. Eindringlich sah er mir in die Augen.

"Ich wäre verdammt traurig, wenn du nicht mehr da bist. Aber das wäre doch auch eine riesige Chance. Und so weit ist Kopenhagen doch auch nicht weg. Das ist eine Stunde mit dem Flugzeug. Wenn überhaupt."
Ich ließ meinen Kopf hängen. Kopenhagen war trotzdem zu weit weg. Ich konnte mit Basti nicht in ein komplett neues Umfeld ziehen, wo er nicht einmal die Sprache beherrschte. Er fand sich ja nicht einmal in seinem gewohnten Umfeld zurecht.

"Es geht wirklich nicht" sprach ich entschlossen, denn meine Entscheidung war bereits gefallen.
Mit seinem Daumen hob er mein Kinn. Seine kaffeebraunen Augen schienen direkt in mich hineinzuschauen. Unsere Nasenspitzen waren nur weniger Zentimeter voneinander entfernt.

"Ilvi, was ist bei dir zuhause eigentlich los? Bei dir und Basti läuft es momentan nicht so gut, oder?"

Ich brach den Blickkontakt ab. Ich vertraute Finn mein Leben an, doch gewisse Themen ließen wir aus. Dazu gehörten auch die Details meiner Beziehung.

"Ach, das ist deine lange Geschichte. Es wird schon alles wieder gut werden, aber Kopenhagen ist im Augenblick wirklich keine Option."

Er ließ seinen Blick noch für einen Moment besorgt auf mir ruhen.

"Okay", hauchte er ein wenig enttäuscht, weil ich ihm nicht erzählte, was bei mir im Leben alles los war. "Ich will, dass du weißt, dass du jeder Zeit mit mir über deine Probleme reden kannst. Verstanden?"

"Das weiß ich doch, Finn! Danke!" Ich umarmte ihn und er erwiderte es auf eine sehr herzliche Art und Weise. "Aber können wir jetzt einfach den Abend genießen und für heute einfach unsere Probleme vergessen? Dafür sind Weihnachtsfeiern doch schließlich da, oder?"

Nun grinste Finn breit.

"Sehr gerne!"

Nachdem unser Geschäftsführer eine Rede gehalten hatte, die sehr in Zuckerwatte und gepackt und mit Glitzer bestreut war, gab es das traditionelle Gänseessen. Auch hier zeigte sich, dass wir ein sehr junges Team war, denn gut die Hälfte gab sich mit Klößen, Grünkohl und Rotkraut zufrieden. Unsere Veganer- und Vegetarierquote war auffallend hoch. Und da mich die Weihnachtsgans Auguste schon in meiner Kindheit zu jeder Weihnachtszeit als Lieblingshörspiel begleitet hat, würde mir im Traum nicht einfallen, eine ihrer Schwester oer Brüder zu essen.

Als Nachtisch gab es natürlich Mousse au Chocolat, dessen Hauptzutat unsere eigene Schokolade war.

Ich bereute schnell, dass ich mich für den heutigen Abend für ein so enges Kleid entschieden hatte, denn mittlerweile zeichnete sich mein Abendessen am Bauch unter dem Kleid ab.

"Ich weiß nicht, wie ich heute Abend noch tanzen soll. Du kannst mich über die Tanzfläche rollen, mehr aber auch nicht", sagte ich zu Finn, der sich genüsslich seinen letzten Löffel Mousse in den Mund schob.

"Kein Problem. Mit deinen Glitzersteinchen auf dem Kleid, können wir dich auch einfach als Diskokugel nehmen."
Ich musste lachen. Finns Anwesenheit tat mir so gut. Er wusste immer genau, wie er mich aufheitern konnte. Im Moment gab es nur wenige Augenblicke, in denen ich wirklich unbeschwert lachen konnte.

Ich nahm einen großen Schluck Rotwein. Es war bereits mein zweites Glas und ich bemerkte erst viel zu spät, dass in meinem Kopf die Nebelmaschine angegangen war.

Die Tanzfläche wurde eröffnete. Die Musik begann zu spielen. Der Raum wurde dunkler und tatsächlich hing nun eine große Diskokugel an der Decke. Finn erhob sich von seinem Platz und reichte mir die Hand.

"Darf ich bitten?", fragte er mit einem schelmischen Grinsen.

Mein Herz setzte für einen kurzen Moment, denn die Situation erinnerte mich an einen Moment, der mittlerweile 15 Jahre zurücklag. Damals hatte er mich auch zum Tanz aufgefordert. An diesem Abend war noch so viel mehr passiert.

Ich fragte mich, ob er sich daran erinnerte. Wir hatten nie wieder darüber gesprochen.

"Willst du mir etwa einen Tanz verwehren?", fragte Finn, als ich inne gehalten und nicht auf seine Tanzaufforderung reagiert hatte..

Reiß dich zusammen, Ilvi. Es ist 15 Jahre her!
"Nein, natürlich nicht", sagte ich hastig und nahm seine Hand an. "Seine war warm und weich. Im Gegensatz zu meiner eigenen, die kalt wie eine Winternacht war. "So etwas lasse ich mir doch nicht entgehen."

"Du hast ja Eishände", stellte er fest und nahm meine Hand sofort zwischen sein und rieb sie zwischen seinen Handflächen, um sie zu wärmen. "Mein Gott, ist das überhaupt noch Blut drin?"

Es tat gut seine Wärme zu spüren und sie aufzunehmen.

"Das Kleid ist zwar hübsch, aber nicht wirklich wärmend", ließ ich ihn wissen.

"Na dann müssen wir dich mit Bewegung wohl auftauen, du Schneefrau."

Er zog mich sachte auf die Tanzfläche. Finn war ein verdammt guter Tänzer, doch das war im Moment nicht einmal nötig. Denn der DJ hat sich für White Christmas entschieden. Ein Lied, bei dem man nichts an anderes machen konnte, als sich in den Armen zu liegen und ein bisschen hin und her zu schwanken. Der DJ machte sich mit dieser Songauswahl nicht sonderlich beliebt, denn die wenigsten Kollegen waren scharf darauf Arm in Arm miteinander zu tanzen. Also waren Finn und ich plötzlich fast allein auf der Tanzfläche. Es gab lediglich drei Pärchen aus unserer Firmen, die das Lied für einen romantischen Augenblick nutzten.

Ich sah zu Finn hoch, der liebevoll seine Arme um mich herum legte.

Wieder musste ich an damals denken und es schmerzte.

Finn und ich waren beste Freunde. Unser gegenseitiges Vertrauen kannte keine Grenzen. Trotzdem war nie mehr aus uns geworden. An dem einem Abend vor 15 Jahren wäre das jedoch fast anders gekommen. Doch es hatte ein Ende genommen, welches mich bis heute verfolgte. Manchmal fragte ich mich, wie es wohl gewesen wäre, wenn wir damals zusammen gekommen wären. Ob wir heute noch ein Paar wären?

Er ist verlobt!, sagte ich in Gedanken zu mir selbst. Und du bist ebenfalls in einer Beziehung. Was hast du hier eigentlich für Gedanken?

Finn zog mich zu sich heran und ich legte meinen Kopf an seiner Brust ab. Ich spürte, dass uns einige Kollegen beobachteten. Wir sollten das nicht tun, doch es fühlte sich so gut an. In meinem Bauch schien die Sonne aufzugehen. Die warmen Strahlen kitzelten und belebten meinen gesamten Körper.

Das war nicht gut. Ich sollte so nicht fühlen. War es der Rotwein?

"Alles okay?", hauchte FInn in mein Ohr.

Offensichtlich konnte er mir meine Panik ansehen.

Ich nickte, während seine Hände auf meine Hüfte rutschten. Machte er das mit Absicht? Er hatte deutlich mehr getrunken als ich, doch er war auch einen Kopf größer als ich und konnte deutlich mehr vertragen.

"Ich glaube, ich brauche ein bisschen frische Luft. Zu viel Wein", ließ ich ihn wissen und schob dann seine Hände von meiner Hüfte. Tatsächlich nahmen meine Gehirnzellen gerade an einer kleinen Achterbahnfahrt teil.

Entschuldigend sah ich ihn an und suchte meinen Weg nach draußen auf die Terrasse.

Die Kälte überwältigte mich überfallartig. Alle Haare stellten sich auf und meine Haut war die einer gerupften Gans. Mein Atem stieg als kleine Wolke hoch in den klaren Sternenhimmel.

Ich sah auf den dunklen Park, der vor mir lag. Von drinnen hörte man nur die Bässe der Musik.

Die Tür hinter mir ging auf und ich wusste genau, dass er es war. Dafür brauchte ich mich nicht umzudrehen.

"Alles in Ordnung?", fragte Finn und stellte sich neben mich. Er sah ernsthaft besorgt aus.

Eine Träne kullerte über meine Wange. Ich hoffte, dass er sie in der Dunkelheit nicht sehen konnte.

"Ilvi, was ist los?" Er legte seine warmen Hände auf meine Schultern und drehte mich zu sich, sodass ich ihm in die Augen sah. "Warum weinst du?"

Ich zuckte mit den Schultern.
"Es gerade alles einfach ein bisschen viel", gab ich nur vage Auskunft.
"Wegen Basti, oder?"

Stumm nickte ich.

"Tut er dir weh?"

Finn hatte seine Stirn in Falten gelegt und der Körper war angespannt.

"Nein!", sagte ich sofort. "Nein, wirklich nicht. Er würde nie die Hand gegen mich erheben."

Kritisch sah Finn mich an. Er glaubte mir nicht.

"Du weißt, dass du mir vertrauen kannst."

"Ich weiß. Aber er schlägt mich wirklich nicht. Das habe ich einmal in einer Beziehung mitgemacht. Das passiert mir kein zweites Mal. Glaube mir!"
Finn presste seine Lippen zusammen, denn auch er konnte sich noch zu gut an Benjamin erinnern. Ich hatte glücklicherweise schnell die Reißleine ziehen können, doch es war trotzdem später als nötig gewesen. Letztendlich war es damals Finn gewesen, der mir die Augen geöffnete hatte, nachdem ihm meine blauen Flecke aufgefallen waren.

"Was ist es dann?"

Ich zögerte. Einerseits wollte ich unbedingt über meine Probleme sprechen, doch ich war auch der Meinung, dass Basti darüber entscheiden sollte, wer von seinen Probleme erfuhr.

"Er ist anders, seitdem er zurück ist", sprach ich, denn ich musste mich endlich mal jemandem anvertrauen. "Er ist depressiv und traumatisiert. Aber er hält eine Therapie nicht für nötig."

Finn sah ernst drein. Die Zornesfalte war deutlich sichtbar.

"Ich weiß, dass du dich immer für andere aufopferst", sagte er schließlich. "Aber mach dich bitte nicht selber kaputt. Du kannst nicht jeden retten. Du musst auch mal an dich selbst denken. Vergiss das bitte nicht!"
Ich sah zu Boden und eine weitere Träne rollte über meine Wange. Ich konnte vielleicht nicht jeden retten, aber Basti schon. Ich wollte ihn nicht aufgeben. Er hatte keinen außer mir. Mit seiner Familie sprach er schon seit Jahren kaum noch und die Freundschaften, die er hat, tun ihm nicht gut. Ich war die einzige, die ihn da noch rausholen konnte. Und er war kein schlechter Mensch. Im Moment war er einfach nur ein bisschen verloren, doch ich gab die Hoffnung nicht auf, dass auch wieder bessere Zeiten kommen würden.

Finn machte einen Schritt auf mich zu und umarmte mich. Sofort floss seine Wärme durch meinen Körper.

Ich hatte ja keine Ahnung gehabt, wie sehr ich eine solche Umarmung gebraucht hatte. Er legte sein Kinn auf meinem Scheitel ab. Ich schloss die Augen, um kurz die körperliche Geborgenheit zu genießen. Basti hatte das schon seit Monaten nicht mehr getan.

"Ich bin immer für dich da", flüsterte Finn in mein Ohr. "Genau wie Ruben und Frida. Das weißt du doch, oder?"

"Ja", schluchzte ich, weil gerade alles zu viel war.

"Warum hast du denn nicht schon längst etwas gesagt?"

"Ich wollte euch nicht belasten."

"Ach Ilvi, dafür sind Freund doch da."

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top