Kapitel 27

"Und du ziehst wirklich nach Kopenhagen?", fragte meine Mutter voller Entsetzen Finn. Natürlich hätte sie es bevorzugt, wenn ich zurückgezogen wäre. Denn so wäre ihr Enkelkind immer nahe gewesen.

"Ja, Chocluck möchte ein Werk in Dänemark eröffnen und ich soll bei der Planung helfen. Es hat alles einfach zu perfekt gepasst. Wir werden in Kopenhagen leben."

Mama seufzte und zog ihr Kleid zurecht.
Wir waren auf der Hochzeit meines Cousins und Finn war ganz offiziell meine Plus Eins. Er sah in seinem dunkelblauen Anzug hinreißend aus und ich konnte den Brautjungfern ansehen, dass sie ihn ähnlich anhimmelten wie ich es tat. Finn hatte mich schon immer wie eine Prinzessin behandelt, doch nun war ich seine Königin und das Kind in meinem Bauch sein Prinz. Das gab mir ein gutes Gefühl. Mein Kind würde einen tollen Papa wirklich brauchen. Finn tat alles, damit es uns gut ging. Hin und wieder übertrieb er es sogar, sodass es mir schwer fiel, zu begreifen, was für ein Glück ich hatte, ihn als Vater meines Kindes zu haben. Manchmal war das, was man für das größte Drama auf Erden hielt, am Ende gar nicht so schlimm.

"Schade, es wäre wirklich schön gewesen, wenn ich den Kleinen öfter sehen könnte. Aber ich bin ja froh, dass er einen so tollen Vater wie dich haben wird!"

Als Mama erfahren hatte, wer der eigentliche Vater meines Kindes war, hatte sie Freudentänze aufgeführt. Sie war schon immer ein Fan von Finn gewesen und dafür war ich sehr dankbar.

Ich strich über meinen Bauch, von dem ich nicht mehr abstreiten konnte, dass ich ein Kind mit mir herumtrug. Finn bemerkte dies und lächelte mich an.

Es hatte eine Zeit lang gebraucht, bis er wieder befreit lachen konnte. Die Tatsache, dass er mir damals nicht geholfen hatte, nagte an ihm und er hatte sich all die Jahre versucht, selbst zu bestrafen, in dem er seine Gefühl für mich unterdrückt hatte. Er hatte zu Beginn sehr damit gehadert, mich in eine Situation gebracht zu haben, die weder geplant noch gewollt war. Doch mittlerweile freuten wir uns auf unseren Sohn. Und das nicht nur als Eltern sondern auch als Paar. Ich war richtig stolz so einen Mann, wie Finn an meiner Seite zu haben. Jeden Tag bewies er mir auf's neue, dass er damals einen einmaligen Fehler begangen hatte.

Heute war ein sonniger Tag und jedes Brautpaar wünschte sich wohl genau so einen schönen Spätfrühlingstag wie heute. Die Braut war wunderhübsch und ihr Bauch noch ein klein wenig gewölbter als meiner.

"Du siehst zauberhaft aus", ließ Finn mich wissen, als wir nach der Zeremonie mit einem Orangensaft unter Weidenbäumen standen. Finn verzichtete aus Solidarität ebenfalls auf Alkohol.

"Danke."

Es war schon seltsam, wie wir so viele Jahre einfach Freunde gewesen waren und plötzlich waren wir ein Paar und säuselten uns romantische Dinge ins Ohr.
"Hey, ihr Turteltäubchen", rief Madita, die ein dunkelblaues Kleid mit gewagtem Ausschnitt trug. Meine Mutter hatte sie nur mit viel Mühe davon abhalten können, ein schwarzes Kleid zu tragen. "Kann ich Ilvi mal kurz entführen? Ich brauche Hilfe bei der Torte."

"Na klar", sagte ich sofort.

"Aber pass auf sie auf", fügte Finn hinzu.

Madita verdrehte die Augen, denn die Überbehütung durch Finn fand sie zurecht übertrieben.

"Er sieht in die auch nur noch eine Porzellankugel, die er mit allem, was er hat, beschützen muss, oder?", fragte sie augenzwinkernd, als er nicht mehr in Hörweite war.

"Ja, aber es ist doch irgendwie auch ganz niedlich. Findest du nicht?"

Sie zuckte mit den Schultern. Dann nahm sie mich an der Hand und führte mich durch den Garten in die Küche. Auch unsere Beziehung hatte sich in den letzten Wochen deutlich gebessert. Sicherlich gab es noch Situationen, in denen sie mir wie jede andere kleine Schwester es auch tat, auf die Nerven ging. Doch sie hatte Finn und mich auch ein Wochenende in Kopenhagen besucht und wir hatten das sogar ganz ohne Haareziehen und Schimpfwörter überstanden.

"Er ist vollkommen in dich verliebt", sagte sie mit einem Grinsen auf dem Gesicht, als wir im Gewusel der Küche ankamen.

"Ich weiß. Es ist als hätte er all die Jahre seine Liebe für jetzt aufgespart."

Madita tätschelte meinen Arm.

"Ist doch aber schön. Ihr habt ein Happy End verdient. Mama war eh schon immer der Meinung, dass er der richtige für dich ist. Ich beneide dich ja ein bisschen. Ich hätte auch gern einen Mann, der mich so ansieht."

"Den findest du sicher auch noch. Du bist noch jung."

"Hmm, hast du den Torwart aus Toms Mannschaft gesehen? Er hat heute keine Plus Eins mitgebracht." Sie zog verschwörerisch die Augenbrauen hoch. "Er ist groß, breite Schultern und kann bestimmt richtig zupacken. Das sollte zumindest für heute Abend ausreichen."

Ich schüttelte lachend den Kopf.

"Du bist echt unglaublich."

"Ich weiß", erwiderte sie kess. Wir blieben vor dem Eichenholztisch stehen, wo sich eine dreistöckige Torte in die Höhe erstreckte. Ich erkannte das Problem sofort. "Tobi und Mats haben die Torte mit einem Ball getroffen", beschrieb Matida trocken die Situation.

Eine Seite der Torte war deutlich eingedellt. Wenn man bedachte, dass diese 500 Euro gekostet hatte, war das durchaus ein Drama. "Hast du eine Idee, wie wir die retten können?"

Ich stemmte meine Hände in die Hüfte und ging einmal um die Sahne-Buttercreme-Kreation herum, um den Schaden genauesten zu begutachten.

"Ja, das kriegen wir schon hin. Ich versuchen mal die Form wieder ein bisschen zu remodellieren und du gehst in den Garten und schaust dich mal nach schönen großen Blüten um und bringst die mit. Ich denke, dass wir es damit ganz gut kaschieren können."

"Okay, bin schon unterwegs!"

Sie zog sich ihre Stilettos aus und lief barfuß nach draußen. Ich nahm mir derweil ein Buttermesser und spachtelte die Creme wieder an die Stellen, wo sie hingehörte. Als Madita mit einem Büschel Pfingstrosen wiederkam, schnitten wir diese zu, umwickelten sie mit Tesafilm steckten sie dekorativ in die Torte.

Stolz sah Madita zu mir.
"Ich würde ja fast sagen, dass es besser als vorher aussieht."

"Finde ich auch", stimmte ich ihr zu und umarmte sie.

"Du bist echt ein Genie! Drama abgewendet", sagte sie lachend und hielt mir die Hand zum High Five hin. Ich schlug ein.

"Ich werde mal nach Finn schauen. Nicht, dass Tante Gudrun ihn schon gefunden hat und ihn mit ihrem Schamanenkram belästigt."

Ich ging zurück in den Garten. Auch ich hatte mich mittlerweile von meinen Schuhen befreit und stapfte barfuß über den Rasen.

Ich erblickte Finn, der zu seinem Glück noch immer mit meiner Mutter sprach. Mir entging jedoch nicht, dass er ernst aussah.

Ich näherte mich ihnen, ohne dass sie mich bemerkten.

"Ich mache mir wirklich Sorgen", hörte ich meine Mama sagen. "Sie sagt immer, dass alles gut ist, aber ich glaube das nicht."

Ich stand im Rücken der beiden und war mucksmäuschenstill.

"Was genau hat sie denn?"

Das war genug! Ich konnte mir schon denken, was Mama ihm versuchte zu erzählen.

"Mama, was soll das?", fragte ich wütend.

Beide schreckten zusammen und drehte sich schlagartig zu mir um.

"Schatz", sagte Mama sofort. "Ich habe Finn nur gesagt, dass ich mich um das Baby sorge."

Wütend sah ich sie an. Ich wollte nicht, dass sie Finn unnötig Angst machte.

"Dem Baby geht es gut!", beteuerte ich. "Glaubst du wirklich, dass ich diesbezüglich lügen würde? Finn war beim letzten Ultraschall dabei." Ich wandte mich an Finn. "Und was hat dir die Ärztin gesagt?"

"Dass es dem Kind prächtig geht", sagte Finn kleinlaut, weil ihm vermutlich gerade bewusst wurde, dass er zwischen den Fronten stand.

"Hol dir doch lieber noch eine Zweitmeinung ein!", drängte meine Mutter unbeirrt weiter.

"Ich habe bereits zwei Meinungen. Von meiner deutschen Frauenärztin und von meiner dänischen, also hör auf unnötig Panik zu verbreiten. Dem Kind es gut. Außer du willst mich weiterhin stressen."

"Ach Schatz! Ich meine es doch nur gut."

"Mag sein, aber es tut mir nicht gut." Ich nahm Finns Hand. Ich musste aus dieser Situation raus. Meine Mutter hing mir ständig damit in den Ohren. Dabei hatten alle Ärzte bisher die Gesundheit meines Kindes bestätigt. Es gab kein Grund zur Sorge. "Komm, wir schauen uns die Fotowand an."

"Sie macht sich doch nur Sorgen", sprach Finn ruhig, als er hinter mir herlief.

"Aber genau das macht mich fertig."

Er blieb abrupt stehen. Da ich noch seine Hand hielt, kam auch ich zum Stillstand. Ich drehte mich zu ihm um. Wir standen im Rosengarten des Gutshauses, in dem die Feier stattfand.

Seine Augen fixierten mich.

"Ich wusste nicht einmal, dass du einen Herzfehler hast", sprach er ernst.
"Es ist auch nicht dramatisch. Als ich zur Welt gekommen bin, war das wirklich ein Problem, aber ich wurde operiert und wie du siehst geht es mir gut. Und die Ärzte haben beide gesagt, dass es dem Baby auch gut geht. Lass dich bitte nicht von meiner Mutter verunsichern. Sie malt immer gern den Teufel an die Wand. Ich habe es dir nicht gesagt, weil ich nicht wollte, dass du dir komplett unbegründet Sorgen machst."

Ich machte einen Schritt auf ihn zu. Er verstand sofort, was ich brauchte. Liebevoll legte er seine Arme um mich herum. Er roch heute besonders gut.

Finn legte sein Kinn auf meinem Kopf ab und seufzte.

"Ich kann es kaum erwarten, unser Kind endlich in den Armen zu halten."

Ich auch. Das war alles, was für mich zählte: Mein Kind in meinen Armen zu halten. 

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