Kapitel 20
"Schatz, es ist so schön dich wieder in der Heimat zu haben!", begrüßte mich mein Vater und küsste mir auf die Wange. Dann sah er an mir hinab. "Man sieht ja noch gar nichts."
"Hey, Papa", begrüßte ich ihn. "Es ist auch erst der dritte Monat."
Er grinste mich an.
"Es ist so aufregend, das erste Mal Opa zu werden."
Mein Vater konnte es kaum erwarten, dieses Baby in meinem Bauch endlich in den Händen zu halten. dabei würde es noch ein halbes Jahr dauern. Es erschien mir wie eine Ewigkeit. Warum konnte eine menschliche Schwangerschaft nicht so lange dauern, wie bei einem Meerschwein. Zwei Monate erschienen mit auch vollkommen ausreichend.
"Frag mich mal! Mutterwerden ist noch aufregender!"
"Aber bist du nicht schon im vierten?"
"Nächste Woche, Papa. Du musst dich wirklich ein wenig in Geduld üben."
Ich hörte wie Schritte die Treppe herunterkamen und sah meine Schwester. Leicht bekleidet wie immer.
"Da ist ja meine schwangere Schwester, die von einem unbekannten One Night Stand schwanger ist. Und da heißt es immer, ich wäre das Problemkind", sagte sie witzelnd. Jedoch war sie die einzige, die lachte.
Halbherzig umarmte sie mich.
"Schön dich zu sehen, Schwesterherz", nuschelte sie in mein Ohr, wobei ich riechen konnte, dass sie geraucht hatte. "Glückwunsch! Du bist noch gar nicht fett!"
"Madita!", erklang die mahnende Stimme meiner Mutter. "Reiß dich zusammen!"
"Was? Das war doch ein Kompliment", erwiderte sie. "Und mich würde schon interessieren, wer der Vater ist. Schließlich mischen sich unsere kostbaren Genen mit seinen."
"Red nicht so ein Mist", fuhr sie meine Schwester an und wendete sich dann mir zu.
"Ilvi, Schätzchen", hieß nun auch meine Mutter mich willkommen. "Schön, dass du hier bist. Ich habe dir das Gästezimmer oben hergerichtet. Du wirst auch gleich sehen, dass Papa sogar schon ein Babybett besorgt hat", ließ sie mich euphorisch wissen.
"Oh, wow. Es ist aber noch ein halbes Jahr. Das wisst ihr schon?"
Mama lächelte.
"Man kann nie früh genug damit anfangen. Ich habe auch schon ein paar Strampler gekauft. Ich konnte einfach nicht widerstehen."
Ich hatte so etwas schon befürchtete und reagierte dementsprechend gefasst. Ihre Augen leuchteten so sehr voller Vorfreude, sodass ich es ihr nicht übelnehmen konnte.
"Danke, Mama."
"Komm, ich trag dir deinen Koffer nach oben", sagte Papa und hielt das Gepäckstück bereits in den Händen. "Du kannst ja nicht mehr schwer tragen."
Innerlich rollte ich mit den Augen, doch ich wusste, dass er es gut meinte. Also ließ ich ihn machen, während meine Schwester mir einen bösen Blick zuwarf.
"Und du feierst heute bei Frida in deinen Geburtstag rein?", erkundigte ich mein Vater, als er Stufe für Stufe den Koffer nach oben hievte.
"Ja, Finn und Ruben sind auch da."
"Schön! Aber morgen bist du zum Kuchenessen wieder zurück, oder? Mama hat extra einen Maulwurfskuchen für dich gemacht. Und Onkel Frank und Tante Ute kommen zu Besuch."
"Ja, keine Sorgen. Ich kann ja nicht einmal trinken. Also wird es vermutlich auch nicht allzu spät werden."
Papa stellte nun den Koffer auf den grünen Teppichboden ab. Dann sah er mich strahlend an.
"Ilvi, ich finde es wirklich toll, dass du das durchziehst. Ich verstehe, dass es sicherlich nicht leicht ist, wenn der Vater nicht im Bilder bist und es ist auch vollkommen in Ordnung, wenn du nichts über ihn preisgeben willst. Ich will einfach, dass du weißt, dass ich stolz auf dich bin und wir dich in allem unterstützen."
"Danke Papa."
Manchmal vergaß ich, was ich eigentlich für ein Glück mit meiner Familie hatte.
"Immer doch, Prinzessin. Weißt du eigentlich, dass Jan und Steffi auch ein Kind bekommen?"
"Nein", sagte ich freudig, denn ich wusste, dass mein Cousin und seine Frau es schon seit Jahren versuchten. Es war schon verrückt: Manche wollten kein Kind und hatten ein einziges mal vermeintlich geschützten Sex und andere mussten Jahre lang probieren bis es endlich klappte. Und manche wurden sogar nie schwanger. "Das ist ja großartig!"
"Ja, eure Kinder sind dann im gleichen Alter. Sie sind nur ein paar Wochen weiter als du. Cool, oder?"
Die Tatsache, dass er "Sie" sagte schmerzte. Denn die Zwei bekamen als Paar ein Kind. Ich wünschte mir so sehr, dass es in meinem Fall genauso wäre. Sich zusammen auf ein geplantes Kind zu freuen, musste eine vollkommenen andere Schwangerschaftserfahrung sein, als ungewollt ein Kind zu erwarten.
"Ja, total. Aber heiraten die nicht in ein paar Wochen? In ihr Kleid passt sie wahrscheinlich nicht mehr, oder?"
"Ja, das hat sie auch am Telefon gesagt. Das muss die Schneiderin jetzt anpassen. Aber das ist ja wirklich ihr geringstes Problem. Die beiden sind wirklich überglücklich" Dann wurden Papas Gesichtszüge wieder ernster. "Sag mal, Schatz, hast du eigentlich schon einen Termin beim Kardiologen gemacht?"
Mein Körper spannte sich bei der Frage an.
"Ja, ich war heute Morgen schon da. Es ist alles okay", antwortete ich knapp.
Papa atmete erleichtert aus.
"Das hat also keine Auswirkung auf das Kind?"
"Nein", antwortete ich wahrheitsgemäß. Ich hätte kaum glücklicher sein können, als der Arzt mir mitgeteilt hatte, dass die Chancen, dass das Kind gesund ist, sehr gut stehen. "Es gibt zwar eine erhöhtes Risiko, aber es trotzdem sehr unwahrscheinlich. Dem Kleinen gehts gut in meinem Bauch und es gibt keine Auffälligkeiten. Der Kardiologe war sehr zuversichtlich. Er meinte, dass es keinen Grund zu Beunruhigen gibt und ich noch mal zur Routinekontrolle in drei Monaten vorbeischauen soll."
Papa streichelte mir emotional über meinen Oberarm.
"Das freut mich. Ich wünsche niemanden da, was wir damals mit dir durchmachen mussten."
"Hey Süße!", nahm mich Frida in Empfang. "Wie geht es dir?"
Sofort nahm sie mir meine Jacke ab, um sie an der Garderobe aufzuhängen. Seitdem ich schwanger war, waren alle viel umsichtiger mit mir.
"Ganz gut."
"Keine Übelkeit?", hakte sie nach.
Sie wusste genau, wie es sich anfühlte. Als sie mit Olivia schwanger ging es ihr noch schlechter als mir. Sie hatte in den ersten drei Monaten 10 kg abgenommen.
"Nein, das ist zum Glück vorbei."
"Großartig. Weißt du schon das Geschlecht?", fragte sie nun interessiert nach und sah auf meinen Bauch.
"Vielleicht. Die Ärztin war sich nicht ganz sicher, aber sie geht eher davon aus, dass ein Junge ist."
"Das ist doch toll, oder?"
Ich zuckte mit den Schultern. Es war nichts, worauf ich Einfluss nehmen konnte.
"Ja, eigentlich ist es mir egal. Mädchen oder Junge spielt doch keine Rolle."
"Das stimmt natürlich auch. Aber ich finde, du wirkst eher wie eine Jungs-Mami."
Was immer das auch heißen sollte... Ich war mir nicht einmal sicher, ob ich überhaupt eine gute Mami sein konnte.
Wir gingen in die Küche, wo der Kühlschrank mit Zeichnungen von Olivia zugekleistert war. Ob ich auch mal so eine Mutter werden würde? Würde ich so eine Kritzelei auch mal schön finden?
"Wie kann ich helfen?", fragte ich, während ich mir meine Hände wusch.
"Wenn du magst, kannst du die Tomaten für den Salat schneiden."
"Klar."
Ich sah zu Frida und musterte sie. Sie trug eine Küchenschürze mit der Aufschrift "Beste Mama" und holte nun Teller aus dem Schrank, um den Tisch einzudecken. Wir waren alt geworden, ohne dass ich es so richtig gemerkt hatte. Frida hatte bereits die ersten grauen Haare und kleine Fältchen auf der Stirn. Manchmal kam es mir vor, als wären wir gestern noch Teenies gewesen, doch im Moment kam es mir dieser Lebensabschnitt vor, wie ein anderes Leben.
"Frida? Kann ich dich mal was fragen?"
Sie kannte mich gut genug, um an meiner Stimme zu erkennen, dass es etwas Wichtiges war.
"Natürlich."
Ich hielte inne und sah sie an. Die Frage brannte mir schon den ganzen Tag auf der Zunge.
"Was lief damals zwischen dir und Finn?"
Vor Schreck wären ihr fast die Teller aus der Hand gefallen. Sie wirbelte herum und sah mich plötzlich ganz blass an.
"Woher weißt du das?", schoss es aus ihrer Kehle.
"Ist doch egal. Ich weiß es halt."
Sie schien peinlich berührt. Nur selten hatte ich sie in diesem Zustand gesehen. Das letzte Mal, als sie sich aufgrund eines gebrochenen Herzens so sehr betrunken hatte, sodass sie nicht mehr ihre Blase im Griff gehabt hatte.
"Ruben, oder?", versuchte sie nachzuforschen.
Ich wollte Ruben nicht verraten und er war es auch nicht, der es mir zuerst gesagt hatte. Er hatte es lediglich bestätigt.
"Nein, meine Cousine Mynte hat euch damals auf der Party gesehen. Du müsstest dich erinnern. Sie ist ins Bad geplatzt, als ihr es dort getrieben habt."
Ich konnte meinen Schmerz in der Stimme nicht verbergen. War es vielleicht sogar Eifersucht?
Frida presste die Lippen zusammen.
"Ich war vollkommen betrunken und kann mich, ehrlich gesagt, nicht an Details erinnern. Aber ja, es war ein einziges Mal. Es hatte aber nichts zu bedeuten. Wirklich gar nichts! Am nächsten Tag wollte ich es einfach nur noch vergessen. Und das gilt bis heute!"
Ich wusste, dass sie die Wahrheit sagte. Dazu kannte ich sie gut genug.
"Aber warum ist das für dich so wichtig?", hakte Frida nach und bemerkte offenbar meinen enttäuschten Gesichtsausdruck.
"Ihr seid meine Freunde!", verteidigte ich mich. "Ich dachte, wir sagen uns alles."
Misstrauisch sah Frida mich an. dann schüttelte sie den Kopf.
"Es steckt mehr dahinter, oder? In letzter Zeit bist du anders, wenn es um Finn geht. Als wir vor deinem Abschied nach Kopenhagen in der Bar waren, konntest du ihm kaum in die Augen sehen." Mir stieg mein Blut in den Kopf und ich wusste, dass meine Gesichtsfarbe mich nun verraten würde. "Du hast Gefühle für ihn, oder?", fragte Frida.
Ich konnte die Frage nicht bejahen, weil ich es mir nicht einmal selbst eingestehen wollte.
"Es ist okay", sagte Frida. "Er ist charmant, witzig, intelligent und gutaussehend. Man kann es dir nicht verübeln. Es ist einfach nur schwierig, weil er schon vergeben ist."
"Du hast ja keine Ahnung", sprach ich mehr zu mir als zu ihr.
Ich bereute meine Worte sofort, denn Frida war nicht dumm.
"Moment!", sagte sie aufgeregt. "Oh mein Gott, Ilvi! Sag mir nicht, dass er der Vater ist. Hattet ihr eine Affäre?"
Mit gesenktem Blick nickte ich. Ich schämte mich so sehr. Auch wenn Frida meine beste Freundin war, würde ich am liebsten im Boden versinken.
"ER IST DER VATER?!", sprach sie viel zu laut.
"Schrei doch lauter, damit es auch die ganze Nachbarschaft weiß!"
Frida war nun so aufgeregt, wie ein Huhn dessen Eiern man gerade gestohlen hatte.
"Er weiß gar nicht, oder? Du hast ihm nicht gesagt?"
"Ich wusste nicht wie", gestand ich. "Aber ich bin morgen mit ihm zum Frühstück verabredet und will es ihm dann sagen."
Frida schien immer noch in einer Schockstarre zu stecken. Sie konnte den Blick nicht einmal von mir abwenden.
"Wann ist das passiert? Habt ihr euch regelmäßig getroffen? Wie lange haltet ihr das schon vor uns geheim?"
"Nein, um Gottes Willen! Es war auf der Weihnachtsfeier. Wir waren betrunken und das war es. Ein einziges Mal."
"Aber du hast Gefühle für ihn. Das sehe ich dir doch an. Du bist in ihn verliebt, oder?"
Wie konnte man nicht in Finn verliebt sein? Er war perfekt.
"Ja", hauchte ich beschämt.
"Oh, Süße. Es tut mir so leid." Sie kam zu mir herüber und nahm mich in den Arm. "Ich weiß nicht, ob er auch solche Gefühle für dich hat. Aber ich weiß, dass er für das Kind da sein wird. Es ist Finn. Unser Finn, der sich immer um alles und jeden kümmert. Sprich mit ihm. Er muss es wissen!"
"Ich weiß! Er wird morgen erfahren."
Frida atmete laut ein und wieder aus.
"Oh Mann, das ist krass", sprach sie noch immer ungläubig. "Meine besten Freunde bekommen ein Kind zusammen."
Es klingelte an der Tür.
"Das ist er", ließ Frida mich wissen und sah mich vielsagend an. Ich konnte nur hoffen, dass sie sich in seiner Anwesenheit nicht so auffällig verhalten würde. "Ruben hat mir geschrieben, dass er ein bisschen später kommt."
Mein Herzschlag wurde schneller. Mitfühlend tätschelte Frida meine Schulter und ging dann zur Tür.
Allein Finns Stimme zu hören, ließ mich nervös werden. Als er den Raum betrat, lächelte er mich an. Ich wünschte unser Kind würde auch dieses bezaubernde Lächeln haben.
"Ilvi!", sagte er fröhlich und nahm mich zur Begrüßung in den Arm. Mein gesamter Körper verwandelte sich in einen Armeisenhaufen. Alles kribbelte. "Schön dich zu sehen."
Die Art wie er mich umarmte war so herzlich. Ich wollte, dass er mich nie wieder losließ.
"Du bist heute aber knuddelbedürftig", sagte er im Scherz. Verlegen bis ich mir auf meine Unterlippen. Hatte ich mich so offensichtlich an ihn geschmiegt. "Ist okay", sagte Finn, dem meine Verlegenheit aufgefallen war, lachend. "Umarmungen bekommst bei mir so viel, wie du möchtest! Gerade in dem Zustand, in dem du gerade bist."
War das noch normal? Er hatte doch eine Verlobte. Würde man dann solche Dinge sagen? Oder hatte er vielleicht auch Gefühle für mich?
In unserer gemeinsamen Nacht hatte es sich angefühlt, als wäre zwischen uns die große Liebe. Wir hatten nicht einfach nur einen schnellen Fick gehabt. Es waren leidenschaftlich und zärtlich gewesen. Wir hatten uns füreinander Zeit genommen.
War es möglich, dass Finn auch Gefühle hatte, die er ebenfalls unterdrückte, weil er wusste, dass es die Dinge nur noch komplizierter machte?
Spätestens morgen würde sein Leben so oder so kompliziert werden.
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