Kapitel 2
Ich blieb abrupt stehen, als ich die Wohnung betrat. Als ich sie heute am frühen Abend verlassen hatte, war sie noch in einem vorzeigbaren Zustand gewesen. Doch nun lagen so viele Kleidungsstück auf dem Boden, sodass man damit eine ganze Sendung "Shopping Queen" füllen oder ein Second Hand Geschäft eröffnen könnte. Wie hatte er in so kurzer Zeit ein solches Chaos anrichten können?
Als ich mir einen Eindruck vom Wohnzimmer verschaffte, sah ich Chips und Schokoriegelverpackungen auf dem Parkett verteilt liegen. Das Staubsaugen hätte ich mir heute Vormittag auch sparen können.
Dann fiel mein Blick auf die Couch, auf der Basti in Embryohaltung eingeschlafen war. Der Fernseher lief auf voller Lautstärke und eine leere Flasche Whiskey stand auf unserem Wohnzimmertisch.
Ich seufzte verzweifelt.
Er sah ungepflegt aus. Basti hatte sich schon ewig nicht mehr rasiert. Männer mit Bart konnten gut aussehen, aber nur, wenn er gepflegt wurde und nicht zerzaust war und mit Chipskrümeln verziert war, wie bei meinem Freund. Zudem hatte er ein fleckiges und löchriges Shirt an, welches er auch schon gestern und vorgestern getragen hatte. Des Weiteren fiel mir auf, dass er sich in den letzten Wochen einen Bauch angefressen hatte. Er stopfte alles, was nährstoffarm und kalorienreich war, in sich hinein und mittlerweile sah man das seinem sonst so gestählten Körper an. Auch seine Haut war unreiner geworden. Es war, als würde seine Seele mit dem Körper Hilfeschreie aussenden.
Wie lange konnte ich diesen Zustand noch aushalten? Ich merkte jetzt schon, wie ich an mein Limit kam.
Ich ging zum Fernseher hinüber und schaltete ihn aus. Dann öffnete ich das Fenster, denn dem Geruch zufolge hatte er auch einen Joint hier drin geraucht. Lieber erfror ich, als den Geruch von Gras in meiner Wohnung zu haben. Sofort umhüllte mich schlagartig die Kälte. Viel lieber würde ich jetzt in meinem warmen Bett liegen, als in das Chaos meines Freundes wieder Struktur zu bringen. Doch das waren wohl die tiefen Zeiten, von denen man immer sprach und in denen man trotzdem füreinander da sein sollte.
"Hey", hörte ich seine verschlafene Stimme, als ich den Müll vom Boden aufhob.
Ich drehte mich um und blickte zu ihm herunter. Er streckte sich verschlafen auf der Couch. In mir kochte die Wut, doch noch immer versuchte ich die verständnisvolle Freundin zu sein. Also schluckte ich sie mit einer großen Portion Enttäuschung hinunter. Warum konnte er sich nicht wenigstens für mich zusammenreißen?
"Hey, alles gut bei dir?", fragte ich betont fürsorglich.
Ich sah ihm sofort an, dass er high und sturzbetrunken war. Die Augen waren rot und die Pupillen groß.
"Du hast mich geweckt", beschwerte er sich und raufte sich die Haare. Irritiert sah er sich im Raum um. Er schien erst einmal überlegen zu müssen, wo er überhaupt war.
"Es tut mir leid, dass ich dich geweckt habe. Ich versuche nur ein bisschen Ordnung in das Chaos zu bringen, dass du hier angerichtet hast."
Ich konnte einen scharfen Unterton beim letzten Halbsatz nicht vermeiden.
Er richtete sich auf. Sein Blick wurde finsterer.
"Das wäre wohl nicht passiert, wenn du mich hier nicht alleine hättest sitzen lassen!", sagte er streitlustig.
Ich wollte mich nicht provozieren lassen, konnte aber nicht verhindern, dass es mich trotzdem wütend machte.
"Ich werde mich ja wohl noch mit meinen besten Freunden treffen dürfen. Du kannst doch nicht erwarten, dass ich jeden Abend den Babysitter für dich spiele und aufpasse, dass du nicht zu viel säufst und dir deinen Verstand wegkiffst."
Selbstkontrolle war noch nie meine Stärke gewesen. Mein Geduldsfaden war einfach zu dünn, um dieses Chaos hier auszuhalten.
Er verschränkte wütend die Arme vor seiner starken Brust. Basti gehörte zu den Soldaten, denen man auch ansah, dass sie beim Militär waren. Sein Körper war eine Kampfmaschine. Er war muskelbepackt. Groß, kompakt und seit Kurzem mit einem Bauchansatz. Zudem hatte er den typisch kurz geschorenen Schädel.
"Ich habe nicht gekifft und auch nicht viel getrunken!", beteuerte er, doch ich glaubte ihm kein Wort. Mein Geruchsinn funktionierte noch ausgezeichnet.
"Basti, es geht so nicht weiter! Hol dir Hilfe! Ich weiß, dass du Schlimmes erlebt hast! Das muss aufgearbeitet werden. Eine Therapie kann dir helfen wieder zu schlafen und Freude zu empfinden."
"Ich brauche keine Therapie. Nur ein wenig Zeit!", entgegnete er sofort trotzig.
"Probiere es doch wenigstens! Du kannst sie doch immer noch abbrechen."
Er schüttelte entschieden den Kopf.
"Ich brauche sie aber nicht!"
"Schau dich doch mal an! Willst du mir wirklich erzählen, dass du dein Leben noch unter Kontrolle hast?"
Es ging hier nicht nur um ihn! Auch ich wollte mein altes Leben zurück haben.
"Höre auf mir irgendwelche Probleme anzudichten, die ich nicht habe!"
Das war doch unglaublich. Er war der Meister von Verdrängung und Beschönigung. Seitdem er aus dem Ausland zurückgekehrt war, bestand sein Leben nur noch aus Problemen.
"Du willst mir erzählen, dass du keine Probleme hast? Ist das dein Ernst?", fragte ich ungläubig mit eindringlichen Unterton.
Er wusste genau, worauf ich anspielte. Basti konnte vieles abstreiten. Er konnte leugnen, ein Alkoholproblem zu haben und verschweigen, dass er Alpträume hatte und nicht schlafen konnte.
Doch dass wir keinen Sex mehr hatten, weil er keine Erektion mehr bekam, war ein Fakt. Und es war ein Problem!
Er erhob sich von der Couch und kam wortlos auf mich zu. Dann zog er mich kraftvoll an sich heran. Es war nicht aggressiv, aber bestimmend und dominant.
"Was soll das werden?", fragte ich genervt, während ich seine Körperwärme spürte.
Auch wenn er grob war, wusste ich, dass er micht weh tun würde. Das war nicht seine Art. Basti war nie ein gewalttätiger Mensch gewesen.
"Ich werde dir beweisen, dass es noch klappt", flüsterte er mir in mein Ohr. Seine Fahne war widerlich.
"Lass das!" beschwerte ich mich und versuchte mich aus seinen Armen zu befreien.
Ich wollte mit ihm jetzt gar nichts probieren, sondern einfach nur schlafen und hoffen, dass ich heute in einem schönen Land der Träume enden würde. Weit weg von dieser Realität.
Er küsste mich auf den Mund. Ich hielt den Geschmack von dem Alkohol und dem Gras kaum aus. Also drehte ich mich weg.
"Hey!", beschwerte er sich sofort laut. "Was soll das?"
"Basti, schlaf erst einmal deinen Rausch aus. So besoffenen wie du bist, würdest du selbst unter normalen Umständen keinen hoch bekommen."
Er hielt inne und funkelte mich böse an.
"Hör auf so mit mir zu reden!", mahnte er mich.
Sein Gesicht war mittlerweile rot geworden und Schweißperlen standen auf seiner Stirn. Dabei war es aufgrund des geöffnete Fensters eiskalt in dem Zimmer.
"Tut mir leid", ruderte ich zurück, denn tatsächlich war mein Kommentar unsensibel gewesen. "Aber ich möchte wirklich nicht."
Er schnaubte.
"Für deine Freunde nimmst du dir den ganzen Abend frei, aber mir schenkst du nicht einmal ein paar Zärtlichkeiten?", fragte er provokant.
"Du weißt genau, dass es darum nicht geht!"
"Und ob! Komm schon, Babe! Ich habe das Gefühl, dass es heute wirklich klappen könnte. Du musst doch auch schon vollkommen untervögelt sein!"
Abwertend sah ich ihn an. Ja, ich hatte keinen Sex mehr gehabt, seit Basti vor 6 Monaten nach Afghanistan gegangen war. Doch das war im Moment mein geringstes Problem. Ich wollte wieder den liebevollen Mann haben, mit dem ich einst so glücklich gewesen war. Überall in der Wohnung hingen Pärchenfotos aus guten Zeiten. Ich wollte das zurück.
"Ich gehe jetzt schlafen", ließ ich ihn wissen und drückte ihn von mir weg.
"Dein Ernst?", fragte er mit Groll in der Stimme. "Hast du einen anderen? Ist es das? Weil ich es dir nicht besorgen kann, hast du dir einen anderen geschnappt?"
Das war lächerlich.
"Erzähl keinen Unsinn!", sagte ich und holte den Handfeger aus der Abstellkammer, um die Chipskrümel beseitigen zu können.
Er folgte mir.
"Ist es Finn?", zischte er voller Hass.
Ungläubig sah ich ihn an. Wie kam er auf so einen Unsinn?
"Wie bitte?", hakte ich nach.
"Holst du dir das, was ich dir nicht bieten kann, bei Finn?"
Er schien diese Frage wirklich ernst zu meinen.
"Was soll das?", fuhr ich ihn nun an. "Ich betrüge dich nicht und Finn betrügt auch Maddy nicht! Hör auf mir so einen Schwachsinn zu unterstellen! Ich habe keinen anderen! Und mit Finn habe ich schon gar nichts!"
Plötzlich fummelte an der Schnur seiner Jogginghose herum. Dann zog er mit einem Ruck die Hose herunter. Er trug keine Unterwäsche.
"Na komm, dann besorg es mir! Ich bin bereit! Fass ihn an!"
Das hatte er schon oft gesagt, doch seitdem er zurückgekehrt war, war es nie wieder zu einer Erektion gekommen. Ganz egal, wie viel Zeit wir uns genommen hatten.
"Zieh dich an! Ich habe bereits gesagt, dass ich jetzt keinen Sex möchte. Respektiere das und lass mich einfach in Ruhe!"
Meine Worte schienen nicht zu ihm durch zu dringen. Stattdessen kam er auf mich zu und presste seinen nackten Körper gegen mich.
"Hör auf!", fluchte ich und schob ihn nun mit Gewalt von mir. "Es reicht!"
"Du willst doch gar kein Sex mehr mit mir! Nicht ich bin das Problem sondern du!", schrie er nun.
Ich war mir sicher, dass unsere Nachbarn jedes einzelne Wort verstehen konnte.
Basti zog eine Hose wieder hoch, kam mir jedoch wieder näher. Dieses Mal wich ich geschickt aus und huschte ins Badezimmer. Blitzschnell schloss ich die Tür zu, sodass ich räumlich von ihm getrennt war.
"HEY!", rief er und hämmerte gegen die Badtür. "MACH AUF!"
Dann betätigte er immer und immer wieder den Lichtschalter, der außen angebracht war.
Das Licht ging an und aus. An und aus. An und aus.
Hell. Dunkel. Hell. Dunkel. Hell. Dunkel.
"KOMM RAUS DA!", schrie er wie von Sinnen.
Ich ließ mich auf den kalten Fliesenboden nieder und umschlang meine Knie. Ich begann bitterlich zu weinen.
Ich war am Ende meiner Kräfte. Jede zweite Nacht verlief so wie diese. Wenn er Alkohol getrunken hatte, wurde er unausstehlich. Das war nicht mehr der Mann, in den ich mich verliebt hatte. Vergeblich suchte ich den liebevollen Freund, der mich damals vor dem Kino das erste Mal geküsst hatte. Ich fragte mich, ob er noch irgendwo versteckt war oder für immer verloren.
Wie lange sollte ich noch nach ihm suchen? Wie lange konnte ich das noch durchstehen?
Ich schluchzte laut. Tränen tropften auf meine Bluse. Um mein Herz legte sich ein grauer Schleier und in meinem Kopf vernebelte sich alles. Wie sollte es nur weitergehen?
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